Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Bewertung einer Gewinnabführungsverpflichtung als Nachlaßverbindlichkeit.
Normenkette
ErbStG §§ 22-23; BewG §§ 16, 14, 17, 15, 67, 110
Tatbestand
Streitig ist die Bewertung der Verbindlichkeit W. bei der Erbschaftsteuerveranlagung der Erben des am 8. Juli 1947 verstorbenen Direktors H. E. Mit dieser Verbindlichkeit W. hat es folgende Bewandtnis: Im Jahre 1920 hatte die damalige Eigentümerin der O.-Hütte deren Vermögen einer Stiftung hinterlassen. Die Stiftung sollte den Geschäftsbetrieb der O.-Hütte nicht selbst weiterführen, sondern die Testamentsvollstrecker sollten das Unternehmen zugunsten der Stiftung verkaufen. Als Käufer kamen die gesetzlichen Erben in Frage. Zu ihnen gehörten der Stamm E. mit den Geschwistern H. E. (Erblasser) und Frau W. geb. E., der Stamm B. mit sieben Berechtigten und der Stamm H. Berechtigt waren der Stamm E. zu 7/28, der Stamm B. zu 14/28 und der Stamm H. zu 7/28. Der Stamm E. hatte danach das Recht, 25 v. H. des Vermögens der O.-Hütte zu erwerben bzw. sich an einer neu zu gründenden Gesellschaft in Höhe von 25 v. H. zu beteiligen, so daß auf die beiden Geschwister E. je 12,5 v. H. entfielen. Im Jahre 1921 kam es zur Bildung der GmbH O.-Hütte. Frau W. übte ihr Bezugsrecht nicht aus, sondern trat dies an ihren Bruder (den Erblasser) gegen Entgelt ab, so daß dieser nicht mit 12 1/2 v. H., sondern mit 25 v. H. an der GmbH beteiligt wurde. Von dem Erblasser wurde folgende schriftliche Verpflichtungserklärung vom 4. August 1921 abgegeben:
"Ich verpflichte mich, als Gegenleistung für das an mich abgetretene Anrecht an der Beteiligung an der O.-Hütte, meiner Schwester, Frau W. und nach deren Tode ihrem Ehemann, Herrn W. und nach beider Tode ihrem Sohne, Herrn W., außer der bereits bezahlten Summe von 26.250,- RM (richtig: M) von dem zur Verteilung gelangenden Reingewinn aus dem Betriebe der O.-Hütte fortlaufend jährlich eine Summe auszubezahlen, welche gleich ist dem Anteil, welcher zur Zeit auf einen der 7 Geschwister B. entfällt, entsprechend 2/28 des gesamten verteilten Reingewinnes, und zwar erstmalig von dem Reingewinn des Geschäftsjahres 1921. In dem Falle des Verkaufes der Hütte oder der Auflösung der Gesellschaft erhalten die oben bezeichneten Personen bei Verteilung des Erlöses, den gleichen Anteil, wie bei der Verteilung des Reingewinnes, das ist also 2/28 des Reinerlöses. Diese Verpflichtungen sollen auf meine Erben übergehen und sollen enden, wenn Frau W., ihr Mann, Herr W., und beider Sohn, Herr W., gestorben sind.
Ich verpflichte mich ferner für die Zeit, während deren ich als Geschäftsführer und Direktor der O.-Hütte tätig bin, in den Jahren, in welchen kein Reingewinn verteilt wird, meiner Schwester, Frau W., jährlich 4.000 RM (richtig: M) auszubezahlen."
