Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Eine Besorgnis der Befangenheit kann sich nicht allein daraus ergeben, daß ein Richter zunächst eine (unzutreffende) Rechtsauffassung geäußert hat, ohne zuvor den Fall einer genaueren Prüfung unterzogen zu haben.
2. Zur Verwertung dienstlicher Äußerungen des abgelehnten Richters, die dem Antragsteller nicht mitgeteilt worden sind.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 119 Nr. 3; ZPO § 42 Abs. 2, § 44 Abs. 3
Tatbestand
Die Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) sind Rechtsnachfolger der verstorbenen Eheleute A und B. Streitig ist deren Einkommensteuer 1969 bis 1972. Die Kläger berufen sich auf Festsetzungsverjährung. Im Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) verwies der Vorsitzende Richter des zuständigen Senats VR mit Schreiben an die Kläger vom 30. August 1994 auf zwei Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Juli 1994 wegen Erstattung von Einkommensteuer 1966 und 1968, in denen die jeweiligen Nichtzulassungsbeschwerden der Kläger als unbegründet zurückgewiesen worden waren. Er gab Gelegenheit, nunmehr im vorliegenden Verfahren abschließend Stellung zu nehmen. In ihrer Erwiderung stellten die Kläger klar, daß der BFH für die Streitjahre nicht durch die genannten Beschlüsse, sondern im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung zugunsten der Kläger entschieden habe. Vor einer weiteren Stellungnahme werde um Mitteilung gebeten, ob insoweit ein Versehen von VR vorliege oder in welcher Beziehung das Gericht andernfalls die bezeichneten Entscheidungen zum Streitfall sehe. Mit Antwortschreiben teilte VR darauf mit, daß er nicht geprüft habe, in welchem Zusammenhang die Beschlüsse des BFH vom 12. Juli 1994 mit dem anhängigen Verfahren stünden. Der von den Klägern erwähnte Beschluß befinde sich bei den Gerichtsakten.
Die Kläger stellten darauf ein Gesuch um Ablehnung des VR wegen Besorgnis der Befangenheit. VR hat sich dazu dienstlich geäußert. Diese Äußerung ist den Klägern nicht mitgeteilt worden.
Das FG wies das Ablehnungsgesuch (ohne Mitwirkung des VR) als unbegründet ab. Bei vernünftiger Würdigung aller Umstände böten die bezeichneten Schreiben keinen Anlaß, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung von VR zu zweifeln. VR selbst habe sich in seiner dienstlichen Äußerung für nicht befangen erklärt.
Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger, unter Aufhebung der Vorentscheidung das Ablehnungsgesuch gegen VR für begründet zu erklären. VR habe sich weder dazu geäußert, ob der Hinweis auf die von ihm bezeichneten Entscheidungen auf einem Irrtum beruhe, noch habe er sich entschuldigt. Daraus sei zu entnehmen, daß er den Klägern diese für sie negativen Entscheidungen bewußt vorgehalten habe, ohne geprüft zu haben, ob sie in einer Beziehung zum anhängigen Verfahren stünden. Allein die eingeräumte Tatsache der mangelnden Prüfung müsse bei den Klägern den Eindruck entstehen lassen, daß VR ihre Sache nicht unvoreingenommen beurteile, ihnen in gewisser Weise habe drohen und sie zur Rücknahme der Klage bewegen wollen. Dies gelte um so mehr, als zunächst eine Erwähnung der für die Kläger günstigen Entscheidung nicht erfolgt sei. Auch das Verfahren vor und nach diesem Beschluß sei ungewöhnlich. Erst auf Intervention der Kläger sei die Beschwerde zum BFH zugelassen worden. Das Hauptsacheverfahren sei seitdem auch nicht wieder aufgenommen worden.
Soweit sich das FG auf die ihnen nicht zur Kenntnis gegebene dienstliche Äußerung des VR beziehe, sei ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Gemäß § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Es müssen objektive Gründe vorliegen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei ruhiger und vernünftiger Betrachtung befürchten lassen, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber (BFH-Beschluß vom 7. September 1994 II B 70/94, BFH/NV 1995, 414), somit müssen Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder Willkür des Richters gegeben sein (BFH-Beschlüsse vom 22. Mai 1991 IV B 48/90, BFH/NV 1992, 395; vom 1. Juli 1992 X B 38/92, BFH/NV 1993, 110).
