Leitsatz (amtlich)
1. War die OFD als Beschwerdebehörde Beklagte des Berufungsverfahrens, ist sie es auch in dem durch Rechtsbeschwerde eingeleiteten Revisionsverfahren geblieben (BFH 84, 477, BStBl III 1966, 174).
2. Die Frage, ob aus Rechtsgründen ein Steuererstattungsanspruch gegeben war oder nicht, kann nicht Gegenstand eines Rechtsstreits sein, der über die Erstattung aus Billigkeitsgründen geführt wird.
2. Bei einem aus Rechtsgründen eindeutig fehlerhaften Bescheid braucht die Nichterstattung der bezahlten Steuer keine unbillige Härte zu sein, wenn der Steuerpflichtige ihn in Kenntnis der rechtlichen Problematik unanfechtbar werden ließ, obschon er weder durch fehlende Mittel noch durch Unerfahrenheit noch durch ein außergewöhnliches Verhalten der Finanzverwaltung abgehalten wurde, den Rechtsweg gegen die Steuerfestsetzung zu beschreiten.
Normenkette
FGO § 122 Abs. 1, § 184 Abs. 2; AO § 131 Abs. 1 S. 2; AO a.F. § 235 Nr. 5, § 229 Abs. 2, § 237 Abs. 1, § 304 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger ist ein Versicherungsunternehmen. Die bei ihm gegen Feuer versicherten Gebäude waren zugleich ohne besondere Prämie gegen Sturmschäden versichert.
Der Kläger hat die Feuerschutzsteuer für das Jahr 1953 aus den vollen Versicherungsentgelten abgeführt. Im Oktober 1954 beantragte er unter Bezugnahme auf § 4 Nr. 2 der Durchführungsbestimmungen zum Feuerschutzsteuergesetz (FeuerschutzStDB), die Steuer nur aus den halben Versicherungsentgelten zu berechnen. Das FA lehnte das ab und setzte die Steuer für 1954 und 1955 aus den vollen Entgelten fest; der Kläger erhob dagegen Einspruch. Im April 1957 erklärte sich das Finanzministerium damit einverstanden, daß ein Viertel der Beiträge unbesteuert bleibe. Entsprechend änderte das FA die durch Einspruch angefochtenen Steuerbescheide für 1954 und 1955 und setzte in der Folge die Feuerschutzsteuer für die Jahre 1956 bis 1961 jeweils nur aus drei Vierteln der Versicherungsentgelte fest. Diese Bescheide wurden nicht angefochten; die Steuern hieraus sind bezahlt.
Nach Bekanntwerden des Urteils des BFH II 122/59 U vom 29. August 1962 (BFH 75, 557, BStBl III 1962, 471) beantragte der Kläger, die für die Jahre 1953 bis 1961 bezahlte Feuerschutzsteuer insoweit zu erstatten, als sie bei Versicherungen mit gleichzeitigem Sturmschadenrisiko aus mehr als dem halben Versicherungsentgelt berechnet und entrichtet wurde. FA und OFD haben den Antrag abgelehnt; die Berufung war erfolglos.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Der Kläger verlangt - wie auch in der Revisionsbegründung zum Ausdruck kommt - die Erstattung der Steuer aus Gründen sachlicher Unbilligkeit (§ 131 AO). Gegen die Ablehnung dieses Antrags durch das FA war gemäß § 237 Abs. 1, § 304 Abs. 2 AO a. F. die Beschwerde an die OFD gegeben. Diese war im anschließenden Berufungsverfahren (§ 237 Abs. 2 AO a. F.) Beklagte; gemäß § 122 Abs. 1 FGO ist sie es daher auch im Revisionsverfahren geblieben (BFH-Urteil IV 178/65 vom 10. Februar 1966, BFH 84, 477, BStBl III 1966, 174).
Da andererseits gemäß § 235 Nr. 5, § 229 Abs. 2 AO a. F. gegen eine Ablehnung einer Erstattung aus Rechtsgründen der Einspruch gegeben gewesen wäre und das Berufungsverfahren wegen dieser Frage gegen das FA hätte geführt werden müssen, kann auch im Revisionsverfahren nicht geprüft werden, ob aus Rechtsgründen ein Steuererstattungsanspruch gegeben war oder nicht. Daher ist es auf die Entscheidung ohne Einfluß, daß das FG den Erlaß des RdF vom 19. März 1943 (RStBl 1943, 290), eine Verwaltungsvorschrift, wie einen Rechtssatz behandelt und unter Übersehen des § 91 AO in der Entgegennahme der Steuer einen formlosen Steuerbescheid im Sinne des § 212 AO gesehen hat.
Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AO kann eine bereits entrichtete Steuer im Einzelfall erstattet werden, wenn die Nichterstattung nach Lage dieses Falles unbillig wäre. Diese Vorschrift ergänzt die vorangehende des Halbsatzes 1, wonach eine Steuer erlassen werden kann, wenn ihre Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Beide Vorschriften erlauben einen Ausgleich im Billigkeitswege nicht nur dann, wenn die Steuer gerade den einzelnen Steuerpflichtigen persönlich besonders hart trifft, sondern auch dann, wenn die Besteuerung in der Sache selbst unbillig ist (vgl. BFH-Urteil III 112/60 U vom 30. August 1963, BFH 77, 522, BStBl III 1963, 511). In beiden Fällen kann eine Unbilligkeit in der Sache selbst nicht solchen Umständen entnommen werden, die der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen hat (vgl. BFH-Urteil II 184/62 vom 29. September 1965, HFR 1966, 31). Das gilt auch für die Folgen der Versäumung gesetzlicher Fristen (vgl. BFH-Urteil II 151/64 vom 7. Mai 1968, BFH 93, 14, BStBl II 1968, 663). Infolgedessen ist die Richtigkeit eines unanfechtbar gewordenen Steuerbescheids im Verfahren gemäß § 131 AO grundsätzlich nicht mehr nachzuprüfen (vgl. BFH-Urteile VI 187/57 U vom 30. August 1957, BFH 65, 457, BStBl III 1957, 408; II 112/59 U vom 29. August 1962, BFH 76, 409, BStBl III 1963, 150; IV 155/62 vom 31. Januar 1963, HFR 1963, 225; I 331/62 vom 14. Oktober 1964, HFR 1965, 129; V 137/64 vom 1. Dezember 1966, BFH 87, 405, BStBl III 1967, 156).
