Leitsatz (amtlich)
Führt die Anwendung einer gesetzlichen Regelung, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, im Einzelfall zu einem Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter, so kann im Verfahren nach § 131 AO ein Erlaß oder Herabsetzung in Betracht kommen. Dabei ist bei der Auslegung des § 131 AO der Wirkkraft der Grundrechte Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG vom 27. Oktober 1975 I BvR 82/73, HFR 1976, 31).
Normenkette
AO § 131; LAG § 91
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist nunmehriger Testamentsvollstrecker nach der verstorbenen Frau X, der Witwe und Alleinerbin des am … verstorbenen Rechtsanwalts X. Dieser war zu 19/64 Anteilen Miteigentümer an zwei in Berlin belegenen Grundstücken (A und B), im Jahre 1936 erwarb X von den übrigen Miteigentümern deren Miteigentumsanteile, so daß er Alleineigentümer beider Grundstücke wurde. Im Zeitpunkt des Erwerbs der übrigen Miteigentumsanteile durch X war das Grundstück A mit 46 588,34 RM und das Grundstück B mit 49 746,30 RM hypothekarisch belastet. Diese Hypotheken wurden von X getilgt und im Grundbuch gelöscht. An ihrer Stelle belastete X die beiden Grundstücke mit neuen Grundpfandrechten.
Nach Kriegsende wurde durch Entscheidungen der Wiedergutmachungsbehörden je 45 164 Anteile an den beiden Grundstücken an die früheren Eigentümer rückerstattet. Auf diesen Miteigentumsanteilen blieben nur die früheren Belastungen sowie die beiden Abgeltungshypotheken bestehen, während die übrigen außerhalb der Belastungsgrenzen liegenden Belastungen auf den rückerstatteten Grundstücksanteilen gelöscht wurden.
Durch Bescheid vom …. in der Form der Einspruchsentscheidung vom …. setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt – FA –) die Hypothekengewinnabgabe aufgrund vorstehenden Sachverhalts in der Weise fest, daß für die innerhalb der Belastungsgrenze liegenden beiden Hypotheken X und die Rückerstattungsberechtigten gemeinsam hafteten, jedoch für die Zeit vom 1. April 1952 bis 22. März 1960 der Kläger allein 19/64 des festgesetzten Leistungssolls zu entrichten hatte, während die Rückerstattungsberechtigten während dieses Zeitraums keine Hypothekengewinnabgabeleistungen zu erbringen hatten. Aus den darüber hinausgehenden dinglichen Belastungen zog das FA X allein zu den daraus entstehenden Schuldnergewinnen heran und zwar in voller Höhe. Den Antrag des X, seine Verpflichtung auf 19/64 Anteile hieraus zu beschränken, lehnte das FA ab. Die Klage hiergegen war erfolglos. Der erkennende Senat hat am 14. August 1974 die Revision als unbegründet zurückgewiesen, so daß die Hypothekengewinnabgabeveranlagung damit rechtskräftig wurde.
Bereits mit Schreiben vom 13. Dezember 1963 hatte der frühere Prozeßbevollmächtigte des X Antrag auf Erlaß der genannten Hypothekengewinnabgabe aus Billigkeitsgründen gestellt. Im Laufe dieses Verfahrens starb X und wurde von seiner Ehefrau als Alleinerbin beerbt. Die rückerstatteten Grundstücksanteile waren inzwischen an eine Firma veräußert worden, die dann Antrag auf Zwangsversteigerung zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft stellte. Aus dem Versteigerungserlös wurden sämtliche Rückstände an Hypothekengewinnabgaben einschließlich Verzugszinsen gedeckt, während die nichtfälligen Leistungen der Hypothekengewinnabgaben bestehen blieben und auf den Erwerber übergingen. Aus dem Versteigerungserlös verblieb ein Überschuß, der Frau X auf ihren Miteigentumsanteil (19/64) zugewiesen wurde. Aus dem Versteigerungserlös wurden schließlich noch Verzugszinsen an Frau X gezahlt, weil die Anmeldung von Verzugszinsen im Versteigerungsverfahren zu Unrecht erfolgt war.
Mit Bescheid vom … lehnte das FA den begehrten Erlaß ab. Die Beschwerde blieb ohne Erfolg. Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verneinte sowohl die Möglichkeit eines Erlasses aus persönlichen (wirtschaftlichen), als auch aus sachlichen Gründen.
