Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH: Einwendungen des Haftenden gegen die Steuerfestsetzung
Leitsatz (NV)
- Ist der Geschäftsführer einer GmbH wegen Verlustes der Vertretungsmacht nicht während der gesamten der GmbH für einen Rechtsbehelf oder einen Antrag auf Aufhebung oder Änderung der Festsetzung nach den Korrekturvorschriften der AO 1977 (hier nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) zur Verfügung stehenden Zeitspanne berechtigt, diese Anträge für die Steuerpflichtige zu stellen, ist er mit Einwendungen gegen die Höhe der gegenüber der GmbH festgesetzten Steuer nicht nach § 166 AO 1977 ausgeschlossen.
- Auch im summarischen PKH-Verfahren sind Schätzungsveranlagungen darauf zu überprüfen, ob die Ergebnisse der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sind. Bei mangelnder Mitwirkung des Steuerpflichtigen kommt die Beachtung von Richtsätzen in Betracht.
- Die Haftungssumme für KSt, USt, SZ und Verspätungszuschläge ist nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung zu bemessen. Hierzu hat das FG auch im summarischen Verfahren Ermittlungen im zumutbaren Rahmen anzustellen.
Normenkette
AO 1977 § 34 Abs. 1, §§ 69, 90, 162, 164 Abs. 2 Sätze 1-2, § 166; FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 114
Tatbestand
I. Mit Haftungsbescheid vom 6. Dezember 1995 nahm der Beklagte (das Finanzamt ―FA―) den Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) als ehemaligen Geschäftsführer einer GmbH neben dem zweiten Geschäftsführer für Umsatzsteuer 1991 bis 1994, Körperschaftsteuer 1991 bis 1993 sowie Solidaritätszuschlag hierzu zuzüglich Säumniszuschlägen und Verspätungszuschlägen in Höhe von insgesamt ca. 800 000 DM nach §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftenden in Anspruch.
Der Haftungsschuld lagen für die Umsatzsteuer die vom FA akzeptierte Umsatzsteuererklärung der GmbH für 1991 zugrunde, aus der sich bei erklärtem Umsatz von ca. 300 000 DM und Vorsteuerabzugsbeträgen in Höhe von ca. 32 000 DM die Umsatzsteuer mit 9 840 DM ergeben hat, sowie die auf Schätzungen beruhenden Umsatzsteuern für 1992 in Höhe von ca. 200 000 DM (Umsätze geschätzt in Höhe von ca. 1 500 000 DM; Vorsteuerabzugsbetrag ca. 14 500 DM) zuzüglich 2 240 DM Verspätungszuschlag und ca. 60 000 DM Säumniszuschläge; für 1993 in Höhe von ca. 300 000 DM (geschätzter Umsatz ca. 2 000 000 DM; Vorsteuerabzugsbetrag 35 000 DM) zuzüglich Verspätungszuschlag in Höhe von ca. 32 000 DM und Säumniszuschläge in Höhe von ca. 78 000 DM. Für das Jahr 1994 schätzte das FA die Umsätze bis zum Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens für die GmbH anteilig für fünf Monate in Anlehnung an die von der GmbH für 1991 abgegebene Umsatzsteuererklärung mit 7 777 DM (Umsätze in Höhe von 125 000 DM; Vorsteuerabzugsbetrag 10 972 DM).
Der Haftungssumme lagen ferner zugrunde die auf Schätzung für die Jahre 1991 bis 1993 beruhenden Körperschaftsteuerfestsetzungen in Höhe von jeweils 18 000 DM zuzüglich jeweils 675 DM Solidaritätszuschlag sowie hierzu festgesetzte Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge. Wegen der Ermittlung der Haftungssumme im Übrigen wird auf die Anlage zum Haftungsbescheid vom 6. Dezember 1995 Bezug genommen.
