Zur Steuerpflicht von Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse
Hintergrund: Gesetzliche Vorgaben
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG sind inländische Einkünfte i. S. der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG), die aus inländischen öffentlichen Kassen einschließlich der Kassen des Bundeseisenbahnvermögens und der Deutschen Bundesbank mit Rücksicht auf ein gegenwärtiges oder früheres Dienstverhältnis gewährt werden, ohne dass ein Zahlungsanspruch gegenüber der inländischen öffentlichen Kasse bestehen muss.
Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, entscheidet die Finanzbehörde nach § 218 Abs. 2 AO durch Abrechnungsbescheid. Das gilt insbesondere auch für Streitigkeiten über das Bestehen eines Erstattungsanspruchs, der nach § 37 Abs. 1 AO einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis darstellt.
Sachverhalt: Kläger ist in Brasilien Gemeindepfarrer
Fraglich war im Urteilsfall u.a. ob von einem Bistum der römisch-katholischen Kirche Deutschlands gezahlte Dienstbezüge eines im Ausland tätigen Priesters aufgrund deren Herkunft aus einer inländischen öffentlichen Kasse der inländischen Steuerpflicht unterliegen.
Der Kläger ist bei einem Bistum als Priester inkardiniert und im Auftrag des Bistums in Brasilien als Gemeindepfarrer tätig. Er hat keinen Wohnsitz in Deutschland.
Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass der vom Bistum gezahlte Arbeitslohn des Klägers für dessen Tätigkeit in Brasilien ab dem 1.1.2006 der inländischen Lohnversteuerung unterliegt.
Das Bistum behielt in den Jahren 2011 bis 2016 (Streitzeitraum) vom Gehalt des Klägers Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag unter Berücksichtigung der Lohnsteuerklasse I ein und führte die einbehaltenen Beträge an das Betriebsstättenfinanzamt (FA) ab. Der Kläger legte gegen die Lohnsteuer-Anmeldungen des Streitzeitraums jeweils Einspruch ein, die das FA teilweise als unzulässig verworfen bzw. teilweise als unbegründet zurückgewiesen hat. Die Lohnsteuer-Anmeldungen wurden bestandskräftig.
Kläger begehrte Erstattung der einbehaltenen Beträge
Der Kläger begehrte vom FA in der Folge allerdings die Erstattung der vom Bistum im Streitzeitraum von seinem Arbeitslohn einbehaltenen und abgeführten Abgaben. Das FA erließ daraufhin einen Abrechnungsbescheid, mit dem es den Erstattungsanspruch auf 0 EUR feststellte.
Die nach der erfolglosen Durchführung eines Einspruchsverfahrens gegen den Abrechnungsbescheid erhobene Klage wies das FG als unbegründet zurück.
Entscheidung: BFH bestätigt Entscheidung der Vorinstanz
Der BFH entscheidet, dass das FG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, dass der angefochtene Abrechnungsbescheid rechtmäßig ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der abgeführten Lohnsteuern und Nebenabgaben.
Keine Zahlung ohne Rechtsgrund
Ist eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden, so hat derjenige, für dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrags. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsgrund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO). Ob dies der Fall ist, richtet sich regelmäßig nach den zugrunde liegenden Steuerbescheiden. Denn Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) sind die Steuerbescheide; die Steueranmeldungen (§ 168 AO) stehen dabei den Steuerbescheiden gleich.
Nach diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch gegen das FA auf Erstattung der für den Streitzeitraum entrichteten Abgaben. Denn die entsprechenden Steuern wurden aufgrund der Lohnsteuer-Anmeldungen des Bistums und damit mit Rechtsgrund gezahlt. Die Steuerfestsetzungen sind auch nicht nachträglich entfallen. Denn die Lohnsteuer-Anmeldungen wurden weder geändert noch aufgehoben.
Auch kein Erstattungsanspruch entsprechend § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG
Soweit der I. Senat des BFH die Auffassung vertreten hat, die Vorschriften über den Lohnsteuer-Abzug träten hinter die Regelungen über die beschränkte Steuerpflicht zurück, weshalb Lohnsteuer, die über die Steuerpflicht von Einkünften nach Maßgabe des § 49 EStG hinausgehe, ohne materiell-rechtlichen Grund erhoben und deshalb entsprechend § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG zu erstatten sei, kann dahin gestellt bleiben, ob der erkennende sich dieser Auffassung anschließen könnte. Denn selbst wenn mit der Rechtsprechung des I. Senats hinsichtlich der Lohnsteuer-Erstattung auf das materielle Steuerrecht abzustellen und ein Erstattungsanspruch entsprechend § 50d trotz entgegenstehender, bestandskräftiger Lohnsteuer-Anmeldungen anzunehmen wäre, wäre die Revision des Klägers unbegründet. Denn das Bistum hat vom Arbeitslohn des Klägers im Streitzeitraum auch materiell zu Recht Lohnsteuern und Nebenabgaben einbehalten und an das FA abgeführt.
