Leitsatz (amtlich)
Eine Mandatsniederlegung des Prozeßbevollmächtigten schließt ein Verschulden des Steuerpflichtigen für eine Fristversäumnis jedenfalls dann nicht aus, wenn dieser rechtzeitig von der Mandatsniederlegung unterrichtet wird. Arbeitsüberlastung ist grundsätzlich kein Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Normenkette
FGO § 56
Tatbestand
Das die Klage abweisende Urteil des FG ist der Revisionsklägerin (Steuerpflichtigen) am 25. Oktober 1967 zugestellt worden. Gegen diese Entscheidung hat die Steuerpflichtige am 23. November 1967 Revision eingelegt. Die Revisionsbegründungsfrist ist am 27. Dezember 1967 abgelaufen. Durch Schreiben vom 5. Januar 1968 - eingegangen am 8. Januar 1968 - bat die Steuerpflichtige, die Revisionsbegründungsfrist bis zum 31. Januar 1968 zu verlängern. Mit Schreiben vom 12. Januar 1968 - eingegangen am 15. Januar 1968 - stellte die Steuerpflichtige den Antrag, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, und bat gleichzeitig um weitere Fristverlängerung für die Revisionsbegründung bis Anfang April 1968. Sie ist der Auffassung, sie sei ohne Verschulden verhindert gewesen, die gesetzliche Frist zur Begründung der Revision einzuhalten. Ihr früherer Prozeßbevollmächtigter, der sie in der Vorinstanz vertreten habe, sei im Dezember 1967 nach Irland ausgewandert und habe sein Mandat niedergelegt. Am 15. Dezember 1967 habe er durch sein Büro mitteilen lassen, daß er ihre Interessen nicht mehr vertreten könne. Erst am 20. Dezember 1967 habe sie davon erfahren, daß er die Revision nicht mehr begründen werde; die Akten mit der vorinstanzlichen Entscheidung seien ihr erst am 22. Dezember 1967 mit einem Schreiben ihres früheren Prozeßbevollmächtigten vom 21. Dezember 1967 zurückgesandt worden. Seitdem sei dieser nicht mehr erreichbar gewesen. Auf Grund einer Aufforderung des FA vom 23. November 1967 habe sie ferner die entsprechend dem vorinstanzlichen Urteil nachzuversteuernden Umsätze für die Jahre 1961 bis 1965 bis Ende des Jahres 1967 anzugeben gehabt, was mit umfangreichen Ermittlungen verbunden gewesen sei. Daneben hätte sie auf Grund des neuen UStG eine Neukalkulation der Preise vornehmen und diese ihrer Kundschaft mitteilen müssen. Hinzu komme, daß die Leiterin ihrer Buchhaltung wegen ihrer bevorstehenden Niederkunft durch die Einarbeitung einer Ersatzkraft erheblich belastet gewesen sei.
Zur Glaubhaftmachung ihrer Angaben hat die Steuerpflichtige die Fotokopie einer Aktennotiz über einen Anruf aus dem Büro ihres früheren Prozeßbevollmächtigten vorgelegt. Hiernach wurde der Steuerpflichtigen am 15. Dezember 1967 mitgeteilt, daß ihr früherer Prozeßbevollmächtigter in den verschiedenen Rechtsangelegenheiten, in denen er zur Vertretung ihrer Interessen beauftragt gewesen sei, nicht mehr für sie tätig sein könne, weil er Ende Dezember 1967 seine Praxis aufgebe und ins Ausland verziehe. Die Steuerpflichtige hat ferner eine Fotokopie des oben bezeichneten Schreibens ihres früheren Prozeßbevollmächtigten vom 21. Dezember 1967 vorgelegt. Die Steuerpflichtige hat weiterhin Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ergibt, daß sie im Hinblick auf eine restliche Kostenforderung ihres früheren Prozeßbevollmächtigten vergeblich versucht habe, diesen am 12. Januar 1968 fernmündlich zu erreichen und daraufhin einen restlichen Forderungsbetrag hinterlegt habe. Schließlich hat die Steuerpflichtige eine Geburtsurkunde vorgelegt, aus der sich die am 31. Januar 1968 erfolgte Niederkunft der Leiterin ihrer Buchhaltung ergibt.
Das FA ist der Auffassung, die Steuerpflichtige sei nicht gehindert gewesen, ihre Revision rechtzeitig zu begründen. Insbesondere sei der Steuerpflichtigen auf ihr Schreiben vom 5. Dezember 1967 die erbetene Fristverlängerung stillschweigend gewährt worden. Es sei beim FA allgemein üblich, Fristverlängerungsanträge nicht besonders zu bestätigen, wenn den Anträgen entsprochen werde.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision war als unzulässig zu verwerfen. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, über die Revision sachlich zu entscheiden, weil es die Steuerpflichtige versäumt hat, das Rechtsmittel fristgemäß zu begründen.
Nach § 120 Abs. 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Hierüber ist die Steuerpflichtige in dem vorinstanzlichen Urteil ausdrücklich belehrt worden. Die Frist für die Revisionsbegründung kann nur auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden. Der Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist ist aber erst nach Ablauf dieser Frist gestellt.
