Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorsteuerabzug; einstweilige Anordnung aufgrund Anspruchs auf sog. Verrechnungsstundung
Leitsatz (NV)
Aus der Rechnung eines Generalunternehmers an die (nicht zustandegekommene) Bauherrengemeinschaft kann der Übernehmer der errichteten Wohnungen, der nicht Mitglied der Bauherrengemeinschaft wurde, den Vorsteuerabzug nicht geltend machen.
Normenkette
UStG 1980 § 15 Abs. 1; FGO § 114; AO 1977 §§ 258, 226
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine GmbH, erklärte dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) die Aufrechnung gemäß § 226 der Abgabenordnung - AO 1977 - ihrer fälligen Umsatz- und Lohnsteuerschulden in Höhe von 123 394,03 DM mit einem Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch in Höhe von 130 000 DM, den ihr ihre alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin (B) am . . . 1987 (unter Anzeige an das FA gemäß § 46 AO 1977) abgetreten hatte. Es handelte sich um den Teil eines von B in ihrer Umsatzsteuererklärung 1985 errechneten und geltend gemachten Umsatzsteuer-Erstattungsanspruchs aufgrund folgenden Sachverhalts:
B hatte hinsichtlich ihres Grundstücks mit einer KG einen Baubetreuungsvertrag geschlossen. Die KG sollte durch eine von ihr zu initiierende Bauherrengemeinschaft auf dem Grundstück der B ein Gebäude mit . . . Wohneinheiten errichten lassen. B trat der Bauherrengemeinschaft nicht bei; sie stellte ihr Grundstück als ,,Baupatin" zur Verfügung. Am . . . 1984 schloß die KG als Baubetreuer zwischen ,,den Bauherren" der Bauherrengemeinschaft und einem Generalunternehmer einen Werkvertrag (Generalunternehmervertrag) über die schlüsselfertige Erstellung des Gebäudes, obwohl die Bauherrengemeinschaft noch nicht existierte. Das Gebäude wurde 1984 fertiggestellt. Die Schlußrechnung des Generalunternehmers vom . . . 1985 ist an die Bauherrengemeinschaft, vertreten durch die KG, gerichtet. Zu diesem Zeitpunkt waren für . . . Wohneinheiten noch keine Interessenten gefunden worden. Nachdem dies bis Anfang 1986 so geblieben war, übernahm B neben einer Wohnung, die sie von Anfang an übernehmen wollte, auch die nicht abgesetzten Wohneinheiten im Jahre 1986.
B vermietete die Wohneinheiten an die Antragstellerin, die sie an ,,Endmieter" weitervermietete. Die Antragstellerin war von Anfang an im Rahmen des Bauherrenkonzepts als Zwischenmieter vorgesehen. B machte unter Verzicht auf die Steuerfreiheit der Wohnungsvermietung mit der Umsatzsteuererklärung 1985 den auf die von ihr übernommenen Wohneinheiten entfallenden Anteil der in der Rechnung des Generalunternehmers vom . . . 1985 berechneten Umsatzsteuer in Höhe von 140 909,66 DM als abziehbare Vorsteuer geltend.
Das FA erkannte den Vorsteuerabzug durch Umsatzsteuerbescheid 1985 vom 29. Juni 1987 (mit Einspruch angegriffen) nicht an und setzte eine positive Umsatzsteuerschuld der B fest. Am 30. November 1987 erging ein nach § 164 Abs. 2 AO 1977 gesonderter Umsatzsteuerbescheid 1985, gegen den B ebenfalls Einspruch einlegte.
Unter Berufung darauf erkannte das FA die Aufrechnung unter Hinweis auf § 226 Abs. 3 AO 1977 nicht an.
Die wegen der Abtretung von der Antragstellerin begehrte Verrechnungsstundung lehnte das FA mit Verfügung vom 19. Juni 1987 ohne Rechtsbehelfsbelehrung ab. Auch die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 258 AO 1977 lehnte das FA ab.
Daraufhin beantragte die Antragstellerin den Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 114 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) mit dem sinngemäßen Inhalt, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 258 AO 1977 im Hinblick auf den ihr zustehenden Aufrechnungs- bzw. Stundungsanspruch anzuordnen.
Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag ab.
Mit der Beschwerde macht die Antragstellerin im wesentlichen geltend, zwischen B und dem Generalunternehmer habe entgegen der Darstellung des FG ein Leistungsaustausch stattgefunden. Maßgeblich sei der tatsächliche Leistungsaustausch; wie die Verpflichtungsgeschäfte geschlossen seien, trete dahinter zurück. Der Generalunternehmer habe die Wohnungen der Klägerin übergeben. Diese habe einen sog. Selbsteintritt ausgeübt.