Kläger unterlag beschränkter Steuerpflicht
Der Kläger war mit seinen im Streitzeitraum bezogenen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit jedenfalls nach § 1 Abs. 4 EStG und § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG beschränkt steuerpflichtig, da er Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse bezogen hat. Das Bistum war folglich nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG verpflichtet, Lohnsteuer einzubehalten und an das FA abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 EStG).
Die entsprechenden Lohnzahlungen wurden vom Bistum auch mit Rücksicht auf ein gegenwärtiges Dienstverhältnis gewährt. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die (öffentlichen) Mittel wirtschaftlich für die dienstvertragliche Vergütung gezahlt werden. Der Kläger war als beim Bistum inkardinierter Priester in dessen Auftrag als Gemeindepfarrer in Brasilien tätig und erhielt für diese Tätigkeit vom Bistum Arbeitslohn, den das Bistum auch selbst wirtschaftlich getragen hat.
Weimarer Reichsverfassung (WRV) teilweise weiterhin anwendbar
Die Kasse des Bistums, die den Arbeitslohn des Klägers gezahlt hat, ist zudem eine inländische öffentliche Kasse.
Art. 140 GG erklärt die Art. 136 bis 139 und 141 WRV zu Bestandteilen des GG. Nach Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV behalten die Religionsgesellschaften, die bereits vor Erlass der Weimarer Reichsverfassung Körperschaften des öffentlichen Rechts waren, diesen Status. Das Bistum ist hiernach als Untergliederung der römisch-katholischen Kirche eine inländische Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Kassen des Bistums sind damit auch öffentliche Kassen i. S. d. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG.
Die Kassen der öffentlich-rechtlichen Körperschaften erlangen den Status einer öffentlichen Kasse i. S. v. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG allein aufgrund der öffentlich-rechtlichen Verfasstheit ihrer Träger. Dies gilt auch für die Kassen der korporierten Religionsgesellschaften und ihrer rechtsfähigen Untergliederungen – hier des Bistums. Denn ihre Träger sind – wenn auch staatsfrei – öffentlich-rechtlich verfasst.
Wie bei der Kasse einer inländischen nichtkirchlichen juristischen Person des öffentlichen Rechts ist bei einer solchen kirchlichen öffentlich-rechtlichen Körperschaft daher nicht erforderlich, dass die Institution, der die Kasse angehört, der Dienstaufsicht und der Prüfung ihres Finanzgebarens durch die öffentliche Hand unterliegt. Vielmehr rechtfertigen bereits die besondere Rechtsstellung und Bedeutung der Körperschaften des öffentlichen Rechts und damit auch der korporierten Religionsgemeinschaften und ihrer Untergliederungen sowie deren Vergleichbarkeit in Status und Hoheitsbefugnissen mit anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts ohne weitere Voraussetzungen die Annahme öffentlicher Kassen i. S. v. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG. Dass die kirchlichen Kassen und damit auch die des Bistums nicht der (staatlichen) sondern u. U. keiner vergleichbaren oder lediglich einer kircheninternen Finanzkontrolle unterliegen, ist daher unerheblich.
Zahlungen erfolgen zulasten des inländischen Kirchensteueraufkommens
Überdies entspricht es Sinn und Zweck des § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b EStG, (auch) die Kassen der korporierten Religionsgemeinschaften als öffentliche Kassen i. S. dieser Vorschrift anzusehen. Anknüpfungspunkt für den Besteuerungstatbestand dieser Vorschrift als sog. Inlandsbezug – und zugleich die Rechtfertigung des inländischen Besteuerungszugriffs – ist der Zahlungsvorgang zulasten der inländischen Volkswirtschaft, insbesondere einer inländischen Körperschaft des öffentlichen Rechts. Denn ein solcher Inlandsbezug ist auch bei Zahlungen, die kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts durch ihre Kassen leisten, gegeben. Dies folgt aus dem Umstand, dass sie ebenfalls zulasten des inländischen (Kirchen)Steueraufkommens gehen und damit eine Belastung eines inländischen öffentlichen Haushalts darstellen. Hinzu kommt, dass gezahlte Kirchensteuern nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG Sonderausgaben darstellen und damit auch das staatliche Steueraufkommen mindern.
Bestimmungen des EStG gelten für „jedermann“
Ein Eingriff in dieses verfassungsrechtlich garantierte, kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist durch die Einordnung einer kirchlichen Kasse als inländische öffentliche Kasse nicht zu beklagen. Dadurch ist keine rein innere kirchliche Angelegenheit betroffen, bei der der Staat keinerlei Schranken in Gestalt allgemeiner Gesetze und deren Auslegung durch die dazu berufenen staatlichen Gerichte setzen könnte.
Vielmehr haben die Bestimmungen des EStG über den Lohnsteuerabzug und die beschränkte Steuerpflicht für die Kirche dieselbe Bedeutung wie für „jedermann“. Es handelt sich damit um für alle geltende Gesetze i. S. v. Art. 137 Abs. 3 WRV, deren Beachtung keine Störungen im kirchlichen Wirkungsbereich zur Folge hat.
BFH, Urteil v. 11.7.2024, VI R 35/21; veröffentlicht am 5.9.2024
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