Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung Steuerliche Förderungsgesetze
Leitsatz (amtlich)
Bei Ermessensentscheidungen, die auf Bestimmungen einer Verwaltungsanordnung gestützt sind, müssen die Steuergerichte zunächst prüfen, ob die in der Verwaltungsanordnung getroffene Regelung sich innerhalb der Grenzen hält, die das Gesetz der Ausübung des Ermessens zieht. Bei Bejahung dieser Frage ist zu prüfen, ob die Verwaltungsbehörde bei ihrer Entscheidung die Bestimmungen der Verwaltungsanordnung richtig angewandt hat.
Die in der VAO zu § 131 LAG für die Prüfung der Erlaßanträge nichtbuchführender Landwirte ergangenen Anordnungen überschreiten grundsätzlich nicht die Grenzen, die das Gesetz der Ausübung des Ermessens zieht.
Wenn der Abgabeschuldner im Erlaßzeitraume gezwungen war, von der Substanz zu leben, insbesondere in größerem Umfange Vermögen zu veräußern, wird in der Regel die Entscheidung über die Zulässigkeit des Erlasses aus besonderen Gründen nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Schuldenentwicklung getroffen werden dürfen.
Normenkette
AO § 297 Abs. 1; FGO § 102; LAG § 131 Abs. 1; VAO-LAG131 44; VAO-LAG131 45
Tatbestand
Der Bf. beantragte wegen wirtschaftlicher Bedrängnis den Erlaß seiner Leistungen auf die Hypothekengewinnabgabe für die Jahre 1953 bis 1955. Finanzamt und Oberfinanzdirektion lehnten den Erlaß unter Hinweis auf die Tz. 44 bis 45 der Verwaltungsordnung zu § 131 des Lastenausgleichsgesetzes (Erlaß der Leistungen auf die Hypothekengewinnabgabe wegen wirtschaftlicher Bedrängnis) vom 10. Juli 1956 - VAO zu § 131 LAG - (BStBl 1956 I S. 347) mit der Begründung ab, ein Erlaß sei bei nichtbuchführenden Landwirten grundsätzlich zu versagen, wenn sich im Erlaßzeitraume die Schulden des Betriebes nicht vermehrt hätten.
Die Berufung blieb ohne Erfolg. Mit der Rb. bringt der Bf. vor, die VAO zu § 131 LAG verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, soweit sie für die nichtbuchführenden Landwirte die Zulässigkeit eines Erlasses anders regele als für die buchführenden Landwirte. Jedenfalls habe die Oberfinanzdirektion die Verwaltungsanordnung fehlerhaft angewandt. Nach Tz. 45 Abs. 2 VAO zu § 131 LAG müsse bei der Prüfung des Erlaßantrages der Gewinn des landwirtschaftlichen Betriebes individuell ermittelt werden, wenn aus besonderen Gründen über die Zulässigkeit des Erlasses nicht unter dem Gesichtspunkt der Schuldenentwicklung entschieden werden könne. Um einen solchen Fall handle es sich bei ihm. Er sei wegen der Lage, der Größe und der Bodenbeschaffenheit seines Betriebes gar nicht in der Lage gewesen, Schulden aufzunehmen, sondern habe von seinem Vermögen zehren müssen. Es müsse deshalb in seinem Falle ein Vermögensvergleich durchgeführt werden. Er habe einen solchen Vermögensvergleich erstellt und beantrage, diesen der Erlaßentscheidung zugrunde zu legen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist unbegründet.
Fällige Leistungen auf die Hypothekengewinnabgabe können bei wirtschaftlicher Bedrängnis insoweit erlassen werden, daß dem Abgabepflichtigen der für eine bescheidene Lebensführung unerläßliche Betrag verbleibt (ß 131 Abs. 1 Satz 1 LAG). Das Nähere bestimmt nach § 131 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LAG der Bundesminister der Finanzen. In der VAO zu § 131 LAG wurden diese Bestimmungen für den Erlaßzeitraum 1953 - 1955 erlassen.
