Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Antragsfrist
Leitsatz (NV)
Wird innerhalb der Zweiwochenfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die versäumte Rechtshandlung nachgeholt, kann eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nur gewährt werden, wenn die Tatsachen, aus denen sich die unverschuldete Fristversäumnis ergibt, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden.
Normenkette
FGO §§ 56, 62, 115 Abs. 2 Nr. 3
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat mit Schriftsatz vom 1. Dezember 1993 gegen die Einkommensteuerbescheide 1986 bis 1990 und gegen die Vermögensteuerbescheide auf den 1. Januar 1987 bis 1. Januar 1991 durch seinen Prozeßbevollmächtigten Steuerberater S Klage erhoben. Eine Prozeßvollmacht lag dem Schriftsatz nicht bei, der Steuerberater kündigte jedoch an, er werde die Vollmacht bis zum 15. Dezember 1993 nachreichen. Da die Prozeßvollmacht bis zum März 1994 nicht vorgelegt wurde, forderte der Berichterstatter beim Finanzgericht (FG) den Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit Verfügung vom 10. März 1994 gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, die Vollmacht bis zum 15. April 1994 einzureichen. Mit Schreiben vom 15. April 1994, das dem FG durch Telefax am 18. April 1994 übermittelt wurde, legte der Prozeßbevollmächtigte die Vollmacht des Klägers vor. Das Original der Vollmacht ging am 20. April 1994 beim FG ein. Mit Schreiben vom 21. April 1994 teilte der Berichterstatter beim FG dem Prozeßbevollmächtigten mit, daß die Vollmacht per Telefax erst nach Ablauf der Ausschlußfrist beim FG eingegangen sei, und wies auf die Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsantrags hin. Das Schreiben ging dem Prozeßbevollmächtigten (ausweislich des Empfangsbekenntnisses) am 27. April 1994 zu.
Mit Telefax vom 26. Mai 1994 beantragte der Kläger, ihm wegen der Versäumung der Ausschlußfrist zur Vorlage der Prozeßvollmacht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er habe am 14. April 1994 wegen einer schweren Gallenkolik vorübergehend alle Tätigkeiten einstellen müssen. Es sei ihm aus diesem Grunde weder am 14. noch am 15. April 1994 möglich gewesen, die Klagebegründung fertigzustellen und diese mit der Prozeßvollmacht dem Gericht zu übermitteln. Nach Abklingen der gesundheitlichen Störung am 18. April 1994 seien Klagebegründung und Prozeßvollmacht unverzüglich beim Gericht eingereicht worden. Seit Mitte April 1994 sei er für einen vollen Monat in seiner Berufsausübung durch das Gallenleiden schwer beeinträchtigt gewesen; zeitweise sei ihm die Berufsausübung unmöglich gewesen. Mit Schreiben vom 1. Juni 1994 gab der Berichterstatter dem Kläger auf, die Verhinderung seines Prozeßbevollmächtigten am 14. April 1994 und zu den folgenden Zeiten durch Vorlage eines ärztlichen Attests glaubhaft zu machen. Am 16. Juni 1994 übermittelte der Prozeßbevollmächtigte durch Telefax ein ärztliches Attest des Arztes Dr. A vom selben Tag, in dem dieser bestätigt, daß der Prozeßbevollmächtigte am 14. und 15. April 1994 bei ihm wegen wiederholter Gallenkoliken in Behandlung gewesen sei. Durch Behandlung mit Medikamenten hätten sich die Beschwerden gemindert, so daß der Prozeßbevollmächtigte letztmalig am 13. Mai 1994 von ihm behandelt worden sei. In einem weiteren Schreiben an den Prozeßbevollmächtigten vom 20. Juni 1994 wies der Bericht erstatter darauf hin, daß die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand am 11. Mai 1994 abgelaufen sei. Der Prozeßbevollmächtigte habe jedoch erst am 26. Mai Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen. Im übrigen sei aus dem vorgelegten Attest nicht ersichtlich, daß er durch seine Krankheit gehindert gewesen sei, das am 15. April gefertigte Schreiben am selben Tag durch Telefax zu übermitteln.
In der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 3. November 1994 erklärte der Prozeßbevollmächtigte, das Telefax vom 15. April 1994 sei noch von ihm am selben Tag diktiert worden, er habe es aber wegen der Gallenkolik nicht mehr unterschreiben können; dies sei ihm erst am 18. April 1994 möglich gewesen.
Das FG hat die Klage als unzulässig (verspätet) verworfen und die Revision nicht zugelassen.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, der das FG nicht abgeholfen hat, beantragt der Kläger, die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen.
Er macht geltend, das FG habe seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht abgelehnt. Er sei ohne eigenes Verschulden oder Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten an der Einhaltung der Frist zur Vorlage der Vollmacht gehindert gewesen.
