Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme eines Einspruchs
Leitsatz (NV)
Die Rücknahme eines Einspruchs ist anzunehmen, wenn die schriftliche Erklärung des Steuerpflichtigen gegenüber dem FA mit hinreichender Deutlichkeit darauf schließen läßt, daß er das Rechtsbehelfsverfahren nicht weiter verfolgen wolle.
Die Unwirksamkeit der Rücknahme des Rechtsbehelfs kommt nur in krassen Fällen unzulässiger Einwirkung auf die Willensbildung des Steuerpflichtigen in Betracht.
Normenkette
AO 1977 § 362
Gründe
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war für Bauherren mit der Errichtung des im Bauherrenmodell hergestellten Kurcenters P tätig. Über das Vermögen ihres persönlich haftenden Gesellschafters - der B-GmbH (im folgenden GmbH) - wurde 1977 das Konkursverfahren eröffnet und 1978 mangels Masse eingestellt, die Klägerin wurde gemäß § 161 Abs. 2, § 131 Nr. 5 des Handelsgesetzbuches - HGB - aufgelöst.
Der einzige Kommanditist der Klägerin - zugleich der einzige Gesellschafter der GmbH -, der Kaufmann C (im folgenden Geschäftsführer), wurde zum Liquidator der GmbH bestellt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) nahm an, daß zwischen der Klägerin und ihrem auch als Einzelunternehmer tätigen Geschäftsführer Unternehmereinheit bestehe. Das FA besteuerte die Umsätze der Klägerin für 1970 bis 1972 in Umsatzsteuerbescheiden gegen die Unternehmereinheit C. Nach Aufgabe der Rechtsfigur der Unternehmereinheit durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) besteuerte das FA die Umsätze der Klägerin in den gegen sie gerichteten angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden für 1970 bis 1973 vom 4. Juli 1979. Dagegen erhob die Klägerin am 30. Juli 1979 Einspruch. Das FA meinte, die Klägerin habe den Einspruch am 24. April 1980 zurückgenommen. Die gegen diese Auffassung erhobenen Einwendungen der Klägerin wurden in der Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 1982 verworfen. Mit der Klage begehrte die Klägerin, die Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 1982 aufzuheben.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung der Klageabweisung aus, die Klägerin habe den Einspruch wirksam am 24. April 1980 zurückgenommen. Der Geschäftsführer der Klägerin habe - wie die Beweisaufnahme ergeben habe - am 24. April 1980 eindeutig erklärt, er nehme den Einspruch gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1970 bis 1973 zurück. Diese Schlußfolgerung zog das FG u. a. aufgrund einer von dem Geschäftsführer und dem Steuerbeamten A unterschriebenen Niederschrift über Verhandlungen am 24. April 1980 mit folgendem Wortlaut (Nr. 4 der Niederschrift):
,,Soweit es sich bei den in der Anlage 1 zur Niederschrift vom 15. 02. 1980 enthaltenen Rechtsbehelfen um Einsprüche handelt, nehme ich diese hiermit vorbehaltlos zurück.
Es sind dies die lfd. Nr`n:
13, 21-26, 30."
Als Nr. 30 war in der Anlage 1 zur Niederschrift vom 15. Februar 1980 der Einspruch der Klägerin vom 30. Juli 1979 gegen die Umsatzsteuerbescheide 1970 bis 1973 eingetragen worden.
Das FG begründete die Annahme einer Einspruchsrücknahme damit, daß es keine zureichenden Anhaltspunkte dafür gebe, daß der Geschäftsführer der Klägerin einen anderen Text als den vorliegenden unterzeichnet habe. Die Erklärung mit der Verweisung auf die Nr. 30 der Anlage 1 zur Niederschrift vom 15. Februar 1980 sei für das FA, an das sie gerichtet gewesen sei, eindeutig gewesen. Auch wenn die Verhandlungspartner am 24. April 1980 die Erklärung, die der Geschäftsführer der Klägerin abgegeben habe, nicht noch einmal durchgesprochen hätten, bleibe ihr Inhalt durch den geschriebenen Text bestimmt. Ein erfahrener Kaufmann wie der Geschäftsführer der Klägerin, der eine Erklärung gerade wegen ihrer Bedeutung schriftlich abgebe, könne sich später davon nicht mit der Bemerkung distanzieren, er habe sich mit ihrem Inhalt im einzelnen nicht beschäftigt. Auf einen Irrtum ihres Vertreters könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen, weil die Einspruchsrücknahme nicht wegen Irrtums anfechtbar sei.
Die Rücknahmeerklärung des Geschäftsführers der Klägerin sei, so führte das FG weiter aus, auch wirksam. Es sei nicht feststellbar gewesen, daß der Geschäftsführer der Klägerin - wie behauptet - von dem FA durch Täuschung oder Drohung veranlaßt worden wäre, etwas zu erklären, was er nicht habe erklären wollen.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 362 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie Verletzung der Amtsaufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Sie beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben.