Demgegenüber hat allerdings der BFH stets anerkannt, daß eine Ausnahme von diesem Grundsatz in Betracht kommen könne, wenn die Sach- oder Rechtslage im vorangegangenen Steuerbescheid offensichtlich falsch beurteilt worden ist (vgl. BFH-Urteile II 112/59 U vom 29. August 1962, a. a. O.; I 379/60 vom 30. September 1964, HFR 1965, 127; V 23/62 vom 1. Oktober 1964, HFR 1965, 322). Erkennt die Finanzverwaltung selbst, daß ein von ihr erlassener, unanfechtbarer Bescheid auf einem offensichtlichen, aber nicht gemäß § 92 Abs. 2 AO (§ 92 Abs. 3 AO a. F.) behebbaren Fehler beruht, so kann sie eine dadurch als unbillig erkannte Vollziehung durch Erlaß gemäß § 131 AO abwenden (vgl. aber auch den Rechtsgedanken des § 94 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 AO); auch die gesamten Umstände des Falles können die Einziehung der Steuer auf Grund eines fehlerhaften, aber unanfechtbar gewordenen Verwaltungsaktes als unbillige Härte erscheinen lassen (vgl. BFH-Urteil III R 4/66 vom 6. Mai 1966, BFH 86, 282, BStBl III 1966, 410). Doch müssen Gründe, welche stark genug wären, die Einziehung einer noch nicht erhobenen Steuer als unbillig darzustellen, nicht stets auch dazu ausreichen, die Erstattung bereits nach Maßgabe unanfechtbarer Bescheide bezahlter Steuer zu rechtfertigen (vgl. für eine andere Frage den Rechtsgedanken des § 79 Abs. 2 BVerfGG). Selbst "offensichtliche" oder "eindeutige" Fehlerhaftigkeit eines unanfechtbaren und unabänderlichen Bescheids kann nur auf Grund und nach Maßgabe des § 131 AO ein Erstattungsgrund sein. Die vorbezeichneten Urteile konnten die gesetzlichen Erstattungsgründe nicht erweitern; eine solche Absicht ist ihnen auch nicht zu entnehmen.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger die von ihm geforderte Steuer in voller Kenntnis ihrer rechtlichen Problematik bezahlt. Es ist nicht zu ersehen, daß er sich der Möglichkeit, seinem ursprünglichen und jetzt wieder eingenommenen Standpunkt im Rechtsweg Geltung zu verschaffen, nicht bewußt gewesen wäre. Ebenso ist nicht zu ersehen, daß er etwa durch fehlende Mittel oder ein besonderes Maß an Unerfahrenheit oder durch ein außergewöhnliches Verhalten der Finanzverwaltung veranlaßt worden wäre, nicht den Rechtsweg zu beschreiten (auf die angebliche "Drohung", ggf. werde das Gesetz geändert, ist der Kläger mit der Rechtsbeschwerde nicht zurückgekommen; sie wäre auch unerheblich). Die Finanzverwaltung hat vielmehr nur ihren gegenteiligen Standpunkt dargelegt und sich schließlich auf eine Billigkeitsregelung eingelassen, deren Ergebnis in der Mitte der beiden Rechtsstandpunkte lag. Unter diesen Umständen erweist sich die Nichterstattung der formell ordnungsgemäß entrichteten Steuer nicht als eine unbillige Härte im Sinne des § 131 AO, ohne daß es darauf ankäme, ob der den Steuerfestsetzungen zugrunde liegende Rechtsstandpunkt (nur) fehlerhaft oder gar offensichtlich falsch war. Denn unterstellt, die Fehlerhaftigkeit wäre offensichtlich, so mußte sie schon damals offensichtlich gewesen sein, und der Kläger wäre nicht minder offensichtlich veranlaßt gewesen, die Bescheide anzufechten.
Der Kläger wendet noch ein, bei einer anderen Versicherung sei die Feuerschutzsteuer von vornherein nur aus der Hälfte des Gesamtbetrags der Versicherungsentgelte erhoben worden; er rügt Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG). Indessen liegt - wie sich aus den vorangehenden Ausführungen ergibt - die Frage, in welcher Höhe die Feuerschutzsteuer festzusetzen war, grundsätzlich anders als die hier allein maßgebende Frage, unter welchen Voraussetzungen eine fälschlich festgesetzte und bezahlte Steuer aus Billigkeitsgründen (§ 131 AO) zu erstatten ist. Das FG ist daher mit Recht der von der Beklagten bestrittenen Behauptung des Klägers nicht nachgegangen.
Die Revision des Klägers war demnach als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 69015 |
BStBl II 1970, 503 |
BFHE 1970, 8 |