Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung eines Haftungsbescheides an Haftungsschuldner persönlich trotz Bestellung eines Verfahrensbevollmächtigten
Leitsatz (amtlich)
Die Zustellung eines Verwaltungsaktes an den Betroffenen persönlich führt in der Regel auch dann zur Wirksamkeit der Bekanntgabe und dem Lauf der durch diese ausgelösten Rechtsbehelfsfrist, wenn für das Verwaltungsverfahren ein Bevollmächtigter bestellt, eine schriftliche Vollmacht für diesen jedoch nicht vorgelegt worden ist.
Normenkette
VwZG § 8 Abs. 1 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Gegen den Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) erging am 24. November 1997 ein Haftungsbescheid. Dem Erlass des Haftungsbescheides war ein Anhörungsverfahren vorausgegangen, in dessen Verlauf sich die Prozessbevollmächtigten als Vertreter des Klägers mit den Worten bestellt haben: "Wir haben Ihnen anzuzeigen, dass uns Herr … bezüglich der Abgabenrückstände der … GmbH mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hat." Den Schriftwechsel im Anhörungsverfahren führte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) mit dem Klägervertreter. Das Haftungsprüfungsverfahren endete mit dem Erlass des Haftungsbescheides, den das FA dem Kläger persönlich laut Postzustellungsurkunde am 25. November 1997 durch Niederlegung zugestellt hat. Gegen diesen Bescheid legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den bei dem beklagten FA am 19. Januar 1998 eingegangenen Einspruch ein. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 7. Oktober 1998 als unzulässig verworfen.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, das FA habe den Haftungsbescheid ermessensfehlerhaft an ihn persönlich anstatt an seinen Bevollmächtigten zugestellt.
Die Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 874 veröffentlichten Gründen Erfolg.
Das FA rügt mit der Revision die Verletzung des § 8 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Es habe zwar seine Schriftsätze im Rahmen des Haftungsprüfungsverfahrens stets an den Bevollmächtigten gerichtet; hiervon sei jedoch die Bekanntgabe des regelnden Verwaltungsaktes, die sich nach den Vorschriften der § 122 der Abgabenordnung (AO 1977) bzw. des § 8 VwZG richte, zu unterscheiden. Liege keine schriftliche Empfangsvollmacht vor, so ergebe sich daraus, dass der vorbereitende Schriftverkehr mit dem Klägervertreter geführt worden sei, keine Beschränkung des der Behörde in § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG eingeräumten Auswahlermessens, insbesondere keine Ermessensreduzierung auf Null.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Die Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG durch das Finanzgericht (FG) verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
1. Der gegen den dem Kläger mit Postzustellungsurkunde vom 25. November 1997 zugestellten Haftungsbescheid am 19. Januar 1998 eingelegte Einspruch war verspätet.
Der Einspruch ist nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des anzufechtenden Verwaltungsaktes einzulegen. Entgegen der Auffassung des FG ist der Haftungsbescheid mit der laut Postzustellungsurkunde am 25. November 1997 durch Niederlegung bei der Post bewirkten Zustellung an den Kläger wirksam bekannt gegeben worden. Die Zustellung entsprach der in § 122 Abs. 5 Satz 2 AO 1977, § 3 Abs. 3 VwZG, § 182 der Zivilprozessordnung (ZPO) vorgeschriebenen Form und hat die Rechtsbehelfsfrist in Lauf gesetzt. Das FA war nicht verpflichtet, den Haftungsbescheid an den Klägervertreter zuzustellen (§ 8 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwZG).
2. Ein Verwaltungsakt wird gemäß § 124 Abs. 1 AO 1977 gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist.
Anstelle der formlosen Bekanntgabe nach § 122 Abs. 1 bis 2 a AO 1977 kann die Finanzbehörde anordnen, dass die Bekanntgabe im Wege der förmlichen Zustellung des schriftlichen Verwaltungsaktes erfolgt (§ 122 Abs. 5 Satz 1; Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 14. März 1990 X R 104/88, BFHE 160, 207, BStBl II 1990, 612, 615). Die von der Finanzbehörde angeordnete Zustellung richtet sich nach den Vorschriften des VwZG (§ 122 Abs. 5 Satz 2 AO 1977, § 1 Abs. 3 VwZG), die als spezielle und abschließende Regelungen die Bekanntgabevorschriften der AO 1977, nämlich § 122 Abs. 1 bis 4 AO 1977 sowie die Sollvorschrift des § 80 Abs. 3 AO 1977 verdrängen (BFH-Urteile vom 25. Januar 1994 VIII R 45/92, BFHE 173, 213, BStBl II 1994, 603, 606, m.w.N.; vom 29. Juli 1987 I R 367, 379/83, BFHE 152, 1, BStBl II 1988, 242, 243).
