Entscheidungsstichwort (Thema)
Person des Zollbeteiligten
Leitsatz (NV)
1. Die Zollantragstellung für einen Dritten muß nach außen zweifelsfrei erklärt werden (Offenheitsgrundsatz), anderenfalls bleibt ein fehlender Wille für einen Antrag in eigenem Namen außer Betracht.
2. Der Zollbeteiligte wird durch eine vor 1991 einem Dritten erteilte verbindliche Zolltarifauskunft nicht vor Zollnachforderungen geschützt.
3. Die unzutreffende zolltarifliche Anmeldung der Ware durch einen gutgläubigen Zollbeteiligten ist kein Verstoß, der ein Absehen von der Nacherhebung (2.) von vornherein ausschlösse.
4. Zu den Voraussetzungen für ein Absehen von der Nacherhebung (3.) -- zollamtlicher Irrtum; dessen Erkennbarkeit für den Beteiligten -- und zur Tarifierung von Erzeugnissen aus in Wasser aufgelöstem Zucker mit Fruchtaromazusatz.
Normenkette
ZG § 10 Abs. 3 S. 1, §§ 23, 35a Abs. 1; BGB § 164 Abs. 2; EWGV 1697/79 Art. 5 Abs. 1-2; GZT Tarifnrn. 21.07, 22.02
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger führte im Oktober und November 1986 aus der Schweiz mehrere Sendungen einer als "Apfellimonade" (im Verhältnis 2:3 aus Zucker und Wasser mit 0,5 % Aromastoff bestehend) angemeldeten Ware ein, die jeweils als "Limonade"der Tarifstelle 22.02 A des damaligen Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zum -- zollrechtlich -- freien Verkehr abgefertigt und zollfrei gelassen wurden. Nach erfolgter Abfertigung ordnete das beklagte und revisionsbeklagte Hauptzollamt (HZA) die Ware in das Kapitel 21 GZT ein, zuletzt als (anderen) "Zuckersirup" der Tarifstelle 21.07 F IV, und forderte Eingangsabgaben nach (Steueränderungsbescheide vom 27. November 1986 und 12. Februar 1987, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 20. November 1992).
Die Klage wurde abgewiesen. Das Finanz gericht (FG) urteilte, der Kläger sei Abgabenschuldner, da er in eigenem Namen die Zoll anträge gestellt habe (je Angabe im Zoll vordruck). Der Umstand, daß der Name des Klägers auch in dem für die Angabe eines Bevollmächtigten bestimmten Vordruckfeld ausgedruckt sei, besage nicht, daß er den -- deutschen -- Empfänger (Firma X) bzw. die schweizerischen Versender, beide in den Zoll anmeldungen angegeben, habe vertreten wollen. Für eine derartige Annahme enthalte der Zollantrag keine Hinweise. Die mögliche Absicht des Klägers, mit der angegebenen Zahlungsweise hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer (Konto des Klägers für Zahlungsaufschub ohne Sicherheit) nur eine Zahlungserleichterung zu erreichen, im übrigen aber die Firma X zu vertreten, sei wegen der Eindeutigkeit der Erklärungen und der mit diesen übereinstimmenden Interessenlage nicht erheblich.
Die Umtarifierung durch das HZA sei berechtigt. Eine Limonade liege nicht vor, vielmehr handele es sich um ein Erzeugnis des Kapitels 21, wobei offenbleiben könne, ob die Tarifstelle 21.07 G I d GZT -- (andere) anderweit weder genannte noch inbegriffene Lebensmittelzubereitung -- oder die zu einer geringeren Abgabenbelastung führende Tarifstelle 21.07 F IV zutreffe. Rd. 40 GHT Zucker seien für eine Limonade oder ein -- nichtalkoholisches -- Getränk aus den hier in Betracht kommenden Bestandteilen lebensmittelrechtlich zu viel. Ein derartiges Erzeugnis eigne sich nicht zum menschlichen Genuß; es sei nicht trinkfertig, somit kein Getränk im Sinne des Zoll tarifs, und entspreche nicht der Verkehrsauffassung von Limonade.
