Leitsatz (amtlich)
1. Es ist ernstlich zweifelhaft i. S. von § 69 FGO, ob oder unter welchen Voraussetzungen a) Der An- und Verkauf von Wertpapieren über den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung hinausgehen, wenn sie zur Schaffung einer Dauerkapitalanlage bei bestimmendem Einfluß auf die Geschäftsführung einer Kapitalgesellschaft vorgenommen werden, b) die Aussichten auf eine Eigentumsübertragung an bereits bestehenden Gesellschaftsrechten Anwartschaftsrechte i. S. von § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG begründen.
2. Zur Frage, wann eine Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden kann.
Normenkette
EStG 1963 und 1967 § 15 Nr. 1, § 17 Abs. 1 Sätze 2-3; FGO § 69
Tatbestand
Der Antragsteller veräußerte 1964 Aktien der H-AG im Nennwert von 125 000 DM und 1966 im Nennwert von insgesamt 740 000 DM. 1968 erzielte er bei der Veräußerung von Aktien innerhalb der Frist des § 23 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einen Gewinn von 53 133 DM und aus Verkäufen außerhalb der Spekulationsfrist einen Gewinn von 981 813 DM.
Nach einer Betriebsprüfung kam der Antragsgegner (FA) zu der Auffassung, der Antragsteller sei am 3. Januar 1963 zu mehr als 25 v. H. an der H-AG beteiligt gewesen und deshalb müßten die Gewinne aus der Veräußerung von Aktien nach § 17 EStG versteuert werden. Bei der Berechnung des Beteiligungsverhältnisses nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG seien auch Anwartschaften i. S. des § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG einzubeziehen.
Die Klage gegen diese Bescheide hatte nur insoweit Erfolg, als das FG für 1966 statt eines Gewinns einen Verlust ansetzte. Im übrigen kam das FG zu dem Ergebnis, die Gewinne des Antragstellers aus der Veräußerung von Aktien der H-AG gehörten zu den Einkünften aus einem gewerblichen Unternehmen nach § 15 Nr. 1 EStG, sie seien nach den §§ 5, 4 Abs. 1 EStG zu erfassen, eine Tarifbegünstigung nach § 34 EStG komme nicht in Betracht.
Mit der Revision in den Einkommensteuersachen für 1963 und 1968, nach deren Einlegung ein geänderter Einkommensteuerbescheid für 1968 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurde, wird eine fehlerhafte Einordnung von Gewinnen, deren Steuerpflicht oder Steuerfreiheit sich aus § 23 EStG ergebe, unter die gewerblichen Einkünfte gemäß § 15 EStG gerügt. Dazu wird im wesentlichen vorgebracht:
Der Antragsteller habe mit seinen Wertpapiergeschäften keine gewerbliche Tätigkeit ausgeübt. Er habe eine Dauerkapitalanlage bei der H-AG mit bestimmendem Einfluß auf die Geschäftsführung gesucht und gefunden. Dabei habe er sich nicht an den allgemeinen Markt, sondern an einen ausgewählten und dem Markt gegenüber geheimgehaltenen kleinen Personenkreis gewandt. Das Geschäft mit der M-Bank und die Börseneinführung der Aktien hätten sich unerwartet ergeben. Die später vorgenommenen Umschichtungen seien typisch für maßgeblich beteiligte Aktionäre.
Die in Rede stehenden Geschäfte könnten auch nicht nach § 17 EStG versteuert werden, weil der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt an der H-AG wesentlich beteiligt gewesen sei. Bei der Errechnung einer wesentlichen Beteiligung nach § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG dürften Anwartschaften i. S. von § 17 Abs. 1 Satz 2 nicht berücksichtigt werden. Dem Antragsteller könnten auch für fremde Rechnung erworbene Anteile nicht zugerechnet werden; er sei Treuhänder gewesen, wirtschaftliches Eigentum sei auszuschließen. Eine mittelbare Beteiligung über eine natürliche Person sei nicht möglich.
Demgegenüber hält das FA die finanzgerichtliche Entscheidung im Ergebnis für zutreffend und macht für den Fall der Verneinung einer gewerblichen Tätigkeit geltend, daß die Besteuerung auf § 17 EStG zu stützen sei.
Nach Einlegung der Revision beantragte der Antragsteller beim FA die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen oder zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Einkommensteuerbescheide für 1963 und 1968. Dem gab das FA statt, machte jedoch die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers in der Aussetzungssache für 1963 blieb erfolglos.