Das FA hält die Revision für unbegründet.1. Die Revision ist unbegründet. Sie war zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
a) Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen der mangelnden Sachverhaltsaufklärung (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) sind unzulässig (vgl. zur Zulässigkeit BFH-Urteil vom 5. November 1968 II R 118/67, BFHE 94, 116, BStBl II 1969, 84), weil die Klägerin die Tatsachen nicht bezeichnet hat, die den jeweiligen Mangel ergeben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Nur die in dieser Weise gerügten Mängel darf das Revisionsgericht prüfen (§ 118 Abs. 3 Satz 1 FGO; vgl. § 559 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
Die Klägerin sieht die erwähnten Verfahrensmängel darin, daß das FG die Frage an den als Zeugen vernommenen Finanzbeamten A nicht zugelassen habe, ob die Nr. 30 der Anlage 1 zur Niederschrift vom 15. Februar 1980 Gegenstand der Verhandlung am 24. April 1980 gewesen sei. Die Rüge, das FG habe die Sachverhaltsaufklärungspflicht damit verletzt, weil es einen Beweis nicht erschöpfend erhoben habe, erfordert aber die substantiierte Darlegung, welches Ergebnis die Vernehmung des Zeugen über die beanstandete Frage gehabt hätte und weshalb das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensfehler beruhen könne (BFH-Urteile vom 14. Januar 1981 I R 133/79, BFHE 132, 508, BStBl II 1981, 443; vom 8. November 1973 V R 130/69, BFHE 110, 493, BStBl II 1974, 219). Dazu hat die Klägerin jedoch nichts vorgetragen.
Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist ebenfalls nicht ordnungsgemäß erhoben worden, weil die Klägerin nicht dargelegt hat, was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (vgl. dazu BFH-Urteil vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355).
b) Auch die materiell-rechtlichen Rügen verhelfen der Revision der Klägerin nicht zum Erfolg. Das FG hat die auf Aufhebung der Einspruchsentscheidung des FA vom 15. Februar 1982 gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Es hat zutreffend angenommen, daß die Klägerin ihren Einspruch wirksam zurückgenommen hatte.
Nach § 362 Abs. 1 AO 1977 kann der Rechtsbehelf bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Rechtsbehelf zurückgenommen werden. § 362 Abs. 2 AO 1977 geht davon aus, daß mit der Rücknahme der Verlust des Rechtsbehelfs eintritt (§ 362 Abs. 2 Satz 1 AO 1977), daß aber die Unwirksamkeit der Rücknahme geltend gemacht werden kann (§ 362 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Die Rücknahme eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs muß schriftlich oder zur Niederschrift erklärt werden (§ 362 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 357 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). Es kommt nicht darauf an, daß die Erklärung ausdrücklich als Rücknahme bezeichnet wird (§ 362 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 357 Abs. 1 Satz 4 AO 1977).
Maßgebend ist, daß die Erklärung nach Auslegung gemäß den entsprechend anwendbaren §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juli 1986 IX R 123/82, BFH/NV 1987, 359) mit hinreichender Deutlichkeit darauf schließen läßt, daß das Rechtsbehelfsverfahren nicht weiterverfolgt werden solle (BFH-Urteil vom 26. Februar 1986 II R 231/83, BFH/NV 1987, 344).
Eine so erklärte Rücknahme ist nach der Rechtsprechung des BFH unwirksam, wenn sie durch bewußte Täuschung, Drohung, bewußt falsche Auskunft oder mittels rechtlich offensichtlich unzutreffender Erwägungen - insbesondere gegenüber rechtsunkundigen Steuerpflichtigen - veranlaßt worden war (Urteile vom 17. August 1961 IV 176/59 S, BFHE 74, 284, BStBl III 1962, 107; vom 13. Mai 1959 IV 159/58 U, BFHE 69, 88, BStBl III 1959, 294). Diese Grundsätze hat die Rechtsprechung so verstanden, daß die Unwirksamkeit der Rücknahme eines Rechtsbehelfs nur in krassen Fällen unzulässiger Einwirkung auf die Willensbildung des Steuerpflichtigen geltend gemacht werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 15. Februar 1977 VII R 42/74; BFHE 121, 385, BStBl II 1977, 434; Beschluß vom 19. Januar 1972 II B 26/69, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352).
Das FG hat in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen zutreffend entschieden, daß die Klägerin durch ihren Geschäftsführer eine Rücknahme des Einspruchs vom 30. Juli 1979 gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1970 bis 1973 vom 4. Juli 1979 erklärt hat und daß ein Grund, der die nachträgliche Geltendmachung der Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung rechtfertigen könnte, nicht vorhanden ist.
