Leitsatz (amtlich)
Die Richtlinie der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg vom 10. Juli 1958, wonach Verfolgten, Vertriebenen und durch den Krieg und seine Folgen geschädigten Personen beim Erwerb von Grundstücken unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag Grunderwerbsteuer bis zu 10 500 DM zu erlassen ist, hält sich nicht in den Grenzen, die § 131 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO dem Ermessen zog.
Normenkette
AO § 131 Abs. 1 S. 2, Abs. 2; StAnpG § 2 Abs. 1; AO 1977 §§ 227, 5; FGO § 102
Tatbestand
Der Kläger ist 1941 in Ostpreußen geboren und lebt seit 1945 in der Bundesrepublik Deutschland. Er hat den Ausweis A für Heimatvertriebene erhalten. Am 28. Oktober 1970 kaufte er ein rund 608 qm großes, in H gelegenes, mit zwei Mehrfamilienhäusern bebautes Teilgrundstück (A-Straße 20 und 22) für rund 210 000 DM und beantragte, ihm mindestens 10 500 DM Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen zu erlassen, und zwar gemäß der Richtlinie der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg vom 10. Juli 1958 über die Ausübung des Ermessens beim Erlaß von Grunderwerbsteuer, wenn "Verfolgte, Vertriebene und durch den Krieg und seine Folgen geschädigte Personen" ein Grundstück erworben haben (DStR 1958, 356, 357). Er habe den einen Teil des Grundstücks (A-Straße 20) erworben "zur Schaffung einer gesicherten Existenzgrundlage", den anderen Teil (A-Straße 22) "zur Schaffung von Wohnraum" für sich selbst.
Der Beklagte (FA) lehnte den Antrag durch Verfügung vom 30. März 1971 ab, stellte jedoch "einen Teilerlaß der Grunderwerbsteuer in Höhe von 3 500 DM in Aussicht", falls der Kläger bis spätestens 1. August 1971 eine Wohnung in dem Gebäude A-Straße 22 beziehe. Am 7. April 1971 entrichtete der Kläger die auf 14 920,70 DM festgesetzte Grunderwerbsteuer.
Die OFD wies die Beschwerde durch Entscheidung vom 12. September 1973 als unbegründet zurück. Mehr als die vom FA in Aussicht gestellten 3 500 DM Grunderwerbsteuer seien dem Kläger nicht zu erstatten, da er das Grundstück A-Straße 20 nicht "zur Schaffung einer gesicherten Existenzgrundlage" im Sinne der erwähnten Richtlinie erworben habe. Davon unabhängig sei eine Erstattung der Grunderwerbsteuer "aus sonstigen Billigkeitsgründen nach § 131 AO nicht gerechtfertigt" aus Gründen, wie sie der BFH in seinem Urteil vom 10. Mai 1972 II 57/64 (BFHE 105, 458, BStBl II 1972, 649) dargelegt habe.
Am 16. Oktober 1973 erstattete das FA 3 500 DM Grunderwerbsteuer, da der Kläger inzwischen eine Wohnung in dem Gebäude A-Straße 22 bezogen hatte.
Mit der Klage hat der Kläger beantragt, unter Änderung der Ablehnungsverfügung und der Beschwerdeentscheidung das FA zu verurteilen, ihm weitere 7 000 DM Grunderwerbsteuer zu erstatten. Soweit FA und OFD dies abgelehnt hätten, seien deren Entscheidungen ermessensfehlerhaft und stünden nicht in Einklang mit der erwähnten Richtlinie vom 10. Juli 1958, in der ausdrücklich vorgeschrieben sei, daß "die Bestimmungen dieses Erlasses ... mit der durch die Besonderheit der Materie gebotenen Großzügigkeit zu handhaben" seien.
