Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertrauensschutz bei der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung von Gesellschafterleistungen an die Gesellschaft
Leitsatz (NV)
1. Steuerbare entgeltliche Leistungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG sind gegeben, wenn sie auf konkreten Leistungsbeziehungen der Gesellschafter zur Gesellschaft beruhen und auf den Austausch der Leistungen des Gesellschafters gegen Entgelt gerichtet sind.
2. Zur Frage, inwieweit das BFH-Urteil vom 6. Juni 2002 V R 43/01, BFHE 199, 49, BStBl II 2003, 36 eine Änderung der Rechtsprechung i.S. des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 darstellt.
Normenkette
UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 176 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 01.12.2004; Aktenzeichen 7 K 765/03) |
Tatbestand
I. Im finanzgerichtlichen Verfahren war streitig, ob es sich bei den von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als einer der Gesellschafter einer ARGE erbrachten Personalgestellungsleistungen, über die die Klägerin gegenüber der ARGE gesondert abgerechnet hat, um nicht steuerbare Geschäftsführungsleistungen im Sinne des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Juli 1980 V R 5/72 (BFHE 131, 114, BStBl II 1980, 622) und des zu dessen Anwendung ergangenen Schreibens des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 12. September 1988 (Betriebs-Berater 1988, 2230) gehandelt hat, und weiter, ob der Erfassung dieser Leistungen in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre 1996 bis 1999 (vom 28. Juni 2002) der Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) entgegenstand, weil sich insoweit --erst nach Ergehen der Erstbescheide durch BFH-Urteil vom 6. Juni 2002 V R 43/01 (BFHE 199, 49, BStBl II 2003, 36)-- die Rechtsprechung zur Beurteilung von Leistungen der Gesellschafter an die Gesellschaft zum Nachteil der Klägerin geändert hat.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte dazu im Wesentlichen aus, der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) habe die Bescheide ändern dürfen. § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 stehe der Änderung nicht entgegen. Auch nach der bis zum Urteil in BFHE 199, 49, BStBl II 2003, 36 geltenden Rechtsprechung sei zu unterscheiden zwischen Leistungen, die gegen Entgelt ausgeführt werden und solchen, die als Gesellschafterbeitrag i.S. des § 706 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst seien. Die Frage, ob die Leistungen auf einer gesellschaftsrechtlichen Verpflichtung beruhen, sei dagegen nicht entscheidend, wenn hierfür ein gesondertes Entgelt vereinbart sei. Das FA habe die in § 8 des ARGE-Vertrages bezeichneten Geschäftsführungsleistungen der Klägerin, die durch ein pauschales Entgelt abgegolten worden seien, mit Rücksicht auf den Vertrauensschutz nicht der Besteuerung unterworfen. Von diesen zu unterscheiden seien die in § 12 des ARGE-Vertrages bezeichneten, gesondert berechneten Leistungen. Allein der Umstand, dass die Leistungen vom "Führungspersonal" (Geschäftsführern, Bauleiter und Ingenieuren) erbracht worden seien, reiche nicht aus.
Der Änderung stehe auch § 176 Abs. 2 AO 1977 nicht entgegen, weil auch das BMF-Schreiben vom 12. September 1988 davon ausgehe, dass zwischen echten Geschäftsführungsaufgaben des geschäftsführenden Gesellschafters und anderen zu unterscheiden sei, die gegen gesondertes Entgelt erbracht würden und aus Vereinfachungsgründen lediglich die in §§ 7 bis 9 des Muster-Arbeitsgemeinschaftsvertrages enthaltenen Tätigkeiten als nicht steuerbar zu beurteilen seien, dass aber die hier streitigen Leistungen, ausdrücklich nicht durch die in §§ 7 bis 9 des ARGE-Vertrages für Geschäftsführungsleistungen vereinbarte Pauschale umfasst seien, sondern gesondert berechnet worden seien.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die sie auf Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie darauf stützt, das FG sei von der Entscheidung des BFH in BFHE 131, 114, BStBl II 1980, 622 abgewichen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Ohne Erfolg rügt die Klägerin, das FG-Urteil verstoße gegen § 105 Abs. 2 Nr. 4 FGO, weil der Sachverhalt keine Grundlage für die Entscheidung biete.
Mit angeblichen Mängeln im Tatbestand des angefochtenen Urteils wird kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dargelegt. Einwendungen gegen die Richtigkeit bzw. Vollständigkeit des im FG-Urteil festgestellten Tatbestandes sind nicht als Verfahrensmangel mit der Nichtzulassungsbeschwerde zu rügen, sondern müssen ggf. zum Gegenstand eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) gemacht werden (BFH-Beschlüsse vom 27. Mai 2005 VII B 38/04, BFH/NV 2005, 1496; vom 16. August 2005 XI B 234/03, BFH/NV 2005, 2238, m.w.N.).
