Leitsatz (amtlich)
Die Verhandlungsgebühr kann in Verfahren vor den Finanzgerichten auch anfallen, wenn der Rechtsstreit nach § 94 AO seine Erledigung gefunden hat.
Normenkette
AO §§ 316, 94; RAGebO §§ 13, 13a, 91 Abs. 1 Ziff. 3
Tatbestand
Streitig ist:
a) das Anfallen der Verhandlungsgebühr in einem nach § 94 der Reichsabgabenordnung (AO) erledigten Berufungsverfahren,
b) die Zusammenrechnung der Streitwerte mehrerer Veranlagungszeiträume bei der Gebührenberechnung.
In einem beim Niedersächsischen Finanzgericht anhängig gewesenen Berufungsverfahren war der Beschwerdeführer (Bf.) als Bevollmächtigter zugezogen worden. Dieses Verfahren hatte dadurch seine Erledigung gefunden, daß das Finanzamt den Berufungsanträgen durch Erlaß von Änderungsbescheiden gemäß § 94 AO entsprochen hatte. Hinsichtlich der Rechtsmittelkosten hatte der Kammervorsitzende des Finanzgerichts durch Beschluß entschieden, daß das Land die Kosten trage. Unter Vorlage einer Abtretungserklärung seines Mandanten beantragte der Bf. nunmehr Erstattung seiner Vertreterkosten. Die Vorbehörden haben lediglich eine Prozeßgebühr aus einem für beide Streitjahre zusammengerechneten Streitwert von 96 DM zugebilligt, dagegen die Verhandlungsgebühr versagt, weil eine mündliche Verhandlung vor dem Finanzgericht nicht stattgefunden hatte.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Zu a) Für das Anfallen der Verhandlungsgebühr in Berufungsverfahren, die gemäß § 94 AO ihre Erledigung gefunden haben, gilt folgendes:
Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil II 147/54 S vom 6. Juli 1955 (Slg. Bd. 61 S. 132, Bundessteuerblatt -- BStBl -- 1955 III S. 249) ausgesprochen, daß in den vor den Steuergerichten geführten Rechtsmittelverfahren auch dann eine Verhandlungsgebühr anfallen kann, wenn keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils wird verwiesen. Voraussetzung ist, daß eine gerichtliche Entscheidung oder eine ihr gleichzusetzende Maßnahme im Sinne des vorgenannten Urteils vom 6. Juli 1955 ergangen ist. Dieses Urteil hat auch Auswirkungen für das Anfallen der Verhandlungsgebühr in Rechtsmittelverfahren, die durch Änderungsbescheide des Finanzamts gemäß § 94 AO ihre Erledigung gefunden haben, sofern das Finanzgericht mit dem Streitfall befaßt war. Der Bundesfinanzhof hat bereits im Urteil IV 554/53 U vom 28. Januar 1954 (Slg. Bd. 58 S. 470, BStBl 1954 III S. 90; vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs III 157/54 U vom 30. Juni 1956, Slg. Bd. 63 S. 53, BStBl 1956 III S. 216) ausgeführt, daß es sich bei der Abwicklung eines Rechtsstreits im Wege des § 94 AO um eine, wenn auch in besonderen Formen ergehende, Entscheidung über ein Rechtsmittel handelt. Das Verfahren wird allerdings nicht durch das Finanzgericht, sondern an dessen Stelle durch das Finanzamt abgeschlossen, nachdem der Prozeßstoff durch schriftliche Klärung entscheidungsreif geworden ist. Zwar sieht § 316 Abs. 2 AO eine Kostenerstattung nur für Gebühren vor, die im Verfahren vor den Finanzgerichten entstehen. Da aber die Erledigung des Rechtsstreits nach § 94 AO gerade die Beendigung des noch anhängigen finanzgerichtlichen Verfahrens bezweckt, ist die Beendigung bei sinngemäßer Würdigung noch als Bestandteil dieses Verfahrens anzusehen. Es würde dem Sinn und Zweck des § 94 AO nicht gerecht werden und der inneren sachlichen Begründung entbehren, wenn diese Regelung zu einer Benachteiligung des Steuerpflichtigen und seines Bevollmächtigten hinsichtlich der Kosten für die Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistandes (§ 316 Abs. 2 AO) führen würde. Es liegt zwar hier keine gerichtliche Entscheidung des Finanzgerichts vor, wohl aber eine ihr gleichzusetzende Maßnahme im Sinn des Urteils vom 6. Juli 1955. Hierbei ist es ohne Bedeutung, ob die Erledigung nach § 94 AO auf Entschließung des Finanzgerichts oder eines Beteiligten erfolgte.
Die Vorentscheidung entspricht nicht diesen Grundsätzen. Sie war deshalb wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da das Berufungsverfahren mit dem Erlaß von Änderungsbescheiden seinen Abschluß gefunden hatte, sind die Voraussetzungen für das Anfallen der Verhandlungsgebühr im Sinne des Urteils vom 6. Juli 1955 gegeben. Das Urteil des Bundesfinanzhofs II 38/55 S vom 13. Juli 1955 (Slg. Bd. 61 S. 137, BStBl 1955 III S. 251) steht dem nicht entgegen, weil in dem dort entschiedenen Streitfall die bei dem Finanzamt eingelegte Berufung noch nicht an das Finanzgericht weitergereicht war und deshalb über die Prozeßgebühr hinaus eine Verhandlungsgebühr nicht zugebilligt werden konnte.
Zu b) Soweit der Bf. für die Berechnung der Prozeßgebühr und der Verhandlungsgebühr geltend gemacht hat, daß hinsichtlich der im Berufungsverfahren strittig gewesenen Veranlagungszeiträume 1949 und 1950 von getrennt festzustellenden Streitwerten auszugehen sei, ist seine Rb. unbegründet. Eine getrennte Streitwertfeststellung wäre nur in Betracht gekommen, wenn für diese Jahre zwei selbständige Rechtsmittelsachen vorgelegen hätten. Zutreffend hat das Finanzgericht festgestellt, daß das Finanzamt über den Einspruch gegen die Steuerbescheide für beide Jahre in einer einheitlichen Einspruchsentscheidung entschieden hatte. Auf Grund dieser vom Finanzamt vorgenommenen Verbindung der Streitsachen lag auch beim Finanzgericht nur eine einheitliche Berufungssache in Sachen Umsatzsteuer 1949 und 1950 vor (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs II A 31/22 vom 10. Februar 1922, Slg. Bd. 8 S. 166). Eine Trennung dieser verbundenen Rechtsmittelsachen hat beim Finanzgericht nicht stattgefunden. Ob die Rechtsmittelbehörden eine Verbindung von Rechtsmitteln, die sich gegen Steuerbescheide für mehrere Jahre richten, vornehmen wollen, haben sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Daß die Vorbehörden bei der Verbindung die Grenzen ihres Ermessens verletzt hätten, ist nicht ersichtlich. Für die Berechnung der zu erstattenden Gebühren war deshalb von dem zusammengerechneten Streitwert von 96 DM auszugehen.
Nach der Verfügung des Kammervorsitzenden hat das Land die Kosten zu tragen (§ 12 Abs. 2 der Niedersächsischen Verordnung zur Ausführung der Verordnung Nr. 175 der Militärregierung vom 10. Dezember 1949, Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1949 S. 219). Demgemäß hat der Bf. nach § 316 AO Anspruch auf die ihm abgetretenen Auslagen (Gebühren) für die Vertreterkosten.
Fundstellen
Haufe-Index 408688 |
BStBl III 1957, 118 |
BFHE 1957, 312 |