Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wird der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf Grund einer sofort anberaumten mündlichen Verhandlung durch Urteil abgelehnt, so ist dagegen das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. § 117 FGO steht dem nicht entgegen.
Normenkette
FGO §§ 114, 117, 128 Abs. 1
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) hat die Eintragung von steuerfreien Beträgen auf seiner Lohnsteuerkarte 1966 beantragt. Das Finanzamt (FA) hat den Antrag des Stpfl. abgelehnt. Die Entscheidung über den Einspruch des Stpfl. gegen den ablehnenden Bescheid hat das FA bis zur Entscheidung eines beim Gericht anhängigen Verfahrens ausgesetzt.
Unter Hinweis auf den Aussetzungsbescheid beantragte der Stpfl., ihm im Wege einer einstweiligen Anordnung die begehrten steuerfreien Beträge zu gewähren. Das Finanzgericht (FG) wies den Antrag durch ein Urteil, das es auf Grund mündlicher Verhandlung erließ, zurück. Nach der dem Stpfl. erteilten Rechtsmittelbelehrung ist dieses Urteil nicht anfechtbar. In der Begründung des Urteils führte das FG aus: Die Rechtsgrundlage für die Anordnung einer mündlichen Verhandlung und den Erlaß eines Urteils auf Grund dieser mündlichen Verhandlung bilde § 114 Abs. 3 FGO in Verbindung mit § 921 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Es sei zwar in § 114 Abs. 3 FGO nicht auf die Vorschrift des § 922 ZPO verwiesen, wonach die Entscheidung bei mündlicher Verhandlung durch Endurteil, andernfalls durch Beschluß ergehe. Aus der fehlenden Verweisung sei aber nicht zu schließen, daß die Entscheidung über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung immer in Form eines Beschlusses zu ergehen habe. Der Senat teile nicht die zu § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vielfach vertretene Ansicht, daß gegen eine auf Grund mündlicher Verhandlungen ergangene Entscheidung, durch die eine einstweilige Anordnung erlassen werde, als Rechtsbehelf der Antrag auf mündliche Verhandlung gegeben sei - vgl. Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., Anm. 25 zu § 123; Schunck - de Clerk, Verwaltungsgerichtsordnung, 1961 Anm. 4 d) dd) zu § 123; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung 2. Aufl., Anm. 6 a zu § 123; Oberverwaltungsgericht Hamburg, Beschluß vom 14. April 1964 - Bs I 17/64 - in "Die öffentliche Verwaltung" (DöV) 1964 S. 564 -. Denn dabei würde zwecklos die mündliche Verhandlung in einem Verfahren wiederholt werden, das auf besondere Beschleunigung ausgerichtet sei (vgl. Rambeck, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1961 S. 1333, 1335). Dadurch, daß § 114 Abs. 4 FGO auf die §§ 924, 925 ZPO hinweise, komme zum Ausdruck, daß ein Antrag auf mündliche Verhandlung nur unter denselben Voraussetzungen zulässig sei wie der Widerspruch bei der einstweiligen Verfügung im Zivilprozeß, nämlich dann, wenn nicht bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden habe. Da nach § 114 Abs. 4 FGO in Verbindung mit § 925 ZPO über die einstweilige Anordnung in einer auf Antrag anberaumten mündlichen Verhandlung durch Endurteil zu entscheiden sei, komme für die Entscheidung auf Grund einer sofort anberaumten mündlichen Verhandlung ebenfalls nur die Form des Urteils in Betracht. Es bestehe kein Grund, für die Entscheidung verschiedene Formen zu verwenden, nur weil in dem einen Falle die mündliche Verhandlung auf Antrag anberaumt worden sei, während in dem anderen Falle das Gericht von sich aus eine mündliche Verhandlung angesetzt habe. In einer mündlichen Verhandlung erhielten die Beteiligten den im Rahmen des Verfahrens bestmöglichen Rechtsschutz. Der Ansicht von Loppuch (DöV 1965 S. 104), der zwischen echter und unechter mündlicher Verhandlung unterscheide und eine Entscheidung nach einem Erörterungstermin durch Beschluß ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Beisitzer befürworte, sei nicht zu folgen. Es bestehe kein Grund, zunächst einen Erörterungstermin durchzuführen, wenn ohne Zeitverlust eine das Verfahren beendende Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlungen ergehen könne. Daß eine solche Entscheidung in der Form eines Beschlusses ergehen müsse (so Eyermann-Fröhler, a. a. O., Anm. 21 zu § 123; Klinger, a. a. O., Anm. 4 a zu § 123; Koehler, Verwaltungsgerichtsordnung 1960 Anm. V 3 zu § 123; Oberverwaltungsgericht Hamburg a. a. O.), sei aus § 114 FGO nicht herzuleiten. Das Gericht folge der zum Teil für die entsprechende Vorschrift des § 123 VwGO vertretenen Meinung (Ule, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., Anm. IV zu § 123 S. 418; Rambeck, a. a. O., S. 1336; Oberverwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 22. September 1960, VI ER 48/60, Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin Bd. 6 S. 158), wonach die Entscheidung in Form eines Urteils zu erlassen sei. Das habe zur Folge, daß ein Rechtsmittel nicht gegeben sei. Nach § 117 FGO sei gegen Urteile nach § 114 Abs. 4 FGO die Revision nicht zulässig. Für die Zulässigkeit der Revision komme es nicht darauf an, ob der Antrag auf einstweilige Anordnung auf Grund einer sogleich anberaumten mündlichen Verhandlung zurückgewiesen worden sei oder ob zunächst eine einstweilige Anordnung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß ergangen und der Beschluß dann nach dem Antrag auf mündliche Verhandlungen durch Urteil unter Zurückweisung des Antrages auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung aufgehoben worden sei. Sachlich könne der Antrag des Stpfl. keinen Erfolg haben; denn eine Gefahr, wie sie § 114 Abs. 1 FGO voraussetze, sei nicht ersichtlich. Daß der Stpfl. im 70. Lebensjahr stehe, sei kein Grund, in dem vorliegenden Verfahren eine sofortige Entscheidung über Fragen zu treffen, die Gegenstand mehrerer anderer anhängiger Verfahren seien. Andere Gründe habe der Stpfl. nicht vorgetragen. Es bestünde auch kein Anhalt, daß der Stpfl. andere Nachteile drohten, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergehen würde.
