Entscheidungsstichwort (Thema)
Mangel der Vertretung wegen nicht ordnungsgemäßer Ladung; Einwand von Treu und Glauben
Leitsatz (NV)
- Ein nach neuem Recht (nur noch) mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend zu machender Verfahrensmangel der nicht nach den gesetzlichen Vorschriften erfolgten Vertretung liegt vor, wenn ein Beteiligter oder sein Vertreter nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden und deshalb nicht erschienen ist und er der Prozessführung weder ausdrücklich noch stillschweigend zugestimmt hat.
- Gibt der zugleich im eigenen Namen klagende Prozessvertreter im Klageverfahren durchgehend ausschließlich seine Büroanschrift, in einem anderen bei demselben Gericht anhängigen Verfahren indes seine Wohnanschrift an, so ist er zwingend unter der Büroanschrift zu laden.
- Die Zustellung soll gegenüber dem Adressaten gewährleisten, dass er Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück nehmen kann. Die Zustellungsvorschriften dienen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs. Bei der Auslegung und Anwendung derartiger Vorschriften ist diese verfassungsrechtliche Gewährleistung wegen der einschneidenden prozessualen Rechtsfolgen zu beachten.
Normenkette
FGO § 53 Abs. 2, § 62 Abs. 3 S. 5, § 91 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6, § 119 Nr. 4; VwZG § 3 Abs. 1 Nr. 2, § 10; ZPO § 183
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wegen Einkommensteuer 1997 aufgrund mündlicher Verhandlung vom 29. Januar 2002 als unbegründet ab. Die Revision ließ es nicht zu.
In der mündlichen Verhandlung war für die Kläger niemand erschienen. Der als Steuerberater selbständig tätige Kläger, der zugleich Bevollmächtigter seiner mit ihm zusammen veranlagten Ehefrau war, war vom FG unter der früheren Wohnanschrift mit dem Hinweis geladen worden, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden könne (§ 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Ausweislich der Postzustellungsurkunde ist die Ladung am 9. Januar 2002 durch Niederlegung bei der Post zugestellt worden.
Nach erfolglosem Einspruch hatte der Kläger im eigenen Namen und zugleich als Prozessvertreter der Klägerin unter der Anschrift "Steuerberater Z, A-Straße … in …" Klage erhoben. Diese Anschrift ist sowohl im Briefkopf der Klageschrift als auch in der Fußzeile ausdrücklich angegeben worden. Die mit der Klageschrift vorgelegte Prozessvollmacht der Klägerin lautet ebenfalls auf "A-Straße … in …". Ebenso sind die weiteren gewechselten Schriftsätze unter der Anschrift "A-Straße …" eingereicht worden.
Parallel hatte der Kläger außerdem wegen Einkommensteuer 1993 und 1994 Klage erhoben, die beim FG unter dem Az. XXX anhängig war und gegen die eine Nichtzulassungsbeschwerde beim IV. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) unter dem Az. … anhängig ist. In diesem Klageverfahren ist der Kläger ebenfalls im eigenen Namen sowie als Prozessvertreter seiner Ehefrau aufgetreten, hat indes durchgehend seine damalige Wohnanschrift "B-Straße …" angegeben.
Mit Ladung vom 8. Januar 2002, die an Herrn Z, B-Straße, … in … adressiert ist, wurde der Beschwerdeführer als Kläger und zugleich als Prozessvertreter der Klägerin geladen unter Hinweis auf § 91 Abs. 2 FGO und die unterlassene gesonderte Ladung der Klägerin. Die Ladungen für das vorliegende Klageverfahren 3 K 837/99 E und das unter XXX anhängige Verfahren sind zusammen mit Postzustellungsurkunde am 9. Januar 2002 an die damalige Wohnanschrift der Kläger durch Niederlegung bei der Post zugestellt worden. Nach Ziff. 8.4 der Postzustellungsurkunde ist die Benachrichtigung über die Niederlegung an der Wohnungstür der Empfänger befestigt worden.
Laut Sitzungsniederschrift ist der Kläger und Prozessbevollmächtigte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht in der mündlichen Verhandlung am 29. Januar 2002 erschienen. Das FG wies die Klage als unbegründet ab.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision machen die Kläger einen Verfahrensmangel geltend.
