Leitsatz (amtlich)
Bei der steuerlichen Berücksichtigung von Unterhaltsaufwendungen nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG (§ 25a Abs. 1 Satz 3 LStDV) sind Unterhaltsbeiträge des Sozialamts anzurechnen, soweit das Sozialamt von einer Rückforderung bei dem gesetzlich unterhaltsverpflichteten Steuerpflichtigen abgesehen hat.
Normenkette
EStG § 33a Abs. 1; LStDV § 25a Abs. 1; BSHG § 4 Abs. 1, §§ 90-91
Tatbestand
Die Mutter des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) erhielt im Streitjahr 1969 vom Sozialamt Unterhaltsbezüge von monatlich 282,30 DM. Der Kläger zahlt auf Grund seiner der Mutter gegenüber bestehenden Unterhaltspflicht monatlich 50 DM an das Sozialamt, das diesen Betrag mit dem Unterhaltsbeitrag von monatlich 282,30 DM verrechnete. Der Kläger machte im Lohnsteuer-Jahresausgleich 1969 Unterstützungsleistungen an seine Mutter von 600 DM jährlich geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) lehnte den Abzug dieser Aufwendungen nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG ab, da die Bezüge der Mutter den Betrag von 1 200 DM im Jahr überstiegen.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG führte in dem in EFG 1971, 484, veröffentlichten Urteil aus, die Leistungen des Sozialamts seien auf den in § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Betrag von 1 200 DM nicht anzurechnen. Eine Anrechnung sei ausgeschlossen, wenn das Sozialamt die Erstattung der Leistungen nach §§ 90, 91 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) von dem unterhaltsverpflichteten Steuerpflichtigen verlangt und durchgesetzt habe. Die Leistungen des Sozialamts seien dann wirtschaftlich wie Leistungen des Steuerpflichtigen anzusehen. Ebenso sei zu verfahren, wenn das Sozialamt die Möglichkeit des Ersatzes seiner Leistungen vom Steuerpflichtigen geprüft und aus sozialen Gründen von einer Anforderung abgesehen habe; denn sonst werde bei der Anwendung des § 33a EStG der sozial Schwächere bei gleichem Tatbestand gegenüber dem benachteiligt, der finanziell in der Lage sei, seinen gesetzlichen Unterhaltspflichten nachzukommen. Im Streitfall habe das Sozialamt die Bedürftigkeit der Mutter des Klägers und die Leistungsfähigkeit des Klägers geprüft. Es habe sich entschlossen, dem Kläger eine monatliche Unterhaltszahlung von nur 50 DM aufzuerlegen und selbst monatlich 232,50 DM an die Mutter des Klägers ohne Geltendmachung eines Ersatzanspruches zu zahlen.
Das FA rügt mit der Revision die Verletzung des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 25a Abs. 1 Satz 3 LStDV. Es meint, die Leistungen des Sozialamts seien auf den in § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Betrag anzurechnen.
Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.
Der Kläger hat mündliche Verhandlung beantragt. Der Senat hält es jedoch für angebracht, gemäß § 90 Abs. 3 Satz 1, § 121 FGO einen Vorbescheid zu erlassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Nach § 33a Abs. 1 EStG (§ 25a Abs. 1 LStDV) können Aufwendungen für den Unterhalt von Personen, für die der Steuerpflichtige keinen Kinderfreibetrag erhält, bis zu einem Betrag von 1 200 DM je unterhaltene Person als außergewöhnliche Belastung vom Einkommen abgezogen werden. Hat die unterhaltene Person jedoch Einkünfte oder Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind, so vermindert sich der vom Einkommen abzugsfähige Betrag von 1 200 DM um den Betrag, um den diese Einkünfte und Bezüge 1 200 DM übersteigen (§ 33a Abs. 1 Satz 3 EStG, § 25a Abs. 1 Satz 3 LStDV).