Der Nachforderung stehe Art. 5 der (Nacherhebungs-)Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 197/1) -- VO -- nicht entgegen. Auf die einem Dritten über "Apfellimonade" erteilte verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) mit Bindung auch nur einer anderen Zollstelle als der Abfertigungszollstelle könne der Kläger sich nicht berufen (vgl. Art. 5 Abs. 1 VO). Die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 2 VO lägen gleichfalls nicht vor, und zwar schon deshalb nicht, weil die Zollanmeldungen -- "Limonade" (bei angegebenem Zuckergehalt von ca. 40 GHT) -- nicht ordnungsgemäß seien. Die Nichtaufdekung eines sich aus der Zollanmeldung ergebenden Widerspruchs spreche im übrigen gegen einen aktiven Irrtum des HZA.
Mit seiner Revision tritt der Kläger der Rechtsauffassung des FG entgegen. Er trägt vor, er sei nicht Zollbeteiligter, sondern lediglich bevollmächtigter Vertreter des Importeurs X gewesen und demzufolge nicht Zollschuldner geworden. Wegen der widersprüchlichen Angaben in den Zollvordrucken seien die darin gestellten Zollanträge auslegungsbedürftig. Bei zutreffender Auslegung, auch unter Berücksichtigung der Angaben über den vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer, ergebe sich, daß die Firma X zollbeteiligt gewesen sei. Seine -- des Klägers -- Eigenschaft als Zoll deklarant lasse erkennen, daß er, wie in vielen anderen Fällen auch, nicht in eigenem Namen aufgetreten sei und dies auch nicht gewollt habe. Nur zwecks Inanspruchnahme der Zahlungserleichterung (für Einfuhrumsatzsteuer) sei auf zollamtliches Anraten die Abwicklung wie geschehen erfolgt. Durch ungenügende Berücksichtigung der Umstände habe das FG seine Aufklärungspflicht verletzt. Im übrigen folge aus § 10 Abs. 3 Satz 2 des Zollgesetzes (ZG), daß nicht die bloße Eintragung als Zollbeteiligter, sondern die materielle Rechtslage entscheidend sei.
Entgegen der Ansicht des FG sei die Nacherhebung rechtlich ausgeschlossen, und zwar schon im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 VO. Diese Vorschrift schütze nicht nur den Inhaber der vZTA, sondern auch einen Mitbewerber. Darüber hinaus seien auch die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 2 VO erfüllt. Da die Zollverwaltung als Einheit anzusehen sei, müsse dem HZA der jedenfalls der zuständigen Behörde bei der Erteilung der vZTA unterlaufene aktive Irrtum zugerechnet werden. Im übrigen liege auch ein Irrtum der Abfertigungszollstelle vor, denn ihr gegenüber sei die Zusammensetzung der Ware erklärt worden. Die Tarifstelle 22.02 A sei in gutem Glauben (vZTA) angemeldet worden.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben, hilfsweise: die Sache an das FG zurückzuverweisen. Er regt die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zu Fragen im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 2 VO an.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es verteidigt die Vorentscheidung und trägt u. a. vor, ein aktiver Irrtum der Abfertigungszollstelle liege nicht vor, weil diese die Angaben in der Zollanmeldung lediglich übernommen habe.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulassungsfrei statthafte Revision ist mit dem Hilfsantrag begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Dieses hat zwar zutreffend erkannt, daß die Nachforderung gegen den Kläger an sich begründet und auch nicht durch Art. 5 Abs. 1 VO ausgeschlossen ist, doch rechtfertigen die getroffenen Feststellungen nicht die weitere Entscheidung, daß kein Nachforderungshindernis gemäß Art. 5 Abs. 2 VO bestehe. Eine abschließende Entscheidung insoweit ist dem Senat verwehrt, da diesbezüglich noch Feststellungen nachzuholen sein werden.
