Entscheidungsstichwort (Thema)
Überraschungsentscheidung
Leitsatz (NV)
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn der Gesichtspunkt, auf den das FG sein Urteil gestützt hat, im bisherigen Verlauf des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens überhaupt nicht angesprochen worden ist, so dass sich die Beteiligten dazu nicht geäußert haben und nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens auch keinen Anlass hatten, sich hierzu zu äußern.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein Rechtsanwalt, erwarb 1994 von einem in Italien ansässigen Unternehmer einen PKW, den er ganz seinem Unternehmen zuordnete. Die für den innergemeinschaftlichen Erwerb angefallene Umsatzsteuer machte er als Vorsteuer geltend. Der Umsatzsteuerbescheid für 1994 ist bestandskräftig. Den auf die private Nutzung entfallenden Teil von 30 v.H. versteuerte der Kläger in der Folgezeit in diesem Umfang als Eigenverbrauch. 1996 gab der Kläger seine Anwaltstätigkeit auf und entnahm den PKW.
Der Kläger ist ―entgegen der Auffassung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―)― der Auffassung, bei der Entnahme dürfe nur der um den Privatanteil von 30 v.H. verminderte Wert angesetzt werden.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 4. Oktober 1995 Rs. C-291/92 ―Armbrecht― (BStBl II 1996, 392) im Wesentlichen aus, bei der Entnahme eines Gegenstandes beschränke sich zwar die Besteuerung auf den dem Unternehmen zugeordneten Anteil; der Kläger habe den PKW jedoch in vollem Umfang seinem Unternehmen zugeordnet. Dass der Kläger die private Verwendung versteuert habe, berühre die Beurteilung der Entnahme nicht.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen Verletzung rechtlichen Gehörs und mangelhafter Sachaufklärung.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Anwendbar ist die Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Fassung vor In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I, 1757), weil die angefochtene Entscheidung des FG vor dem 1. Januar 2001 zugestellt worden ist (Art. 4 2.FGOÄndG).
1. Der Kläger meint, das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil ihm, dem Kläger, bis zur Zustellung des angefochtenen Urteils (21. Oktober 2000) das zitierte Urteil des EuGH vom 4. Oktober 1995 nicht bekannt gewesen sei.
Diesen Verfahrensfehler hat der Kläger nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Die Verletzung rechtlichen Gehörs durch eine Überraschungsentscheidung kommt nur dann in Betracht, wenn der Gesichtspunkt, auf den das FG sein Urteil gestützt hat, im bisherigen Verlauf des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens überhaupt nicht angesprochen worden ist, so dass sich die Beteiligten dazu nicht geäußert haben und nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens auch keinen Anlass hatten, sich hierzu zu äußern (vgl. z.B. Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschluss vom 23. April 1998 VII B 282/97, BFH/NV 1998, 1492). Die schlüssige Rüge eines entsprechenden Verfahrensmangels setzt daher zum einen die Darlegung voraus, dass das FG seine Entscheidung auf einen "neuen" rechtlichen Gesichtspunkt gestützt hat. Darzulegen ist aber auch, was der Beteiligte, hätte er Gelegenheit sich zu äußern gehabt, hierzu gesagt hätte (z.B. BFH-Beschluss vom 13. März 1997 I B 125/96, BFH/NV 1997, 772, 773).
Daran fehlt es in der Beschwerdebegründung. Es reicht insoweit nicht aus, nur darzutun, das FG habe sich bei der Entscheidung auf ein Urteil des EuGH gestützt, das der Kläger "nicht gekannt" habe. Abgesehen davon, dass die Rechtsfragen, die Gegenstand des EuGH-Urteils sind, Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites waren, und der Kläger deshalb Gelegenheit hatte, sich hierzu zu äußern, hat das FG im Übrigen zutreffend entschieden, dass die Grundsätze des zitierten EuGH-Urteils im Streitfall deshalb nicht entscheidungserheblich sind, weil der Kläger ―anders als in dem vom EuGH entschiedenen Sachverhalt― den PKW im Jahr des Erwerbs (1994) in vollem Umfang dem Unternehmen zugeordnet und dementsprechend auch in vollem Umfang die mit dem Erwerb angefallene Vorsteuer beansprucht hatte.
2. Als Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das FG (§ 76 Abs. 1 FGO) rügt der Kläger, das FG hätte aus den Akten ersehen können, dass er ursprünglich den PKW mit nur 70 v.H. dem Unternehmen habe zuordnen wollen. Angesichts dessen, dass nach den unwidersprochenen tatsächlichen Feststellungen der PKW in vollem Umfang dem Unternehmen zugeordnet worden war und der Kläger den vollen Vorsteuerabzug erhalten hat, ist nicht nachvollziehbar, inwiefern die nicht verwirklichte Absicht des Klägers für die Entscheidung des Streitjahres hätte rechtlich relevant sein können. Dementsprechend hat der Kläger auch nicht, wie erforderlich (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 16. August 1999 VII B 131/99, BFH/NV 2000, 78; vom 30. Juli 1997 XI B 218-221/95, BFH/NV 1998, 190, m.w.N.), weiter substantiiert, inwieweit das FG zu einer anderen Entscheidung hätte gelangen können.
Fundstellen
Haufe-Index 639734 |
BFH/NV 2001, 1566 |