Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertretungsbefugnis vor dem BFH bei Berufsverbot; hilfsweise Erledigungserklärung des FA
Leitsatz (NV)
1. Eine von einem Rechtsanwalt in eigenen Angelegenheiten eingelegte Beschwerde zum BFH ist gemäß Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG auch dann wirksam eingelegt, wenn gegen diesen vom Ehrengericht für Rechtsanwälte ein Berufsverbot verhängt worden ist.
2. Zu den Rechtsfolgen bei uneingeschränkter Erledigungserklärung durch den Kläger (Antragsteller) und hilfsweiser Erledigungserklärung des FA.
Normenkette
BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; FGO § 135 Abs. 1, § 138 Abs. 1; BRAO § 150 ff., § 155 Abs. 4-5
Tatbestand
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) beantragte wegen erheblicher Steuerrückstände des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller), nachdem die Zwangsvollstreckung in dessen bewegliches und unbewegliches Vermögen nur zu einer teilweisen Tilgung der Rückstände geführt hatte, beim zuständigen Amtsgericht die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Antragstellers. Der Antragsteller beantragte daraufhin beim Finanzgericht (FG) den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen Unzulässigkeit des Antrags auf Durchführung des Konkursverfahrens, hilfsweise, die einstweilige Untersagung der weiteren Betreibung des Konkursverfahrens.
Das FG lehnte den Antrag mit folgender Begründung ab:
Der Hauptantrag des Antragstellers sei dahin auszulegen, daß dieser die Verpflichtung des FA begehre, den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens zurückzunehmen. Dieser Antrag sei nicht begründet. Der Konkursantrag des FA lasse keinen Ermessensfehler erkennen. In dem Hilfsantrag, dem FA die weitere Betreibung des Konkursverfahrens einstweilen zu untersagen, sehe der Senat das Begehren, die weitere Vollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung einstweilig einzustellen. Das setze gemäß § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) die Unbilligkeit der Vollstreckung im Einzelfall voraus, die im Streitfall aber nicht ersichtlich sei.
Mit der Beschwerde beantragte der Antragsteller, den Beschluß des FG aufzuheben und entsprechend seinen ursprünglich gestellten Anträgen zu erkennen. Er trug vor, er sei als Rechtsanwalt mit einem Berufsverbot durch das Ehrengericht der zuständigen Rechtsanwaltskammer belegt. Das bedeute, daß er zwar derzeit seinen Beruf nicht ausüben dürfe, ihm aber die Chance verbleibe, in dem anhängigen Revisionsverfahren zu einer positiven Entscheidung zu gelangen und damit wieder zur Berufsausübung berechtigt zu sein. Die Betreibung des Konkursverfahrens durch das FA führe jedoch dazu, daß seine Existenz als Rechtsanwalt auf jeden Fall vernichtet werde, weil die Konkurseröffnung die Zurücknahme der Zulassung nach sich ziehe. Das bedeute, daß seine Leistungsfähigkeit überhaupt nicht mehr hergestellt werden könne.
Nachdem das Amtsgericht während des Beschwerdeverfahrens den Antrag des FA, das Konkursverfahren über das Vermögen des Antragstellers zu eröffnen, mangels Masse abgelehnt hatte, erklärte der Antragsteller die Hauptsache im vorliegenden Verfahren für erledigt. Er beantragt nunmehr, dem FA die Kosten des Verfahrens aufzulegen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen; hilfsweise erklärt es die Hauptsache für erledigt. Den im Beschwerdeverfahren gestellten Hilfsantrag des Antragstellers beantragt das FA ebenfalls als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, ihn als unbegründet zurückzuweisen. Ferner beantragt es, die Kosten des Rechtsstreits dem Antragsteller aufzuerlegen.
Es macht geltend, wegen des gegen den Antragsteller als Rechtsanwalt verhängten Berufsverbots habe dieser gemäß § 155 Abs. 4 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) seine eigenen Angelegenheiten nur wahrnehmen dürfen, soweit nicht eine Vertretung durch Anwälte geboten sei. Da nach Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) in Verbindung mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. März 1976 VII K 18/75 (BFHE 118, 290, BStBl II 1976, 449) nur ein zugelassener Anwalt sich selbst vertreten könne, genüge die von dem Antragsteller gefertigte und selbst unterschriebene Beschwerdeschrift nicht den Formerfordernissen. Die Beschwerde sei deshalb unzulässig.