1. Bis auf die noch offene Frage, ob Art. 5 Abs. 2 VO eingreift, erweist sich die Vorentscheidung als richtig.
a) Das gilt zunächst hinsichtlich der Tarifierung.
Zu Tarif-Nr. 22.02 GZT gehören zwar auch gezuckerte Getränke (vgl. Erläuterungen zu Tarif-Nr. 22.02 Teil I Rz. 4), indes, wie der Senat -- auch unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung zur Abgrenzung zwischen Fruchtsäften und Lebensmittelzubereitungen -- entschieden hat (Urteil vom 4. Mai 1993 VII R 103/92, BFH/NV 1994, 283, m. w. N.), nicht Erzeugnisse aus in Wasser aufgelöstem Zucker mit Fruchtaromazusatz. Derartige Erzeugnisse, deren Vorliegen das FG im Streitfall festgestellt hat, sind keine "Getränke" (hier: Limonaden) im zolltariflichen Sinne, sondern "Lebensmittelzubereitungen" (Tarif-Nr. 21.07), solche in Gestalt von (anderen) Sirupen -- Tarifstelle 21.07 F IV -- freilich nur bei entsprechender Konsistenz, sonst "andere" der Tarifstelle 21.07 G I d (-1). Aus dem in der Vorentscheidung angeführten Grunde konnte offenbleiben, welcher dieser beiden Tarifstellen die Waren zugewiesen werden mußten. Eine weitere Begründung erübrigt sich, zumal der Kläger mit der Revision die Umtarifierung nicht mehr angreift.
b) Ohne Rechtsfehler ist das FG zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger, weil Zollantragsteller, Zollbeteiligter gewesen (§ 10 Abs. 3 Satz 1 ZG) und damit Abgabenschuldner geworden ist (§ 35a Abs. 1 ZG). Zwar ist es selbst bei formell erklärter Antragstellung in eigenem Namen, wie sie hier festgestellt worden ist, im Einzelfall nicht ausgeschlossen, aufgrund besonderer Umstände ein Handeln in fremdem Namen anzunehmen. Nach dem sog. Offenheitsgrundsatz muß dann jedoch nach außen zweifelsfrei deutlich werden, daß die Erklärung für den Dritten abgegeben wird; Zweifel schließen die Annahme eines Handelns in fremdem Namen aus (Senat, Urteile vom 12. September 1978 VII R 97/75, BFHE 126, 94, 96, und vom 19. März 1985 VII R 83/82, BFH/NV 1985, 59; hiervon aus gehend für das Anschreibeverfahren auch Urteil vom 17. Februar 1988 VII 91/85, BFH/NV 1988, 814 -- dort übereinstimmend vorgenommene Anschreibung in fremdem Namen --). Das gilt auch bei Tätigwerden eines (Zoll-)Spediteurs (Senat, Urteil vom 2. April 1987 VII R 60/84, BFHE 150, 93, 96) oder Zolldeklaranten.
Im Streitfall hat das FG ein unzweideutiges Handeln des Klägers im Namen der Firma X verneint. Die gegen die zugrundeliegende tatsächliche Würdigung gerichteten Angriffe der Revision enthalten keine in der erforderlichen Weise ausgeführte Verfahrensrüge (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs). Die Bewertung der festgestellten Umstände ist jedenfalls möglich und somit für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Das gilt auch, soweit das FG der Angabe des Klägers -- auch -- als "Bevollmächtigter" im Zollvordruck keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat. Diese Angabe läßt sich auch als Hinweis auf eine "Selbstvertretung" verstehen. Bei -- wie festgestellt -- nicht hinreichend erkennbar hervorgetretenem Willen des Klägers, für die Firma X zu handeln, bleibt sein etwa fehlender Wille für eine Zollantragstellung in eigenem Namen außer Betracht (vgl. § 164 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches).