Der Bundesminister der Finanzen hat in der VAO zu § 131 LAG folgende für den vorliegenden Fall in Betracht kommende Regelung getroffen: Abgabeleistungen seien nur in der Höhe aufrechtzuerhalten, in der über die Lebenshaltungskosten (das sind die für eine bescheidene Lebensführung unerläßlichen Mittel) hinaus verfügbare Mittel vorhanden seien. Soweit die Abgabeleistungen hiernach nicht aufgebracht werden könnten, seien sie zu erlassen (vgl. Tz. 21 VAO zu § 131 LAG). Bei der Ermittlung der verfügbaren Mittel seien grundsätzlich die Einkünfte aus den einzelnen Einkunftsarten des EStG zusammenzurechnen (vgl. Tz. 39 VAO zu § 131 LAG). Dabei könnten bei der Ermittlung des Gewinnes aus Land- und Forstwirtschaft bei den nichtbuchführenden Landwirten die in der Verordnung über die Aufstellung von Durchschnittsätzen für die Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft vom 2. Juni 1949 (VOL) aufgestellten Durchschnittsätze nicht angewendet werden (vgl. Tz. 44 Abs. 1 Satz 1 VAO zu § 131 LAG). Eine besondere Gewinnschätzung bei nichtbuchführenden Landwirten könne aber vielfach dadurch vermieden werden, daß man die Vermögensentwicklung betrachte. Falls die Verschuldung des Antragstellers während des Erlaßzeitraumes nicht zugenommen habe, könne im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß der aus dem Betriebe gezogene Gewinn (allein oder zusammen mit sonstigen Einkünften des Betriebsinhabers, Geldzuflüssen usw.) zur Bestreitung des Lebensunterhaltes noch bei voller Entrichtung der Hypothekengewinnabgabe in der gleichen Weise ausreichend gewesen sei, wie er früher zur Bedienung der noch nicht im Verhältnis 10 : 1 umgestellten Verbindlichkeiten ausgereicht habe. Dann würde es an der Grundvoraussetzung für einen Billigkeitserlaß nach Tz. 21 von vornherein fehlen (vgl. Tz. 45 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 VAO zu § 131 LAG). In den Fällen, in denen die Entscheidung über die Zulässigkeit des Erlasses nicht unter dem Gesichtspunkte der Schuldenentwicklung getroffen werden könne, müsse der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaften individuell abweichend von der VOL geschätzt werden (vgl. Tz. 45 Abs. 2 VAO zu § 131 LAG).
Die Gewährung oder Ablehnung eines Erlasses wegen wirtschaftlicher Bedrängnis nach § 131 LAG ist eine Ermessensentscheidung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 320/57 U vom 17. Januar 1958, BStBl 1958 III S. 114, Slg. Bd. 66 S. 294), die von den Steuergerichten nur daraufhin zu überprüfen ist, ob eine Ermessensüberschreitung vorliegt (ß 297 Abs. 1 AO). An die in der VAO zu § 131 LAG getroffene Regelung sind die Steuergerichte nicht gebunden. Diese Verwaltungsanordnung enthält keine Rechtsnormen, sondern vom Bundesminister der Finanzen den nachgeordneten Finanzbehörden gegebene Richtlinien für die Ausübung des Ermessens (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 357/59 U vom 24. Februar 1961, BStBl 1961 III S. 214, Slg. Bd. 72 S. 586). Die Steuergerichte haben bei Erlaßentscheidungen, die auf die Richtlinien gestützt sind, zu prüfen, ob die in diesen getroffene Regelung sich innerhalb der Grenzen hält, die das Gesetz der Ausübung des Ermessens gezogen hat. Wenn sich ergibt, daß die Regelung diese Grenzen nicht überschreitet, ist zu prüfen, ob die Oberfinanzdirektion ihr Ermessen in übereinstimmung mit den Bestimmungen der VAO zu § 131 LAG ohne Ermessensverstoß ausgeübt hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 215/60 vom 14. April 1961, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Lastenausgleichsgesetz, § 131, Rechtsspruch 4).