Entscheidungsgründe
Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt. Die Kosten des Verfahrens sind dem FA aufzuerlegen.
1. Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren die Hauptsache uneingeschränkt für erledigt erklärt. Dieser Erledigungserklärung hat sich das FA nur für den Hauptantrag des Antragstellers und auch insoweit nur hilfsweise angeschlossen. Die Abgabe von Erledigungserklärungen ist auch in der Rechtsmittelinstanz noch zulässig (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 138 Anm. 2 A und B III; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 138 FGO Tz. 21). Sie können aber im Beschwerdeverfahren nur dann beachtet werden, wenn das Rechtsmittel zulässig ist. Ist die Beschwerde unzulässig, so ist der Streitgegenstand, auf den sich die Erklärung über die Erledigung der Hauptsache bezieht, nicht an das Gericht gelangt, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat. Erstreckt sich aber das Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht nicht auf den Streitgegenstand, auf den sich die Erledigungserklärung bezieht, so ist diese Erklärung gegenstandslos und damit für das Verfahren ohne Wirkung (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 26. Januar 1971 VII B 137/69, BFHE 101, 209, BStBl II 1971, 306; Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 27. Mai 1978 AnwZ (B) 9/67, BGHZ 50, 197, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1968, 1725; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 30. Oktober 1969 VIII C 219/67, BVerwGE 34, 159, NJW 1970, 722). Im vorliegenden Fall war die Beschwerde entgegen der Auffassung des FA zulässig.
Ihre Unzulässigkeit ergibt sich nicht aus einem Verstoß gegen das in Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG geregelte Vertretungsgebot, das nach Satz 2 dieser Vorschrift ausdrücklich auch für die Einlegung der Beschwerde zum BFH gilt. Denn da der Antragsteller Rechtsanwalt ist, kann er sich auch vor dem BFH selbst vertreten (Urteil des Senats in BFHE 118, 290, BStBl II 1976, 449). Das gegen den Antragsteller vom Ehrengericht für Rechtsanwälte verhängte Berufsverbot (§§ 150 ff. BRAO) steht der Wirksamkeit der von ihm selbst eingelegten Beschwerde nicht entgegen.
Nach § 155 Abs. 4 BRAO darf ein Rechtsanwalt, gegen den ein Berufs- oder Vertretungsverbot verhängt ist, seine eigenen Angelegenheiten zwar nur wahrnehmen, soweit nicht eine Vertretung durch Anwälte geboten ist. Handelt er - wie im Streitfall wegen des vor dem BFH bestehenden Vertretungszwangs - dem Verbot zuwider, so wird die Wirksamkeit von Rechtshandlungen, die er selbst vornimmt, dadurch aber nicht berührt (§ 155 Abs. 5 Satz 1 BRAO). Ebenso wie der Rechtsanwalt trotz des Berufsverbots seine Eigenschaft und seine Zulassung als Rechtsanwalt (zunächst) behält, sind nach § 155 Abs. 5 BRAO im Interesse der Rechtssicherheit seine Rechts- und insbesondere Prozeßhandlungen wirksam, auch soweit er nach Abs. 4 dieser Vorschrift zur Vertretung nicht befugt ist (vgl. die Kommentare zur Bundesrechtsanwaltsordnung: Isele, 1976, § 155 III 1 bis 3; Kalsbach, 1960, § 155 Anm. 5 und Bülow, 1959, § 155 Anm. 5; ebenso die dortigen Kommentierungen zu den entsprechenden Rechtsgedanken in § 32 Abs. 2 und § 36 Abs. 2 BRAO; zu der entsprechenden Rechtslage bei der Verhängung eines Berufs- oder Vertretungsverbots gegen einen Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten siehe § 139 Abs. 4 und 5 des Steuerberatungsgesetzes - StBerG -). Die Sanktionen bei Zuwiderhandlung gegen ein Berufs- oder Vertretungsverbot sind in § 156 BRAO geregelt. Danach wird ein Rechtsanwalt bei wissentlicher Zuwiderhandlung in der Regel aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen (Abs. 1); Gerichte oder Behörden, vor denen er unbefugt auftritt, sollen ihn zurückweisen (Abs. 2). Der Antragsteller ist vom BFH nicht zurückgewiesen worden. Eine Zurückweisung erscheint auch nicht mehr sinnvoll, da sie nur für zukünftige Prozeßhandlungen wirkt und deshalb für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung wäre (vgl. v. Wallis in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 62 FGO Anm. 10, Lieferung 112, Juli 1985). Da nach den vorstehenden Ausführungen die Beschwerde durch den Antragsteller wirksam eingelegt und damit zulässig ist, konnte der Antragsteller auch wirksam die Hauptsache im vorliegenden Verfahren für erledigt erklären.
