Leitsatz (amtlich)
Minderkaufleute konnten auch schon in der RM-Schlußbilanz und in der DM-Eröffnungsbilanz unter den in dem BFH-Urteil vom 15. Juli 1960 VI 10/60 S (BFHE 71, 625, BStBl III 1960, 484) geforderten Voraussetzungen gewillkürtes Betriebsvermögen ansetzen. Die mit dem gewillkürten Betriebsvermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Schulden sind bei der KGA bei den Schuldnergewinnen zu erfassen. An der in dem BFH-Urteil vom 22. August 1958 III 213/57 U (BFHE 67, 328, BStBl III 1958, 401) vertretenen gegenteiligen Auffassung hält der Senat nicht mehr fest.
Normenkette
LAG § 161 Abs. 1, § 163 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Alleinerbin ihres Ehemanns. Dieser hatte als Minderkaufmann ein Baugeschäft betrieben. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA –) hatte durch einen vorläufigen Bescheid vom 3. Oktober 1953 die Kreditgewinnabgabe-(KGA-)Schuld für diesen Betrieb entsprechend der vom Ehemann der Klägerin abgegebenen Erklärung auf 0 DM festgesetzt. Dieser Bescheid wurde am 4. Januar 1955 für endgültig erklärt. Die erbrachten Leistungen nach dem Hypothekensicherungsgesetz (HypSichG) in Höhe von 9 101,44 DM wurden zum Teil mit anderen Steuerschulden verrechnet, zum Teil in bar erstattet. Bei einer Geschäftsprüfung im November 1961 beanstandete die Oberfinanzdirektion (OFD), daß bei der Berechnung der Schuldnergewinne auch zwei Hypothekenschulden, die in der RM-Schlußbilanz (RMSB) mit zusammen 9 000 RM, in der DM-Eröffnungsbilanz (DMEB) mit zusammen 900 DM angesetzt waren, in voller Höhe als betriebliche Schulden behandelt worden seien. Die OFD war der Auffassung, daß diese Hypothekenschulden nur insoweit von der KGA erlaßt würden, als das mit ihnen belastete Grundstück am Tage der Hypothekenaufnahme eigengewerblich genutzt gewesen sei. Gegebenenfalls sei der KGA-Bescheid zu berichtigen und das HGA-FA zu verständigen. Das FA kam bei seiner Nachprüfung zu dem Ergebnis, daß nur 54,74 v. H. dieser beiden Hypothekenschulden als betriebliche Schulden in die KGA einzubeziehen seien, dagegen 45,26 v. H. der HGA unterlägen. Es führte durch einen Bescheid vom 15. August 1966 eine auf § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO gestützte Berichtigungsveranlagung durch. Dabei nahm es für den nichtbetrieblichen Anteil an den Hypothekenschulden in der RMSB einen Betrag von 4 073,40 DM und in der DMEB einen Betrag von 407,34 DM aus der Summe der Verbindlichkeiten heraus, so daß sich die Summe der Schuldnergewinne um 4 433,94 DM verminderte, die KGA-Schuld aber unverändert 0 DM betrug. Außerdem hatte es schon vorher das HGA-FA benachrichtigt, daß der nicht bei der KGA erfaßte Schuldnergewinn von 9/10 von 4 073,40 DM zur HGA herangezogen werden müsse. Dieses FA hatte schon am 31. Juli 1963 einen HGA-Bescheid erlassen, der gegen den Ehemann der Klägerin und die Klägerin gerichtet war und in dem der Schuldnergewinn aus der Umstellung von 4 073,40 DM der anteiligen Hypothekenschulden zur HGA herangezogen wurde. Die Berufung gegen diesen Bescheid hatte keinen Erfolg. Dagegen hob der Senat durch Urteil vom 24. Oktober 1969 III R 117/66 das Urteil des Finanzgerichts (FG) auf und verwies die Sache an das FG mit der Weisung zurück, die erneute Entscheidung so lange nach § 74 FGO auszusetzen, bis über den inzwischen eingelegten Einspruch gegen den berichtigten KGA-Bescheid entschieden sei. Dieser Einspruch hatte keinen Erfolg. Dagegen hob das FG auf die Klage den berichtigten KGA-Bescheid vom 15. (16.) August 1966 auf.
