Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung bei der Artfeststellung i.S.d. § 19 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b BewG 1965
Leitsatz (NV)
Die (Art-)Feststellung, daß ein Grundstück des Klägers ein Betriebsgrundstück sei und zu dem Betrieb der Ehefrau des Klägers gehöre (§ 19 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b BewG), berührt auch die steuerlichen Interessen der Ehefrau; denn diese Feststellung ist Grundlagenbescheid für den Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens der Ehefrau. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieses Artfeststellungsbescheids kann folglich gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau nur einheitlich getroffen werden. Deshalb ist die Ehefrau des Klägers zu dem Klageverfahren grundsätzlich notwendig beizuladen. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn die Klage offensichtlich unzulässig ist.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer des Grundstücks X. Das Grundstück wird seit spätestens 1977 von seiner Ehefrau überwiegend zu betrieblichen Zwecken (Möbelhandel) genutzt.
Der Einheitswertbescheid für das streitbefangene Grundstück auf den 1. Januar 1977 enthält zwar die Feststellung, daß es sich um ein Betriebsgrundstück handele, nicht aber den Zusatz, zu welchem gewerblichen Betrieb es gehöre. Der Einheitswert für das genannte Grundstück ist auf den 1. Januar 1979 und auf den 1. Januar 1980 fortgeschrieben worden.
Bei der Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens der Ehefrau des Klägers auf den 1. Januar 1980 (Hauptfeststellung) vom 24. März 1981 und auf den 1. Januar 1981 (Wertfortschreibung) vom 27. Januar 1983 ist das Grundstück versehentlich ebensowenig erfaßt worden wie bei der Vermögensteuerveranlagung des Klägers und seiner Ehefrau.
Nach Entdeckung dieses Fehlers erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im Dezember 1987 sowohl gegen den Kläger als auch gegen dessen Ehefrau je einen Ergänzungsbescheid auf den 1. Januar 1980 zur Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1980 mit folgendem Inhalt:
Das Grundstück ist ein Betriebsgrundstück und gehört zum gewerblichen Betrieb der ... (Ehefrau) Möbelhaus.
Eine Bindungswirkung ergibt sich für die Folgesteuern nur insoweit, als die Folgesteuern noch nicht verjährt sind (§ 181 Abs. 5 AO 1977).
Nach erfolglosem Einspruch begehrte der Kläger mit der Klage, den Ergänzungsbescheid aufzuheben, weil dieser rechtswidrig sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab, da der Kläger durch den angefochtenen Ergänzungsbescheid nicht beschwert sei. Durch diesen Bescheid sei das Grundstück gerade nicht dem Kläger, sondern dem gewerblichen Betrieb seiner Ehefrau zugerechnet worden. Hieraus könnten sich keine Belastungen, sondern nur Vorteile für den Kläger ergeben. Keinesfalls könne sich eine Belastung für den Kläger daraus ergeben, daß der Ergänzungsbescheid - möglicherweise zu Unrecht - erst auf den 1. Januar 1980 und nicht auf einen früheren Zeitpunkt ergangen sei. Eine Belastung folge auch nicht allein aus der Verletzung verfahrensrechtlicher Voschriften.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 40 Abs. 2 und 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO); denn das FG hätte die Ehefrau des Klägers gemäß § 60 Abs. 3 FGO zum Klageverfahren beiladen müssen.
a) Gemäß § 60 Abs. 3 FGO ist ein Dritter zum FG-Verfahren beizuladen, wenn er an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, daß die Entscheidung dem Kläger und dem Dritten gegenüber nur einheitlich ergehen kann.
So liegt es im Streitfall. Die (Art-)Feststellung, daß das streitbefangene Grundstück ein Betriebsgrundstück sei und zu dem Betrieb der Ehefrau des Klägers gehöre (vgl. § 19 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b des Bewertungsgesetzes - BewG -), berührt auch die steuerlichen Interessen der Ehefrau; denn diese Feststellung ist Grundlagenbescheid für den Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens der Ehefrau. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Ergänzungsbescheids kann folglich gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau nur einheitlich getroffen werden. Mithin hätte das FG die Ehefrau des Klägers zum Verfahren notwendig beiladen müssen.