Das FG hat die Klage abgewiesen. Sein Urteil ist in den EFG 1975, 388, veröffentlicht. Der Kläger habe keinen Rechtsanspruch auf Erstattung von 7 000 DM Grunderwerbsteuer. Für diese Beurteilung könne dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen der bezeichneten Richtlinie erfüllt seien oder nicht. Denn selbst wenn sie erfüllt wären, könnte dies eine Erstattung von 7 000 DM Grunderwerbsteuer nicht rechtfertigen, weil jene Richtlinie die Grenzen überschreite, die das Gesetz (§ 131 AO) dem Ermessen ziehe. Sie beschränke sich nicht auf die Regelung solcher gleichgelagerter Fälle, in denen die Einziehung der Steuer "nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre", sondern ordne allgemein an, daß "beim Grundstückserwerb durch Vertriebene, Flüchtlinge und andere gleichgestellte Personen unter bestimmten Voraussetzungen die Steuer" in bestimmter Höhe zu erlassen sei. Es sei aber nicht erkennbar, daß es bei einem Grundstückserwerb durch Vertriebene - trotz Verwirklichung eines steuerschuldbegründenden Tatbestandes (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Hamburgischen Grunderwerbsteuergesetzes 1966) - den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderlaufe und deshalb unbillig sei, die Grunderwerbsteuer einzuziehen. Die Vorschrift des § 131 AO ermächtige "die Finanzverwaltung nicht, anstelle des Gesetzgebers sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen zu treffen". Auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) lasse sich der erhobene Anspruch nicht herleiten, weil dieser Grundsatz "dem Staatsbürger nur eine Gleichheit vor dem Gesetz" gewähre, nicht dagegen vor einer dem Gesetz widersprechenden Verwaltungsregelung. Infolgedessen komme es nicht darauf an, ob - wie der Kläger behauptet habe - das FA in einem gleichartigen Falle dem Erwerber eines Mietshauses Grunderwerbsteuer erlassen habe. Falls der Kläger bei Abschluß des Grundstückskaufvertrags auf die Gültigkeit der erwähnten Richtlinie vertraut haben sollte, rechtfertige auch dies nicht den von ihm erhobenen Anspruch, denn die Wirkung des Vertrauensgrundsatzes ende dort, "wo er die Bindung an das Gesetz generell aufheben würde". Die Ablehnung der Steuererstattung sei - unabhängig von der angeführten Richtlinie - nicht ermessensfehlerhaft. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, daß er im Jahre 1971, als er die Grunderwerbsteuer entrichtete, ein zu versteuerndes Einkommen von 4 000 DM bis 5 000 DM erzielt und das Grundstück voll fremdfinanziert habe. Weder in seiner Beschwerdeschrift an die OFD noch in der mündlichen Verhandlung vor dem FG habe er geltend gemacht, er sei durch die Entrichtung der Steuer im Jahre 1971 in seiner Existenz gefährdet gewesen. Falls er beim Kauf des Grundstücks den Kostenfaktor Grunderwerbsteuer nicht berücksichtigt haben sollte, mache dies die Einziehung der Steuer nicht unbillig.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 131 AO. Er regt an, "eine Stellungnahme der Finanzbehörde Hamburg hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von Gültigkeit und Handhabung des von ihr im Jahre 1958 herausgegebenen o. g. Erlasses einzuholen". Der Kläger beantragt,
"den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Finanzgerichts Hamburg vom 16. April 1975 zu verpflichten, von der mit vorläufigem Steuerbescheid vom 16. März 1971 festgesetzten GrESt für den Erwerb A-Straße 20/22 weitere DM 7 000,- zu erstatten,
hilfsweise,
unter Aufhebung des Urteils vom 16. April 1975 den Beklagten zu verpflichten, den Kläger in der Gestalt der Beschwerdeentscheidung vom 12. September 1973 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden."
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das Urteil des FG beruht nicht auf einer Verletzung des früheren § 131 AO (vgl. jetzt § 227 AO 1977). Nach dieser Vorschrift konnten bereits entrichtete Steuerbeträge erstattet werden, wenn ihre Einziehung "nach Lage des einzelnen Falles unbillig" gewesen wäre. Das FG hat die Entscheidung des FA und der OFD, daß die Einziehung der 7 000 DM Grunderwerbsteuer nicht unbillig sei, zutreffend als Ermessensentscheidung beurteilt und sie nur daraufhin geprüft, ob die Ablehnung der Steuererstattung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 FGO). Es hat richtig erkannt, daß die Beschwerdeentscheidung der OFD (§ 44 Abs. 2 FGO) in ihrer Hauptbegründung insofern einen Fehler enthält, als die OFD ihr Ermessen nach der erwähnten Richtlinie ausgeübt hat, diese Richtlinie sich aber - wie das FG zutreffend dargelegt hat - nicht in den Grenzen hält, die das Gesetz dem Ermessen zieht (§ 2 Abs. 1 des inzwischen aufgehobenen