Entscheidungsstichwort (Thema)
Divergenz, Verfahrensmangel; Nachweis des Zugangs eines Verwaltungsakts
Leitsatz (NV)
- Zu den Anforderungen an eine Divergenzrüge.
- Bestreitet der Adressat den Zugang eines schriftlichen Verwaltungsakts, obliegt der Behörde der volle Beweis über den Zugang. Dieser Beweis kann auf Indizien gestützt werden und im Wege der freien Beweiswürdigung geführt werden. Schenkt das FG dem gegenteiligen Vorbringen des Adressaten keinen Glauben, so kann allein darin ein Verfahrensmangel nicht liegen.
- Behauptet der Beschwerdeführer einen Verfahrensmangel, so muss er auch darlegen, dass das angefochtene Urteil auf diesem Mangel beruhen kann.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, Abs. 3 S. 3
Tatbestand
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Finanzgericht (FG) die Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) mit der Begründung abgewiesen, bereits die dieser Klage zugrunde liegende Anfechtungsklage auf Aufhebung der Anordnung der Zwangsversteigerung, welche der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt ―HZA―) mit Verfügung vom 23. Januar 1998 beim Amtsgericht (AG) ―Vollstreckungsgericht― nach § 322 der Abgabenordnung (AO 1977) beantragt hatte, habe keine Sachentscheidung eröffnet. Das FG war der Ansicht, das HZA habe mit seiner Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 1999 den Einspruch des Klägers vom 27. April 1999 zu Recht wegen Verfristung als unzulässig verworfen.
Den Einwand des Klägers, er habe den Anordnungsantrag nicht erhalten, hielt das FG für nicht glaubhaft. Dem Kläger sei ausweislich eines Abfertigungsvermerks des HZA eine Durchschrift des Anordnungsantrags mit einfachem Brief vom 10. Februar 1998 zugesandt worden. Er sei auch gegen die aufgrund des Anordnungsantrags des HZA vom AG mit Beschluss vom 3. Februar 1998 antragsgemäß verfügte Versteigerungsanordnung, in der ausdrücklich auf den Anordnungsantrag des HZA Bezug genommen worden sei, mit Rechtsmitteln erfolglos vorgegangen (Zurückweisung der Erinnerung durch Beschluss des AG vom 24. März 1998 und der sofortigen Beschwerde durch Beschluss des Landgerichts vom 20. Juli 1998). Dem vom HZA in den Rechtsstreit eingeführten Schreiben des Rechtsanwalts X vom 23. Juni 1999 sei ferner zu entnehmen, dass der Kläger ein notorischer Querulant sei, zu dessen ständigem modus operandi auch gehöre, Zustellungen abzustreiten.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, die er auf Divergenz und Verfahrensmängel stützt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Bei einer auf Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) gestützten Nichtzulassungsbeschwerde muss unter genauer Bezeichnung der Divergenzentscheidung(en) des Bundesfinanzhofs (BFH) bzw. des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) kenntlich gemacht werden, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Abweichung vorliegt. Der Beschwerdeführer muss dartun, dass das vorinstanzliche Gericht seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit der näher angeführten Rechtsprechung des BFH bzw. des BVerfG nicht übereinstimmt. Hierzu müssen in der Beschwerdebegründung abstrakte Rechtssätze des angefochtenen Urteils und der mutmaßlichen Divergenzentscheidung(en) herausgearbeitet und gegenübergestellt werden, so dass eine Abweichung erkennbar wird. Es muss sich jeweils um die Entscheidung tragende Rechtssätze handeln (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. die BFH-Beschlüsse vom 23. April 1992 VIII B 49/90, BFHE 167, 488, BStBl II 1992, 671, 672, und vom 7. Dezember 1994 II B 179/93, BFH/NV 1995, 695, jeweils m.w.N.).
Im Streitfall ist schon nicht erkennbar, inwiefern die vom Kläger in seiner Beschwerdeschrift in Kursivdruck hervorgehobenen Sätze aus dem angefochtenen Urteil in Widerspruch zu vom Kläger gar nicht bezeichneten Rechtssätzen aus den beiden angeführten BFH-Urteilen vom 8. Dezember 1976 I R 240/74 (BFHE 121, 142, BStBl II 1977, 321) und vom 12. August 1981 I R 140/78 (BFHE 134, 213, BStBl II 1982, 102) stehen könnten.