3. Die Zustellung an den Bevollmächtigten des Steuerpflichtigen regelt § 8 VwZG. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG können Zustellungen an den allgemeinen oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Vertreter gerichtet werden; sie sind an diesen zu richten, wenn er schriftliche Vollmacht vorgelegt hat (§ 8 Abs. 1 Satz 2 VwZG).
a) Die Vollmachterteilung und die Bestellung eines Vertreters bedarf zwar grundsätzlich nicht der Schriftform und ist ―worauf das FG zu Recht hinweist― dem FA nur auf Verlangen vorzulegen (§ 80 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Eine Verpflichtung der Behörde zur Zustellung des Verwaltungsaktes an den Bevollmächtigten des Steuerpflichtigen besteht nach § 8 Abs. 1 Satz 2 VwZG jedoch nur dann, wenn für den Steuerpflichtigen ein Bevollmächtigter bestellt ist und dieser der Behörde eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat (Bundesverwaltungsgericht ―BVerwG―, Urteil vom 15. Januar 1988 8 C 8/86, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1988, 1612). Als schriftliche Vollmacht kommt die Vollmachtsurkunde in Betracht. Die gleiche Rechtswirkung wird erzielt, wenn der Vollmachtgeber die Erteilung der Vollmacht unmittelbar bei der Behörde schriftlich anzeigt (§ 80 Abs. 1 AO 1977, § 167 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches ―BGB―) und zu erkennen gibt, dass der Bevollmächtigte zur Entgegennahme von Zustellungen berechtigt ist. Dies kann durch Erteilung einer uneingeschränkten Allgemeinvollmacht, die alle Rechtshandlungen umfasst oder durch eine Empfangs- bzw. Zustellungsvollmacht geschehen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 5. Oktober 2000 VII R 96/99, BFHE 193, 41, BStBl II 2001, 86; vom 23. November 1999 VII R 38/99, BStBl II 2001, 463, BFH/NV 2000, 549; in BFHE 152, 1, BStBl II 1988, 242, sowie BFH-Beschluss vom 24. April 1985 I S 1/85, BFH/NV 1986, 320).
b) Hat sich ―wie im Streitfall― für das Verfahren ein Bevollmächtigter bestellt, ohne eine Vollmacht vorzulegen (ausführlich zum Begriff der Bestellung als Bevollmächtigter siehe BFH-Urteil vom 27. Februar 1986 IV R 72/85, BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547), stellt es § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG nach allgemeiner Auffassung in das Ermessen der Behörde, ob sie ein Schriftstück bzw. den Verwaltungsakt dem Steuerpflichtigen, d.h. dem von dem Verwaltungsakt Betroffenen (Adressaten) oder seinem Bevollmächtigten zustellt. Die Behörde hat dabei nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln (§ 5 AO 1977), wobei die Ermessensentscheidung aufgrund der Verhältnisse im Einzelfall und unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Interesses des Steuerpflichtigen zu treffen ist (ständige Rechtsprechung, siehe BFH-Urteile vom 30. Juli 1980 I R 148/79, BFHE 131, 270, BStBl II 1981, 3; in BFHE 152, 1, BStBl II 1988, 242, sowie BFH-Beschlüsse vom 18. Januar 1995 I B 181/93, BFH/NV 1995, 852, und vom 9. Dezember 1998 II B 75/98, BFH/NV 1999, 1053; siehe auch Höllig, Das Gesetz zur Änderung des Verwaltungszustellungsgesetzes, Der Betrieb ―DB― 1972, 1261, und Urteil des Oberverwaltungsgerichtes ―OVG― Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1989 22 A 235/86, Betriebs-Berater ―BB― 1990, 2249).