Im übrigen sei die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags auch deshalb fehlerhaft, weil die Prozeßvollmacht innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO vorgelegt worden sei. Das FG habe unter diesen Voraussetzungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen gewähren können (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO). Die Frage der Wiedereinsetzung von Amts wegen habe das FG in seinem Urteil jedoch ersichtlich nicht geprüft.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hat sich zu der Beschwerde des Klägers nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Der Senat läßt offen, ob der Kläger mit der Rüge, das FG habe zu Unrecht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) versagt, einen Verfahrensmangel i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO schlüssig geltend gemacht hat (verneinend: Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. Februar 1970 IV B 93/69, BFHE 99, 6, BStBl II 1970, 545; bejahend das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung, vgl. z. B. Beschlüsse vom 29. Januar 1958 VI C 265.57, BVerwGE 6, 161; vom 27. Oktober 1961 VI B 2 und 7.61, BVerwGE 13, 141; Urteile vom 27. April 1990 4 C 10/87, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1990, 2639, und vom 8. Mai 1991 3 C 68/89, NJW 1992, 63; vgl. auch Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 25).
Die Beschwerde hat jedenfalls keinen Erfolg, weil das FG bei seiner Entscheidung die Vorschrift des § 56 FGO rechtsfehlerfrei angewendet hat.
Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, daß dem Kläger wegen der Versäumung der richterlichen Ausschlußfrist des § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann. Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten muß sich der Beteiligte wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Bei Versäumung einer richterlichen Frist ist die Vorschrift sinngemäß anzuwenden.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Innerhalb dieser Frist sind auch die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsbegehrens vorzutragen (BFH-Beschluß vom 1. Juni 1992 V B 57/92, BFH/NV 1993, 249, m. w. N.).
Geht man zugunsten des Klägers davon aus, daß es seinem Prozeßbevollmächtigten infolge einer akuten Erkrankung am 15. April 1994 nicht möglich war, die am selben Tag ablaufende Frist zur Vorlage der Prozeßvollmacht einzuhalten, so hätte er am 18. April 1994, als er offensichtlich in der Lage war, die Tätigkeit in seiner Kanzlei -- wenn auch möglicherweise in eingeschränktem Umfang -- wieder aufzunehmen, spätestens aber innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach diesem Datum, Tatsachen zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags vorbringen müssen. Unstreitig hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers aber erst am 26. Mai 1994 Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgetragen.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist von zwei Wochen für das Wiedereinsetzungsgesuch konnte dem Kläger nicht gewährt werden, weil er nicht schlüssig dargelegt hat, weshalb es seinem Prozeßbevollmächtigten nicht innerhalb von zwei Wochen nach Abklingen der Gallenkoliken am 18. April 1994 möglich war, einen Wiedereinsetzungsantrag zu stellen und die Gründe für die unverschuldete Fristversäumnis vorzutragen. Aus dem Schriftsatz des Klägers vom 26. Mai 1994 und dem im finanz gerichtlichen Verfahren eingereichten ärztlichen Attest ergibt sich nicht, daß der Prozeßbevollmächtigte in dem gesamten Zeitraum vom 14. April 1994 bis zum 13. Mai 1994 so schwer erkrankt war, daß er seine beruflichen Aufgaben überhaupt nicht wahrnehmen und auch nicht -- wie es im Fall einer anhaltenden Erkrankung geboten gewesen wäre (vgl. BFH-Beschluß vom 22. Juli 1991 III B 22/91, BFH/NV 1992, 257) -- einen Vertreter bestellen konnte. Vielmehr hat der Prozeßbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vor dem FG vorgetragen, daß er innerhalb dieses Zeitraums lediglich an einzelnen Tagen wegen schwerer Koliken nicht arbeitsfähig war; diese Aussage wird durch die Tatsache bestätigt, daß er am 18. April 1994 die angeforderte Prozeßvollmacht und mit Schriftsatz vom 5. Mai 1994 die Klagebegründung abgesandt hat.
Entgegen der Ansicht des Klägers war im Streitfall ein fristgerechter Vortrag von Wiedereinsetzungsgründen auch nicht deshalb entbehrlich, weil die versäumte Rechtshandlung (Vorlage der Vollmacht) innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO nachgeholt worden ist. In einem solchen Fall kann nach § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Wiedereinsetzung ohne Prüfung zu bewilligen ist; nach dem Gesetz ist nur das Fehlen eines förmlichen Antrags unschädlich (Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Rz. 58). Auch in diesem Fall müssen jedoch die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung begründen können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden, sofern sie nicht ausnahmsweise für das Gericht nach den Umständen des Streitfalls offensichtlich sind und deshalb keiner Darlegung bedürfen (BFH-Beschluß vom 1. Juni 1992 V B 57/92, BFH/NV 1993, 249; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl., § 60 Rz. 20, 22). Im vorliegenden Fall hat das FG von der Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten erst durch den Schriftsatz vom 26. Mai 1994 (nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) erfahren, so daß eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nicht in Betracht kam.
Fundstellen
Haufe-Index 421744 |
BFH/NV 1997, 240 |