c) Richtig entschieden ist schließlich, daß der Kläger sich nicht auf den Nacherhebungsschutz nach Art. 5 Abs. 1, erster Gedankenstrich VO berufen kann, weil die vZTA einem Dritten erteilt war, im Bereich des HZA zudem nicht mit Bindung der Abfertigungszollstelle, und sie somit keine Wirkung zugunsten des Klägers zu entfalten vermochte (hierzu etwa Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, F IX 5/5 Rz. 5). Für die Zeit vor Inkrafttreten der Gemeinschaftsregelung über vZTA (1991) bestimmte sich allein nach innerstaatlichem Recht, welche Auskünfte Bindungswirkung hatten (EuGH, Urteil vom 8. April 1992 C-371/90, EuGHE 1992, I-2728, 2734). Der Kläger erkennt selbst an, daß die vZTA ihm "keinen Vertrauensschutz im Sinne des damals noch geltenden § 23 ZG" verliehen hatte.
2. Die Anwendung von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO hat das FG hingegen mit einer die Vorentscheidung tragenden Erwägung ausgeschlossen, die der rechtlichen Überprüfung nicht standhält. Es hat insoweit ausgeführt, die für ein Absehen von der Nacherhebung auch erforderliche Voraussetzung der Beachtung aller geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung durch den Beteiligten sei nicht erfüllt, weil der Kläger die Ware unrichtig als "Apfellimonade" (= Tarifstelle 22.02 A) angemeldet habe. Dieser Gesichtspunkt vermag die getroffene Entscheidung nicht zu rechtfertigen. Sollten die übrigen Voraussetzungen für einen Ausschluß der Nacherhebung vorliegen -- für die Nichterhebung ursächlicher zollamtlicher Irrtum und dessen Nicht erkennbarkeit durch den (gutgläubigen) Beteiligten --, so kann allein in der unzutreffenden zolltariflichen Ansprache als "Limonade" (= Getränk) der angegebenen Tarifposition ein Verstoß gegen die maß gebenden Bestimmungen nicht gesehen werden (Senat, Urteil vom 15. Oktober 1991 VII R 27/91, BFH/NV 1992, 496; vgl. auch EuGH, Urteil vom 1. April 1993 C- 250/91, EuGHE 1993, Ik-1839, 1850). Wegen dieses Rechtsfehlers muß die Vorentscheidung aufgehoben werden.
3. Im zweiten Rechtsgang wird das FG Feststellungen hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen für ein Absehen von der Nacherhebung (Nr. 2) zu treffen und auf ihrer Grundlage unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden haben. Die Vorinstanz hat, von ihrem Standpunkt aus mit Recht, solche Feststellungen bislang unterlassen bzw. sie nur in einem auch unter Berücksichtigung der Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung (§ 105 Abs. 5 FGO) nicht ausreichenden Maße getroffen.
Hinsichtlich des Irrtums wird zu beachten sein, daß sog. befundgerechte Zollanmeldungen wegen des in den Erklärungen des Klägers enthaltenen Widerspruchs (einerseits "Limonade", andererseits erklärter hoher Zuckergehalt) nicht vorlagen. Der Umstand, daß gleichwohl antrags- und anmeldungsgemäß abgefertigt wurde, könnte für einen "aktiven" Irrtum der Abfertigungszollstelle des HZA sprechen (vgl. BFH/NV 1992, 496; Senat, Urteil vom 7. September 1993 VII R 128/92, BFHE 172, 561, 564). Die Frage, ob ein etwa relevanter zollamt licher Irrtum für den Kläger bei Berücksichtigung der gegebenen Umstände erkennbar war, wird unter Heranziehung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (auch: Senat, Urteil vom 2. Mai 1991 VII R 117/89, BFH/NV 1992, 420) zu beurteilen sein. Ergibt sich, daß der Kläger einen der artigen Irrtum nicht erkennen konnte, so würde sich die unrichtige Anmeldung, wie ausgeführt, nicht auswirken.
Fundstellen
Haufe-Index 421614 |
BFH/NV 1997, 75 |