Entscheidungsstichwort (Thema)
Entstehung und Verjährung von Rückforderungsansprüchen gemäß § 19 Abs. 6 und 8 BerlinFG
Leitsatz (NV)
1. Der Anspruch auf Rückzahlung einer Investitionszulage entsteht in den Fällen, in denen die Anschaffungskosten nach Auszahlung der Investitionszulage gemindert werden, im Zeitpunkt des Eintritts der Minderung der Anschaffungskosten.
2. Der Anspruch auf Rückzahlung der Investitionszulage verjährt auch in den Fällen des Erschleichens der Zulage in fünf Jahren.
Normenkette
BerlinFG § 19 Abs. 6, 8
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beantragte im März 1968 eine Investitionszulage gemäß § 19 des Berlinhilfegesetzes (BHG) 1964 von . . . DM für folgende Wirtschaftsgüter: . . .
Das damals zuständige Finanzamt (FA) Berlin-X entsprach diesem Antrag und zahlte die Zulage am 19. April 1968 aus.
Im Oktober 1973 gab der Beklagte und Revisionskläger (das FA) der Klägerin eine Prüfungsanordnung vom 25. Oktober 1973 für die Investitionszulage der Jahre 1969 bis 1972 bekannt. Im darauffolgenden Jahr dehnte er die Prüfung auf die Investitionszulage der Jahre 1967 und 1968 aus.
Im Rahmen der Betriebsprüfung stellte das FA folgendes fest:
Nach den von der Klägerin mit der Lieferantin, der Firma A, geschlossenen Verträgen war der Kaufpreis in Raten zu zahlen.
100 Geräte (Rechnungspreis 118 000 DM) hatte die Klägerin im Jahre 1969 vor Ablauf der Dreijahresfrist an die Herstellerin nach Westdeutschland zurückgesandt.
Die übrigen 800 Geräte wurden, von wenigen abgesehen, weder vermietet noch verkauft. Im Rahmen einer Werbeaktion wurden einige Apparate Gewinnern von Preisausschreiben kostenlos zur Nutzung überlassen. Nach den Inventuren zum 31. Dezember 1968 und 31. Dezember 1969 waren jeweils 9 bzw. 18 Geräte eingesetzt. Zu späteren Stichtagen liegen insoweit keine Aufzeichnungen mehr vor. Nach einer von der Klägerin dem Finanzgericht (FG) eingereichten Aufstellung hat sich das entsprechende Konto wie folgt entwickelt:
. . .
Nach den weiteren Feststellungen des FA hatte die Firma A die Geräte zu erheblich niedrigeren Preisen erworben und ihrerseits von der Klägerin pro Gerät jeweils etwa das Dreifache ihres Einkaufspreises berechnet.
Da die Firma A, die ebenso wie die Klägerin zur Unternehmensgruppe X gehört, nach Ansicht des FA keine Leistungen erbracht hatte, die einen derartigen Aufschlag rechtfertigen könnten, vertrat dieses die Auffassung, daß der Preisaufschlag einen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten darstelle. Es forderte daher die bereits gezahlte Investitionszulage für das Kalenderjahr 1967 in Höhe von . . . DM zurück. Bei der Berechnung des Rückforderungsbetrages ging das FA davon aus, daß die Klägerin die Geräte zu denselben Preisen hätte erwerben können wie die Firma A, nämlich . . .
1. . . .
2. . . .
3. . . .
Da die Anschaffungskosten der unter 1. und 2. bezeichneten Wirtschaftsgüter somit weniger als 600 DM betrugen, hat sie das FA gemäß § 19 Abs. 2 BHG 1964 als nicht zulagefähig behandelt.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FG hat den Rückforderungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung in Höhe von . . . DM aufgehoben. Im übrigen, d.h. hinsichtlich eines Betrages von . . . DM, hat es die Klage abgewiesen. In Höhe des auf die zurückgesandten Geräte entfallenden Investitionszulagebetrages von 11 800 DM hatte die Klägerin die Klage zurückgenommen.
