Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Rückstellung wegen drohender Verluste aus Geschäften, die am Bilanzstichtag von beiden Seiten noch nicht erfüllt sind (sogenannte schwebende Geschäfte).
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, §§ 5, 6/2
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) betrieb im Jahre 1950 als Einzelkaufmann ein Kaufhaus. Zum 1. Januar 1951 brachte er den Betrieb in eine GmbH ein, an der er zu 90 v. H. beteiligt ist. Streitig ist die Zulässigkeit einer Rückstellung von 50 000 DM, die er in der Bilanz vom 31. Dezember 1950 wegen drohender Verluste aus im Jahre 1950 abgeschlossenen Kaufgeschäften gebildet hatte. Der Bf. hatte im ersten Vierteljahr 1951 Verpflichtungen zur Abnahme von Waren im Gesamtbetrage von 565 000 DM, die die GmbH übernahm. Auf Grund einer Vereinbarung vom 21. August 1951 gewährte er der GmbH eine Entschädigung von 50 000 DM.
Die Vorinstanzen erkannten die Rückstellung nicht an, und zwar das Finanzgericht mit folgender Begründung: Wenn eine Rückstellung wegen drohender Verluste aus schwebenden Geschäften gebildet werde, so müßten die Tatsachen, die einen solchen Verlust als wahrscheinlich erscheinen ließen, am Bilanzstichtag bereits bestehen. Die umfangreichen Kaufabschlüsse im Herbst 1950 seien wirtschaftlich gerechtfertigt gewesen. Die Preise für Textilwaren seien bis April 1951 noch gestiegen und seien im späteren Verlauf des Jahres 1951 nur so wenig gefallen, daß sie Ende 1951 noch immer über den Preisen zu Anfang des Jahres 1951 gelegen hätten. Zudem seien die Kaufabschlüsse erst im Herbst 1950 getätigt worden, also nur ein Vierteljahr vor dem Bilanzstichtag. Das Abkommen vom 21. August 1951 mit der GmbH könne nicht auf den 31. Dezember 1950 zurückbezogen werden und lasse auch nicht den Schluß zu, daß der Bf. bereits Ende 1950 eine Fehlmaßnahme für möglich oder wahrscheinlich gehalten habe. Ein Verlust sei daraus für den Bf. erst im Jahre 1951 entstanden (§ 24 Ziff. 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -).
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) rügt der Bf. eine Verletzung des sachlichen Rechts. Das Finanzgericht habe die Besonderheiten dieses Falles nicht ausreichend gewürdigt. Es komme nicht darauf an, ob die Einkaufspreise für Textilien nach Abschluß der Verträge gefallen seien, sondern ob im Fall des Bf. die Einkäufe gegenüber den Verkaufsmöglichkeiten übersetzt gewesen seien. Die Einkäufe seien Ende 1950 tatsächlich überhöht gewesen. Es sei mehr eingekauft worden, als in der folgenden Saison hätte verkauft werden können. Wenn ein Kaufmann eingekaufte Waren später wegen zwischenzeitlich eingetretener modischer Wandlungen usw. nicht mehr günstig verkaufen könne, so müsse er das in der Bilanz berücksichtigen. Das Finanzgericht habe sich auch nicht mit der Frage auseinandergesetzt, welche Bedeutung der Vereinbarung vom 21. August 1951 zukomme.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
In der Entscheidung IV 566/54 U vom 26. Januar 1956 (Bundessteuerblatt - BStBl - III S. 113) hat sich der IV. Senat des Bundesfinanzhofs mit einem ähnlichen Fall befaßt. Der erkennende Senat tritt den Rechtsgrundsätzen dieser Entscheidung bei. Gegenstand der Bewertung am Bilanzstichtag sind die einzelnen Wirtschaftsgüter in dem Zustand, in dem sie sich am Bilanzstichtag befinden. Eine bis zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung gewonnene bessere Erkenntnis über einen am Bilanzstichtag bereits vorhandenen Zustand muß der Kaufmann berücksichtigen. Drohende Verluste aus Geschäften, die am Bilanzstichtag beiderseits noch nicht erfüllt sind (schwebende Geschäfte), sind in der Bilanz durch eine Rückstellung auszuweisen, weil der Kaufmann nach Handelsrecht und Steuerrecht verpflichtet ist, im Interesse der Bilanzwahrheit nicht verwirklichte, aber wahrscheinlich eintretende Verluste aus schwebenden Geschäften darzustellen.
Verluste aus schwebenden Geschäften können dadurch entstehen, daß die Wiederbeschaffungskosten am Bilanzstichtag niedriger waren als zur Zeit der Geschäftsabschlüsse. Im Urteil IV 566/54 U ist bereits ausgeführt, daß in einem solchen Fall der Betrag zurückgestellt werden kann, um den die Wiederbeschaffungskosten (Markt- und Börsenpreise) gegenüber den vom Unternehmer auf Grund der ungünstigen schwebenden Verträge aufzuwendenden Kosten niedriger sind. Besteht für die vertraglich abzunehmenden Gegenstände, wie oft, kein eindeutiger Markt- oder Börsenpreis, so ist von den - notfalls zu schätzenden - üblichen Durchschnittspreisen auszugehen, die der Kaufmann nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag hätte aufwenden müssen. Bei dieser Schätzung ist dem Ermessen des Kaufmanns ein gewisser Spielraum zu geben. Hat also ein Unternehmer aus einem vor dem Bilanzstichtag abgeschlossenen, am Bilanzstichtag beiderseits noch nicht erfüllten Kaufgeschäft Waren abzunehmen, so kann er grundsätzlich in Höhe der gesunkenen Wiederbeschaffungskosten eine Rückstellung ausweisen. Denn ein Erwerber des ganzen Betriebs würde in schwebende Geschäfte nur zu den Bedingungen eintreten, die am Tag der übernahme des Geschäfts gegeben sind, d. h. er würde nur die am Bilanzstichtag aufzuwendenden Wiederbeschaffungskosten ansetzen. Das Finanzgericht hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Preise am 31. Dezember 1950 nicht gefallen waren. Damit entfällt für den Bf. die Möglichkeit, eine Rückstellung wegen drohender Verluste auf Grund rückläufiger Wiederbeschaffungskosten zu bilden.