Nunmehr wird beim BFH die Aussetzung der Vollziehung der vorgenannten Bescheide im Gesamtumfang von 854 180 DM Einkommensteuer ohne Sicherheitsleistung beantragt und dazu im wesentlichen vorgebracht:
Eine Sicherheitsleistung sei für den Antragsteller im Hinblick auf seine Prozeßaussichten und auf seine Vermögenslage unzumutbar. Angesichts der wechselnden Begründungen für eine Steuerpflicht der in Rede stehenden Geschäfte könnten die Erfolgsaussichten des Antragstellers in seinem Prozeß nicht geringer als früher geworden sein. Bei einer Sicherheitsleistung in dem geforderten Umfang werde die wirtschaftliche Bewegungsfähigkeit des Antragstellers entscheidend beeinträchtigt. Nach einer Vermögensübersicht zum 30. September 1976 seien die aktiven Vermögenswerte von rd. 9 703 299 DM in Höhe von rd. 5 189 760 DM beliehen. Bei dem mit Kursverlusten zusammenhängenden hohen Beleihungsgrad von rd. 53 v. H. des Aktivvermögens könnten aus dem verbleibenden Reinvermögen von rd. 4 513 760 DM keine zusätzlichen Sicherheiten beschafft werden, ohne bedeutende Vermögensverluste hinnehmen zu müssen. Das Rohvermögen des Antragstellers bestehe zu rd. 75 v. H. aus Wertpapieren, deren verlustfreie Veräußerung sorgfältig vorbereitet werden müsse.
Demgegenüber hält das FA eine Sicherheitsleistung für erforderlich, da nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers die Steueransprüche als gefährdet anzusehen seien.
Entscheidungsgründe
I. Der Antrag ist zulässig.
Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zum Gericht kann zwar zu verneinen sein, wenn die Behörde die Vollziehung bereits ausgesetzt hat. Zu bejahen ist das Rechtsschutzbedürfnis aber, wenn die Behörde nur gegen Sicherheit ausgesetzt hat (vgl. v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung und Nebengesetzen, 1. bis 5. Aufl., Anm. 69 zu § 69 FGO, mit Nachweisen). Über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung kann dann nur insgesamt entschieden werden, weil die Sicherheitsleistung eine Bedingung der Aussetzung ist (vgl. BFH-Urteil vom 31. Oktober 1973 I R 249/72, BFHE 111, 5, BStBl II 1974, 118). Dies gilt für den vorliegenden Fall, da das FA seine Aussetzungen von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht hat.
II. Der Antrag ist auch begründet.
Die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 1963 und 1968 ist hinsichtlich der darin festgesetzten Einkommensteuern in dem vom FA bereits in den Verfügungen vom 21. April 1966 und vom 21. Februar 1977 festgelegten Umfange auszusetzen.
Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn dessen Rechtmäßigkeit in dem Sinne ernstlich zweifelhaft ist, daß neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Im vorliegenden Fall ist nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Einkommensteuerbescheide für 1963 und 1968 ernstlich zweifelhaft, ob darin Gewinne des Antragstellers aus der Veräußerung von Aktien der H-AG in dem vom FG oder vom FA angenommenen Umfange besteuert werden durften.
1. Zweifel ergeben sich einmal insoweit, als die hier angesprochenen Wertpapiergeschäfte des Antragstellers vom FG unter dem Gesichtspunkt einer gewerblichen Betätigung als steuerbar angesehen wurden. Das FG ist zwar bei der Beurteilung der Frage, wann der An- und Verkauf von Wertpapieren über den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung hinausgeht und eine gewerbliche Tätigkeit darstellt, erkennbar von Grundsätzen ausgegangen, wie sie nach der neueren Rechtsprechung des BFH dafür maßgebend sind (vgl. z. B. Urteile vom 11. Juli 1968 IV 139/63, BFHE 93, 281, BStBl II 1968, 775; vom 2. April 1971 VI R 149/67, BFHE 102, 261, BStBl II 1971, 620; vom 17. Januar 1973 I R 191/72, BFHE 108, 190 - in den Gründen -, BStBl II 1973, 260). Unsicher ist jedoch, ob nach dem bisher festgestellten Sachverhalt das Merkmal einer Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr als eindeutig erfüllt und die private Vermögensverwaltung als nicht mehr gegeben anzusehen sind. Nach der vom erkennenden Senat - wenn auch in anderem Zusammenhang - mehrfach geäußerten Auffassung (vgl. z. B. Urteil vom 2. November 1971 VIII R 1/71, BFHE 104, 321, BStBl II 1972, 360) kann von einer privaten Vermögensverwaltung nur gesprochen werden, wenn sich die Maßnahmen noch als Nutzung i. S. einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten darstellen, nicht mehr dagegen, wenn die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung entscheidend in den Vordergrund tritt. Bei einer so verstandenen Vermögensverwaltung ist es indessen nicht ausgeschlossen, daß einzelne Maßnahmen Merkmale aufweisen, die auch bei einer gewerblichen Betätigung vorkommen. Ob und in welchem Umfange solche Maßnahmen für die Annahme einer Vermögensverwaltung unschädlich sind, wenn sie im Zusammenhang mit der Schaffung einer Dauerkapitalanlage bei bestimmendem Einfluß auf die Geschäftsführung einer Kapitalgesellschaft vorgenommen werden, ist bisher vom BFH nicht entschieden worden und muß einer abschließenden Beurteilung im Verfahren zur Hauptsache vorbehalten bleiben.