Ein Verfahrensfehler kann allerdings vorliegen, wenn der Tatbestand des FG keine Grundlage für die Nachprüfung der Entscheidung bietet und dem Urteil deshalb wesentliche Begründungselemente i.S. von § 119 Nr. 6 FGO fehlen (vgl. BFH-Beschluss vom 29. August 2001 X B 36/01, BFH/NV 2002, 348); diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Inwiefern der vom FG festgestellte Tatbestand keine Grundlage für die Nachprüfung der Entscheidung abgeben könnte, ist nicht erkennbar. Dass das FG sich der Auffassung der Klägerin, es handele sich bei den streitigen Leistungen um solche nach §§ 7 bis 9 des Muster-Arbeitsgemeinschaftsvertrages --wie die Klägerin meint, zu Unrecht-- nicht anschließen konnte (S. 16 des Urteils), ist insoweit unerheblich.
2. Auch die Rüge, "die Darstellung des FG auf S. 16 des Urteils" widerspreche dem Akteninhalt, hat keinen Erfolg. Der Sache nach rügt die Klägerin lediglich, dass das FG der --auch in der Überschrift der Rechnungen der Klägerin wiedergegebenen-- Auffassung der Klägerin, es handele sich um Geschäftsführungsleistungen i.S. des BFH-Urteils in BFHE 131, 114, BStBl II 1980, 622 und dem hierzu ergangenen BMF-Schreiben, nicht gefolgt ist. Ein Verstoß gegen den Inhalt der Akten liegt darin nicht.
3. Die Klägerin rügt, das FG hätte --obwohl sie, die Klägerin selbst keine konkreten Zeugen benannt, sondern lediglich um einen Hinweis gebeten habe, wenn das FG den Sachverhalt für weiter ermittlungsbedürftig halte-- nicht ohne weitere Sachverhaltsermittlung entscheiden dürfen. Sie rügt damit sinngemäß, das FG hätte auch ohne entsprechenden Beweisantritt den Sachverhalt weiter aufklären müssen.
Eine schlüssige Rüge, das FG habe den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen näher aufklären müssen, setzt u.a. den substantiierten Vortrag voraus, aus welchen (genau bezeichneten) Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung (Beweiserhebung) auch ohne entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen, welche konkreten (entscheidungserheblichen) Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung durch Erhebung welcher konkreten Beweismittel voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. BFH-Entscheidung vom 6. Juni 2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, und Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2003 VII B 51/03, BFH/NV 2004, 217, m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Insbesondere legt die Klägerin nicht dar, aus welchen Gründen sich dem FG aus seiner Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen.
4. Die Klägerin hat die Abweichung des finanzgerichtlichen Urteils von einer Entscheidung des BFH nicht schlüssig dargelegt. Sie hat zwar die tragenden Rechtsausführungen der Divergenz-Entscheidung in BFHE 131, 114, BStBl II 1980, 622, nicht aber die tragenden abstrakten Rechtssätze des FG-Urteils so herausgearbeitet und gegenübergestellt, dass die Abweichung erkennbar wird. Das aber ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Divergenzrüge (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 2002 V B 88/01, BFH/NV 2002, 748; vom 16. April 2002 X B 140/01, BFH/NV 2002, 1046; vom 26. März 2003 III B 92/02, BFH/NV 2003, 939). Sie begründet vielmehr, weshalb das FG ihrer Meinung nach die Rechtsprechungsgrundsätze fehlerhaft auf den vorliegenden Sachverhalt angewendet hat. Erforderlich ist aber die Darlegung der Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen. Daran fehlt es.
Im Übrigen geht das FG von den bis zur Entscheidung in BFHE 199, 49, BStBl II 2003, 36 geltenden Rechtsprechungsgrundsätzen aus: Im Urteil vom 8. November 1995 V R 8/94 (BFHE 179, 186, BStBl II 1996, 176, unter II. 1., m.w.N.) hat der BFH entschieden, Leistungen eines Gesellschafters an die Gesellschaft könnten ihren Grund entweder im gesellschaftsrechtlichen Beitragsverhältnis oder in einem gesonderten schuldrechtlichen Austauschverhältnis haben; die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung richte sich danach, ob es sich um Leistungen handele, die gegen (Sonder-)Entgelt ausgeführt werden und damit auf einen Leistungsaustausch gerichtet sind, oder um Leistungen, die als Gesellschafterbeitrag durch die Beteiligung am Gewinn und Verlust der Gesellschaft abgegolten werden. Steuerbare entgeltliche Leistungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980 seien gegeben, wenn sie auf konkreten Leistungsbeziehungen der Gesellschafter zur Gesellschaft beruhen und auf den Austausch der Leistungen des Gesellschafters gegen Entgelt gerichtet seien.
Die Entscheidung in BFHE 131, 114, BStBl II 1980, 622 betreffe ausschließlich Geschäftsführungstätigkeiten, die nur von den Gesellschaftern selbst und nicht von Dritten ausgeführt werden können. Das FG ist davon ausgegangen, dass die gesondert berechneten Leistungen --anders als die nach § 3 des ARGE-Vertrages pauschal entgoltenen-- nicht zu diesen Leistungen gehören. Ob es diese Grundsätze auf den Streitfall --wie die Klägerin meint-- nicht zutreffend angewandt hat, ist für die Beurteilung der Abweichung unerheblich.
Fundstellen
Haufe-Index 1541730 |
BFH/NV 2006, 1716 |