Im Grunde will der Kläger mit der Behauptung der Divergenz auch nur vorbringen, das FG habe die Darlegungs- und Beweislast für den Nachweis des Zugangs von Verwaltungsakten verkannt. Doch auch hierfür sieht der Senat keine Anhaltspunkte in dem angefochtenen Urteil. Nach § 122 Abs. 2 AO 1977 hat die Behörde bei schriftlichen Verwaltungsakten, die durch die Post übermittelt werden, im Zweifel den Zugang nachzuweisen. Bestreitet der Adressat wie im Streitfall, dass das Schriftstück überhaupt zugegangen ist, obliegt der Behörde der volle Beweis über den Zugang. Dieser Beweis kann auf Indizien gestützt und im Wege der freien Beweiswürdigung geführt werden (BFH-Urteil vom 15. September 1994 XI R 31/94, BFHE 175, 327, BStBl II 1995, 41). Das FG sah in seinem Urteil diesen Beweis durch das HZA als geführt an. Denn als Indiz für den Zugang des Antrags des HZA auf Anordnung der Zwangsversteigerung hat das FG, was der Kläger bei seinem Divergenzzitat verschweigt, ausdrücklich hervorgehoben, dass der Kläger mit Gewissheit Kenntnis von dem Anordnungsantrag hatte und gegen die auf der Grundlage dieses Antrags ergangene Versteigerungsanordnung des AG auch den Rechtsweg ausgeschöpft hat. Dem Kläger hingegen hat das FG keinen Glauben geschenkt. Dies ist als Ausfluss der freien Beweiswürdigung durch das FG nicht zu beanstanden. Ein Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), wie der Kläger meint, liegt darin nicht. Auch ist in dem angefochtenen Urteil von einem Anscheinsbeweis nicht die Rede.
2. Soweit mit der Beschwerde weitere Verfahrensfehler durch das FG gerügt werden, fehlt es an der hinreichenden Bezeichnung derselben (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).
a) Der Kläger ist der Auffassung, das FG habe das Schreiben des Rechtsanwalts X vom 23. Juni 1999 nicht verwerten dürfen, weil dieses Schreiben per se einen Verstoß gegen die anwaltliche Schweigepflicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 des Strafgesetzbuches (StGB) darstelle und wohl auch § 356 StGB (Parteiverrat) verletzt sei. Er hat es aber versäumt darzulegen, dass das angefochtene Urteil auch auf diesem behaupteten Mangel beruhen kann (s. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Für Ausführungen hierzu hätte gerade deshalb Anlass bestanden, weil nicht klar ist, welche Funktion der zitierte Auszug aus diesem Schreiben für die vom FG gegebene Urteilsbegründung hat. Nach Auffassung des Senats ist die beanstandete Passage für das Urteil des FG nicht tragend, sondern hat nur erläuternden und veranschaulichenden Charakter. Hierfür spricht insbesondere der Übergang ("Das gleiche" ―nämlich das Abstreiten der Zustellung― "gilt auch für die der Fortsetzungsfeststellungsklage zugrundeliegenden Klage …") zur eigentlichen Begründung des Urteils durch das FG.
b) Unschlüssig ist schließlich auch die vom Kläger vorgetragene Gehörsrüge. Er trägt dazu vor, in der Verwertung des genannten Schreibens des Rechtsanwalts X durch das FG liege eine für ihn nicht vorhersehbare Überraschungsentscheidung. Auch hier fehlt es an der Darlegung, dass das FG dieses Schreiben in seinem Urteil überhaupt als tragenden Entscheidungsgrund verwertet hat, denn nur dann könnte eine Verletzung des Rechts auf Gehör überhaupt in Betracht kommen. Im Übrigen hatte das HZA dieses Schreiben in seinem Schriftsatz vom 15. Oktober 1999 ordnungsgemäß in den Prozess eingeführt. Der Kläger hatte davon Kenntnis, denn er hat in seinem Schriftsatz vom 10. Dezember 1999 der Verwertung widersprochen. Hätte das FG das Schreiben überhaupt tragend verwertet, könnte dann jedenfalls von einer Überraschungsentscheidung, wie der Kläger meint, keine Rede sein.
3. Im Übrigen ergeht dieser Beschluss nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.
Fundstellen
Haufe-Index 447272 |
BFH/NV 2001, 145 |