Die vom Bf. gegen die für die nichtbuchführenden Landwirte in der Verwaltungsanordnung getroffene Regelung geäußerten Bedenken sind nicht begründet. Die Verwaltungsanordnung hält sich bei dieser Regelung innerhalb der Grenzen, die das Gesetz dem Ermessen gezogen hat. Es entspricht dem Gesetz, wenn der Bundesminister der Finanzen das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Erlaß verneint, wenn die Einkünfte im Sinne der Einkunftsarten des EStG die Lebenshaltungskosten soweit übersteigen, daß die Abgabeleistungen erbracht werden können. Für die nichtbuchführenden Landwirte hat der Bundesminister der Finanzen allerdings angeordnet, daß für die Ermittlung des Gewinnes aus Land- und Forstwirtschaft bei den nichtbuchführenden Betrieben die Durchschnittsätze der VOL nicht angewendet werden könnten. Diese Regelung beruht auf dem Gedanken, daß der nach der Verwaltungsanordnung aus dem Einheitswert eines landwirtschaftlichen Betriebes abgeleitete Gewinn grundsätzlich zu niedrig und deshalb für das Erlaßverfahren ungeeignet ist. Denn jeder Unterschiedsbetrag gegenüber den in Wahrheit erzielten Einkünften wirkt sich in gleicher Höhe auf den zu erlassenden Betrag aus (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 120/53 U vom 29. April 1955, BStBl 1955 III S. 202, Slg. Bd. 61 S. 12). Die Anordnung des Bundesministers der Finanzen, bei der Prüfung der wirtschaftlichen Bedrängnis im Sinne des § 131 LAG die Gewinne der nichtbuchführenden Landwirte nicht nach der VOL zu errechnen, dient daher der Herbeiführung einer gleichmäßigen Behandlung der Erlaßanträge und ist nicht zu beanstanden. Der Bf. hat in der Rb. insoweit Bedenken gegen die Verwaltungsanordnung auch nicht mehr erhoben.
Er glaubt jedoch, es verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn der Bundesminister der Finanzen als Folge der Nichtanwendung der Gewinnermittlung nach der VOL nicht eine Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich anordne, wie sie bei den buchführenden Betrieben stattfinde, sondern es für die Beurteilung der Erlaßanträge in erster Linie auf die Vermögensentwicklung, besonders auf die Zunahme der Verschuldung abstellt. Diese Auffassung ist nicht richtig. Die Ermittlung des tatsächlich erzielten Gewinnes bei nichtbuchführenden Landwirten durch Vermögensvergleich begegnet wegen des Fehlens jeglicher Aufzeichnungen, insbesondere auch hinsichtlich der Entnahmen, erheblichen Schwierigkeiten. Gerade wegen dieser Schwierigkeiten wurde für die Zwecke der Einkommenbesteuerung die Gewinnermittlung nach den Richtsätzen der VOL eingeführt (vgl. Runderlaß des Reichsministers der Finanzen vom 31. Dezember 1936 - S 2142 - 85 III - RStBl 1937 S. 35). Der Bundesminister der Finanzen hat in den Tz. 44 Abs. 2 und 45 Abs. 1 VAO zu § 131 LAG auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich vor allem einer Gewinnermittlung bei nichtbuchführenden Landwirten für die Zwecke des Erlasses nach § 131 LAG entgegenstellen. Wegen dieser Schwierigkeiten beruht auch der vom Bf. durchgeführte Vermögensvergleich weitgehend auf Schätzungen. Der Bundesminister der Finanzen handelte angesichts dieser Schwierigkeiten nicht ermessensmißbräuchlich, wenn er bei nichtbuchführenden Landwirten als Maßstab für die Prüfung der wirtschaftlichen Bedrängnis die einfach zu beurteilende Entwicklung der Verschuldung des Betriebes in den Vordergrund rückte. Dies ist durch die Erfahrung gerechtfertigt, daß ein Betrieb, der Jahre hindurch sowohl die zu ihm gehörigen Personen ernährt als auch die zur Bedienung der Zins- und Tilgungsverpflichtungen notwendigen Geldmittel abgeworfen hat, auch weiterhin dazu in der Lage sein wird, es sei denn, daß sich in seiner Vermögenslage eine ungünstige Entwicklung, also eine Vermehrung der Schulden abzeichnet. Die unterschiedliche Behandlung von buchführenden und nichtbuchführenden Landwirten ist daher sachlich gerechtfertigt. Der Grundsatz der Gleichbehandlung, der nur eine ohne ausreichenden sachlichen Grund erfolgende unterschiedliche Behandlung von gleichgelagerten Tatbeständen verbietet, ist nicht verletzt.
Die Anordnung des Bundesministers der Finanzen, eine wirtschaftliche Bedrängnis sei in der Regel zu verneinen, wenn während des Erlaßzeitraumes die Verschuldung des Betriebes nicht zugenommen habe, wird in der Mehrzahl der Fälle zu einer richtigen Beurteilung der Frage führen, ob dem Abgabepflichtigen bei Bedienung der Abgabeschulden der für eine bescheidene Lebensführung unerläßliche Betrag verbleibt; denn gerade bei landwirtschaftlichen Betrieben, deren Bestand sich in der Regel nicht wesentlich ändert, ist die Schuldenentwicklung ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Beurteilung der während eines bestimmten Zeitraumes erfolgten Veränderung der wirtschaftlichen Lage. Die Anordnung des Bundesministers der Finanzen kann daher auch der Sache nach nicht beanstandet werden, zumal für die Fälle, in denen die Entscheidung über die Zulässigkeit des Erlasses aus besonderen Gründen nicht unter dem Gesichtspunkte der Schuldenentwicklung getroffen werden kann, eine individuelle Gewinnermittlung vorgeschrieben wurde.