c) Hat die Behörde von dem ihr nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG eingeräumten Wahlrecht Gebrauch gemacht, hat das Gericht nur das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind (§ 102 FGO). Dabei hat es lediglich festzustellen, ob das FA zu der von ihm gewählten Entscheidung kommen durfte, nicht aber, ob es die gewählte Entscheidung treffen musste und ob eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 25. April 1986 VI S 3/86, BFH/NV 1988, 518; von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., Rz. 14 zu § 102). Der Senat kann offen lassen, ob das FG mit der Entscheidung, das FA hätte trotz fehlender Vollmachtvorlage wegen eines mutmaßlichen Interesses des Klägers den Haftungsbescheid an seinen Vertreter zustellen müssen, die Grenzen der ihm eingeräumten Ermessensüberprüfung überschritten und sein eigenes Ermessen an die Stelle des behördlichen Ermessens gesetzt hat. Denn die Bekanntgabe des Haftungsbescheides des FA an den Kläger selbst ist unabhängig von der Beantwortung dieser Frage wirksam.
d) Die hier maßgebliche, nach Einfügung des § 8 Abs. 1 Satz 2 VwZG durch das Gesetz zur Änderung des Verwaltungszustellungsgesetzes vom 19. Mai 1972 (BGBl I 1972, 789, BStBl I 1972, 396) ergangene Rechtsprechung des BFH zu § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG hat bestimmte Maßstäbe und Grundsätze herausgearbeitet, die bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung zu beachten sind und zur Wirksamkeit der Bekanntgabe durch die Zustellung eines Verwaltungsaktes führen. So hat der BFH entschieden, das FA dürfe dann, wenn ein steuerlicher Berater ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht im Namen und Auftrag eines Mandanten einen Rechtsbehelf eingelegt habe und für das FA kein Anlass bestehe, an der Bestellung des Bevollmächtigten und dem daraus zu schließenden mutmaßlichen Interesse des Steuerpflichtigen an der Bekanntgabe/Zustellung von Verwaltungsakten an den Vertreter zu zweifeln, die Rechtsbehelfsentscheidung an den Vertreter bekannt geben (BFH-Urteil in BFHE 146, 206, BStBl II 1986, 547); andererseits müsse es einen Verwaltungsakt an den Steuerpflichtigen selbst zustellen, wenn sich aus dem Auftreten des Beraters nicht eindeutig seine Bestellung zum Bevollmächtigten für das Verfahren und das daraus folgende mutmaßliche Interesse an einer Zustellung der Rechtsbehelfsentscheidung an den Berater ergebe (in BFHE 152, 1, BStBl II 1988, 242). Nach dieser Rechtsprechung darf das FA im ersten Fall an den bestellten Vertreter bekannt geben, ohne jedoch hierzu verpflichtet zu sein, im zweiten Fall muss das FA den Verwaltungsakt dem Steuerpflichtigen selbst bekannt geben (BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 852). Allein daraus ist ersichtlich, dass der BFH ―sofern nicht eine durch die Vorlage der schriftlichen Vollmacht begründete Verpflichtung zur Bekanntgabe an den Vertreter besteht― die Bekanntgabe/Zustellung an den Betroffenen ―auch wenn sich für diesen ein Bevollmächtigter bestellt hat― jedenfalls nicht als ermessensfehlerhaft ansieht (vgl. hierzu auch BFH in BFHE 131, 270, BStBl II 1981, 3, und in BFHE 193, 41, BStBl II 2001, 86, sowie in BFH/NV 1999, 1053); mit anderen Worten davon ausgeht, dass in den Fällen fehlender Vollmachtsvorlage nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG die Bekanntgabe an den Betroffenen den Verwaltungsakt wirksam werden lässt.