Die Beschwerdeführer hätten Ende Dezember 2001 ihren Wohnsitz in die C-Straße … in … verlegt. Die polizeiliche Ummeldung sei am 29. Dezember 2001 im Bürgerbüro … vollzogen worden. Nach Rückkehr aus einem Urlaub hätten sie Anfang Januar 2002 bei der Deutschen Post AG einen Nachsendeantrag gestellt.
Gleichwohl sei die Ladung unter der alten Anschrift zugestellt worden. Vermutlich sei die Benachrichtigung über die Niederlegung ―wie dies bereits früher vom Postboten vorgenommen worden sei― am Gartentor des von ihnen zuvor bewohnten Einfamilienhauses befestigt worden. Erst anlässlich eines Termins in dem Einfamilienhaus Anfang Februar 2002, und damit nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 2002, sei die Benachrichtigung in ihre Hände gelangt.
Die Ladung sei indes nicht ordnungsgemäß erfolgt; denn sie sei an die frühere Privatanschrift gerichtet worden, obwohl er als Kläger und zugleich als Prozessbevollmächtigter der Klägerin den gesamten Schriftwechsel unter seiner Büroanschrift "A-Straße … in …" geführt habe. Nach § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO seien Zustellungen aber an den Bevollmächtigten vorzunehmen. Werde ein wirksam bestellter Prozessvertreter nicht zur mündlichen Verhandlung geladen, so sei der Beteiligte nicht vertreten. Es liege ein Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 4 FGO (fälschlicherweise wird § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO zitiert) vor.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG gemäß § 116 Abs. 6 FGO.
Das Urteil des FG beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Die Kläger sind im Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. Januar 2002 mangels ordnungsgemäßer Ladung nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen und haben der Prozessführung auch nicht zugestimmt.
1. a) Die Kläger haben einen Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 4 FGO gerügt. Unschädlich ist, dass sie insoweit noch die entsprechende Rechtsnorm in § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO a.F., die nur noch bis zum 31. Dezember 2000 gegolten hat (vgl. Art. 4 und 6 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757), angegeben haben.
b) Ein solcher Verfahrensmangel liegt vor, wenn ein Beteiligter im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten war und auch nicht der Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat (vgl. § 119 Nr. 4 FGO). Eine mangelnde Vertretung ist auch dann gegeben, wenn ein Beteiligter oder sein Vertreter zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden und deshalb nicht erschienen ist (BFH-Beschluss vom 5. Februar 2002 VIII R 2/01, BFH/NV 2002, 792; Urteil vom 3. Mai 2001 III R 27/00, nicht veröffentlicht ―NV―, juris Nr. STRE200150748, m.w.N.).
c) Gemäß § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO sind Zustellungen während des finanzgerichtlichen Verfahrens an den bestellten Bevollmächtigten zu richten (dazu BFH-Urteil vom 27. April 1994 XI R 29/93, BFHE 174, 304, BStBl II 1994, 661).
Im Klageverfahren hat der Kläger im eigenen Namen und entsprechend der schriftlich eingereichten Prozessvollmacht zugleich im Namen der Klägerin Klage unter seiner damaligen Büroanschrift "A-Straße …, in …" erhoben. Diese Anschrift ist sowohl in der Klageschrift im Briefkopf als auch in der Fußzeile, in der gleichzeitig eingereichten Prozessvollmacht sowie im gesamten in der FG-Akte enthaltenen Schriftwechsel verwendet worden.
Ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 9. Januar 2002 sind die Ladungen für das hier vorliegende Klageverfahren und ein weiteres beim FG anhängiges Klageverfahren wegen Einkommensteuer 1993 und 1994 an die frühere Wohnanschrift "B-Straße in …" gerichtet und dort durch Niederlegung bei der Post zugestellt worden.
d) Ladungen sind gemäß § 53 Abs. 1 FGO zuzustellen und gemäß § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) mit der Anschrift des Empfängers zu versehen. Zustellungsempfänger i.S. von § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG ist derjenige, an den zugestellt werden soll. Im Streitfall ist das der Kläger sowohl in eigener Sache als auch in seiner Eigenschaft als Prozessvertreter der Klägerin.
