Entscheidungsstichwort (Thema)
Bei Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde keine Erledigung trotz übereinstimmender Erledigungserklärungen
Leitsatz (NV)
1. Erledigungserklärungen im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde können nur beachtet werden, wenn das Rechtsmittel zulässig ist.
2. Eine innerhalb der Beschwerdefrist beim BFH eingereichte Ergänzung der Beschwerdebegründung darf berücksichtigt werden, wenn das FG schon über die Nichtabhilfe entschieden und die Akten dem BFH vorgelegt hat.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 3
Verfahrensgang
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig; denn sie genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Deshalb hat sich das Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision gegen das klageabweisende Urteil über die Aussetzung der Vollziehung von Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheiden weder durch die Bekanntgabe des Umsatzsteuer-Jahresbescheids 1983 (vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1984 V R 146/83, BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370) noch durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten erledigt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist zwar, wenn die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, nicht mehr zu prüfen, ob die Erledigung tatsächlich eingetreten ist (BFH vom 26. Januar 1971 VII B 137/69, BFHE 101, 209, BStBl II 1971, 306). Im Streitfall sind die Erledigungserklärungen aber ohne prozessuale Wirkung und deshalb unbeachtlich. Erklärungen über die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache können im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde nur beachtet werden, wenn das Rechtsmittel zulässig ist (vgl. BFHE 101, 209; BFH vom 9. August 1977 VII R 123/74, BFHE 122, 443, BStBl II 1977, 697; BFH vom 12. Februar 1982 III R 157/81, n. v.; BFH vom 12. Oktober 1982 VII R 44/82, n. v.; BFH vom 5. Juni 1985 II S 3/85, BFHE 143, 414, BStBl II 1985, 469; BFH vom 7. Januar 1986 V R 25/85, n. v.; Gräber, Finanzgerichtsordnung Kommentar, § 138 Anm. 2B III; von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 138 FGO Anm. 4; Tipke/Kruse, Abgabenordnung, 11. Aufl., § 138 FGO Tz. 50). Ist die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig, so kann der Streitgegenstand, auf den sich die übereinstimmenden Erklärungen über die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache beziehen, nicht an das Gericht gelangen, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat. Wenn sich das Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht aber nicht auf das Verfahren beziehen kann, auf das die übereinstimmenden Erledigungserklärungen abzielen, können diese Erklärungen auch keine Wirkung haben. Sie sind gegenstandslos.
Im Streitfall ist die wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht zulässig. Die Beschwerdeschrift genügt nicht den Anforderungen, die § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache stellt. Die Klägerin weist in der an das Niedersächsische Finanzgericht gerichteten Beschwerdeschrift vom 26. September 1985 lediglich darauf hin, daß dessen angefochtene Entscheidung eine Abkehr von steter Rechtspraxis des Reichsfinanzhofs darstelle und eine höchstrichterliche Entscheidung des BFH aus Gründen des Rechts- und Vertrauensschutzes zwingend geboten sei. Damit fehlen konkrete und substantiierte Darlegungen darüber, aus welchen Gründen die Klägerin die Entscheidung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse erstrebt (BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137).
Die ergänzte Begründung der Klägerin in dem an den BFH gerichteten Schriftsatz vom 21. Oktober 1985 darf zwar berücksichtigt werden, erfüllt aber ebenfalls die Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nicht. Der Zulässigkeit einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision steht nicht entgegen, daß diese in einem gesonderten Schriftsatz innerhalb der Monatsfrist (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO) begründet wird. Obwohl die Beschwerdebegründung grundsätzlich bei dem Gericht eingelegt werden muß, dessen Entscheidung angefochten werden soll (BFH-Beschluß vom 29. Januar 1986 II R 5/86, zur Veröffentlichung bestimmt), durfte die Klägerin die Beschwerdebegründung im Streitfall ergänzen. Das Niedersächsische Finanzgericht hatte nämlich am 3. Oktober 1985 beschlossen, daß es der Beschwerde nicht abhelfe, und die Akten am 15. Oktober 1985 an den BFH abgegeben. Bei dieser Fallgestaltung dürfen ergänzende Schriftsätze aus verfahrenswirtschaftlichen Gründen sogleich an das Revisionsgericht gerichtet werden (Bundesverwaltungsgericht-Beschluß vom 18. Juli 1973 III B 1/73; Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 132 VwGO Nr. 111). Da die Klägerin in dem Schriftsatz vom 21. Oktober 1985 ihre Ausführungen in dem vorausgegangenen Schriftsatz vom 26. September 1985 im wesentlichen aber nur wiederholt, fehlt das notwendige konkrete Eingehen auf die Rechtsfrage und die wenigstens aus dem Zusammenhang erkennbare Darlegung über die grundsätzliche Bedeutung einer höchstrichterlichen Entscheidung.
Daß der Senat die grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Verfahren streitigen Rechtsfrage - die Unternehmereigenschaft einer Prostituierten - im Beschluß vom 19. September 1985 V B 27/83, nicht veröffentlicht, anerkannt hat, steht der Entscheidung nicht entgegen. Die Zulassung der Revision im Streitfall wäre nur bei einer zulässigen Beschwerde möglich gewesen.
Fundstellen