Leitsatz (amtlich)
Bei einem Arbeitnehmer, der den seinem Vater gehörenden und auf seinen Vater zugelassenen PKW für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt, der aber alle Unkosten einschließlich Kraftfahrzeugsteuer und Kraftfahrzeugversicherung selbst getragen hat, können nur die Pauschbeträge nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG 1969 als Werbungskosten berücksichtigt werden.
Normenkette
EStG 1969 § 9 Abs. 1 Nr. 4; LStDV 1970 § 20 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wohnte im Streitjahr 1970 mit seiner Familie in D und war in W als Arbeitnehmer tätig. Er fuhr im Streitjahr mit dem seinem Vater gehörenden und auf seinen Vater zugelassenen PKW an 240 Arbeitstagen von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück. Er machte im Lohnsteuer-Jahresausgleich PKW-Kosten für diese Fahrten mit 36 Pf je Entfernungskilometer geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte den Antrag - auch im Einspruchsverfahren - ab.
Im Klageverfahren machte der Kläger geltend, er habe den PKW seines Vaters ausschließlich gefahren und alle Unkosten einschließlich Steuer und Versicherung getragen. Dies habe sein Vater schriftlich bestätigt. Er sei mithin als wirtschaftlicher Eigentümer des PKW anzusehen. Sein Vater sei zwar Kraftfahrzeughalter gewesen und habe auch die Anschaffungskosten des PKW getragen. Hierauf komme es jedoch nicht an.
Die Klage wurde abgewiesen.
Das FG führte aus, die Voraussetzungen zum Abzug eines Pauschbetrags nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG 1969 seien im Streitfall nicht erfüllt, da es sich bei dem fraglichen PKW nicht um ein "eigenes Kraftfahrzeug" des Klägers im Sinn dieser Vorschrift handle. Dafür sei in der Regel entweder rechtliches oder doch wirtschaftliches Eigentum Voraussetzung. Beides liege beim Kläger nicht vor. Das Kraftfahrzeug gehöre unstreitig seinem Vater und sei auch auf den Namen des Vaters zugelassen. Er habe den Wagen im Streitjahr dem Kläger unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Daraus ergebe sich noch kein wirtschaftliches Eigentum des Klägers an dem Kraftfahrzeug. Der Kläger habe auch keine Umstände vorgetragen, nach denen er eine solche tatsächliche Herrschaft über den PKW ausgeübt habe, daß er seinen Vater auf die Dauer von der Einwirkung auf den Wagen rechtlich oder wirtschaftlich habe ausschließen können. Der Vater hätte den Wagen vielmehr jederzeit an sich ziehen und verkaufen können.
Es sei nicht möglich, die Regelung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG 1969 auch auf Arbeitnehmer anzuwenden, die keine rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentümer des von ihnen unentgeltlich benutzten Kraftfahrzeuges seien, die zwar die Kosten für die Haltung und den Betrieb des Kraftfahrzeugs, nicht aber den Wertverzehr getragen hätten. Ihnen könnte der Pauschsatz von 36 Pf je Entfernungskilometer nur unter Abzug der in dem Pauschsatz enthaltenen normalen Absetzung für Abnutzung (AfA) zugebilligt werden. Eine solche Handhabung würde nach Ansicht des FG jedoch gegen den erkennbaren Willen des Gesetzgebers verstoßen. Im übrigen würde eine Aussonderung von AfA-Beträgen und gegebenenfalls anderer Unkosten nur zu einer in jeder Hinsicht willkürlichen Schätzung führen.
Dem Kläger stehe ein Pauschbetrag von 36 Pf je Entfernungskilometer aber auch nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG als Werbungskosten zu. Selbst wenn man annehmen wollte, daß für Fahrten mit einem fremden PKW diese Vorschrift als lex generalis maßgebend sei, käme ein Werbungskostenabzug beim Kläger nicht in Betracht. Er habe seine Aufwendungen für die Benutzung des PKW seines Vaters für die täglichen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte weder geltend gemacht noch nachgewiesen, sondern begehre nur den Ansatz der Pauschbeträge, die ihm aber, wie dargelegt, nicht gewährt werden könnten.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, die Vorentscheidung verstoße gegen § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Er trägt vor, grundsätzlich seien Aufwendungen eines Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Werbungskosten. Der Kläger habe alle Aufwendungen für den PKW seines Vaters getragen. Der Kläger sei im Sinn des Gesetzes und der Rechtsprechung Kraftfahrzeughalter. Er habe die tatsächliche Herrschaft über den PKW ausgeübt. Infolge der Krankheit seines Vaters habe er schalten und walten können wie ein Eigentümer.