Das FG ließ es dahingestellt sein, ob die vertragliche Gestaltung, die die Klägerin mit der Firma A gewählt hatte, und die zwischen beiden Firmen vereinbarten Anschaffungspreise einen Mißbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten darstellen. Selbst wenn dies der Fall sei, so seien jedenfalls etwaige, hieraus sich ergebende Rückforderungsansprüche verjährt, weil die Verjährungsfrist im Streitfall lediglich fünf Jahre betrage. Zwar sei die in § 144 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung (AO) bei hinterzogenen Beträgen vorgesehene Verjährungsfrist von zehn Jahren entsprechend auch bei der Erschleichung von Investitionszulagen anwendbar. Im Streitfall sei jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen, daß die Klägerin die Zulage durch Betrug erlangt habe. Die im Streitfall maßgebliche fünfjährige Verjährungsfrist habe mit Ablauf des Jahres 1973 geendet. Eine Ablaufhemmung liegt nicht vor; insbesondere sei die Betriebsprüfung erst im Jahre 1974 auf die Investitionszulage 1967 ausgedehnt worden.
Im Streitfall sei allerdings dadurch eine Minderung des Kaufpreises eingetreten, daß die Klägerin seit Dezember 1969 nicht mehr damit habe zu rechnen brauchen, über die bis zu diesem Zeitpunkt geleisteten Beträge hinaus weitere Zahlungen an die Firma A erbringen zu müssen. Hieraus ergebe sich ein Rückforderungsanspruch des FA, der bei Erlaß des Rückforderungsbescheides mit Rücksicht auf die verjährungsunterbrechende Wirkung der Betriebsprüfung noch nicht verjährt gewesen sei. Das FG ging dabei davon aus, daß die Verjährung des Rückzahlungsanspruchs erst in diesem Zeitpunkt beginnen kann, in dem die Tatbestandsvoraussetzungen dieses Anspruchs verwirklicht sind.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung der § 19 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG), § 144 AO. Außerdem macht es Verfahrensmängel geltend.
. . .
Das FG beantragt,die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur teilweisen Aufhebung der Vorentscheidung. Im übrigen ist sie unbegründet.
Das FG hat zu Recht die Auffassung vertreten, daß das FA dem Grunde nach einen Anspruch auf Rückzahlung von Investitionszulage hatte. Die Vorentscheidung war jedoch insoweit aufzuheben, als das FG die Höhe des Rückzahlungsbetrages nicht zutreffend ermittelt hat.
1. Wird nach Auszahlung der Investitionszulage festgestellt, daß die Voraussetzungen für ihre Gewährung nicht oder nur zum Teil vorgelegen haben, so ist nach § 19 Abs. 6 Satz 1 BerlinFG die Investitionszulage insoweit zurückzuzahlen, als sie zu Unrecht gewährt worden ist. Der mögliche Wortsinn dieser Vorschrift umfaßt allerdings nicht die Fälle, in denen sich die Anschaffungskosten eines begünstigten Wirtschaftsgutes nach Gewährung der Investitionszulage mindern; denn der maßgebliche Zeitpunkt ist nach dem Wortlaut der Vorschrift der der Auszahlung der Zulage. Für diese Auslegung spricht auch der Wortlaut der in sachlichem Zusammenhang mit Satz 1 stehenden Bestimmung des Satzes 4 Nr. 1 des § 19 Abs. 6 BerlinFG. Dennoch entsteht durch eine nach Auszahlung der Investitionszulage erfolgten Minderung der Anschaffungskosten ein Rückzahlungsanspruch des FA. Entscheidend ist dabei, daß nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er insbesondere in Abs. 6 Satz 1 des § 19 BerlinFG zum Ausdruck kommt, nur die endgültigen Anschaffungskosten begünstigt sein sollen (ebenso: Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, Anm. 40 zu § 19 BerlinFG; Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, 20. Ergänzungslieferung II/1980, Rdnr. 155 zu § 19).
2. Die vom FG vertretene Ansicht, daß der Anspruch auf Rückzahlung in den Fällen, in denen die Anschaffungskosten nach Auszahlung der Investitionszulage gemindert werden, nicht bereits mit der Auszahlung der Zulage, sondern erst im Zeitpunkt des Eintritts der Minderung der Anschaffungskosten entsteht, ist nicht zu beanstanden.
