Leitsatz (amtlich)
Der erkennende Senat hält § 12 Abs. 4 Satz 2 MinöStG 1964 (BGBl I 1964, 1003), der bei einem Verstoß gegen das im Satz a. a. O. enthaltene Verwendungsverbot die Entstehung der Steuerschuld nach dem zehnfachen Steuersatz vorsieht, für mit dem GG nicht vereinbar.
Normenkette
GG Art. 100; MinöStG § 12 Abs. 4
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist vom Hauptzollamt (HZA) zur Mineralölsteuer mit dem zehnfachen Steuersatz nach § 12 Abs. 4 Satz 2 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) herangezogen worden.
Sie hatte von einem Vaselinwerk fortlaufend technische Vaseline bezogen, die unversteuertes Mineralöl enthielt, und aus der Vaseline einen Schmierstoff hergestellt. Das HZA forderte daher in Anwendung von § 12 Abs. 4 Satz 2 MinöStG durch Steuerbescheid vom 2. November 1965 die anteilige Mineralölsteuer nach dem zehnfachen Steuersatz. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit der Revision hält die Klägerin an der Auffassung fest, die Erhebung der Mineralölsteuer nach dem zehnfachen Steuersatz komme im Streitfall nicht in Betracht, weil die von ihr erworbene Vaseline nicht als mineralölhaltige Ware nach § 46 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStDV) gekennzeichnet gewesen sei und ihr deshalb wegen der Weiterverarbeitung zu dem Schmierstoff kein Vorwurf im Sinne einer strafrechtlich anzulastenden Schuld gemacht werden könne. Bei fehlendem Verschulden dürfe die Steuer nicht nach dem zehnfachen Steuersatz festgesetzt werden; denn die Vorschrift des § 12 Abs. 4 Satz 2 MinöStG habe Strafcharakter und setze Verschulden voraus. Die Anwendung des zehnfachen Steuersatzes führe wegen der Unmöglichkeit einer nachträglichen Abwälzung zu wirtschaftlich untragbaren Folgen, die bei fehlendem Verschulden keinesfalls gerechtfertigt seien. Im übrigen überschreite – wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ergänzend ausgeführt wurde – die Vorschrift mit der Androhung des zehnfachen Steuersatz in jedem Fall den einer steuerlichen Bestimmung gesetzten Rahmen, da der zehnfache Steuersatz mit dem Wesen einer Steuer nicht mehr zu vereinbaren sei und auf die Verhängung einer Kriminalstrafe hinauslaufe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Entscheidung über die Revision hängt davon ab, ob die Vorschrift des § 12 Abs. 4 Satz 2 MinöStG mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist. Denn die Klägerin hat unstreitig die von ihr erworbene Ware, die unversteuertes Mineralöl enthielt, ihrerseits zu einem Schmierstoff verarbeitet. Sie hat damit gegen das Verbot, Waren, die unversteuertes Mineralöl enthalten, zur Herstellung von Schmierstoffen zu verwenden, verstoßen (§ 12 Abs. 4 Satz 1 MinöStG).
Der „Verstoß” setzt entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung kein Verschulden voraus. Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig. Auch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes läßt sich nicht herleiten, daß „verstoßen” nur im Sinne von „schuldhaft verstoßen” auszulegen wäre. Das Gesetz knüpft vielmehr erkennbar nur an die Ware und deren Verwendung – also objektive Merkmale – an.
Da demnach der Verstoß gegen das Verwendungsverbot (§ 12 Abs. 4 Satz 1 MinöStG) nicht an die Voraussetzung eines schuldhaften Verhaltens geknüpft ist, wäre die Steuer im Streitfall gemäß § 12 Abs. 4 Satz 2 MinöStG nach dem zehnfachen zutreffenden Steuersatz des § 2 MinöStG festzusetzen, obwohl auf Grund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, an die der Bundesfinanzhof (BFH) nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung gebunden ist, der Klägerin ein Verschulden nicht zur Last gelegt werden kann.
III.
Der erkennende Senat hält die Vorschrift des § 12 Abs. 4 Satz 2 MinöStG für verfassungswidrig.
Die Erhebung der Steuer nach dem zehnfachen Steuersatz im Falle eines Verstoßes läuft praktisch auf eine Bestrafung des Steuerpflichtigen durch Verhängung einer Geldstrafe im Verwaltungsweg hinaus. Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 2 BvR 375, 53/60, 18/65 vom 6. Juni 1967 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 22 S. 49 – BVerfGE 22, 49 –) stellt die Verhängung einer Kriminalstrafe einen so schwerwiegenden Eingriff in die Rechtssphäre des Staatsbürgers dar, daß sie unter allen Umständen nur durch den Richter vorgenommen werden darf. Dies gilt, wie das BVerfG (a. a. O.) ausgeführt hat, nicht nur für Freiheitsstrafen, sondern in gleicher Weise auch für Geldstrafen. Sprechen somit bereits unter dem Gesichtspunkt der Strafkompetenz nach Ansicht des Senats ganz erhebliche Gründe gegen die Vereinbarkeit des § 12 Abs. 4 Satz 2 MinöStG mit Art. 92 GG, so werden diese noch dadurch verstärkt, daß die Verzehnfachung des normalen Steuersatzes ohne Rücksicht auf ein strafrechtlich vorwerfbares Verhalten vorzunehmen ist. Sie tritt insbesondere auch dann ein, wenn – wie gerade der Streitfall zeigt – ein Unternehmer unversteuertes Mineralöl enthaltende Waren, die nicht als solche gekennzeichnet sind, erwirbt und zu Treib- oder Schmierstoffen verarbeitet. Es kommt noch hinzu, daß nicht einmal sämtliche Waren dieser Art überhaupt kennzeichnungspflichtig nach § 46 Abs. 2 MinöStDV sind.
Im übrigen würden, wenn § 12 Abs. 4 Satz 2 MinöStG als mit Art. 92 GG noch vereinbar angesehen werden könnte, im Hinblick auf den in der Rechtsprechung des BVerfG in zunehmendem Maße herausgearbeiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Entscheidungen des BVerfG 1 BvR 183/54 vom 3. Juni 1954, BVerfGE 3, 383 [399]; 1 BvR 790/58 vom 10. Juni 1963, BVerfGE 16, 194 [202]; 1 BvR 513/65 vom 15. Dezember 1965, BVerfGE 19, 342 [347] – gegen die Verzehnfachung des Steuersatzes erhebliche Bedenken bestehen. Dies gilt um so mehr, als diese Vervielfachung ausnahmslos in allen Fällen eines Verstoßes gegen das gesetzliche Verwendungsverbot eintritt. Der hohe Vervielfältiger und die Starrheit der Anwendung stehen, wenn nicht schon für sich allein, so doch jedenfalls zusammengenommen, nach Ansicht des Senats in keinem angemessenen Verhältnis zu dem Verstoß gegen das Verwendungsverbot, und zwar auch dann, wenn dieser – anders als im Streitfall – schuldhaft begangen worden ist.
IV.
Da es sich bei der vom erkennenden Senat für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift des § 12 Abs. 4 Satz 2 MinöStG um nachkonstitutionelles Recht handelt – die Vorschrift wurde durch Art. 4 Nr. 8 des Straßenbaufinanzierungsgesetzes vom 28. März 1960 (BGBl I 1960, 201) eingeführt –, war gemäß Art. 100 GG das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen.
Fundstellen
Haufe-Index 514799 |
BFHE 1969, 480 |