Eine andere Frage ist, ob die Oberfinanzdirektion diese Grundsätze der VAO zu § 131 LAG richtig angewendet hat und sich ihre Entscheidung deshalb im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens hält. Der Bf. macht geltend, in seinem Falle hätten besondere Gründe zu einer individuellen Gewinnermittlung führen müssen; er trägt dazu vor: Die Fluren seines Betriebes würden zum größten Teil regelmäßig überschwemmt. Im Jahre 1954 habe er ein Sommerhochwasser über sich ergehen lassen müssen, wie es seitdem bis heute noch nicht wieder vorgekommen sei. Bei dieser Lage des Betriebes, der Betriebsgröße (rund 11 ha) und bei den geringwertigen Böden sei er nicht in der Lage gewesen, Schulden aufzunehmen, und habe ständig von seinem Vermögen zehren müssen.
Die ungünstige wirtschaftliche Lage eines Betriebes rechtfertigt einen Erlaß nach § 131 LAG erst dann, wenn die für eine bescheidene Lebensführung unerläßlichen Mittel nicht mehr verbleiben. Deshalb könnten die vom Bf. vorgetragenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten nur dann als besondere Gründe im Sinne der Tz. 45 Abs. 2 VAO zu § 131 LAG gelten, wenn sie den Schluß zuließen, daß in dem Betriebe des Bf. trotz der nicht vorliegenden Schuldenmehrung die für eine bescheidene Lebensführung notwendigen Mittel aus den Einkünften nicht aufgebracht werden könnten. Dies wäre, wie dem Bf. zuzugeben ist, dann der Fall, wenn er infolge seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht mehr in der Lage gewesen wäre, Schulden aufzunehmen, und von seinem Vermögen hätte zehren müssen. Die Tatsache, daß sich innerhalb eines bestimmten Zeitraumes die Verschuldung eines Betriebes nicht vergrößert hat, kann dann für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage nicht mehr maßgeblich sein, wenn im gleichen Zeitraume erhebliche Eingriffe in die Substanz des Betriebes vorgenommen werden mußten. Solche Verhältnisse liegen aber beim Bf. nicht vor. Daß der Bf. genötigt gewesen wäre, Vermögensgegenstände zu veräußern, wurde nicht vorgetragen und ist auch aus seinem Vermögensvergleich nicht ersichtlich. Von seinem Vermögen hat er allenfalls insoweit gezehrt, als er es unterlassen hat, die durch die Abnutzung des Betriebes erforderlich werdenden Erhaltungsmaßnahmen durchzuführen. Andererseits hat der Bf. nach seinem Vermögensvergleich im Erlaßzeitraume aus den Erträgen des Betriebes einen behelfsmäßigen Schweinestall für 1.500 DM errichtet. Bei dieser Sachlage kann nicht davon gesprochen werden, daß wegen erheblicher Substanzminderung des Betriebes bei Prüfung der Erlaßvoraussetzungen nicht auf die Schuldenentwicklung abgestellt werden könne.
Im übrigen wird darauf hingewiesen, daß der Bf. erst im Rechtsbeschwerdeverfahren die Berücksichtigung von Hochwasserschäden begehrt hat. Bei der Prüfung, ob eine Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörden die Grenzen des durch das Gesetz eingeräumten Ermessens überschreitet, kann der Bundesfinanzhof jedoch nur Umstände berücksichtigen, die den Verwaltungsbehörden vor ihrer Entscheidung vorgetragen worden oder ihnen auf andere Weise bekannt geworden sind.
Da sonstige Umstände, die für die Zwecke des Erlasses eine individuelle Gewinnermittlung erfordert hätten, nicht ersichtlich sind, erfolgte die Ablehnung des Erlasses zu Recht.
Fundstellen
Haufe-Index 410749 |
BStBl III 1963, 242 |
BFHE 1963, 663 |
BFHE 76, 352 |