Derartige Anhaltspunkte sind im Streitfall nicht erkennbar. Das Schreiben des VR vom 30. August 1994 bezweckte die Abgabe einer Stellungnahme durch die Kläger. Zwar ließ der Hinweis auf die genannten Entscheidungen des BFH die Rechtsansicht vermuten, daß die Beschlüsse vom 12. Juli 1994 für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren von Bedeutung sein könnten. Mitteilungen einer Rechtsansicht dienen im Regelfall aber gerade dazu, den Beteiligten die Möglichkeit einer Stellungnahme zu eröffnen (BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Eine Besorgnis der Befangenheit kann sich daraus auch in den Fällen nicht ergeben, in denen eine für den Beteiligten ungünstige Rechtsauffassung unzutreffend ist (BFH-Beschlüsse vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112; in BFH/NV 1993, 112; in BFH/NV 1995, 414; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Anm. 40). Nichts anderes kann gelten, wenn eine (unzutreffende) Rechtsauffassung geäußert wird, ohne den Fall einer genaueren Prüfung unterzogen zu haben. Denn das Richterab lehnungsverfahren schützt nicht gegen unrichtige Rechtsansichten eines Richters; dagegen können sich die Beteiligten mit den dafür vorgesehenen Rechtsbehelfen wehren. Rechtsfehler können daher nur ausnahmsweise die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des abgelehnten Richters oder auf Willkür beruht. Diese Fehlerhaftigkeit muß ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1993, 112; in BFH/NV 1995, 414).
Davon kann im Streitfall bei objektiver Betrachtung entgegen der Auffassung der Kläger nicht ausgegangen werden. In seinem Antwortschreiben stellt VR gerade richtig, daß er eine bestimmte Rechtsansicht zum Streitfall nicht vertritt, indem er darauf hinweist, daß er nicht geprüft habe, in welchem Zusammenhang die Beschlüsse des BFH vom 12. Juli 1994 mit dem anhängigen Verfahren stünden. Zudem verweist er darauf, daß der von den Klägern erwähnte für sie günstige Beschluß sich bei den Gerichtsakten befinde. Unabhängig von der Wertung des Schreibens vom 30. August 1994 kann jedenfalls unter Berücksichtigung dieses Antwortschreibens bei Anlegung des geforderten objektiven Maßstabes auch ausgehend vom Standpunkt der Kläger der Eindruck unsachlicher Einstellung oder der Anschein von Willkür nicht entstehen. Dagegen sprechen auch nicht die von den Klägern gesehenen Besonderheiten des übrigen Verfahrens. Verstöße gegen Verfahrensregeln sind nicht schlüssig dargelegt oder erkennbar. Auch im Rahmen einer Gesamtbetrachtung sind diese Darlegungen daher nicht geeignet, den Eindruck von Voreingenommenheit des VR zu erwecken (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1993, 112; in BFH/NV 1995, 414).
2. Das FG hat auch nicht den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, daß es die dienstliche Äußerung des VR nach § 44 Abs. 3 ZPO den Klägern vor Beschlußfassung nicht zur Kenntnis gegeben hat. Zwar gebietet die grundgesetzliche Gewährleistung des Rechts auf Gehör, derartige dienstliche Äußerungen den Beteiligten mit der Gelegenheit zur Stellungnahme mitzuteilen. Bei der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch dürfen somit Tatsachen oder Beweisergebnisse aus der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters nur verwertet werden, wenn der Antragsteller zuvor Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu nehmen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Juni 1968 2 BvR 599, 677/67, BVerfGE 24, 56; BFH-Beschlüsse vom 12. Juli 1991 III B 151/87, BFH/NV 1992, 122 m. w. N.; vom 4. November 1993 X B 120/93, BFH/NV 1994, 190). Im Streitfall hat die dienstliche Äußerung des VR aber erkennbar nur insoweit Eingang in die Vorentscheidung gefunden, als dort ausgeführt wird, VR selbst halte sich nicht für befangen. Diese Wertung durch VR brauchte den Klägern nicht mitgeteilt zu werden. Darüber hinaus stützt sich die Vorentscheidung ausschließlich auf den unstreitig festgestellten Sachverhalt, vornehmlich den Inhalt der vorliegenden Schreiben; er war den Klägern bekannt. Etwaige Tatsachen oder Beweis ergebnisse aus der den Klägern nicht mit geteilten dienstlichen Äußerung des VR hat das FG nicht verwertet. Entgegen der Auffassung der Kläger hat das FG im Streitfall daher ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1992, 122; in BFH/NV 1994, 190; vgl. auch Gräber/Koch, a. a. O., § 51, Anm. 52). Die Vorentscheidung hätte gleichermaßen ohne die dienstliche Äußerung ergehen können (BFH-Beschluß in BFH/NV 1993, 112).
Fundstellen
Haufe-Index 420814 |
BFH/NV 1995, 1083 |