Das FA beantragt mit der Revision die Aufhebung des FG-Urteils. Es wird Verletzung des bestehenden Rechts gerügt. Das FA ist der Auffassung, daß die neuere Rechtsprechung der Einkommensteuersenate nicht rückwirkend auf die KGA angewandt werden könne. Man würde damit die wenigen kreditgewinnabgabepflichtigen Betriebe, auf die diese Rechtsprechung noch angewandt werden könnte, gegenüber den vielen anderen, bei denen das nicht mehr möglich sei, ungleich behandeln. Ein Verstoß gegen den Grundsalz von Treu und Glauben könne nach der Rechtsprechung bei einer Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO nicht vorliegen. Eine Verwirkung komme schon deswegen nicht in Betracht, weil nach der Rechtsprechung nur einzelne Vierteljahrsbeträge verwirkt werden könnten, hier aber die KGA-Schuld 0 DM betrage.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG hat mit Recht die Klägerin als durch den berichtigten KGA-Bescheid vom 15. August 1966 beschwert angesehen und damit die Klage für zulässig gehalten. Seine Auffassung, die Beschwer sei darin zu erblicken, daß der bei der KGA-Veranlagung nicht mehr als Schuldnergewinn herangezogene Teil der Hypothekenschulden die Grundlage für die HGA-Veranlagung der Klägerin bilde, entspricht der Rechtsprechung des Senats. In dem Urteil vom 21. Januar 1974 III R 67/73 (BFHE 111, 390, BStBl II 1974, 305) hat der Senat den KGA-Bescheid im Verhältnis zum HGA-Bescheid als Grundlagenbescheid im Sinne des § 218 Abs. 4 AO behandelt. Auch die Auffassung des FG, daß der KGA-Bescheid grundsätzlich nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO berichtigt werden könne, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht beanstandet worden ist. Das FG hat auch mit Recht den Einwand der Klägerin nicht für richtig gehalten, es fehle, weil die KGA-Schuld in dem berichtigten Bescheid auf 0 DM festgesetzt worden sei, das in § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO geforderte Tatbestandsmerkmal einer höheren Veranlagung. Auch hier muß beachtet werden, daß der KGA-Bescheid Grundlagenbescheid für die HGA ist und diese infolge der Berichtigung des KGA-Bescheids höher als bisher festzusetzen war.
2. Der Senat stimmt dem FG aber auch darin zu, daß die Berichtigung des ursprünglichen KGA-Bescheids deswegen unzulässig war, weil der ursprüngliche KGA-Bescheid nicht fehlerhaft war. Er teilt die Auffassung des FG, daß die Passivierung der beiden dinglich gesicherten Schulden mit zusammen 9 000 RM in der RMSB und 900 DM in der DMEB richtig war. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können nur Betriebsschulden zu einem Schuldnergewinn im Sinne des § 163 LAG führen, weil nach § 161 Abs. 1 LAG der gewerbliche Betrieb als solcher der KGA unterliegt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 24. August 1956 III 218/54 S, BFHE 63, 334, BStBl III 1956, 325). Eine Betriebsschuld liegt nur dann vor, wenn die Schuld mit dem gewerblichen Betrieb in wirtschaftlichem Zusammenhang steht. Ob das der Fall ist, ist nach ertragsteuerlichen Grundsätzen zu beurteilen, weil die für die Ermittlung des bei der KGA maßgeblichen Gewinnsaldos zu vergleichenden Bilanzen die steuerlichen Erfolgsbilanzen sind (vgl. BFH-Urteile vom 13. September 1957 III 50/56 U, BFHE 65, 377, BStBl III 1957, 376, und vom 22. November 1957 III 190/56 U, BFHE 66, 103, BStBl III 1958, 41). Im Streitfall ist zu beachten, daß der Ehemann der Klägerin ein Minderkaufmann war, der seinen Gewinn durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG in der am 21. Juni 1948 geltenden Fassung ermittelte. Es ist ferner zu beachten, daß der Ehemann der Klägerin sowohl das Grundstück, auf dem die umstrittenen Hypothekenschulden lasteten, als auch diese Hypothekenschulden selbst in voller Höhe in die RMSB und mit dem im Verhältnis 10 : 1 umgestellten Betrag in DM