Die Rücknahmeerklärung hat das FG der von dem Geschäftsführer der Klägerin unterschriebenen Niederschrift über die Verhandlung vom 24. April 1979 entnommen. Die Überprüfung von Inhalt und Bedeutung dieser Erklärung, zu der der Senat berechtigt und verpflichtet ist (vgl. BFH in BFH/NV 1987, 359), führt zu keiner von der Vorentscheidung abweichenden Beurteilung. Dabei hat der Senat die ihn bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) zu beachten.
Das FG hat festgestellt, daß die von dem Geschäftsführer unterschriebene Niederschrift über die Verhandlung vom 24. April 1980 nicht nachträglich inhaltlich verändert worden ist und daß sich unter den als vorbehaltlos zurückgenommenen Einsprüchen auch der Einspruch gegen die Umsatzsteuerbescheide 1970 bis 1973 gegen die Klägerin (bezeichnet als Nr. 30 in der Anlage 1 zur Niederschrift über die Verhandlung vom 15. Februar 1980) befand. Das FG hat weiter festgestellt, daß dem Geschäftsführer der Klägerin bekannt war, daß die Anlage 1 zur Niederschrift über die Verhandlung vom 15. Februar 1980 um diesen Einspruch erweitert worden war. Das FA hatte dies dem seinerzeit von ihr bevollmächtigten Steuerberater Dr. K in einem Schreiben vom 26. März 1980 ausdrücklich mitgeteilt. Dem Geschäftsführer der Klägerin war dieses Schreiben nach den Feststellungen des FG bekannt. Danach umfaßt die von dem Geschäftsführer für die Klägerin in der von ihm unterschriebenen Niederschrift über die Verhandlung vom 24. April 1980 zu Punkt 4 abgegebene Erklärung auch die Rücknahme der Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide 1970 bis 1973.
Für das FA war die Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin über die Rücknahme von eindeutig bezeichneten Einsprüchen, zu denen auch der Einspruch gegen die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 1970 bis 1973 gehörte, wie das FG mit Recht ausgeführt hat, unmißverständlich.
Die Einwendungen der Klägerin, daß die rechtlichen Schlußfolgerungen des FG auf die Rücknahme des Einspruchs gegen die Umsatzsteuerbescheide 1970 bis 1972 (§ 362 Abs. 2 AO 1977) auf widersprüchlichen Tatsachenfeststellungen beruhten, sind unzutreffend.
Daß in der Verhandlung am 24. April 1980 nicht ausdrücklich über alle Einzelheiten und auch nicht über die Rücknahme des Einspruchs in der Streitsache gesprochen und daß der Niederschrift über die Verhandlungen vom 24. April 1980 die Anlage 1 zur Niederschrift über die Verhandlungen vom 15. Februar 1980 nicht beigefügt worden war, widerspricht den erwähnten anderen Feststellungen des FG nicht und steht auch den daraus gezogenen rechtlichen Schlußfolgerungen nicht entgegen. Diese von der Klägerin als widersprüchlich empfundenen Umstände sind unerheblich, weil den Beteiligten die Anlage 1 und ihre schriftliche Ergänzung durch das Schreiben des Finanzamts an den bevollmächtigten Steuerberater Dr. K vom 26. März 1980 vor Abgabe und Entgegennahme der Erklärungen des Geschäftsführers am 24. April 1980 vorgelegen hatte.
Die Einwendungen der Klägerin richten sich in erster Linie gegen die Würdigung der Tatsachen, die Grundlage für die rechtliche Schlußfolgerung des FG gewesen sind, es habe eine Rücknahmeerklärung vorgelegen. Auch insoweit gehen die Angriffe der Klägerin fehl, weil die Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse in sich widerspruchsfrei ist, keine Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt und an zutreffende Rechtsgrundsätze anknüpft. Das FG konnte aufgrund der Beweiserhebung und der Beweiswürdigung zu den getroffenen Feststellungen kommen. Daß es dazu kommen mußte, ist nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1985 III R 183/81, BFHE 146, 320, BStBl II 1986, 441).
Das gilt insbesondere für die Einwendungen der Klägerin gegen die Feststellung, daß ihr Geschäftsführer bei der Abgabe der Rücknahmeerklärung nicht getäuscht, bedroht oder einer anderen krassen unzulässigen Einwirkung auf seine Willensbildung ausgesetzt gewesen war. Dafür sind - wie das FG zu Recht angenommen hat - keine Hinweise vorhanden. Soweit die Klägerin aus einer Hirnverletzung ihres Geschäftsführers oder aus einer Verböserungsankündigung in einem Feststellungsverfahren Widersprüche zu Feststellungen des FG ableitet, geschieht dies auf Grund neuer, im Revisionsverfahren jedoch nicht zu beachtender Tatsachen.
Fundstellen