Leitsatz (amtlich)
Ein Steuerpflichtiger, der zur Einkommensteuer veranlagt wird, kann mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids nicht die Erstattung von einbehaltener Lohnsteuer erreichen, die gemäß § 47 EStG auf die Einkommensteuerschuld angerechnet worden ist.
Normenkette
FGO § 69; AO §§ 152-153; EStG 1961 § 47
Tatbestand
Der Stpfl. erhielt im Streitjahr 1964 von seinem früheren Arbeitgeber neben dem laufenden Gehalt einen einmaligen Betrag von 30 000 DM, von dem der Arbeitgeber die Lohnsteuer nach der Lohnsteuertabelle einbehielt und an das FA abführte. Der Stpfl. beantragte bei der Einkommensteuerveranlagung 1964, die 30 000 DM als Entschädigung im Sinne von § 24 Nr. 1 EStG nur mit dem ermäßigten Satz nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG zu besteuern. Das FA lehnte den Antrag ab und setzte die Einkommensteuerschuld auf ... DM fest. Auf die Einkommensteuerschuld rechnete es die einbehaltene Lohnsteuer an; die zuviel entrichtete Lohnsteuer von 2 463,40 DM erstattete es dem Stpfl. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Die Klage in der Hauptsache ist beim FG anhängig.
In diesem Verfahren beantragt der Stpfl. die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids in Höhe von 6 559 DM und die Erstattung dieses Betrages. Er führt aus, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids, da der Betrag von 30 000 DM nur mit dem ermäßigten Satz nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EstG besteuert werden dürfe.
Das FG lehnte den Aussetzungsantrag ab und ließ dahingestellt, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids bestünden. Das FG hält die Aufhebung der Vollziehung schon deshalb für nicht möglich, weil kein Verwaltungsakt ergangen sei, dessen Vollziehung aufgehoben werden könne. Der Stpfl. habe auf Grund des angefochtenen Einkommensteuerbescheids nichts geleistet. Er verlange vielmehr eine weitere Erstattung von Lohnsteuer, die sein Arbeitgeber auf Grund gesetzlicher Vorschriften vom Arbeitslohn einbehalten und an das FA abgeführt habe. Eine solche Erstattung könne er jedoch im Aussetzungsverfahren nicht erreichen. Er könne in dem gegenwärtigen Verfahren auch nicht verlangen, daß angeordnet werde, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht in der gesetzlichen Höhe, sondern niedriger einbehalte.
Mit der Beschwerde gegen den Beschluß des FG rügt der Stpfl., er habe nicht auf Grund gesetzlicher Bestimmungen, sondern auf Grund eines Verwaltungsakts "gezahlt". Die einbehaltene Lohnsteuer sei - wie Einkommensteuervorauszahlungen - nur eine vorläufige Leistung. Werde ein Arbeitnehmer veranlagt, so werde der Steuerfall erst im Veranlagungsverfahren endgültig abgewickelt. Durch die Veranlagung werde die Einkommensteuerschuld festgesetzt, auf die die einbehaltene Lohnsteuer angerechnet würde (§ 47 EstG). Rechtsgrund für die als Lohnsteuer gezahlte Einkommensteuer sei nunmehr der Steuerbescheid, der durch die Anrechnung nach § 47 EStG auch "vollzogen" werde.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids "auszusetzen", wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Das Gericht kann aus den gleichen Gründen gemäß § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO auch die Vollziehung ganz oder teilweise wieder "aufheben", wenn der Bescheid schon vollzogen ist. Diese Vorschriften wollen bis zur Entscheidung über die Hauptsache dem Stpfl. einen vorläufigen Rechtsschutz dadurch gewähren, daß die Verwirklichung eines angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt wird, um die schutzwürdigen Interessen des Bürgers nicht vor dem Abschluß des Verfahrens über die Hauptsache schwerwiegend zu beeinträchtigen (Beschluß des BFH III B 9/66 vom 10. Februar 1967, BFH 87, 447, BStBl III 1967, 182). Die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung bewirkt, daß keine weiteren Vollziehungsmaßnahmen vorzunehmen und bereits vollzogene Maßnahmen, z. B. Pfändungen, Eintragung von Sicherheitshypotheken usw., rückgängig zu machen sind (Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 69 Anm. 44, 55, 65).