2. Im Streitfall liegt aber nur eine einseitige Erledigungserklärung des Antragstellers vor. Denn das FA beantragt in erster Linie, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Hilfsweise erklärt es lediglich hinsichtlich des Hauptantrags des Antragstellers - Verpflichtung des FA zur Rücknahme des Konkursantrags - die Hauptsache für erledigt, während es hinsichtlich des Hilfsantrags, den es mit dem FG darin sieht, die weitere Vollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung einstweilen einzustellen, hilfsweise beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. In diesem Falle kommt eine Kostenentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO wie im Falle der Erledigung des Rechtsstreits durch beiderseitige übereinstimmende Erledigungserklärungen (vgl. Tipke / Kruse, a. a. O., § 138 FGO Tz. 30, 31) nicht in Betracht, denn die Frage der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist zwischen den Beteiligten weiterhin streitig.
Die einseitige Erledigungserklärung durch den Kläger oder Antragsteller hat zur Folge, daß sich der Rechtsstreit nunmehr auf die Erledigungsfrage beschränkt. An die Stelle des durch den ursprünglich gestellten Antrag bestimmten Streitgegenstandes tritt der Streit um die Behauptung des Klägers (Antragstellers), seinem ursprünglichen Begehren sei durch das in der Hauptsache erledigende Ereignis die Grundlage entzogen worden (BFH-Urteile vom 19. Januar 1971 VII R 32/69, BFHE 101, 201, BStBl II 1971, 307, und vom 27. September 1979 IV R 70/72, BFHE 128, 492, BStBl II 1979, 779, m. w. N.). Das Gericht hat bei einseitiger Erledigungserklärung die tatsächliche Erledigung des Rechtsstreits zu prüfen. Kommt es entsprechend dem Antrag des Klägers (Antragstellers) zu der Auffassung, daß die Hauptsache erledigt ist, so ist die Erledigung im Urteil (Beschluß) festzustellen; dem Beklagten (Antragsgegner) - hier FA - sind in diesem Falle die Kosten aufzuerlegen (BFHE 101, 201, BStBl II 1971, 307, und BFHE 128, 492, BStBl II 1979, 779).
3. Im Streitfall ist eine Erledigung des Rechtsstreits eingetreten. Die Frage der Erledigung der Hauptsache bestimmt sich nach dem Streitgegenstand des Verfahrens, insbesondere danach, welche prozessualen Ansprüche der Kläger (Antragsteller) geltend gemacht hat (vgl. Tipke /Kruse. a.a.O., § 138 FGO Anm. 2, m.w.N.). Im Streitfall war der Hauptantrag des Antragstellers darauf gerichtet, dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens zurückzunehmen. Dieses prozessuale Begehren hat dadurch seine Erledigung gefunden, daß das zuständige Amtsgericht während des Beschwerdeverfahrens den Antrag des FA auf Konkurseröffnung mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Konkursmasse abgewiesen hat (§ 107 der Konkursordnung). Der Antragsteller bedarf somit nicht mehr des mit dem vorliegenden Verfahren begehrten einstweiligen Rechtsschutzes, weil der Konkursantrag des FA, dessen Rechtswirkungen er - einstweilen - beseitigt haben wollte, abgelehnt worden ist und damit mit der Eröffnung des Konkursverfahrens über sein Vermögen gegenwärtig nicht mehr gerechnet werden muß.