Seit Mitte 1993 hatte das FA Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber der GmbH durchgeführt. Der am 10. Mai 1994 gestellte Antrag auf Durchführung des Gesamtvollstreckungsverfahrens wurde am 29. September 1994 mangels Masse abgewiesen, die GmbH am 23. März 1995 aufgelöst und am 13. Mai 1997 im Handelsregister gelöscht. Ein Liquidator wurde nicht bestellt.
Bereits in der Einspruchsbegründung gegen den Haftungsbescheid wandte sich der Prozessvertreter des Antragstellers nicht nur gegen den Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung bezüglich der Abgabe der Steuererklärungen sowie der Nichtzahlung der Umsatzsteuer 1991, sondern machte insbesondere auch geltend, dass die vom FA angenommenen Umsätze der GmbH für die Jahre 1992 und 1993 weit überhöht und nicht erzielbar gewesen seien. Die GmbH habe insgesamt nur zehn Beschäftigte und zwei Fahrzeuge im Einsatz gehabt. Die erzielten Umsätze hätten vielmehr zwischen 75 000 DM und 80 000 DM jährlich betragen, wobei ca. 50 % des auf einen Auftrag entfallenden Umsatzes auf die Materialkosten entfallen seien, so dass die darauf geleistete Vorsteuer entsprechend abzuziehen sei. Genauere Angaben seien im Augenblick nicht möglich, weil der zweite Geschäftsführer die Unterlagen zurückhalte.
In der Einspruchsentscheidung vom 17. Juni 1999 setzte das FA bei gleichzeitigem Erlass eines Teilrücknahmebescheides die Haftungssumme für den Antragsteller auf ca. 500 000 DM herab. Die Herabsetzung der Haftungssumme beruhte darauf, dass das FA die Inanspruchnahme für Steuern und Abgaben für das Jahr 1994 sowie für Körperschaftsteuer 1993 zuzüglich der angefallenen Nebenleistungen fallengelassen hat. Hinsichtlich der Umsatzsteuer 1991 verblieb es bei dem von der GmbH erklärten Betrag; für die Umsatzsteuer 1992 und 1993 beließ es das FA bei den geschätzten Umsätzen, setzte jedoch weitere abzugsfähige Vorsteuerbeträge von … DM für 1992 und … DM für 1993 an. Wegen des Ansatzes der Verspätungszuschläge und der Neuberechnung der Säumniszuschläge wird auf die Aufstellung der Steuerschulden und Abgaben im Teilrücknahmebescheid, der Bestandteil der Einspruchsentscheidung geworden ist, Bezug genommen.
Mit der Klage gegen den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung begehrte der Antragsteller auch die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH). Diesen Antrag hat das Finanzgericht (FG) mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abgelehnt. In seinem Beschluss legt das FG dar, eine schuldhafte Pflichtverletzung des Antragstellers als Geschäftsführer liege deshalb vor, weil er es versäumt habe, die Umsatzsteuer- und Körperschaftsteuererklärungen für die von ihm vertretene GmbH abzugeben und er die angemeldete Umsatzsteuer für 1991 nicht aus den Mitteln der GmbH entrichtet habe. Der Antragsteller trage trotz seines Einwandes, dass für die Abwicklung der steuerlichen Angelegenheiten infolge einer internen Geschäftsverteilung der zweite Geschäftsführer D zuständig gewesen sei, in Anbetracht der sich abzeichnenden Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der GmbH die Mitverantwortung für die Einhaltung der steuerlichen Verpflichtungen. Er hätte zumindest die Pflicht zur Überwachung und Kontrolle der Geschäftsführung gehabt. Da der Antragsteller keine Angaben zur Befriedigung der Forderungen der übrigen Gläubiger während des Haftungszeitraums gemacht habe, kämen ihm auch die Grundsätze, die der Bundesfinanzhof (BFH) zur anteiligen Haftung entwickelt habe, nicht zugute. Der Antragsteller als gesetzlicher Vertreter der GmbH habe es versäumt, die Steuerbescheide und die Festsetzungen der Nebenleistungen anzufechten, so dass er die Festsetzungen des FA nach § 166 AO 1977 gegen sich gelten lassen müsse. Die Ermessensentscheidung des FA sei nicht zu beanstanden. Das Entschließungsermessen hätte nicht gesondert begründet werden müssen, weil eine Realisierung der Steueransprüche bei der GmbH wegen der Ablehnung der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens aussichtslos und der zweite Geschäftsführer D nach den persönlichen Umständen nicht in der Lage sei, den vollen Haftungsbetrag zu begleichen. Mit der Inanspruchnahme des zweiten Geschäftsführers D vor Erlass der Einspruchsentscheidung habe das FA auch das Auswahlermessen einwandfrei ausgeübt.