Nach der neueren Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 8. November 1972 VI R 257/71, BFHE 107, 436, BStBl II 1973, 143, und VI R 24/72, BFHE 107, 441, BStBl II 1973, 145) sind unter "Einkünften" im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG die Einkünfte nach § 2 Abs. 4 EStG zu verstehen, während unter dem Begriff "Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind", alle Einnahmen usw. fallen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerlichen Einkunftsermittlung erfaßt werden, also nichtsteuerbare oder für steuerfrei erklärte Einnahmen. Der Senat hat im Urteil VI R 257/71 betont, daß im gleichen Sinne auch die Worte "Einkünfte" und "Bezüge" in § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG auszulegen sind und daß insoweit an der davon abweichenden bisherigen Rechtsprechung (vgl. Urteil des Senats vom 31. Januar 1958 VI 207/57 U, BFHE 66, 277, BStBl III 1958, 108) nicht mehr festgehalten wird.
Die von der Mutter des Klägers bezogenen Unterhaltsbeträge des Sozialamts sind nach § 3 Nr. 11 EStG (§ 6 Nr. 9 LStDV) einkommen- und lohnsteuerfrei. Sie sind im Rahmen des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG (§ 25a Abs. 1 Satz 3 LStDV) als steuerfreie "Bezüge" zu berücksichtigen, da sie zur Bestreitung des Unterhalts der Mutter des Klägers bestimmt und geeignet sind. Sie werden der Mutter gerade deshalb bezahlt, damit sie mangels anderer Mittel hiervon ihren Unterhalt bestreiten kann.
Es ist dem FG zuzustimmen, daß eigene Unterstützungsleistungen des Steuerpflichtigen nicht zu einer Minderung des Pauschbetrages von 1 200 DM im Sinne des § 33a Abs. 1 EStG (§ 25a Abs. 1 LStDV) führen können. Das ergibt sich eindeutig aus der Fassung des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG (§ 25a Abs. 1 Satz 3 LStDV), die darauf abstellt, daß die unterhaltene Person noch "andere" Einkünfte oder Bezüge hat.
Der Senat läßt es im Streitfall offen, ob Leistungen des Sozialamtes im Rahmen der genannten Vorschriften wirtschaftlich wie Leistungen des Steuerpflichtigen anzusehen sind, wenn das Sozialamt die Erstattung seiner Leistungen vom unterhaltsverpflichteten Steuerpflichtigen verlangt und durchgesetzt hat. Leistungen des Sozialamtes können jedenfalls entgegen der Auffassung des FG nicht wie Leistungen des Steuerpflichtigen angesehen werden, soweit das Sozialamt von einer Nachforderung abgesehen hat. Denn in diesem Falle zahlt das Sozialamt nicht wirtschaftlich für den Steuerpflichtigen, sondern rechtlich und wirtschaftlich aufgrund einer eigenen Verpflichtung. Das BSHG gewährt in § 4 Abs. 1 einen Rechtsanspruch auf Sozialhilfe, "soweit dieses Gesetz bestimmt, daß Hilfe zu gewähren ist". Dieser Rechtsanspruch besteht auch in Fällen gesetzlicher Unterhaltspflicht. Das Sozialamt kann allerdings nach §§ 90, 91 BSHG durch schriftliche Anzeige an den nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen bewirken, daß der Anspruch des Unterhaltsberechtigten bis zur Höhe der Aufwendungen des Sozialamts auf es übergeht. Es kann nach § 90 Abs. 3 BSHG davon absehen, einen nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen in Anspruch zu nehmen, soweit dies eine besondere Härte bedeuten würde. Wenn und soweit das Sozialamt hiernach auf die Geltendmachung von Rückgriffsansprüchen verzichtet, handelt es sich rechtlich und wirtschaftlich um selbständige und damit um "andere" Bezüge der "unterhaltenen Person" im Sinne des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG (§ 25a Abs. 1 Satz 3 LStDV).