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Die Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG 1969 bei einem Arbeitnehmer setzt voraus, daß es sich um ein "eigenes Kraftfahrzeug" des Arbeitnehmers handelt. Da der Begriff des "eigenen Kraftfahrzeugs" im Einkommensteuergesetz nicht im einzelnen umschrieben ist, muß er durch Auslegung ermittelt werden. Als "eigenes Kraftfahrzeug" kann nach der in erster Linie gebotenen Auslegung nach dem Wortlaut nur ein Kraftfahrzeug verstanden werden, das im bürgerlich-rechtlichen Eigentum des Arbeitnehmers steht oder das ihm nach der im Steuerrecht nach § 1 Abs. 2 StAnpG gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise steuerlich zuzurechnen ist, das also in seinem wirtschaftlichen Eigentum steht. Wirtschaftliches Eigentum ist nach der Rechtsprechung des BFH anzunehmen, wenn ein anderer als der rechtliche Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut dergestalt ausübt, daß dadurch der nach bürgerlichem Recht Berechtigte von einer Einwirkung dauernd ausgeschlossen ist (ständige Rechtsprechung; vgl. Urteile vom 18. November 1970 I 133/64, BFHE 100, 516, BStBl II 1971, 133, und die dort angeführten weiteren Entscheidungen, sowie vom 6. August 1971 III R 89/68, BFHE 103, 232, BStBl II 1972, 28). Das trifft im Streitfall nicht zu. Danach könnten die Fahrtkosten nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG 1969 berücksichtigt werden. Eine solche rein am Wortlaut des Gesetzes ausgerichtete Auslegung kann aber dann nicht in Betracht kommen, wenn sie mit § 1 Abs. 2 StAnpG nicht in Einklang steht; denn danach sind bei der Auslegung unter anderem der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung der Steuergesetze zu berücksichtigen.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG 1969 sind Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte grundsätzlich Werbungskosten. Besonderheiten gelten nach Satz 3 dieser Vorschrift für Fahrten mit einem eigenen Kraftfahrzeug; sie werden nur in Höhe der gesetzlich festgelegten Pauschbeträge anerkannt. Abweichungen gelten nur für die in § 9 Abs. 2 EStG 1969 angeführten Fälle. Der Zweck der Pauschbetragsregelung war ursprünglich in erster Linie eine Vereinfachung. Bei der sehr großen Zahl der in Betracht kommenden Fälle sollte den FÄ die Ermittlung der im Einzelfall tatsächlich erwachsenden Kosten erspart werden. Dabei waren die Pauschbeträge ursprünglich nach den tatsächlichen Kosten eines kleineren PKW ermittelt. Mit der Änderung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG durch das StÄndG 1966 vom 23. Dezember 1966 (BGBl I 1966, 702, BStBl I 1967, 2) durch Herabsetzung der Pauschbeträge kam ein weiterer Zweck hinzu: Durch die Kürzung der Pauschbeträge, für die nach den Gesetzesmaterialien in erster Linie allgemeine verkehrspolitische Erwägungen maßgebend waren (vgl. Bundestags-Drucksachen V/1068 S. 23, IV/2661 S. 87 ff.), sollte der durch die Pauschbeträge eintretende Anreiz, für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ein eigenes Kraftfahrzeug zu benutzen, eingeschränkt werden (vgl. hierzu auch den Beschluß des BVerfG vom 2. Oktober 1969 1 BvL 12/68, BStBl II 1970, 140, durch den diese Maßnahme als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt worden ist). Es besteht allgemeine Übereinstimmung darüber, daß die nunmehr geltenden Pauschbeträge nicht mehr kostendekkend sind.
Der Zweck des Gesetzes, eine gleichmäßige - gleichmäßig eingeschränkte - Berücksichtigung der Kraftfahrzeugkosten von Arbeitnehmern bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu erzielen, wird nur dann erreicht, wenn alle wirtschaftlich vergleichbaren Fälle gleichbehandelt werden. Das ist nur dann möglich, wenn die Vorschrift auch auf solche Fälle angewandt wird, in denen ein "eigenes Kraftfahrzeug" im Wortsinn nicht gegeben ist, der Fall aber mit demjenigen eines "eigenen Kraftfahrzeugs" wirtschaftlich so weit übereinstimmt, daß es zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde, ihn abweichend zu behandeln, und es als ausgeschlossen anzusehen ist, daß der Gesetzgeber, hätte er den Fall gekannt, ihn abweichend von dem Fall des "eigenen Kraftfahrzeugs" geregelt hätte (ständige Rechtsprechung; vgl. u. a. Urteil des BFH vom 8. Dezember 1967 VI R 114/66, BFHE 91, 157, BStBl II 1968, 270).
Der Streitfall, in dem der Kläger den seinem Vater gehörenden und auf ihn zugelassenen PKW ausschließlich gefahren und alle Unkosten einschließlich Steuer und Versicherung getragen hat, den PKW also weitestgehend wie einen eigenen genutzt hat, gleicht bei wirtschaftlicher Betrachtung so sehr dem Fall, in dem der PKW dem Kläger als "eigener" zuzurechnen wäre, daß nur durch eine Auslegung, die zu einer Gleichbehandlung mit dem letzteren Fall führt, ein sinnvolles Ergebnis erreicht wird. Der Ausschluß der Berücksichtigung jeglicher Aufwendungen wird dem Sinn der in Betracht kommenden Vorschriften ebensowenig gerecht wie die Berücksichtigung der über den Pauschbeträgen liegenden tatsächlichen Aufwendungen. Andererseits erscheint es nicht geboten, die als Werbungskosten anzuerkennenden Beträge deswegen zu kürzen, weil der Kläger den Wertverzehr des fraglichen PKW nicht trägt. Wie bereits ausgeführt, bleibt selbst bei Berücksichtigung dieses Umstandes der anzuerkennende Pauschbetrag unter den tatsächlichen Aufwendungen.
Die Sache war an das FG zurückzuverweisen, das die Angaben des Klägers über die im Streitjahr gefahrenen berücksichtigungsfähigen Kilometer nachzuprüfen und hiernach die anzuerkennenden Werbungskosten unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen zu ermitteln hat.
Fundstellen
Haufe-Index 71304 |
BStBl II 1975, 354 |
BFHE 1975, 482 |