Die Ladungen sind dem Kläger aber nicht unter der von ihm angegebenen Anschrift zugestellt worden; denn der Kläger hat als Steuerberater ―anders als in dem Parallelverfahren― nicht seine Wohnanschrift, sondern unmissverständlich seine Büroanschrift angegeben.
Die Regelung des VwZG über die förmliche Zustellung zeichnet sich insgesamt durch Formstrenge aus, weil anders der vom Gesetz verfolgte Zweck, eine rasche und mühelose Feststellung darüber zu ermöglichen, ob eine Zustellung wirksam ist, nicht verwirklicht werden kann (BFH-Urteil vom 16. März 2000 III R 19/99, BFHE 191, 486, BStBl II 2000, 520).
Danach liegt hier eine Verletzung einer zwingenden Vorschrift (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG) vor, weil die zuzustellende Sendung nicht mit der vom Kläger angegebenen Anschrift versehen worden ist.
Die Zustellung soll zudem gegenüber dem Adressaten gewährleisten, dass er Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück nehmen und seine Rechtsverfolgung darauf einrichten kann. Insoweit dienen die Vorschriften über die Zustellung der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 11. Juli 1984 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208, 211; Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 6. April 1992 II ZR 242/91, BGHZ 118, 45, 47, m.w.N.). Diese verfassungsrechtliche Gewährleistung ist bei der Auslegung und Anwendung von Zustellungsvorschriften wegen der einschneidenden prozessualen Rechtsfolgen zu beachten (vgl. Czybulka in Sodan/Ziekow, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, § 56 Rz. 2 und 3; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 60. Aufl., Übersicht § 166 Rz. 1). Gerade ein Berufsträger als Prozessbevollmächtigter hat ein berechtigtes Interesse daran, die ihn ―zumindest auch― beruflich betreffenden Schriftstücke in sein Geschäftslokal zugestellt zu erhalten. Zum einen wird er hier für einen gesicherten Zugang zu sorgen haben (vgl. dazu auch BFH-Urteil vom 9. Dezember 1999 III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175, 177). Zum anderen darf an Personen, die über ein besonderes Geschäftslokal verfügen (vgl. § 183 der Zivilprozessordnung) keine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei der Post vorgenommen werden (vgl. BFH-Entscheidungen vom 29. Oktober 1998 XI R 3/98, BFH/NV 1999, 938; vom 31. Mai 2001 V B 40/01, BFH/NV 2001, 1573).
Eine Zustellung darf zwar nach § 10 VwZG an jedem Ort bewirkt werden, an dem der Empfänger angetroffen wird. Diese Vorschrift gilt jedoch nur für Zustellungen gegen Empfangsbekenntnis durch eine tatsächliche Übergabe, keinesfalls für eine ersatzweise Zustellung durch Niederlegung bei der Post des an eine unzutreffende Anschrift gerichteten Schriftstückes.
e) Der Fehler bei der Zustellung der Ladung lag auch im Verantwortungsbereich des Gerichts (vgl. dazu auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 792, m.w.N.). Das FG geht zu Unrecht davon aus, der Kläger habe jeweils als Adresse die frühere Wohnanschrift genannt und hätte als Prozessbevollmächtigter der Klägerin sicherstellen müssen, dass er während des Klageverfahrens trotz seines Umzuges an einen anderen Ort für das Gericht erreichbar blieb (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 792).
Der Rüge, das FG habe zu Unrecht die Wohnanschrift anstelle derjenigen des Büros des Klägers verwendet, kann auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengehalten werden (vgl. dazu BFH-Urteil vom 29. März 1990 V R 19/85, BFH/NV 1992, 783). Der Kläger hat in diesem Klageverfahren von Anfang an ausschließlich seine Büroanschrift angegeben und lediglich zur Kennzeichnung des Rechtsstreits die Parteien nebst Wohnanschrift genannt. Der Kläger handelte keinesfalls treuwidrig, wenn er unter den geschilderten Umständen eine Zustellung an seine Büroanschrift verlangt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 838688 |
BFH/NV 2002, 1472 |