2. Zweifel ergeben sich zum anderen insoweit, als das FA die Steuerpflicht der Wertpapiergeschäfte des Antragstellers auf § 17 EStG gestützt hat. Das FA ist für eine Besteuerung unter diesem Gesichtspunkt davon ausgegangen, daß bei der Frage nach einer wesentlichen Beteiligung i. S. von § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG auch Anwartschaften in die Berechnung einzubeziehen und der Antragsteller unmittelbar oder mittelbar an der H-AG wesentlich beteiligt gewesen sei. Es kann im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung offenbleiben, ob diese Auffassung über dem Begriff der wesentlichen Beteiligung i. S. der vorgenannten Vorschrift zutreffend ist. Unsicher ist, ob die vom Antragsteller mit K über die von K selbst und von K für die F-GmbH erworbenen Aktien getroffenen Vereinbarungen wie bindendes Angebot zum Kauf von bereits erworbenen oder noch zu erwerbenden Aktien, Vorkaufsrecht des Antragstellers, Verpflichtung zur gemeinsamen Verfügung über die Aktien, Erteilung von Stimmrechtsvollmachten, Anwartschaftsrechte i. S. von § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG begründen. Die Rechtsprechung des BFH hat zu solchen Rechten bisher nur Bezugsrechte und Umwandlungsrechte gezählt (vgl. Urteile vom 28. Januar 1976 IV R 209/74, BFHE 118, 26, BStBl II 1976, 288; vom 20. Februar 1975 IV R 15/71, BFHE 115, 223, BStBl II 1975, 505). Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Aussichten auf eine Eigentumsübertragung an bereits bestehenden Gesellschaftsanteilen zu den Anwartschaftsrechten gehören, muß ebenfalls der Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache vorbehalten bleiben. Unsicherheiten ergeben sich schließlich hinsichtlich der vom FA vertretenen Auffassung über ein wirtschaftliches Eigentum des Antragstellers an Aktien der H-AG, nachdem nach den Feststellungen des FG der Sachverhalt keine Anhaltspunkte für dies begründende Tatsachen bietet.
III. Die Aussetzung der Vollziehung ist nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 4 FGO kann die Aussetzung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden, wenn andernfalls die Durchsetzung des Steueranspruchs im Falle eines Unterliegens des Steuerpflichtigen gefährdet oder erschwert erscheint (vgl. v. Wallis/List, a. a. O., Anm. 54 und 55 zu § 69 FGO, mit Nachweisen). Eine Gefährdung des Steueranspruchs ist u. a. angenommen worden, wenn die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen die alsbaldige Begleichung der Steuerschuld nach ihrer endgültigen gerichtlichen Feststellung fraglich erscheinen lassen muß (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 22. Juni 1967 I B 7/67, BFHE 89, 24, BStBl III 1967, 512). Allerdings muß auch die das Steueraufkommen sichernde Anordnung von Sicherheitsleistungen im finanzgerichtlichen Vollziehungsaussetzungsverfahren vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht sein (vgl. Beschluß des BVerFG vom 24. Oktober 1975 1 BvR 266/75, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 69, Rechtsspruch 171). Im vorliegenden Falle ist eine Gefährdung des Steueranspruchs i. S. dieser Grundsätze nicht gegeben.
Die vom FA nicht bestrittenen Angaben des Antragstellers über seine derzeitige Vermögens- und Liquiditätslage bieten keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte dafür, daß die umstrittenen Steuerschulden nach einer endgültigen Feststellung nicht alsbald entrichtet werden könnten. Trotz hoher Beleihung des Aktivvermögens reicht das verbleibende Reinvermögen rein rechnerisch aus, die streitige Steuerforderung abzudecken, selbst dann, wenn man einen gewissen Vermögensverlust bei einer zeitlich ungünstigen Wertpapierveräußerung in Betracht zieht. Daß der Antragsteller dazu "neigt, trotz seines fortgeschrittenen Lebensalters Vermögensumschichtungen und geschäftliche Transaktionen ggf. unter Einsatz sämtlicher Vermögenswerte vorzunehmen"- wie das FA vorbringt -, reicht selbst dann, wenn man sich einer solchen Beurteilung anschließen wollte, nicht aus, um eine Gefährdung anzunehmen. Das FA hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgebracht, daß der Antragsteller in absehbarer Zeit eine risikoreiche und sein Vermögen gefährdende Transaktion vornehmen würde. Es gibt auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, daß nach risikobehafteten aber erfolgreichen Geschäften in der Vergangenheit nur noch verlustbringende Geschäfte in der Zukunft möglich sind. Bei der Beurteilung der Frage einer Gefährdung der umstrittenen Steueransprüche muß der Hinweis des FA auf andere Steuerforderungen nach einer Betriebsprüfung unberücksichtigt bleiben, da bei der Unsubstantiiertheit dieses Hinweises keine hinreichend zuverlässigen Folgerungen möglich sind.
Fundstellen
Haufe-Index 72086 |
BStBl II 1977, 726 |
BFHE 1978, 516 |