Auch dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht entsprochen werden. Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Die Steuerpflichtige war nicht ohne Verschulden verhindert, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten.
In dem Verfahren vor dem BFH - Revisionsverfahren - war die Steuerpflichtige bisher nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertreten. Die Revision vom 23. November 1967 hat sie vielmehr selbst eingelegt. In dem Revisionsschreiben führt die Steuerpflichtige aus, daß die Begründung "fristgemäß innerhalb von 30 Tagen erfolgen" würde. Es ist daher insoweit nicht zu erkennen, welcher Zusammenhang zwischen der Mandatsniederlegung ihres früheren Prozeßbevollmächtigten, der - wie sich aus den vorgelegten Unterlagen ergibt - die Steuerpflichtige auch in anderen Rechtsangelegenheiten vertreten hat, und der Fristversäumnis durch die Steuerpflichtige besteht. Selbst wenn die Steuerpflichtige davon ausgegangen sein sollte, daß die Revisionsbegründung trotz der von ihr selbst eingelegten Revision von ihrem früheren Prozeßbevollmächtigten gefertigt würde, so hat sie durch den Anruf aus dessen Büro bereits am 15. Dezember 1967 erfahren, daß er ihre Interessen nicht mehr vertrete. Von diesem Zeitpunkt an konnte sie daher nicht mehr annehmen, daß die Revision durch ihren früheren Prozeßbevollmächtigten gefertigt würde. Ihr weiteres Vorbringen, sie habe erst am 20. Dezember 1967 davon erfahren, daß ihr früherer Prozeßbevollmächtigter die Revision nicht mehr begründen werde, steht hierzu im Widerspruch und ist nicht glaubhaft gemacht. Daß der Steuerpflichtigen die Prozeßakten mit dem Urteil des FG mit Schreiben ihres früheren Prozeßbevollmächtigten vom 21. Dezember 1967 durch Boten am 22. Dezember 1967 zugegangen sind, ist ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Das dem Senat in Fotokopie vorliegende Schreiben vom 21. Dezember 1967 enthält keinen Hinweis auf irgendwelche Anlagen und befaßt sich inhaltlich allein mit der Frage der Verrechnung von Kostenansprüchen ihres früheren Anwalts.
Das übrige Vorbringen der Steuerpflichtigen läuft darauf hinaus, sie sei infolge verschiedener Umstände (Fertigung einer Aufstellung für das FA, Neukalkulation der Preise, Einarbeitung einer Ersatzkraft für die Leiterin ihrer Buchhaltung) so stark mit Arbeit überlastet gewesen, daß sie zu einer fristgemäßen Revisionsbegründung nicht in der Lage gewesen sei. Auch durch diese Umstände wird jedoch ein Verschulden der Steuerpflichtigen nicht ausgeschlossen. Arbeitsbelastung ist grundsätzlich kein Nachsichtsgrund (BFH-Urteile I 72/63 vom 31. Juli 1963, StRK, Reichsabgabenordnung, § 86, Rechtsspruch 108; III 299/57 vom 9. Dezember 1960, StRK, Reichsabgabenordnung, § 86, Rechtsspruch 47). Da die Vorschrift des § 56 FGO den Vorschriften der §§ 86 und 87 AO - a. F. - nachgebildet ist, können die zu diesen Vorschriften entwickelten Rechtsgrundsätze über die Nachsichtgewährung weitgehend übernommen werden (Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Finanzgerichtsordnung und den Nebengesetzen, § 56 FGO, Anm. 2). Besondere Umstände, die im vorliegenden Fall eine andere Beurteilung zuließen, liegen nicht vor. Insbesondere hätte die Steuerpflichtige mühelos durch einen Anruf beim FA feststellen können, daß dieses ihrem Antrag auf Fristverlängerung für die Zusammenstellung ihrer nachzuversteuernden Umsätze für die Jahre 1961 bis 1965 entsprochen hatte, falls ihr die Übung der stillschweigenden Fristverlängerung nicht bekannt gewesen sein sollte. Die mit der Neukalkulation der Preise im Hinblick auf die neue Umsatzsteuer anfallenden Arbeiten treffen in gleicher Weise alle Unternehmer und auch die Einarbeitung einer neuen Arbeitskraft für vorübergehend oder auf die Dauer ausscheidende Personen ist ein Vorfall, mit dem ein Unternehmer stets rechnen muß. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Fristablauf für die Revisionsbegründung (27. Dezember 1967) zwischen den Feiertagen lag, wäre die Steuerpflichtige bei Anwendung der gebotenen und nach den gesamten Umständen zumutbaren Sorgfalt jedenfalls nicht gehindert gewesen, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist wenigstens einen Antrag auf Verlängerung dieser Frist zu stellen.
Die Revision ist deshalb gemäß § 120 FGO unzulässig und gemäß § 126 FGO durch Beschluß zu verwerfen.
Fundstellen
Haufe-Index 67694 |
BStBl II 1968, 312 |
BFHE 1968, 303 |