Diese Auffassung findet ihre Stütze nicht nur in dem Wortlaut der Vorschrift, sondern auch in dem durch die Einfügung des Satzes 2 in § 8 Abs. 1 a.F. VwZG zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Willen, der in Kenntnis und Auswertung der bis zu diesem Zeitpunkt zur Frage der Ermessensausübung nach § 8 Abs. 1 a.F. VwZG ergangenen Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom 11. August 1954 II 239/53 U, BFHE 59, 305, BStBl III 1954, 327; vom 13. April 1965 I 36, 37/64 U, BFHE 82, 391, BStBl III 1965, 389, sowie vom 25. Oktober 1963 III 7/60 U, BFHE 77, 764, BStBl III 1963, 600; vgl. dazu BTDrucks VI/3195) und Anpassung an die Praxis der Verwaltung eine Ermessensreduzierung auf Null durch eine Ermessensbindung der Behörde nur für den Fall vorgesehen hat, in dem der Vertretungsberechtigte seine Vollmacht urkundlich nachweist. Dagegen ist der Behörde in den übrigen Fällen, in denen ein Vertreter bestellt, eine Vollmacht jedoch nicht vorgelegt worden ist, durch den Gesetzestext des § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG ein uneingeschränktes Ermessen eingeräumt (vgl. dazu auch BFHE 193, 41, BStBl II 2001, 86). In diesen Fällen ist die Behörde lediglich berechtigt, aber nicht verpflichtet, an den Bevollmächtigten zuzustellen.
Das gesetzgeberische Ziel, die Behörde durch Einräumung eines weitgehenden Ermessens nicht über das notwendige Maß hinaus zu binden und ihr die Möglichkeit zu lassen, den vielfältigen Erscheinungen der Massenverwaltung individuell Rechnung zu tragen (vgl. OVG NRW in BB 1990, 2249, und Senatsurteil in BFHE 193, 41, BStBl II 2001, 86), hat der Gesetzgeber später in der Gesetzesbegründung (BTDrucks 7/4292) anlässlich der Ausgestaltung der für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten geltenden Vorschrift des § 122 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 AO 1977 bei Vorhandensein eines Bevollmächtigten in der AO 1977 ausdrücklich benannt.
Der Annahme, dass der Gesetzgeber der Behörde für die Auswahl zwischen dem Betroffenen und seinem Bevollmächtigten als Bekanntgabeempfänger im Rahmen der Bekanntgabevorschriften des § 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 sowie des nahezu wortgleichen § 41 Abs. 1 Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) die uneingeschränkte Ermessensausübung eingeräumt hat, entspricht auch das Urteil des OVG NRW in BB 1990, 2249, dessen Leitsatz lautet: "Bei der Bekanntgabe von Steuerbescheiden gemäß § 122 Abs. 1 AO 1977 steht die Auswahl des Bekanntgabeempfängers auch dann im Ermessen der Finanzbehörde, wenn ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt, eine schriftliche Vollmacht jedoch nicht vorgelegt worden ist" und das eine Bindung der Behörde zugunsten einer Bekanntgabe an den einen oder den anderen ablehnt.
4. Einen Schritt weiter geht das Urteil des BVerwG, das nach eingehender Auseinandersetzung mit den in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen überzeugend aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit zu der dem § 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 entsprechenden Vorschrift des § 41 Abs. 1 Satz 2 VwVfG entschieden hat, dass die Bekanntgabe an den Betroffenen den Verwaltungsakt in jedem Fall wirksam werden lässt und die Ergänzung, dass der Verwaltungsakt (auch) einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden könne, lediglich eine Erweiterung der der Behörde eröffneten Möglichkeiten der Bekanntgabe darstelle (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1997 3 C 35/96, BVerwGE 105, 288, 292 ff.).
a) Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung für die Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG, wonach Verwaltungsakte (auch) an den bestellten Vertreter zugestellt werden können, an. Für die Zustellung, für die allein die Vorschriften des VwZG gelten (§ 122 Abs. 5 Satz 2 AO 1977; BFH in ständiger Rechtsprechung, vgl. in BFHE 173, 213, BStBl II 1994, 603, 606, m.w.N.), findet die vom BVerwG zu § 41 Abs. 1 Satz 2 VwVfG vertretene Auffassung eine weitere Stütze in § 9 VwZG. § 9 VwZG hält eine Heilung des Zustellungsmangels für möglich und notwendig, wenn das Schriftstück unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist. Eine zwingende Zustellungsregel enthält aber nur § 8 Abs. 1 Satz 2 VwZG, nicht die in § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG eingeräumte Wahlfreiheit zwischen der Zustellung an den Betroffenen oder seinen Vertreter soweit nicht ausnahmsweise eine Ermessensreduzierung auf "Null" eingetreten ist (s. unter 5. der Gründe). Ist ―abgesehen von Mängeln in der Adressierung des Verwaltungsaktes selbst― bei der Bekanntgabe durch Zustellung eine förmliche Zustellungsvorschrift nicht verletzt worden, so geht das VwZG grundsätzlich von der wirksamen Bekanntgabe des zugestellten Schriftstücks aus.
