Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen hat.
2. Das Abhalten eines Erörterungstermins (§ 79 Satz 2 FGO) ist eine Verhandlung im Sinne des § 43 ZPO.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 43
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehren mit ihren beim Finanzgericht (FG) noch anhängigen Klagen Änderung der Einkommensteuerbescheide 1979 bis 1982 sowie 1983 und 1984. Der mit der Bearbeitung dieser Klagen betraute Richter X führte am 21. Juni 1988 einen Erörterungstermin gemäß § 79 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch, den die beiden Prozeßbevollmächtigten der Kläger wahrnahmen. Laut Niederschrift vom selben Tag wurde der Sach- und Rechtsstand erörtert. Dabei erklärte der Berichterstatter u. a., seiner Ansicht nach hätten beide Klagen keine Aussicht auf Erfolg. Die Niederschrift schließt mit dem Hinweis, der Klägervertreter werde bis zum 5. Juli 1988 schriftlich mitteilen, ob er die Klagen unter diesem Gesichtpunkt zurücknehme.
Mit Gesuchen vom 4. Juli 1988 lehnten die Kläger Richter X wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung machten sie geltend, der Richter habe wiederholt zur Klagerücknahme aufgefordert, andernfalls er sich gezwungen sehe, ,,in das Urteil Sachen zu schreiben, die den Prozeßbevolllmächtigten unangenehm seien". In seiner dienstlichen Äußerung vom 12. Juli 1988 erklärte Richter X, er habe im Verlauf des Termins ,,unter anderem einmal darauf aufmerksam gemacht, daß sich aus dem Urteil auch Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bearbeitung der Buchführung und Jahresabschlüsse der Kläger in der Kanzlei der Klägervertreter ergeben könnten". Nach der Bekundung der von den Klägern als Zeugin benannten, beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) tätigen Steueramtfrau B hat der Richter ,,die Klägervertreter auf einige konkrete Punkte der Buchführung hingewiesen, die eben gegen das Klagebegehren sprechen würden".
Das FG hat die Ablehnungsgesuche als unbegründet zurückgewiesen. Seiner Ansicht nach rechtfertigt die beanstandete Äußerung, auch wenn sie - wie die Kläger behaupten - mehrfach gefallen sein sollte, bei ruhiger und vernünftiger Betrachtung aus der Sicht des Ablehnenden nicht die Annahme, Richter X sei in der Sache befangen und stehe dem klägerischen Anliegen nicht mehr unvoreingenommen gegenüber.
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Kläger ihr bisheriges Begehren weiter.
Sie beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und dem Gesuch auf Ablehnung des Richters X wegen Befangenheit stattzugeben.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Hierdurch sollen die Verfahrensbeteiligten vor Unsachlichkeit geschützt werden. Entscheidendes Kriterium für die Richterablehnung ist, ob der Betreffende bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Januar 1972 2 BvA 1/69, Die Öffentliche Verwaltung 1972, 312; Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).
Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 43 ZPO kann jedoch eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen hat. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall vor.
Das Abhalten eines Erörterungstermins gemäß § 79 Satz 2 FGO ist eine Verhandlung i. S. des § 43 ZPO (BFH-Beschluß vom 15. April 1987 IX B 99/85, BFHE 149, 424, BStBl II 1987, 577). Ablehnungsgründe, die während des Erörterungstermins entstehen, müssen bis zum Schluß dieser Verhandlung geltend gemacht werden. Darüber hinaus muß die Partei sich weigern, den Erörterungstermin weiter wahrzunehmen, wenn sie ihr Ablehnungsrecht nicht verlieren will (vgl. Zöller, Zivilprozeßordnung, 15. Aufl., § 43 Rdnr. 6, 7).
Die Klägervertreter haben jedoch bis zum Ende am Erörterungstermin teilgenommen und ihre Ablehnungsgesuche erst einige Tage später bei Gericht angebracht.
Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage ist nicht mehr entscheidungserheblich, ob das FG zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 42 ZPO verneint hat.
Fundstellen
Haufe-Index 416677 |
BFH/NV 1990, 515 |