Am Todestage des Erblassers waren die Eheleute W. gestorben. Es lebte ihr Sohn W., damals 62 Jahre alt. Er hatte auf Grund der Verpflichtungserklärung vom 4. August 1921 Anspruch auf Auszahlung von 2/28 = rund 7,15 v. H. des Reingewinns der 1939 in eine KG umgewandelten O.-Hütte. Dieser Anspruch richtete sich gegen den Nachlaß und ist als Nachlaßverbindlichkeit zu berücksichtigen. Streitig ist, mit welchem Betrag die Verbindlichkeit bei der Erbschaftsteuerveranlagung der Erben anzusetzen ist. Das Finanzamt ist der Ansicht, daß der Anspruch des Sohnes W. ein nießbrauchähnliches Recht sei. Ein solches Recht könne höchstens mit dem Wert des genutzten Wirtschaftsguts angesetzt werden. Gleiches gelte für die Bewertung der entsprechenden Verbindlichkeit. Danach hat das Finanzamt den Wert der Verbindlichkeit W. als Höchstbetrag mit dem Betrag angesetzt, der dem dem Gewinnanteil entsprechenden Anteil an den festen Kapitalkonten der Gesellschafter entspricht. Dieser Betrag wurde in der Einspruchsentscheidung mit 44.816 RM errechnet. Die beschwerdeführende Miterbin erblickt dagegen in der Verbindlichkeit W. eine Rentenverpflichtung, die mit dem nach § 16 Abs. 2 in Verbindung mit § 17 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) kapitalisierten Betrag von 377.293,40 RM als Nachlaßverbindlichkeit abzuziehen sei. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht auf folgenden überlegungen: Es sei unerheblich, ob ein nießbrauchähnliches Recht oder eine Gewinnabführungsverpflichtung in Rentenform vorliege. Denn auch in letzterem Falle gelte der Grundsatz, daß der Wert eines Nutzungsrechts nicht über dem Wert des genutzten Wirtschaftsguts liegen könne (Hinweis auf das Urteil des Reichsfinanzhofs III 43/42 vom 19. März 1942, RStBl 1942 S. 542 = Slg. Bd. 51 S. 295, sowie das Urteil des Bundesfinanzhofs III 344/57 U vom 12. September 1958, BStBl 1958 III S. 461 = Slg. Bd. 67 S. 489). Das Urteil des Bundesfinanzhofs III 38/55 S vom 4. November 1955, BStBl 1955 III S. 371 = Slg. Bd. 61 S. 447, könne im Streitfall nicht angewandt werden, weil es sich dort um eine Bewertung eines Anspruchs, hier dagegen um die Bewertung einer Verbindlichkeit handle. Forderungen und Schulden seien nicht mit den gleichen Beträgen zu bewerten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rb. der Bfin.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Grundsätzlich sind Geldforderungen nicht anders zu bewerten wie die entsprechenden Geldschulden. Nur unter besonderen Umständen kann eine abweichende Bewertung in Frage kommen. Es kann beim Gläubiger eine unter dem Nennwert liegende Bewertung geboten sein, wenn am Stichtag begründete Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Schuldners bestehen. Das Finanzgericht ist jedoch der weitergehenden Rechtsansicht, daß die Bestimmungen über die Bewertung von Forderungen nicht für die Bewertung von Schulden gelten, wenn es ausführt, daß das Urteil des Bundesfinanzhofs III 38/55 S vom 4. November 1955 betreffend die Bewertung eines obligatorischen Gewinnabführungsanspruchs im Streitfall nicht anwendbar sei, weil es sich hier um die Bewertung einer Gewinnabführungsverpflichtung handle. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. In dem Urteil III 38/55 S vom 4. November 1955 hatte die Witwe des Erblassers einen Anspruch gegen ihre Söhne auf Abführung von 1/3 des Reingewinns des von den Söhnen übernommenen Geschäfts. Der Senat hat ausgeführt, daß der sonst geltende Grundsatz, wonach der Wert des Nießbrauchs an einem Wirtschaftsgut nicht über dem Wert des genutzten Wirtschaftsguts liegen könne, in diesem Falle nicht zum Zuge komme, weil die Witwe kein selbständiges Nutzungsrecht an einem Teil des Betriebsvermögens, sondern nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen ihre Söhne auf Zahlung von 1/3 des jeweiligen Reingewinns habe. So liegt der Fall auch hier. Der Berechtigte W. hat kein selbständiges Nutzungsrecht an dem Betriebsvermögen der O.