Das Finanzgericht hat aber verkannt, daß in den am Bilanzstichtag schwebenden Abschlüssen Risiken nicht nur infolge eines Preissturzes bei der Wiederbeschaffung, sondern auch aus anderen Gründen liegen können. Der Bf. hatte im Streitfall geltend gemacht, daß er Kaufabschlüsse in zu großem Umfang getroffen habe; die Waren, zu deren Abnahme er sich verpflichtet habe, hätte er später nicht laufend absetzen können; sie seien wegen überalterung unmodern geworden und hätten deshalb im Preis herabgesetzt werden müssen. Der Bf. behauptet also eine Fehldisposition durch übergroße Einkäufe. Auf diese Vorbringen ist das Finanzgericht nicht eingegangen.
Ob in den schwebenden Geschäften ein Risiko, wie der Bf. es behauptet, liegt, kann nur im Einzelfall geprüft werden. Keinesfalls dürfen allgemeine Konjunkturrisiken, die nicht unmittelbar die am Bilanzstichtag schwebenden Geschäfte angehen, berücksichtigt werden. Liegt in den am Bilanzstichtag schwebenden Geschäften selbst kein Risiko, so kann der Kaufmann nicht etwa wegen seiner pessimistischen Beurteilung der künftigen Konjunktur eine Rückstellung bilden. Hier würde es sich nicht um Rückstellungen, sondern um Rücklagen handeln, die auf das Ergebnis ohne Einfluß sind. Konjunkturrisiken betreffen den Wert des Unternehmens im ganzen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist es nicht zulässig, einen Wert des ganzen Unternehmens (Geschäftswert) bei der Bewertung der sogenannten betriebsarteigenen Wirtschaftsgüter über den Wiederbeschaffungswert hinaus werterhöhend zu berücksichtigen, weil sonst die Werte verschiedener Wirtschaftsgüter miteinander vermengt würden (vgl. dazu Bescheid und Urteil des Bundesfinanzhofs I 117/54 U vom 14. Juni 1955 / 11. Oktober 1955, Slg. Bd. 62 S. 27, BStBl 1956 III S. 11). Ebenso kann es aber auch nicht zulässig sein, allgemeine Geschäfts- und Konjunkturrisiken, die der Kaufmann am Bilanzstichtag befürchtet, bei der Bewertung der einzelnen Wirtschaftsgüter wertmindernd in Erscheinung treten zu lassen.
Die Vorentscheidung wird wegen möglicher rechtsirriger Anwendung der §§ 5, 6 Ziff. 2 EStG aufgehoben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen, damit es das bisher nicht gewürdigte Vorbringen des Bf. prüft. Es ist Sache des Bf., Umstände darzutun, aus denen sich ergibt, daß eine Fehldisposition hinsichtlich des Umfangs der Einkäufe vorlag und darin besondere Risiken lagen. Im allgemeinen kann von der Vermutung ausgegangen werden, daß die vom Kaufmann getroffenen Maßnahmen wirtschaftlich sinnvoll sind und bei schwebenden Geschäften die beiderseitigen Leistungen gleichwertig einander gegenüberstehen. Das gilt insbesondere, wenn die Abschlüsse verhältnismäßig kurz vor dem Bilanzstichtag abgeschlossen worden sind. Will ein Kaufmann diese aus Erfahrungen im Wirtschaftsleben gewonnenen Vermutungen nicht gegen sich gelten lassen, so muß er entsprechende Tatsachen anführen. Eine solche Tatsache führt der Bf. nun mit der Berufung auf das Abkommen vom 21. August 1951 an. Es ist bisher nicht geprüft, ob und inwieweit die im Abkommen vom 21. August 1951 vereinbarte Entschädigung von 50 000 DM mit den vom Bf. behaupteten Risiken aus den schwebenden Geschäften zusammenhängt. Der Bf. behauptet, daß schon Anfang 1951 bei den Besprechungen über die Gründung der GmbH Verhandlungen über diese Entschädigung gepflogen worden seien, und daß die Entschädigung die in den schwebenden Verträgen liegenden Risiken hätte abgelten sollen. Das Finanzgericht will selbst die 50 000 DM als gewerblichen Verlust des Bf. anerkennen, aber erst für das Jahr 1951. Sollten die Behauptungen des Bf. zutreffen, so könnte möglicherweise eine Rückstellung von 50 000 DM zum 31. Dezember 1950 anzuerkennen sein. Bei der erneuten Entscheidung hat das Finanzgericht den gesamten Tatbestand neu zu würdigen und dabei die Rechtsgrundsätze dieser Entscheidung und des erwähnten Urteils IV 566/54 U zu beachten. Es muß insbesondere auch prüfen, ob bei der Entschädigung von 50 000 DM nicht die gesellschaftlichen Beziehungen des Bf. zu der GmbH eine maßgebende Rolle gespielt haben.
Fundstellen
Haufe-Index 408498 |
BStBl III 1956, 248 |
BFHE 1957, 133 |
BFHE 63, 133 |
BB 1956, 811 |
DB 1956, 859 |