Danach führt die Zustellung des Verwaltungsaktes an den Betroffenen selbst auch bei Bestellung oder vollmachtlosem Auftreten eines Bevollmächtigten für den Betroffenen im Verwaltungsverfahren zur Wirksamkeit der Bekanntgabe und dem Lauf der durch diese ausgelösten Rechtsbehelfsfrist, sofern nicht eine schriftliche Vollmacht für den Bevollmächtigten vorgelegt worden ist (§ 8 Abs. 1 Satz 2 VwZG).
b) Diese Auffassung entbindet die Behörde nicht von ihrer Verpflichtung zur Ausübung pflichtgemäßem Ermessens und sachgerechter Erwägungen hinsichtlich der Interessenlage bei der Auswahl des Zustellungsempfängers, sofern für den Betroffenen ein Bevollmächtigter bestellt ist. Sie führt aber zu einer Rechtssicherheit in der Weise, dass nicht jede ―häufig sogar unbewusste― Fehleinschätzung der Bevollmächtigung und des mutmaßlichen Interesses des Betroffenen, ob dieser eine Zustellung des regelnden Verwaltungsaktes an sich selbst oder an den für ihn im Verwaltungsverfahren ohne Vollmachtvorlage aufgetretenen Vertreter wünscht, zur Unwirksamkeit des an den Steuerpflichtigen selbst bekannt gegebenen bzw. zugestellten Verwaltungsaktes führt. Dies entspricht dem von der Rechtsprechung des BFH in BFHE 152, 1, BStBl II 1988, 242 hervorgehobenen Grundsatz, dass der Steuerpflichtige sich zweifelsfrei erklären muss, wenn er keine Bekanntgabe/Zustellung an sich selbst, sondern eine solche an seinen Bevollmächtigten wünscht. Es stellt auch weder für den Vertretenen, noch für den Vertreter eine unzumutbare Belastung dar, der Behörde bei Bestellung eines Bevollmächtigten eine Vollmacht vorzulegen, sofern der Vertretene die Bekanntgabe bzw. Zustellung von Verwaltungsakten an sich selbst nicht will (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 193, 41, BStBl II 2001, 86, und BFH in BFHE 152, 1, BStBl II 1988, 242; siehe dazu auch Rüsken, BFH-PR 2001, 33). Es liegt damit beim Vollmachtgeber, von sich aus jederzeit die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht zu bewirken. Eine Erkundigungspflicht der Behörde, ob eine Empfangsvollmacht erteilt worden ist, besteht danach ―entgegen der Auffassung des Klägers― nicht (Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Rz. 1 zu § 8 VwZG; Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Rz. 14 zu § 8 VwZG).
5. Die hier vertretene Auffassung findet allerdings eine Grenze dort, wo der verfassungsrechtliche Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes, nämlich des Gebotes gleicher Entscheidungen bei gleichem Sachverhalt willkürlich verletzt worden ist. Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung, dass die Behörde, die Zustellungen bislang ständig an den Bevollmächtigten gerichtet hat, nicht willkürlich wechseln darf; d.h., dass insoweit bei Ausübung des Wahlrechts nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG eine Ermessensreduzierung auf "Null" einritt (vgl. Engelhardt/App, Verwaltungsverfahrensgesetz, Verwaltungszustellungsgesetz, 5. Aufl., Rz. 5 zu § 8 VwZG; vgl. auch BFH in BFHE 82, 391, BStBl III 1965, 389, und in BFHE 59, 305, BStBl III 1954, 327, sowie vom 29. Juli 1954 V 50/54 U, BFHE 59, 212, BStBl III 1954, 290). Ein willkürlicher Wechsel des Zustellungsempfängers würde dem Ziel der Rechtssicherheit widersprechen; denn gerade bei dem Akt, der den Bescheid, an den die Rechtsfolgen wie die Zahlungsaufforderung, Säumnisfolgen und letztlich die Vollstreckung geknüpft sind, wirksam werden lässt, ist das Vertrauen des Steuerpflichtigen auf gleichmäßige Handhabung und größtmögliche Rechtsklarheit von hoher Bedeutung. Der Senat hat im vorliegenden Fall über die Rechtsfolge einer willkürlichen Ausübung des Zustellungsermessens nicht zu entscheiden.