Gemäß § 19 Abs. 6 Satz 4 Nr. 1 BerlinFG entsteht zwar der Anspruch auf Rückzahlung der Investitionszulage mit deren Auszahlung, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung der Zulage nicht oder nur zum Teil vorgelegen haben. Diese Regelung entspricht der Bestimmung in § 19 Abs. 6 Satz 1 BerlinFG. Entsteht aber auch aufgrund einer nach der Auszahlung der Zulage erfolgten Minderung der Anschaffungskosten ein Anspruch auf Rückzahlung der Investitionszulage, so ist es folgerichtig, den Zeitpunkt des Eintritts der Minderung auch als den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs anzusehen. Sachliche Gründe, die es erfordern würden, in derartigen Fällen gleichwohl den Zeitpunkt der Auszahlung der Zulage als den Zeitpunkt der Entstehung des Rückzahlungsanspruchs anzunehmen, liegen nicht vor.
3. Das FG hat ferner im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Anspruch des FA auf Rückzahlung der Investitionszulage in fünf Jahren verjährt.
a) Nach § 19 Abs. 8 Satz 2 BerlinFG verjährt der Anspruch auf Rückzahlung der Investitionszulage in fünf Jahren. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Investitionszulage erschlichen ist; denn der für den Streitfall noch maßgebliche § 144 AO ist insoweit, als er für hinterzogene Beträge eine Verjährungsfrist von zehn Jahren vorsieht, nicht anwendbar.
Nach § 19 Abs. 8 Satz 1 BerlinFG sind zwar die Vorschriften des Zweiten Teils der AO, zu denen § 144 gehört, grundsätzlich entsprechend anzuwenden. Dies ist jedoch nur insoweit möglich, als nicht Vorschriften des BerlinFG selbst entgegenstehen. Dieses Gesetz hat aber die Verjährung in § 19 Abs. 8 Satz 2 abschließend geregelt. Hierfür spricht bereits der Wortlaut dieser Vorschrift. Die Auslegung aus dem Wortlaut wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt: Um zu vermeiden, daß der Rückzahlungsanspruch als ,,übriger Anspruch" i.S. des § 144 Abs. 1 Satz 2 AO bereits nach einem Jahr verjährt, hat der Gesetzgeber die Verjährungsfrist erstmals im BHG 1964 ausdrücklich festgelegt (vgl. Sönksen/Söffing, a.a.O., Rdnr. 160 zu § 19). Sie wurde dabei ,,in Anlehnung an die allgemeine Verjährung von Steueransprüchen auf fünf Jahre bemessen" (vgl. BRDrucks 183/64, Abschn. B I, zu Art. 1 Nr. 11, hier: zu Buchst. e). Der Gesetzgeber knüpfte damit an die Regelung des § 144 AO an. Gleichwohl hat er nur die Regelverjährung bei den ,,übrigen Steuern" in das Zulagerecht übernommen. Obwohl § 144 AO eine eigene Regelung hinsichtlich der Verjährung von hinterzogenen Beträgen enthält, hat der Gesetzgeber keine entsprechende Bestimmung für erschlichene Zulagen geschaffen. Daraus ist zu folgern, daß die fünfjährige Verjährungsfrist unabhängig davon maßgeblich sein soll, aus welchem Grund die Zulage zu Unrecht gezahlt worden ist.
Das FG beruft sich zur Begründung seiner gegenteiligen Entscheidung zu Unrecht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. Oktober 1976 VI R 251/74 (BFHE 120, 324, BStBl II 1977, 223), wonach der Anspruch auf Rückforderung der Wohnungsbau-Prämie in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1 AO in zehn Jahren verjährt, wenn die Wohnungsbau-Prämie durch Betrug erschlichen wurde. Diese Grundsätze sind auf die Berlinzulage nicht entsprechend anwendbar, weil das Wohnungsbau-Prämiengesetz (WoPG) in der früher geltenden Fassung - im Unterschied zu § 19 Abs. 8 Satz 2 BerlinFG - keine besondere Verjährungsvorschrift für den Anspruch auf Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Prämien enthielt.
Damit ist nicht mehr entscheidungserheblich, ob - wie das FA meint - das FG zu Unrecht davon ausgegangen ist, es habe sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen lassen, ob die Klägerin die Zulage erschlichen habe. Die insoweit vom FA erhobene Verfahrensrüge ist gegenstandslos.
b) Zutreffend hat das FG ferner entschieden, daß die Verjährung mit Ablauf des Jahres beginnt, in dem der genannte Rückforderungsanspruch entstanden ist (§ 19 Abs. 8 Satz 2 BerlinFG i.V.m. § 145 Abs. 1 AO).