-Hütte oder einem Bruchteil desselben. Er hat auch keinen gegen die O.-Hütte gerichteten Anspruch, sondern kann sich nur im Rahmen der durch die Verpflichtungserklärung vom 4. August 1921 gezogenen Grenzen an die Erben des Erblassers halten. Der Umstand, daß bei Verkauf der O.-Hütte oder Auflösung der Gesellschaft der Berechtigte den gleichen Anteil am Erlös beanspruchen kann wie bei Verteilung des Reingewinns, rechtfertigt nicht die Annahme eines Nießbrauchs oder nießbrauchähnlichen Nutzungsrechts. Gleiches gilt von der Verpflichtung des Erblassers, daß er während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer und Direktor der O.-Hütte auch in Jahren, in denen kein Reingewinn erzielt werde, seiner Schwester einen jährlichen Betrag von 4.000 M zu zahlen hatte. Diese besonderen Bestimmungen wandeln den schuldrechtlichen Anspruch des W. gegen die Erben nicht in ein Nießbrauchsrecht oder nießbrauchähnliches Nutzungsrecht um. Es handelt sich vielmehr um einen Anspruch des W. auf wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 67 Ziff. 4 BewG (Hinweis auf das Urteil des Reichsfinanzhofs III 17/40 vom 19. September 1940, RStBl 1940 S. 1062). Von einem Leibrentenrecht des W. kann dagegen mangels eines einheitlichen Grundrechts und bestimmter gleichmäßiger Leistungen nicht die Rede sein (Hinweis auf die Urteile des Reichsgerichts IV 221/07 vom 12. Dezember 1907, Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 67 S. 204 ff., besonders S. 210, 212, und VII 94/32 vom 23. September 1932, Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 137 S. 259 ff., besonders S. 261).
Hiernach war das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie wird zu weiteren Ermittlungen an das Finanzgericht zurückverwiesen. Auf das Urteil des Reichsfinanzhofs III 17/40 vom 19. September 1940 wird hingewiesen. Ferner wird das in dem Urteil des Finanzgerichts erwähnte Urteil des Bundesfinanzhofs III 344/57 U vom 12. September 1958 zu beachten sein. In diesem Urteil ist der Bundesfinanzhof nicht, wie vom Finanzgericht irrtümlich angenommen worden ist (ebenfalls irrtümlicher Ansicht Troll, Rechts- und Wirtschaftspraxis, Lieferung 390, S. 49 ff., besonders S. 52) von dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 38/55 S vom 4. November 1955 hinsichtlich der Bewertung obligatorischer Gewinnabführungsansprüche bzw. Verpflichtungen abgewichen, sondern er hat nur unter Bezugnahme auf das Urteil des Reichsfinanzhofs III 43/42 vom 19. März 1942 die Vermutung ausgesprochen, daß anscheinend der Jahreswert des Anspruchs der Berechtigten fehlerhaft bewertet worden sei. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dies auch auf die Schätzung des Jahreswerts der Verpflichtung W. durch die Bfin. zutrifft. Auf das Urteil des Reichsfinanzhofs III 54/40 vom 6. Februar 1941 (RStBl 1941 S. 444) wird hingewiesen. Von Bedeutung können auch Hinweise in den Urteilen des Bundesfinanzhofs III 181/53 U vom 28. August 1954 (BStBl 1954 III S. 330 = Slg. Bd. 59 S. 309) und II 245/56 U vom 15. Juni 1960 (BStBl 1960 III S. 372, Slg. Bd. 71 S. 329) zur Berücksichtigung der persönlichen Arbeitsleistung und des Geschäftswerts sein.
Fundstellen
Haufe-Index 410087 |
BStBl III 1961, 279 |
BFHE 1962, 27 |
BFHE 73, 27 |