Dem steht nicht entgegen, daß das FG die Klage des Klägers - mangels Beschwer (§ 40 Abs. 2 FGO) - für unzulässig hielt. Die notwendige Beiladung kann grundsätzlich nicht vom Erfolg des Rechtsmittels abhängig gemacht werden, d.h., sie kann grundsätzlich auch dann nicht unterbleiben, wenn das Gericht die Klage für unzulässig hält (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 9. Mai 1979 I R 100/77, BFHE 128, 142, BStBl II 1979, 632, und vom 23. April 1985 VIII R 295/82, BFH/NV 1986, 411). Ein anderes ist nach den zitierten Entscheidungen und der herrschenden Meinung (vgl. z.B. Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 360 der Abgabenordnung 1977 Anm. 2b; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 60 Rdnr. 33) nur dann anzunehmen, wenn die Klage offensichtlich unzulässig ist.
Ein Fall von offensichtlicher Unzulässigkeit der Klage liegt indessen hier nicht vor. Jedenfalls läßt sich nicht von vornherein von der Hand weisen, daß dem Kläger eine Anfechtungsbefugnis zusteht. Immerhin ist er - neben seiner Ehefrau - als Inhaltsadressat (Destinatär) des angefochtenen Ergänzungsbescheids anzusehen. Inhaltsadressaten belastender Verwaltungsakte sind in aller Regel klagebefugt. Es kommt hinzu, daß es sich im vorliegenden Fall um einen Feststellungsbescheid (Grundlagenbescheid) handelt. Bei solchen Bescheiden kann die mögliche Rechtsverletzung allein aus der rechtswidrigen Feststellung einzelner Besteuerungsgrundlagen resultieren (vgl. z.B. Gräber/von Groll, a.a.O., § 40 Rdnrn.74 und 92), z.B. bei Einheitswertbescheiden jeweils unabhängig voneinander aus Wert, Art und Zurechnung, und zwar selbst dann, wenn sich die streitige Feststellung im Ergebnis auf die Höhe des festgestellten Einheitswerts nicht auswirkt (Gräber/von Groll, a.a.O., § 40 Rdnr. 105; streitig).
Daneben spricht aber auch ein Blick auf die konkreten Folgewirkungen der angefochtenen Feststellung, auf die es allerdings angesichts der vielfältigen Konsequenzen eines Einheitswertbescheids grundsätzlich nicht einmal ankommt (vgl. z.B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 40 FGO Tz. 13, S. 23), dafür, die Klagebefugnis des Klägers zu bejahen: Mangels Feststellung der Zugehörigkeit des in Rede stehenden Betriebsgrundstücks zu einem bestimmten gewerblichen Betrieb ist das Grundstück vor Erlaß des streitigen Ergänzungsbescheids weder im Einheitswert für den Betrieb der Ehefrau (Möbelhandel) noch im Einheitswert für den Betrieb des Klägers erfaßt worden. Folglich war es auch nicht als Betriebsvermögen bei der Vermögensteuerveranlagung des Klägers und seiner Ehefrau angesetzt worden. Der Erlaß des streitigen Ergänzungsbescheids bewirkt, daß das Grundstück nunmehr als Betriebsvermögen der Ehefrau auch bei der Vermögensteuer-Zusammenveranlagung des Klägers und seiner Ehefrau erfaßt wird. Dies ist für beide Ehegatten nachteilig.
Danach liegt ein Fall der offensichtlich mangels Beschwer unzulässigen Klage nicht vor.
b) Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung stellt einen von Amts wegen zu beachtenden Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28. Januar 1966 III 96/62, BFHE 85, 327, BStBl III 1966, 327). Auf die notwendige Beiladung kann weder verzichtet noch kann sie in der Revisionsinstanz nachgeholt werden (§ 123 FGO; BFH-Urteil vom 28. November 1974 I R 62/74, BFHE 114, 167, BStBl II 1975, 209). Ist eine notwendige Beiladung unterblieben, muß die Entscheidung des FG aufgehoben und die Sache ohne weitere Sachprüfung an das FG zurückverwiesen werden, damit die Beiladung nachgeholt werden kann (vgl. z.B. Urteil in BFH/NV 1986, 411, 412, a.E.).
Fundstellen
Haufe-Index 419809 |
BFH/NV 1994, 772 |