Mit der Beschwerde gegen den Beschluss des FG verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Gewährung der PKH weiter und macht geltend, die Haftungsvoraussetzungen lägen nicht vor, weil er lediglich als Dachdeckergehilfe tätig gewesen sei und nach der tatsächlichen Aufgabenverteilung in der GmbH der zweite Geschäftsführer D die Verpflichtungen gegenüber dem FA zu erfüllen gehabt hätte. Dennoch sei er seiner Überwachungspflicht hinreichend nachgekommen und habe von sämtlichen mit der Buchführung befassten Personen die Auskunft erhalten, die Zahlungen an das FA würden korrekt erfolgen. Im Übrigen müsse das FA nachweisen, dass die GmbH zur Zahlung von Steuern in der Lage gewesen wäre. Als das nicht mehr gewährleistet gewesen sei, habe der Antragsteller unverzüglich die Gesamtvollstreckung beantragt.
Weiter wendet sich der Antragsteller gegen die Schätzungen der Umsatzsteuer der GmbH für 1992 und 1993, die er für willkürlich hält. Er bezieht sich auf das von ihm vorgelegte Sachverständigengutachten des Steuerberaters vom 14. Dezember 1999, der unter Zugrundelegung der Richtsätze und der Sammlung statistischer Daten für das produzierende Gewerbe und Handwerk des Landes Brandenburg zu dem Ergebnis gekommen sei, dass das FA die Körperschaftsteuer für die Jahre 1991 und 1992 zuzüglich Solidaritätszuschlag annähernd zutreffend geschätzt habe. Die Umsatzsteuerschätzungen seien jedoch weit überhöht. Die Umsätze der GmbH hätten nach den Richtwerten für 1992 mit ca. 678 000 DM und 1993 mit ca. 631 000 DM angesetzt werden dürfen, wobei sich nach Berücksichtigung der mit Vorsteuer behafteten Kosten (Wareneinsatz etc.) eine Umsatzsteuerschuld von ca. 38 000 DM pro Jahr ergeben hätte. Entgegen der Auffassung des FG sei der Antragsteller auch nicht in der Lage gewesen, die überhöhten Schätzungsbescheide anzufechten, weil er von diesen Festsetzungen keine Kenntnis erhalten habe.
Der Antragsteller stellt den Antrag, den Beschluss des FG aufzuheben und ihm ratenfreie PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt X als Prozessvertreter zu gewähren.
Das FA hält die Beschwerde für unbegründet. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zulässig (§ 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― in der nach Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757, 1760, insoweit noch anzuwendenden bisherigen Fassung ―FGO a.F.―) und begründet.
Der Rechtsverfolgung gegen den Haftungsbescheid durch den Antragsteller fehlt die nach § 142 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erforderliche Erfolgsaussicht nicht in vollem Umfang. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund dessen Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für den Eintritt des Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Die Erfolgsaussichten sind in der Regel dann als hinreichend anzusehen, wenn die Gründe für und gegen einen Erfolg als gleichwertig zu bewerten sind; eine abschließende Prüfung darf nicht vorgenommen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 1992 VII B 62/92, BFH/NV 1994, 149).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kommt jedenfalls eine teilweise Bewilligung von PKH für den Rechtsstreit des Antragstellers gegen den Haftungsbescheid in Betracht.