auf ausdrückliches Verlangen des FA in die berichtigte DMEB eingestellt hat. Da dieses Grundstück unstreitig nur zu 54,74 v. H. eigengewerblichen Zwecken des Ehemanns der Klägerin diente, im übrigen aber zu Wohnzwecken vermietet war, war das Grundstück nach einkommensteuerlichen Grundsätzen auch nur zu diesem Teil notwendiges Betriebsvermögen, und standen die Hypothekenschulden auch nur insoweit in notwendigem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Betrieb, als sie zur Finanzierung des Baues dieses eigengewerblich genutzten Grundstücksteils verwendet worden waren. Der Ansatz des restlichen Teils des Grundstücks und damit auch des restlichen Teils der beiden Hypothekenschulden in der RMSB und der DMEB ist hingegen nur gerechtfertigt, wenn der Ehemann der Klägerin als Minderkaufmann gewillkürtes Betriebsvermögen in seinen Erfolgsbilanzen ansetzen durfte. Nach der früheren ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH stand die Befugnis, gewillkürtes Betriebsvermögen anzusetzen, nur Vollkaufleuten im Sinne des § 5 EStG zu, d. h. nach § 5 in der am 21. Juni 1948 geltenden Fassung „Gewerbetreibenden, deren Firma im Handelsregister eingetragen ist”. Diese frühere ständige Rechtsprechung ist aber, wie das FG richtig erkannt hat, aufgegeben worden. Als erster hat der IV. Senat des BFH in dem Urteil vom 12. Mai 1955 IV 19/55 U (BFHE 61, 18, BStBl III 1955, 205) die Auffassung, daß gewillkürtes Betriebsvermögen nur bei den unter § 5 EStG fallenden Gewerbetreibenden möglich sei, abgelehnt, „jedenfalls so weit es sich um Kraftwagen handelt”. Zur Begründung hat er ausgeführt, eine derartige Einschränkung des Begriffs Betriebsvermögen finde weder im Gesetz noch in den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung eine Stütze. Der erkennende Senat hat in dem Urteil vom 22. August 1958 III 213/57 U (BFHE 67, 328, BStBl III 1958, 401) die Anwendung dieses Urteils auf die KGA schon mit der Begründung abgelehnt, daß dieses Urteil sich auf einen Personenkraftwagen beziehe, bei dem eine Aufteilung – teils Betriebsvermögen, teils Privatvermögen – nicht in Betracht komme. Zur weiteren Begründung hat der Senat damals ausgeführt, daß dieses Urteil des IV. Senats sich aus der Änderung der maßgeblichen Bestimmung im EStG 1955 ergebe, nach der gleichmäßig in den Fällen des § 4 und des § 5 EStG die Aufnahme eines Wirtschaftsguts in die Bilanz entscheidend für das Ausmaß des betrieblichen Charakters sei. An dieser Begründung halt der Senat nicht mehr fest. Es ist zwar richtig, daß der IV. Senat in dem Urteil IV 19/55 U ausgeführt hat, es bestehe zur Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtsprechung um so weniger Anlaß, als in § 5 EStG 1955 die Gewinnermittlung der verschiedenen Gruppen von Gewerbetreibenden einander angenähert worden sei. Es muß aber beachtet werden, daß das Urteil einen Fall betraf, in dem es um die Veranlagungszeiträume 1950 und 1951 ging, also die §§ 4 und 5 EStG noch unverändert wie am 21. Juni 1948 galten. Der Hinweis auf die Änderung des § 5 im EStG 1955 sollte also wohl nur den Zweck haben, aufzuzeigen, daß der Gesetzgeber mit dieser Änderung der inzwischen eingetretenen Entwicklung Rechnung tragen wollte. In diesem Sinne hat auch der VI. Senat in dem Urteil vom 15. Juli 1960 VT 10/60 S (BFHE 71, 625, BStBl III 1960, 484) auf die Änderung des § 5 EStG 1955 hingewiesen. Er hat sich in diesem Urteil der Auffassung des IV. Senats auch für andere Wirtschaftsgüter als Personenkraftwagen angeschlossen, hat allerdings die Bildung von gewillkürtem Betriebsvermögen zur Ausschaltung willkürlicher Manipulationen von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht. Dieses Urteil betraf einen Fall, in dem u. a. auch der Veranlagungszeitraum 1954 streitig war. Der 1. Senat hat sich der Auffassung des IV. und VI. Senats in dem Urteil