Im Streitfall käme nur die "Aufhebung" der Vollziehung in Betracht, da die in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid festgesetzte Einkommensteuerschuld bereits getilgt ist. Das FG führt zu Recht aus, daß die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids hier aber nicht aufgehoben werden kann, weil der Stpfl. auf Grund des Einkommensteuerbescheids gar keine Zahlungen zu leisten hat. Die Einkommensteuerschuld ist vielmehr mit dem Erlaß des Einkommensteuerbescheids dadurch getilgt worden, daß das FA die einbehaltene Lohnsteuer gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 EStG auf die Einkommensteuerschuld angerechnet und die überschießenden Beträge dem Stpfl. erstattet hat. Gezahlt hat der Stpfl. nicht auf Grund des angefochtenen Einkommensteuerbescheids, sondern dadurch, daß sein Arbeitgeber die Lohnsteuer von seinen Bezügen einbehielt und an das FA abführte. Der Stpfl. kann daher im Aussetzungsverfahren keinen vorläufigen Rechtsschutz begehren, da ihm durch den angefochtenen Einkommensteuerbescheid keine Vermögensnachteile erwachsen oder drohen.
Der Stpfl. ist sachlich der Ansicht, sein Arbeitgeber habe ihm für die Entschädigung von 30 000 DM zuviel an Lohnsteuer einbehalten. Es hätte ihm freigestanden, innerhalb der Ausschlußfrist des § 153 AO deswegen beim FA gemäß § 152 Abs. 2 Nr. 1 AO die Erstattung der nach seiner Auffassung zuviel einbehaltenen Lohnsteuer zu beantragen und gegen einen ablehnenden Bescheid des FA gemäß § 229 Nr. 7 AO das Rechtsmittelverfahren einzuleiten (Urteil des RFH IV 92/37 vom 28. Oktober 1937, RStBl 1937, 1182). Dies hat der Stpfl. nicht getan. Er kann die Erstattung zwar noch bei der Einkommensteuerveranlagung erreichen, wenn das FA entsprechend seinem Antrag die Einkommensteuerschuld niedriger festgesetzt hat als die Summe der abgeführten Lohnsteuerbeträge. In diesem Fall muß nämlich das FA nach § 47 EStG den nach der Anrechnung der Lohnsteuer auf die Einkommensteuerschuld verbleibenden Betrag an den Stpfl. zurückzahlen. Setzt das FA die Einkommensteuer höher fest, als der Stpfl. es für richtig hält, so kann der Stpfl. den Einkommensteuerbescheid mit der Klage anfechten. Er kann aber jedenfalls das Lohnsteuererstattungsverfahren nach § 152 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht jetzt dadurch nachholen, daß er mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids die vorläufige Erstattung von Lohnsteuer begehrt, die der Arbeit geber einbehalten und abgeführt hat.
Es ist dem Stpfl. zuzugeben, daß die Anrechnung der Lohnsteuer auf die Einkommensteuerschuld nach § 47 EStG ein besonderer Verwaltungsakt ist, der nur äußerlich mit dem Einkommensteuerbescheid verbunden ist, wie der Senat im Urteil VI R 68/66 vom 11. November 1966 (BFH 87, 514, BStBl III 1967, 214) dargelegt hat. Man mag auch mit dem Stpfl. in der Anrechnung der Lohnsteuer einen besonderen Akt der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids erblicken. Der Stpfl. kann aber nicht etwa mit der Aufhebung dieser Vollziehungsmaßnahme im Rahmen des Aussetzungsverfahrens die vorläufige Erstattung der einbehaltenen und auf die Einkommensteuerschuld angerechneten Lohnsteuer von 6 559 DM erreichen. Die Erstattung von Lohnsteuer bei der Einkommensteuerveranlagung ist nur nach § 47 EStG möglich. Diese Erstattung setzt voraus, daß das FA zunächst die Lohnsteuer auf die Einkommensteuerschuld anrechnet. Erst wenn dies geschehen und der Steuerbescheid dem Stpfl. bekanntgegeben ist, kann der überschießende Betrag nach § 47 Abs. 3 EStG zurückgezahlt werden. Würde jedoch die Anrechnung im Aussetzungsverfahren nach § 69 FGO aufgehoben, so bestünde bei der im Hauptverfahren streitigen Einkommensteuerveranlagung überhaupt keine Rechtsgrundlage zur Erstattung der Lohnsteuer mehr.
Da der Stpfl. es versäumt hat, die Erstattung der nach seiner Auffassung zuviel einbehaltenen Lohnsteuer innerhalb der Ausschlußfrist nach §§ 152 und 153 AO beim FA zu beantragen, kann er die Erstattung erst verlangen, wenn das Hauptverfahren in seiner Einkommensteuersache endgültig zu seinen Gunsten entschieden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 412769 |
BStBl II 1968, 36 |
BFHE 1968, 250 |