1. Das FA durfte den Antragsteller als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen. Mit überzeugenden Gründen hat das FG das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen für den Antragsteller dargelegt und bejaht. Das FG hat insbesondere auch den Einwand des Antragstellers, für die Besorgung der Steuerangelegenheiten sei nach interner Geschäftsverteilung nicht er, sondern der zweite Geschäftsführer D zuständig gewesen, zutreffend gewürdigt und den Antragsteller bei der finanziell angespannten Lage der GmbH zu Recht auf seine Mitverantwortung verwiesen (vgl. Senatsurteile vom 13. Januar 1987 VII R 86/85, BFH/NV 1987, 550, und vom 30. Juni 1995 VII R 85/94, BFH/NV 1996, 2). Auch die Überlegungen im Beschluss der Vorinstanz zur Ermessensausübung des FA, das rechtzeitig vor Erlass der Einspruchsentscheidung gegenüber dem Antragsteller auch den zweiten Geschäftsführer D zur Haftung herangezogen hat, lassen Rechtsfehler nicht erkennen, so dass es der Senat für zweckmäßig hält, auf die diesbezüglichen Ausführungen des FG zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug zu nehmen (§ 113 Abs. 2 Satz 3 FGO).
2. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind dem Antragsteller Einwendungen gegen die Höhe der auf Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen beruhenden Umsatzsteuerfestsetzungen gegenüber der GmbH für 1992 und 1993 nicht nach § 166 AO 1977 versagt.
a) Nach § 166 AO 1977 sind dem Haftenden Einwendungen gegen die Steuerfestsetzungen abgeschnitten, wenn er als Vertreter die Festsetzungen gegenüber der GmbH hätte angreifen können und hierzu rechtlich auch in der Lage war (Senatsurteil vom 21. Januar 1986 VII R 196/83, BFH/NV 1986, 512). Diese Voraussetzung liegt, wie das FG zutreffend ausgeführt hat vor, soweit es das formelle Rechtsbehelfsverfahren betrifft. Denn nach Aktenlage sind die die GmbH betreffenden Umsatzsteuerfestsetzungen für 1992 und 1993 sowie die Körperschaftsteuerfestsetzungen für 1991 und 1992 nebst dazugehörigen Verspätungszuschlägen und Säumniszuschlägen, die nach der Teilrücknahmeverfügung im Rahmen der Einspruchsentscheidung nunmehr die Haftungsgrundlage bilden, dem Antragsteller als Vertreter der GmbH bekannt gegeben worden, so dass er in der Lage gewesen wäre, gegen diese Einspruch einzulegen. Das hat der Antragsteller versäumt.
b) Dennoch steht der Eintritt der formellen Bestandskraft der gegenüber der GmbH ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen für 1992 und 1993, die der Antragsteller für weit überhöht hält, den Einwendungen des Antragstellers gegen die Höhe der darauf gegründeten Haftungsschuld nicht nach § 166 AO 1977 entgegen. Das FG hat nicht beachtet, dass es sich bei den Umsatzsteuerfestsetzungen gegenüber der GmbH für 1992 und 1993 um solche handelt, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO 1977) ergangen sind, der auch zu keinem Zeitpunkt vom FA aufgehoben worden ist. Da Vorbehaltsfestsetzungen auch nach Eintritt der formellen Bestandskraft (Unanfechtbarkeit) aufgehoben und geändert werden können (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977), hindert der Eintritt der Unanfechtbarkeit den Geschäftsführer als gesetzlichen Vertreter des Steuerpflichtigen nicht, die Aufhebung oder Änderung der Vorbehaltsfestsetzung bis zur Aufhebung des Vorbehalts (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) bzw. bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO 1977) namens der vertretenen GmbH zu beantragen (§ 164 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 34 AO 1977). Voraussetzung für die Ausübung dieses Rechts ist, dass der Geschäftsführer als gesetzlicher Vertreter des Steuerpflichtigen hierzu rechtlich befugt war. Die rechtliche Befugnis des Klägers war aber mit der Löschung der GmbH im Handelsregister im Mai 1977 entfallen. Denn die Löschung einer GmbH wegen Vermögenslosigkeit nach § 2 Abs. 1 des im Jahre 1997 noch gültigen Gesetzes über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften und Genossenschaften (LöschG) vom 9. Oktober 1934 (RGBl I 1934, 914) ―nunmehr § 141a des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG)― hat zur Folge, dass ihr bisheriger gesetzlicher Vertreter (Geschäftsführer), sofern er nicht zum Liquidator bestellt worden ist, seine Vertretungsbefugnis verliert (§ 2 Abs. 2 LöschG; BFH-Urteil vom 26. März 1980 I R 111/79, BFHE 130, 447, BStBl II 1980, 587; Beschluss des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 23. Februar 1970 II ZB 5/69, BGHZ 53, 264).