vom 19. Juli 1960 I 185/59 S (BFHE 71, 629, BStBl III 1960, 485), das das Jahr 1950 betrifft, angeschlossen. In dem Urteil vom 22. November 1960 I 103/60 S (BFHE 72, 259, BStBl III 1961, 97) hat er entschieden, daß auch Steuerpflichtige, die den Gewinn nach § 4 A!) S. 1 EStG 1951 ermitteln, ein Gebäude, das sie zu einem Teil für den eigenen Betrieb und zu einem anderen Teil für eigene Wohnzwecke oder durch Vermietung an Fremde nutzen, unter Umständen in vollem Umfang zu ihrem Betriebsvermögen ziehen können. In dem Urteil vom 22. Juli 1964 I 353/61 U (BFHE 80, 215, BStBl III 1964, 552) hat der 1. Senat sogar in einem Rechtssatz ausdrücklich ausgesprochen, daß auch Minderkaufleute schon vor der Änderung des EStG 1955 gewillkürtes Betriebsvermögen haben können. Das FG hat aus dieser neuen Rechtsprechung mit Recht den Schluß gezogen, daß sie auch schon auf den 21. Juni 1948 anzuwenden ist, weil die §§ 4 und 5 EStG damals dieselbe Fassung hatten, wie in den Einkommensteuergesetzen bis zur Änderung durch das Einkommensteuergesetz 1955. Das Urteil des Senats III 213/57 U steht dem nicht entgegen. Als es erging, lag nur das Urteil IV 90/55 U vor. Dieses Urteil behandelte aber einen Fall, in dem es um die Bilanzierung eines Personenkraftwagens ging, der nur einheitlich entweder voll als Betriebsvermögen oder voll als Privatvermögen behandelt werden konnte, so daß es auf die Frage des gewillkürten Betriebsvermögens im Grunde genommen nicht ankam. Daß der Senat an der weiteren Begründung dieses Urteils, die Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung beruhe auf einer Änderung der §§ 4 und 5 im EStG 1955, nicht mehr festhält, ist bereits oben ausgeführt. Beruhte aber, wie dargetan, die Änderung der Rechtsprechung nicht auf einer Änderung des Gesetzes, sondern auf einer anderen Auslegung des unverändert gebliebenen Gesetzes, dann muß sie auch in allen noch nicht rechtskräftigen Fällen angewandt werden. Deshalb hat der Senat z. B. auch im Urteil vom 10. Juni 1870 III R 63/67 (BFHE 100, 51) die Auffassung vertreten daß die Beurteilung der Frage, ob ein Gesellschafterdarlehen im Sinne des § 3 Abs. 1 KVStG vorliegt und damit der Schuldnergewinn aus der Umstellung dieser Verbindlichkeit nach § 163 Abs. 3 Nr. 4 LAG außer Betracht zu lassen ist, sich nicht nach der früheren Rechtsprechung sondern nach der Auffassung des II. Senats in den beiden Urteilen vom 3. Dezember 1969 II 162/65 (BFHE 98, 59, BStBl II 1970, 279) und II R 2/68 (BFHE 98, 81, BStBl II 1970, 289) richten müsse. Der Umstand, daß damit gegenüber bereits rechtskräftigen Fällen eine gewisse Ungleichheit eintritt, muß entgegen der Auffassung des FA außer Betracht bleiben.
3. Der Senat tritt schließlich auch der Auffassung des FG bei daß im Streitfall die in dem Urteil VI 10/60 S geforderten Voraussetzungen für die Bildung gewillkürten Betriebsvermögens erfüllt sind. Das FG hat mit zutreffender Begründung den objektiven Zusammenhang des ganzen Grundstücks und der umstrittenen Hypothekenschulden mit dem Betrieb bejaht. Es hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt daß der Ehemann der Klägerin den Gewinn durch Vermögensvergleich ermittelt hat und daß er aus seiner Entscheidung, das Grundstück und die Hypothekenschulden als gewillkürtes Betriebsvermögen in die Erfolgsbilanzen einzustellen, alle steuerlichen Folgen gezogen und auch nicht willkürlich ohne zureichenden Grund die einmal getroffene Entscheidung geändert hat.
4. Da sich die Revision schon aus diesem Grunde als unbegründet erweist, braucht der Senat nicht dazu Stellung zu nehmen, ob das FG zu Recht die Berichtigungsveranlagung auch wegen eines Verstoßes des FA gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und wegen Verwirkung des Berichtigungsanspruchs für unzulässig gehalten hat.
Fundstellen
Haufe-Index 514526 |
BFHE 1975, 332 |