Steueranpassungsgesetzes; jetzt § 5 AO 1977). Im gleichen Sinne hat der erkennende Senat ähnliche Richtlinien anderer Landesfinanzbehörden beurteilt: Hessen (BFH-Urteil vom 7. August 1974 II R 57/72, BFHE 113, 265, BStBl II 1975, 51), Bremen (BFH-Urteil vom 30. April 1975 II R 32/69, BFHE 116, 58, BStBl II 1975, 720), Bayern (BFH-Urteil vom 7. April 1976 II R 97/70, BFHE 119, 126, BStBl II 1976, 697) und Niedersachsen (BFH-Urteil vom 2. März 1977 II R 54/75, BFHE 122, 158, BStBl II 1977, 566). Trotz dieses Fehlers brauchte das FG die Ablehnungsverfügung des FA und die Beschwerdeentscheidung der OFD nicht aufzuheben, denn die in der Beschwerdeentscheidung ("unabhängig" von der angeführten Richtlinie) gegebene Hilfsbegründung war - wie das FG richtig erkannt hat - ermessensfehlerfrei. Es war nicht notwendig, "eine Stellungnahme der Finanzbehörde Hamburg hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von Gültigkeit und Handhabung des von ihr im Jahre 1958 herausgegebenen ... Erlasses einzuholen" oder den Senator für Finanzen zum Beitritt aufzufordern (§ 122 FGO). Denn selbst wenn man - wie der Kläger - aus der Tatsache, daß das Hamburgische Grunderwerbsteuergesetz i. d. F. vom 26. April 1966 (GVBl I, 129, BStBl II, 113) nicht die in der Richtlinie enthaltenen "Erlaß- und Befreiungsvorschriften" enthält, den Schluß zöge, die Finanzbehörde Hamburg habe die Richtlinie "ausdrücklich als rechtsgültig und verbindlich für die Finanzverwaltung betrachtet und auch gehandhabt", änderte das nichts an der Rechtslage, daß es allein Sache des Gesetzgebers ist, zu entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfange und unter welchen Voraussetzungen ein Grundstückserwerb durch Vertriebene von der Grunderwerbsteuer befreit sein soll. Denn auch "die vollziehende Gewalt" ist an "Gesetz und Recht" gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG) und kann deshalb nicht von sich aus Grundstückserwerbe durch Vertriebene von der Grunderwerbsteuer ganz oder teilweise befreien.
Die in diesem Zusammenhang vom FG aufgeworfene Frage, ob und ggf. wie das Vertrauen des Klägers auf die Gültigkeit der erwähnten Richtlinie zu schützen sei, kann hier unbeantwortet bleiben. Insbesondere läßt der erkennende Senat offen, ob er uneingeschränkt der Ansicht folgen könnte, die das BVerwG in seinem vom FG angeführten Urteil vom 10. Dezember 1969 VIII C 104.69 (BVerwGE 34, 278, 284) vertritt, nämlich daß die auf Verwaltungsvorschriften rückführbare rechtswidrig begünstigende Verwaltungsübung "allenfalls die Frage nach möglichen Schadensersatzansprüchen aufwerfen, nicht hingegen einen ... Anspruch auf ein Verwaltungshandeln gegen das Gesetz begründen" könne (vgl. dazu Randelzhofer, Gleichbehandlung im Unrecht?, Juristenzeitung 1973 S. 536, 544, und Dürig in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 3 Abs. 1 Rdnr. 185 a Fußnote 2 und Rdnr. 437). Denn selbst wenn man annähme, der Vertrauensgrundsatz könne das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durchbrechen, wäre das Urteil des FG im Ergebnis richtig, weil die in Abschn. I 2 a Doppelbuchstabe aa der Richtlinie aufgestellte Voraussetzung (daß der Erwerber das Grundstück "zur Schaffung einer gesicherten Existenzgrundlage oder zur Festigung einer bereits geschaffenen, aber noch gefährdeten Existenz" erworben hat) nicht erfüllt ist. Maßgebend für die Auslegung des in der Richtlinie verwendeten Begriffs "Schaffung einer gesicherten Existenzgrundlage" wäre dabei nicht, wie das Gericht einen solchen Begriff verstünde, wenn er gesetzliches Tatbestandsmerkmal wäre, sondern wie die Verwaltungsbehörden ihn verstanden haben und verstanden wissen wollten, und wie sie dementsprechend verfahren sind (vgl. BFH-Urteil vom 24. November 1965 II 118/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1966 S. 180 Nr. 118, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung n. F., § 131, Rechtsspruch 136). Die Verwaltungsbehörden haben - wie die Beschwerdeentscheidung der OFD zeigt - die Begriffe "gesicherte Existenzgrundlage" und "Festigung einer noch gefährdeten Existenz" nur dann für erfüllt erachtet, wenn "der Erwerber das Grundstück als Grundlage einer Erwerbstätigkeit kauft und auf diesem Grundstück eine persönliche Tätigkeit entfaltet, die sich als Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsleben darstellt"; dagegen nicht für gegeben erachtet, wenn der Erwerber - wie im vorliegenden Falle der Kläger - das erworbene Grundstück vermietet, also keine Einnahmen aus einer Erwerbstätigkeit, sondern Einnahmen aus der Nutzung seines Kapitals erhält.
Fundstellen
Haufe-Index 72599 |
BStBl II 1978, 42 |
BFHE 1978, 288 |