Nach § 166 AO 1977 ist der Geschäftsführer bei seiner Inanspruchnahme als Haftender nur mit solchen Einwendungen ausgeschlossen, die er als Vertreter der Gesellschaft gegen die betreffende Steuerfestsetzung hätte vorbringen können und müssen (vgl. z.B. Senatsurteil in BFH/NV 1986, 512, 514). Der Ausschluss von Einwendungen reicht aber nicht weiter als die Vertretungsmacht (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Mai 1994 IV B 54/93, BFH/NV 1995, 86, 87, m.w.N.). So wie § 166 AO 1977 keine über die Vertretungsmacht hinausgehende Klage-, Anfechtungs- und Antragsbefugnis gegen die die Gesellschaft betreffenden Steuerbescheide gewährt, führt § 166 AO 1977 auch nur dann zum Ausschluss von Einwendungen gegen die Steuerfestsetzungen gegenüber der Gesellschaft, wenn der Vertreter während der gesamten Dauer der Rechtsbehelfsfrist (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1986, 512, 514) oder der Antragsfrist, während der der Steuerpflichtige selbst den Antrag auf Änderung der Bescheide nach den Korrekturvorschriften der AO 1977 (hier nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) hätte stellen können, Vertretungsmacht und damit das Recht gehabt hat, namens der GmbH zu handeln. Das war nicht der Fall; denn zum Zeitpunkt der Löschung der GmbH im Jahre 1997 war der Vorbehalt der Nachprüfung für die Umsatzsteuerfestsetzungen gegenüber der GmbH noch wirksam. Der Vorbehalt der Nachprüfung war weder aufgehoben (§ 164 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AO 1977) noch wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist entfallen, die bei fehlender Erklärungsabgabe für die Umsatzsteuer 1992 im Jahre 1999 und für die Umsatzsteuer 1993 im Jahre 2000 geendet hat (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).
Da der Antragsteller wegen des Verlustes der Vertretungsmacht im Jahre 1997 nicht während der gesamten der GmbH für einen Antrag auf Änderung der Vorbehaltsfestsetzungen zur Verfügung stehenden Zeitspanne berechtigt war, diese Anträge für die Steuerpflichtige zu stellen, ist er auch nicht nach § 166 AO 1977 mit Einwendungen gegen die Höhe der gegenüber der GmbH festgesetzten Steuerschulden ausgeschlossen.
3. Die Vorinstanz ist daher zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Haftungsschulden des Antragstellers der gegenüber der GmbH (formell bestandskräftig) festgesetzten Umsatzsteuerschuld für 1992 und 1993 entspricht. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats bedarf es für die Inanspruchnahme eines Geschäftsführers einer GmbH als Haftenden und die Ermittlung der Haftungsschuld einer vorherigen materiell-richtigen Festsetzung der Steuerschuld gegenüber der GmbH nicht. Der Haftungsschuldner kann vielmehr, wenn die Beschränkungen des § 166 AO 1977 nicht eingreifen, uneingeschränkt Einwendungen gegen die Richtigkeit einer Steuerfestsetzung und gegen die Höhe der gegen ihn festgesetzten Haftungsschuld geltend machen (Senatsbeschluss vom 4. Juni 1996 VII S 9/96, BFH/NV 1996, 915, 917). Das FG durfte daher von Ermittlungen zur Höhe der der Haftungssumme zugrunde liegenden Abgabenschuld der GmbH im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers gegen die Umsatzsteuerschätzungsbescheide für 1992 und 1993 nicht absehen.