Durch die Entscheidung des Konkursgerichts ist auch der Hilfsantrag des Antragstellers gegenstandslos geworden. Nach der eindeutigen Antragstellung in der Vorinstanz, auf die der Antragsteller mit der Beschwerde Bezug genommen hat, sollte dem FA mit dem Hilfsantrag vorläufig untersagt werden, das Konkursverfahren weiter zu betreiben. Es kann im einzelnen dahingestellt bleiben, welche rechtliche Bedeutung dem Hilfsantrag im Verhältnis zum Hauptantrag - Verpflichtung zur Rücknahme des Konkursantrags - beizumessen war. Der Senat folgt dem FG und dem FA jedenfalls darin nicht, daß in dem Hilfsantrag das Begehren des Antragstellers zu sehen sei, jegliche weitere Vollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung einstweilen einstellen zu lassen. Nach dem Wortlaut des Antrags und dem sonstigen Vorbringen des Antragstellers wollte dieser auch mit seinem Hilfsbegehren allein das Betreiben des Konkursverfahrens, nicht aber die Zwangsvollstreckung allgemein (vgl. § 258 AO 1977) einstweilen durch das FG verhindern lassen. Da sich auch der Hilfsantrag lediglich auf das Konkursverfahren bezog und mit der Ablehnung der Konkurseröffnung durch das Amtsgericht dieses Verfahren gegenwärtig nicht mehr droht, erübrigt sich auch eine finanzgerichtliche Entscheidung über das Hilfsbegehren des Antragstellers.
Das FA unterliegt, weil es zu Unrecht die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache bestritten und seine Sachanträge (Verwerfung der Beschwerde als unzulässig bzw. Zurückweisung der Beschwerde als unbegründet) aufrechterhalten hat. Es hat demnach gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht ab von seinem Beschluß vom 26. August 1980 VII S 15/80 (BFHE 131, 285, BStBl II 1981, 37). Dort hatte er entschieden, es sei zulässig, daß der Beklagte (Antragsgegner) im Fall der uneingeschränkten Erledigungserklärung durch den Kläger (Antragsteller) Abweisung der Klage (des Antrags) begehre und daneben hifsweise die Hauptsache für erledigt erkläre. Für den Fall der Feststellung der Erledigung der Hauptsache durch das Gericht komme dann der hilfsweisen Erledigungserklärung der Beklagtenseite die prozeßrechtliche Bedeutung zu, daß über die Kosten des Verfahrens nach § 138 FGO zu entscheiden sei. Dieser Beschluß des Senats ist im Schrifttum, insbesondere wegen der dort ausgesprochenen Kostenfolge, auf Kritik gestoßen (vgl. Anmerkung von Schmidt-Troje, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1981, 151, und Dänzer-Vanotti, Hilfsweise Erledigungserklärungen, DStZ 1981, 390).
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er angesichts dieser Kritik, die wegen des aufrechterhaltenen Sachantrags des Beklagten eine Kostenentscheidung nach § 135 Abs. 1 FGO verlangt, an seiner in der angeführten Entscheidung geäußerten Auffassung zur Kostenfolge bei der hilfsweisen Erledigungserklärung festhalten würde. Auf den Streitfall findet die dort ausgesprochene Kostenentscheidung nach § 138 FGO jedenfalls deshalb keine Anwendung, weil sich die hilfsweise Erledigungserklärung des FA nur auf den Hauptantrag des Antragstellers bezieht. Hinsichtlich des Hilfsantrags hat das FA ohne jede Einschränkung die Erledigung der Hauptsache bestritten. Insoweit hat es neben dem Antrag auf Verwerfung der Beschwerde als unzulässig hilfsweise nicht die Erledigung erklärt, sondern beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Da das FA insoweit sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit seinem Hilfsantrag ohne Erfolg geblieben ist, waren ihm die Kosten nach § 135 Abs. 1 FGO aufzuerlegen.
Fundstellen
Haufe-Index 414525 |
BFH/NV 1987, 47 |