Entgegen der Auffassung des FG liegt nämlich eine willkürliche Handhabung nicht bereits darin, dass die Behörde, die die Verhandlungen in einem dem Erlass des Verwaltungsaktes vorausgehenden Ermittlungsstadium mit dem Vertreter des Steuerpflichtigen geführt hat, den dieses Verfahren beendenden Verwaltungsakt dem Betroffenen selbst bekannt gibt, sofern der Vertreter eine schriftliche Vollmacht nicht eingereicht hat (vgl. BFHE 152, 1, BStBl II 1988, 242, 243, unter B. 5. der Gründe). In dem Fall, in dem sich ein Steuerpflichtiger vertreten lässt, ohne dem Bevollmächtigten eine schriftliche Vollmacht zu erteilen oder ohne dass dieser der Behörde eine solche vorlegt, muss der Betroffene damit rechnen, dass die Regelungen der Behörde durch Verwaltungsakte ihm persönlich bekannt gegeben werden. Eine willkürliche Handhabung könnte allenfalls angenommen werden, wenn die Behörde bei der Zustellung mehrerer in dem gleichen steuerlichen Verfahren ergehender Verwaltungsakte zwischen einem vollmachtlosen Vertreter und dem Betroffenen selbst wechselt.
Diese Situation ist im Streitfall nicht gegeben. Der ohne Vollmacht für den Kläger aufgetretene Vertreter hat lediglich im Haftungsprüfungsverfahren mitgewirkt. Eine Zustellung von Verwaltungsakten ist vor der ersten Regelung durch den Haftungsbescheid vom 24. November 1997 nicht erfolgt. Das FG, das sich für seine Auffassung, das FA, das sich eine Zeit lang ständig an den Vertreter gewendet habe, hätte den Haftungsbescheid als abschließende Entscheidung des Verfahrens nicht dem Steuerpflichtigen unmittelbar zustellen dürfen, auf die Entscheidungen des BFH in BFHE 59, 305, BStBl III 1954, 327 und in BFHE 82, 391, BStBl III 1965, 389 beruft, übersieht, dass diese Entscheidungen zu dem Rechtsstand vor Einfügung des Satzes 2 in § 8 Abs. 1 VwZG a.F. ergangen sind. Da sich die Rechtslage durch die Vorschriften des § 8 VwZG n.F. geändert hat, kann insoweit auf die frühere Rechtsprechung nur mehr eingeschränkt zurückgegriffen werden (vgl. BFH in BFHE 59, 305, BStBl III 1954, 327). Das Urteil des Senats in BFHE 193, 41, BStBl II 2001, 86 stützt hingegen die Auffassung des FG nicht. Vielmehr führt der Senat dort aus, dass selbst eine allgemein erteilte Vollmacht, die nicht erkennen lässt, dass der Kläger eine Anordnung für die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes treffen wollte, nicht zu einer Verpflichtung zur Bekanntgabe des Bescheides an den Bevollmächtigten führt.
6. War danach die laut Postzustellungsurkunde am 25. November 1997 durch Niederlegung bei der Post bewirkte Zustellung an den Kläger persönlich rechtswirksam, so begann die Frist für die Einlegung des Einspruchs am 25. November 1997 zu laufen. Der am 19. Januar 1998 bei dem zuständigen FA eingegangene Einspruch war daher verspätet.
7. Das Urteil des FG, das von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif und war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hat von seinem Standpunkt aus zu Recht die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgegriffen. Der Haftungsbescheid ist dem Kläger laut Postzustellungsurkunde vom 25. November 1997 durch Niederlegung zugestellt worden. Das FG hat nicht geprüft, ob der Kläger möglicherweise ohne Verschulden gehindert war, die Rechtsbehelfsfrist einzuhalten (§ 355, § 110 AO 1977).
Fundstellen
Haufe-Index 1129523 |
BFH/NV 2004, 678 |
BStBl II 2004, 439 |
BFHE 2004, 403 |
BFHE 204, 403 |
BB 2004, 874 |
DStR 2004, 724 |
DStRE 2004, 608 |
DStZ 2004, 321 |
HFR 2004, 794 |