Ferner wendet sich die Antragstellerin gegen die Auffassung des FG, B sei nicht Rechnungsadressat gewesen. Das Fehlen einer Aufteilung der einzelnen Leistungsempfänger in der Abrechnung des Generalunternehmers hindere den Vorsteuerabzug nicht. Die Bauherrengemeinschaft sei eine atypische Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Deswegen habe bei Abschluß des Werkvertrags mit dem Generalunternehmer bereits festgestanden, daß Leistungsempfänger nicht die Gemeinschaft, sondern anteilig jeder Bauherr sein solle und daher jeder Bauherr lediglich ,,bis in Höhe der Gesamtkosten seines präsumtiven Teileigentums hafte". Nach der Rechtswirklichkeit sei es in solchen Fällen einem Generalunternehmer unmöglich, bereits bei Erstellung seiner Rechnung die noch nicht vollständig vorhandenen Bauherren der Auflistung aller Leistungsempfänger beizufügen. Da auch im vorliegenden Fall das FA den Mitgliedern der Bauherrengemeinschaft für die von ihnen erworbenen Wohneinheiten und Frau B für die beiden Läden den Anspruch auf Vorsteuerabzug zuerkannt habe, verstoße die Versagung des Vorsteuerabzugs bei B hinsichtlich der von ihr letztlich übernommenen Wohneinheiten gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen.
Zu Unrecht habe das FG die Zwischenvermietung als mißbräuchlich angesehen. Da aufgrund der Bebauungsvereinbarung . . . und aufgrund der Planungskonzeption die KG für die Vermietung der Wohneinheiten zuständig hätte sein sollen, die erst kurz vor Bezugsfertigkeit erklärt habe, die Mietangelegenheit nicht regeln zu wollen, habe B bei Begründung des Zwischenmietverhältnisses von den steuerlichen Auswirkungen dieses Rechtsgeschäfts keine Kenntnis gehabt. Das werde dadurch belegt, daß B im Jahre 1985 keinen Vorsteuerabzug aus der Zwischenvermietung angemeldet habe. Mißbrauchsabsicht fehle somit. B sei letztlich wider Willen an die Wohnungen gelangt und habe nach wie vor die Absicht, sich ihrer schnellstmöglich wieder zu entledigen. Das Zwischenmietverhältnis habe sie als Wohnungseigentümerin nur als Übergangslösung angesehen. Daß B ihre geschäftlichen Aktivitäten in Form einer GmbH betreibe, beruhe darauf, daß sie aufgrund negativer Erfahrungen eine persönliche Haftung vermeiden wolle. Das sei ein beachtlicher Grund gewesen, der GmbH die Vermietung zu übertragen.
Die Antragstellerin beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.
Nach § 114 Abs. 1 FGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1), ferner auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Satz 2). Voraussetzung für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist, daß der im Hauptverfahren geltend gemachte oder geltend zu machende Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Bezeichnung und Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs bedeuten, daß der Antragsteller den Anspruch rechtlich schlüssig darlegen und dessen tatsächliche Voraussetzungen (§ 294 ZPO) glaubhaft machen muß. Anordnungsanspruch kann auch der Anspruch auf Stundung gemäß § 222 AO 1977 oder Anspruch auf einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung gemäß § 258 AO 1977 sein (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1984 V B 44/84, BFHE 142, 418, BStBl II 1985, 194). Wie in der vorbezeichneten Entscheidung dargelegt, kann die Einziehung einer Steuer eine erhebliche Härte i. S. des § 222 AO 1977 und die Ablehnung der Stundung ermessensfehlerhaft sein, wenn der zu zahlende Betrag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alsbald zu erstatten sein wird. Eine parallele Wertung zur Stundung ergibt sich dann, wenn der Vollstreckung entgegengehalten wird, der Vollstreckungsschuldner habe Gegenansprüche gegen den Vollstreckungsgläubiger.
Die Begründung des FG, die Antragstellerin habe das Vorliegen eines Anspruchs auf sog. Verrechnungsstundung bzw. das Bestehen von Gegenansprüchen zur Vollstreckung nicht wie erforderlich dargelegt, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Senat kann sich dabei auf die Prüfung der Ausführungen zum Vorliegen einer Rechnung, aus der B den geltend gemachten Vorsteuerabzug herleiten könnte, beschränken. Das FG hat zum einen festgestellt, daß eine Rechnung gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980 an B als Rechnungsempfängerin vom Generalunternehmer über die Bauleistungen nicht ausgestellt worden ist. Ferner hat das FG festgestellt, daß B der Bauherrengemeinschaft, an die die Rechnung gerichtet ist, nie beigetreten war.
Mangels einer an B als Adressaten gerichteten Rechnung fehlt somit nach der Rechtsprechung des BFH eine wesentliche Voraussetzung für den von B geltend gemachten Vorsteuerabzugsanspruch. Aus der vorhandenen Rechnung des Generalunternehmers kann B den Vorsteuerabzugsanspruch jedenfalls nicht geltend machen (vgl. Urteil vom 29. Januar 1987 V R 112/77, BFH/NV 1987, 472; Beschluß vom 13. September 1984 V B 10/84, BFHE 142, 164, BStBl II 1985, 21; Urteil vom 26. November 1987 V R 85/83, BFHE 151, 479, BStBl II 1988, 158).
Daß der Generalunternehmer (später) tatsächlich an B die Leistungen erbracht haben könnte, wie die Antragstellerin vorträgt, ist danach beim gegenwärtigen Sach- und Rechtsstand unerheblich.
Fundstellen
Haufe-Index 416020 |
BFH/NV 1989, 269 |