Der sozial Schwächere wird durch diese Auslegung des § 33a Abs. 1 EStG (§ 25 Abs. 1 LStDV) steuerlich nicht ungerechtfertigt gegenüber dem benachteiligt, der finanziell in der Lage ist, seinen gesetzlichen Unterhaltspflichten in vollem Maße nachzukommen. Gemäß den zutreffenden Ausführungen des FA wurde im Streitfall dem Kläger als dem sozial Schwächeren bereits dadurch geholfen, daß er 2 787,60 (12 X 232,30) DM im Jahr nicht für die Unterstützung seiner Mutter hat aufbringen müssen. Diese rd. 2 790 DM fallen der Allgemeinheit zur Last. Der Kläger ist wirtschaftlich gesehen nicht anders gestellt, als wenn statt des Sozialamts eine sonstige dritte Person, z. B. ein anderer naher Angehöriger, zum Unterhalt seiner Mutter beigetragen hätte. Solche Unterhaltsleistungen dritter Personen würden in gleicher Weise wie die des Sozialamtes den Abzug von eigenen Aufwendungen des Klägers für den Unterhalt seiner Mutter nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG (§ 25a Abs. 1 Satz 3 LStDV) ausschließen, wenn die Aufwendungen dritter Personen den Betrag von 2 400 DM im Jahr übersteigen.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist es - entgegen der Ansicht des Klägers - daher nicht möglich, unter Beachtung der Verhältnisse des Einzelfalles einem Steuerpflichtigen für seine Unterhaltsaufwendungen eine Steuervergünstigung bis zu 1 200 DM jährlich zu gewähren, wenn die Leistungen anderer, wie die des Sozialamtes unter Verzicht auf Nachforderungen, den Betrag von 2 400 DM übersteigen. Soweit Sozialgesetze im Bereich des Existenzminimums regionale und individuelle Unterschiede berücksichtigen, wie insbesondere die Kosten der Wohnungsmiete, so können diese Gesichtspunkte nicht, wie der Kläger meint, bei der Auslegung des § 33a Abs. 1 EStG (§ 25a Abs. 1 LStDV) herangezogen werden. Der Gesetzgeber hat zur Bewältigung der den FÄ bei der Einkommensteuerveranlagung und bei der Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs obliegenden Massenarbeit bewußt diese typisierenden Pauschbeträge eingeführt. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 29. Januar 1960 VI 168/59 U, BFHE 70, 277, BStBl III 1960, 103) verletzten Einkommensteuergesetze, die Pausch- oder Durchschnittsätze zur Erreichung des notwendigen Zieles der Vereinfachung und der Gleichmäßigkeit einführen, nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, auch wenn solche Sätze in Grenzfällen sich bei vereinzelten Gruppen von Steuerpflichtigen steuerlich ungünstig auswirken. Solche Auswirkungen sind eine natürliche Begleiterscheinung von Typisierungen, mit denen der Steuergesetzgeber im modernen Massensteuerrecht zwangsläufig in weitem Umfange arbeiten muß. Sie sind darum keine sachlich ungerechtfertigte und willkürliche Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit aller Bürger.
Es ist im übrigen nicht Aufgabe des Senats, die vom Kläger aufgeworfene Frage zu prüfen, ob der Pauschsatz für Unterhaltsaufwendungen in § 33a Abs. 1 EStG (§ 25a Abs. 1 LStDV) von 1 200 DM im Streitjahr 1969 angemessen war, weil es sich dabei in erster Linie um eine Frage der Steuerpolitik handelt und weil kein Anhaltspunkt dafür vorhanden ist, daß der Pauschsatz offensichtlich willkürlich zu niedrig festgesetzt worden ist. Das gilt in gleicher Weise auch für die Frage, ob es im Streitjahr 1969 gerecht und zeitgemäß war, den Pauschbetrag von 1 200 DM um Einkünfte oder Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind, zu kürzen, um den diese Einkünfte und Bezüge den Betrag von 1 200 DM überstiegen haben (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs VI 168/59 U).
Die Vorentscheidung war daher aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da der Beklagte zu Recht die Unterhaltsaufwendungen des Klägers von 600 DM nicht nach § 33a Abs. 1 EStG (§ 25a Abs. 1 LStDV) zum Abzug zugelassen hat, war die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71197 |
BStBl II 1975, 139 |
BFHE 1975, 37 |