Auch im summarischen Verfahren war daher zu überprüfen, ob sich die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zur Ermittlung der Umsatzsteuer der GmbH für 1992 und 1993 im Rahmen des § 162 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 gehalten hat. Dabei sind diejenigen Tatsachen zu ermitteln, die die größtmögliche erreichbare Wahrscheinlichkeit für sich haben. Die gewonnenen Schätzungsergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteile vom 19. Januar 1993 VIII R 128/84, BFHE 170, 511, BStBl II 1993, 594, 597, und vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226). Bei der Schätzung sind auch bei mangelnder Mitwirkung der Steuerpflichtigen die anerkannten Schätzungsmethoden, insbesondere der innere und äußere Betriebsvergleich (BFH-Urteil vom 8. Oktober 1986 I R 220/82, BFHE 148, 37, BStBl II 1987, 205), mithin der Vorjahresumsatz, zu berücksichtigen. Dabei kommt auch die Beachtung von Richtsätzen in Betracht (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 8. November 1984 IV R 33/82, BFHE 142, 366, BStBl II 1985, 352), wobei die Höchstsätze der Richtsatzsammlung nicht ohne Weiteres überschritten werden dürfen (vgl. BFH-Urteil vom 12. September 1990 I R 122/85, BFH/NV 1991, 573, 574).
Diesen Anforderungen entspricht die Schätzung des FA hinsichtlich der Umsatzsteuerschuld der GmbH 1992 und 1993 nicht. Der Senat geht davon aus, dass die in dem vorgelegten Gutachten vom 17. Juni 1999 anhand von Richtsätzen und statistischen Daten für Handwerksbetriebe des Landes Brandenburg ermittelten Umsätze eines Betriebes wie ihn die GmbH geführt hat, von 678 000 DM für 1992 und 630 916 DM für 1993 bei einer erneuten Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach den benannten Schätzungsmethoden nicht überschritten werden. In Anbetracht des klägerischen Vorbringens, dass es sich bei der GmbH um einen Handwerksbetrieb mit nur zehn Arbeitnehmern (davon zwei im Büro tätig) und zwei Fahrzeugen gehandelt hat, der mit hohem Materialeinsatz arbeitete und der wegen finanzieller Schwierigkeiten in den Jahren 1992/1993 eine sich erheblich verschlechternde Auftragslage hinnehmen musste, liegt es im Bereich der Wahrscheinlichkeit, dass die im Gutachten für 1992 und 1993 benannte Umsatzsteuerschuld von jeweils ca. 38 000 DM einer Überprüfung durch eine erneute Schätzung standhalten könnte. Hierzu sind jedoch weitere Feststellungen dazu notwendig, ob es sich bei den im Gutachten verwandten Daten um offizielle Richtsätze handelt und ob sich anhand nunmehr greifbarer betriebsinterner Buchführungsunterlagen ―insbesondere von Rechnungen mit dem für den Ansatz von Vorsteuerbeträgen notwendigen Steuerausweis (vgl. BFH-Beschluss vom 26. November 1997 V B 48/97, BFH/NV 1998, 563, 564)― andere Bemessungsgrundlagen ergeben. Solche Feststellungen sind im zumutbaren Umfang auch in dem hier zu beurteilenden summarischen Verfahren geboten.
Da das FG Feststellungen zu den Besteuerungsgrundlagen der GmbH nicht getroffen hat, ist die Sache zur Nachholung entsprechender Ermittlungen an das FG zurückzuverweisen. Dem Antragsteller ist ―sofern die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hierzu Anlass geben (§ 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO)― in Höhe der Differenz zwischen der aufgrund einer neuerlichen Schätzung ermittelten Umsatzsteuer für 1992 und 1993 und der in der Einspruchsentscheidung ausgewiesenen, auf den Umsatzsteuerfestsetzungen der GmbH beruhenden Haftungssumme PKH zu gewähren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die neue Berechnung der geschuldeten Umsatzsteuer für 1992 und 1993 auch eine Änderung der hierzu festgesetzten Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge zur Folge haben wird.
4. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, müssen Umsatzsteuerschulden ebenso wie Körperschaftsteuerschulden aus den zur Verfügung stehenden Mitteln im gleichen Umfang beglichen werden wie Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern. Dieser Grundsatz gilt auch für festgesetzte Verspätungszuschläge und von der GmbH angeforderte Säumniszuschläge (vgl. Senatsurteil vom 1. August 2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BFH/NV 2001, 84 V). Danach hätte der Antragsteller zur Ermittlung der zutreffenden Haftungsquote und daraus folgend der Summe, für die er als Haftungsschuldner einzustehen hat, eine Aufstellung aller Verbindlichkeiten der GmbH zu Beginn des Haftungszeitraums (mit Fälligwerden der Umsatzsteuer für 1991 im Juli 1992) bis zum Ende des Haftungszeitraums (mit dem Antrag auf Durchführung der Gesamtvollstreckung vom 10. Mai 1994) abgeben, sowie ―anhand der Kontoauszüge über die Betriebskonten der GmbH― ermitteln müssen, in welcher Höhe während dieses Zeitraums Zahlungen auf die Gesamtverbindlichkeiten der GmbH geleistet worden sind. Aus dem sich aus diesen Zahlen ergebenden Verhältnis der Gesamtverbindlichkeiten zu den Gesamttilgungen im Haftungszeitraum hätte das FA die zutreffende Haftungsquote ermitteln können (vgl. Senatsbeschluss vom 31. März 2000 VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322). Auch hierzu hat das FG, selbst wenn es sich um ein PKH-Verfahren handelt, in dem nur eine summarische Prüfung vorzunehmen ist, unter Berücksichtigung der feststellbaren Tatsachen und Zahlungen die Haftungsquote zu ermitteln oder soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann, im Schätzungswege in der Weise festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (§ 162 AO 1977; BFH in BFH/NV 2000, 1322, 1324).
Zur Feststellung der Haftungssumme kann das FA vom Geschäftsführer einer GmbH, den es als Haftungsschuldner wegen der nicht entrichteten Umsatzsteuer und Körperschaftsteuer und Nebenabgaben der GmbH in Anspruch nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen (§ 90 Abs. 1 AO 1977; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 11. Juli 1989 VII R 81/87, BFHE 157, 315, BStBl II 1990, 357). Da nicht davon auszugehen ist, dass die GmbH sämtliche Verbindlichkeiten ―ausgenommen die Steuerschulden― bis zum Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens zu 100 % beglichen hat, und weder das FA noch das FG im PKH-Verfahren entsprechende Feststellungen getroffen haben, wird das FG Feststellungen zur Ermittlung der gesamten Steuerverbindlichkeiten und der darauf anzurechnenden Tilgungsleistungen der GmbH für den Haftungszeitraum vorzunehmen haben, wobei auch eine Schätzung der Haftungsquote in Betracht kommt (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2000, 1322, 1324). Dem Antragsteller bleibt es vorbehalten, durch Vorlage eines Liquiditätsstatus der GmbH während des Haftungszeitraums eine Minderung der Haftungsquote zu erreichen.
Da nach alledem eine Minderung der Haftungssumme zum Tragen kommt, müsste das FG, sofern die übrigen für die Bewilligung der PKH erforderlichen Voraussetzungen des § 114 FGO i.V.m. § 117 ZPO erfüllt sind, die PKH ―jedenfalls teilweise― gewähren.
5. Über den Antrag auf Gewährung der Einsicht in die vom FA vorgelegte Akte des D hat das FG zu entscheiden (§ 78 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 603687 |
BFH/NV 2001, 1217 |