4. Danach hat das FG zu Recht die Klage - nur - teilweise abgewiesen.
a) Es hat zutreffend entschieden, daß etwaige Rückzahlungsansprüche, die auf einem von vornherein zu hohen Kaufpreis beruhen konnten, im Oktober 1976 verjährt werden.
b) Das FG ist ferner aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß der von der Klägerin mit der Firma A vereinbarte Kaufpreis von . . . DM nach Auszahlung der Investitionszulage gemindert worden ist. Es hat es dabei zu Recht als entscheidend angesehen, daß die Klägerin nach ihrem eigenen Vorbringen nicht mehr damit rechnete, weitere Zahlungen auf den Kaufpreis erbringen zu müssen. Die tatsächliche Abwicklung des Geschäfts hat dies bestätigt.
Das FG hat jedoch die Höhe der Kaufpreisminderung nicht zutreffend ermittelt. Gegen den vom FG aufgrund der festgestellten Zahlungen ermittelten Minderungsbetrag von . . . DM als eines Mindestbetrags bestehen revisionsrichterlich keine Bedenken.
c) Das FG hat jedoch die Kaufpreisminderung um Beträge von Y DM und Z DM zu niedrig angesetzt.
Bei dem ersteren Betrag handelt es sich um die nach Ansicht des FG auf den Kaufpreis für die zurückgesandten Geräte (Rechnungspreis 118 000 DM) anteilig entfallende Kaufpreisminderung. Nach der Würdigung des FG ist die Kaufpreisschuld mit der letzten Zahlung am 27. Dezember 1969 herabgesetzt worden. Zu diesem Zeitpunkt waren aber die am 20. Dezember 1967 angeschafften Geräte bereits zurückgegeben. Für eine Kaufpreisminderung insoweit war am 27. Dezember 1969 kein Raum mehr. Das FA hatte somit auch in Höhe der auf den Kürzungsbetrag entfallenden Investitionszulage von . . . DM einen Rückzahlungsanspruch.
Der Betrag von Z DM betrifft die der Klägerin von der Firma A im Jahre 1974 erteilten Gutschriften. Das FG hat diese Gutschriften rechnerisch als Zahlungen der Klägerin behandelt. Die Ausführungen des FG sind jedoch insoweit widersprüchlich. Einerseits führt es auf S. 12 seines Urteils aus, daß der Sachverhalt so zu würdigen sei, daß die Höhe des Kaufpreises zwischen Klägerin und Lieferantin auf den bis Ende Dezember 1969 insgesamt beglichenen Kaufpreis von . . . DM herabgesetzt worden sei. In diesem Betrag sind jedoch die Gutschriften enthalten, die nach dem Tatbestand des Urteils erst im Dezember 1974 erfolgt sind. Im übrigen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei den Gutschriften nicht ebenfalls um Minderungen des Kaufpreises handelt, die einen Rückzahlungsanspruch des FA in Höhe von . . . DM begründen. Selbst die Klägerin hat nichts Gegenteiliges behauptet.
Der sich damit ergebende weitere Rückzahlungsbetrag von . . . DM war ebenso wie der vom FG bereits festgesetzte Betrag von . . . DM bei Erlaß des Rückforderungsbescheides im Jahre 1976 noch nicht verjährt. Dabei kann der Senat unerörtert lassen, ob - wie das FA meint - der Rückzahlungsanspruch erst im Jahre 1974 entstanden ist. Selbst wenn man mit dem FG davon ausgeht, daß die Verjährungsfrist am 1. Januar 1970 begonnen hat, war die Verjährungsfrist im Jahre 1976 noch nicht abgelaufen. Nach § 146a AO verjähren nämlich die Ansprüche, auf die sich eine vor Ablauf der Verjährungsfrist begonnene Betriebsprüfung erstreckt, nicht bevor die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Die Rückforderung erfolgte im Streitfall aber aufgrund der innerhalb der Fünfjahresfrist durchgeführten Betriebsprüfung des Jahres 1974.
d) Die Vorentscheidung war daher in Höhe eines Betrages von . . . DM aufzuheben. Die Sache ist insoweit spruchreif. Die Klage war auch hinsichtlich dieses weiteren Betrages abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 413986 |
BFH/NV 1986, 75 |