Der Stpfl. hat Beschwerde eingelegt. Nach seiner Ansicht ist das Urteil des FG anfechtbar und der Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt worden.
Entscheidungsgründe
Das Urteil des FG ist - entgegen der Rechtsmittelbelehrung des FG - anfechtbar. Im Ergebnis ist dem FG aber darin beizutreten, daß kein zureichender Grund für den Erlaß der beantragten einstweiligen Verfügung besteht.
Nach § 114 Abs. 3 FGO in Verbindung mit § 921 Abs. 1 ZPO kann über den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Das FG kann aber auch zunächst eine mündliche Verhandlung anberaumen.
Das FG hat nicht übersehen, daß § 922 ZPO, wonach die Entscheidung "im Falle einer mündlichen Verhandlung durch Endurteil, andernfalls durch Beschluß" ergeht, in § 114 Abs. 3 FGO nicht aufgeführt ist. Wie sich aus § 90 FGO ergibt, können aber Beschlüsse nicht immer nur ohne und Urteile nicht immer nur nach mündlicher Verhandlung ergehen. Wie über das Gesuch auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zu entscheiden ist, kann allein aus § 114 FGO entnommen werden. Von einem Urteil spricht § 114 Abs. 4 FGO aber nur für den Fall, daß gegen die einstweilige Anordnung ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist. Daraus ist zu schließen, daß in allen anderen Fällen durch Beschluß zu entscheiden ist.
So einleuchtend die Gründe, die das FG für seine Auffassung anführt, auch scheinen, so wird dabei doch dem Stpfl. von vornherein das Rechtsmittel abgeschnitten, das er, wenn man den nach § 114 FGO vorausgesetzten Weg einschlägt, bei der Ablehnung seines Antrags normalerweise hat. Wird der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, so hat dies jedenfalls dann durch Beschluß zu geschehen, wenn das FG ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Daß der Stpfl. in diesem Falle das Rechtsmittel der Beschwerde hat, unterliegt keinem Zweifel (vgl. § 128 Abs. 1 FGO). Wird dem Antrag des Stpfl. stattgegeben, so kann das FA nach § 114 Abs. 4 FGO gegen die einstweilige Anordnung einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen. Dann - und nach Auffassung des Senats nur dann - hat das FG durch Urteil zu entscheiden (§ 114 Abs. 4 FGO in Verbindung mit § 925 Abs. 1 ZPO). Gegen dieses Urteil gibt es nach § 117 FGO keine Revision. Aus der Bezugnahme auf § 114 Abs. 4 FGO folgt aber, daß die Revision nur ausgeschlossen ist, wenn das Urteil auf Grund einer beantragten mündlichen Verhandlung ergangen ist, nachdem die Anordnung erlassen war. Dem FG ist zuzugeben, daß auch eine mündliche Verhandlung, die das FG von sich aus anberaumt, die Gewähr für eine eingehende Prüfung bietet. Trotzdem ist die Sachlage, wie sie in §§ 114 Abs. 4 und 117 FGO vorausgesetzt wird, insofern anders, als hier der Stpfl. in die mündliche Verhandlung "mit" einer einstweiligen Anordnung hineingeht, das FG also zuvor schon zu seinen Gunsten entschieden hatte.
Nach der Auffassung des Senats wäre das Urteil des FG, weil § 117 FGO, wie ausgeführt, nicht eingreift, mit der Revision anfechtbar. Diese würde aber die Erreichung der Streitwertsumme erfordern, welche Voraussetzung im Streitfall nicht erfüllt ist. Da aber, wie dargelegt, das FG in einer unrichtigen Form entschieden hat, muß, damit das Verfahren wieder in das richtige Gleis gebracht werden kann, auch die Beschwerde als gegeben angesehen werden, die der Stpfl. bei richtigem Vorgehen des FG gehabt hätte.
Wenn demnach die Beschwerde des Stpfl. auch zulässig ist, so ist sie doch nicht begründet. Wie das FG zutreffend dargelegt hat, kann nicht eine einstweilige Anordnung die Entscheidungen anhängiger Verfahren vorwegnehmen. Eine Anordnung ist nur zulässig, wenn die Gefahr besteht, daß durch die änderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dies ist aber, wie das FG ausführt, hier nicht dargetan.
Fundstellen
Haufe-Index 412571 |
BStBl III 1967, 343 |
BFHE 1967, 231 |
BFHE 88, 231 |