Hiergegen richtet sich die Revision mit dem Antrag, die Vorentscheidung aufzuheben und dem Erlaßantrag stattzugeben. Gerügt wird Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Erhebung der Hypothekengewinnabgabe bedeute, so führt der Kläger aus, praktisch eine Enteignung, da die Substanz des Grundstücks bis auf den letzten Rest entzogen werde. Darin liege ein Verstoß gegen Art. 14 GG. Der frühere Eigentümer X gehöre zu den Wiedergutmachungsgeschädigten, die bisher noch keine Entschädigung für ihre Verluste erhalten hätten. X hätte mit seinem Geld im Jahre 1935 auch ein anderes Grundstück kaufen können, er habe durch den Kauf des Grundstücksanteils nicht den geringsten finanziellen Vorteil gehabt. Er sei durch die Maßnahmen des Dritten Reiches gezwungen worden, die übrigen Grundstücksanteile zu erwerben. Die Zusammenballung der gesamten Hypothekengewinnabgaben auf dem verbliebenen Grundstücksanteil des X sei ein Einzelfall, der zu einer übermäßigen Härte führe. Eine Verweisung auf die Regelung im Wiedergutmachungsgesetz sei nicht erlaubt. Es sei nicht denkbar, daß nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Entziehung des ganzen Grundstücks die Hypothekengewinnabgabe für alle Beteiligten völlig wegfalle, daß aber diese Regelung auch nicht zu einem Bruchteil zur Anwendung komme, wenn nur ein Teil des Grundstücks in die Wiedergutmachung falle. Hierin liege eine Verletzung des Gleichheitssatzes. Es dürfe auch nicht unbeachtet bleiben, daß die Hypotheken, aufgrund deren die Hypothekengewinnabgabe festgesetzt worden sei, allein der Beseitigung von Kriegsschäden gedient hätten. Das gelte insbesondere für die Hypothek Nr. …., die erst 1944 zur Beseitigung von Kriegsschäden aufgenommen und verwendet worden sei. Die Erhebung der Hypothekengewinnabgabe aus dieser Hypothek sei nicht nur unbillig, sondern sittenwidrig. Der reale Gegenwert hätte höchstens ¼ davon betragen. Da es nach den Rückerstattungsgesetzen so angesehen werde, als habe X niemals die übrigen Miteigentumsanteile erworben und sei niemals Alleineigentümer des ganzen Grundstücks gewesen, seien auch die während der Entziehungszeit aufgenommenen Hypotheken nicht zur Entstehung gelangt. X habe bezüglich der außerhalb der Belastungsgrenze liegenden Hypotheken ebensowenig in voller Höhe in Anspruch genommen werden können wie die Rückerstattungsberechtigten. Im übrigen bedeute die Rückerstattung der Miteigentumsanteile eine Veräußerung i. S. des § 109 Abs. 1 LAG. Hiernach müsse die einheitliche Hypothek aufgeteilt werden, so daß im Falle der Bejahung der Entstehung der Hypothek X höchstens mit 19/64 Anteilen zur Hypothekengewinnabgabe herangezogen werden könne.
FA und Oberfinanzdirektion (OFD) beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bei Ablehnung eines Erlasses von Abgaben aus Billigkeitsgründen die Steuergerichte darauf beschränkt sind, nachzuprüfen, ob die Finanzverwaltung bei der Ablehnung des Erlasses sich innerhalb der Schranken billigen Ermessens gehalten hat oder ob ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Die Hypothekengewinnabgabeschuld ist durch Entscheidung des erkennenden Senats rechtskräftig festgesetzt worden. Persönliche (wirtschaftliche) Gründe, die einen Erlaß rechtfertigen könnten, werden nicht geltend gemacht und sind auch nicht erkennbar.
Dem Antrag des Klägers, die Hypothekengewinnabgabe aus sachlichen Gründen zu erlassen, haben die Verwaltungsbehörden zu Recht nicht entsprochen. Der Erlaßantrag wird im wesentlichen mit Einwendungen gegen die Festsetzung der Hypothekengewinnabgabe begründet. Der Senat hatte aber entschieden, daß die Hypothekengewinnabgabe rechtswirksam entstanden ist. Nach der Rechtsprechung des BFH ist es grundsätzlich nicht möglich, rechtskräftige Steuer-(Abgaben-) Festsetzungen im Wege des Billigkeitserlasses neu aufzurollen und sachliche Einwendungen, die gegen die Richtigkeit der Steuerfestsetzung sprechen sollen, erneut zu überprüfen (BFH-Entscheidung vom 1. Dezember 1966 V 137/64, BFHE 87, 405, BStBl III 1967, 156).
2. Der erkennende Senat ist in seiner Rechtsprechung davon ausgegangen, daß die maßgebenden Vorschriften für die Hypothekengewinnabgabe die Grundsätze der Art. 3 und 14 GG nicht verletzen. Das schließt jedoch nicht aus, daß die Anwendung des Gesetzes in besonders gelagerten Einzelfällen zu einem Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter führen kann. In einem solchen Einzelfalle bedarf es einer Härteregelung, die der Gesetzgeber in § 131 AO getroffen hat. Bei Auslegung des § 131 AO ist dabei der Wirkkraft der Grundrechte Rechnung zu tragen (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Oktober 1975 1 BvR 82/73, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1976 S. 31). Es ist sonach möglich, im Rahmen des Erlaßverfahrens zu prüfen, ob die Erhebung der Hypothekengewinnabgabe im vorliegenden Streitfall aus verfassungsrechtlichen Gründen einen Erlaß geboten erscheinen läßt. Das ist nicht der Fall.
Der von dem Revisionskläger geltend gemachte Verstoß gegen Art. 3 und 14 GG liegt nicht vor. Der Gleichheitssatz ist nicht deshalb verletzt, weil im Falle der Rückerstattung eines Grundstücks an den Rückerstattungsberechtigten die Hypothekengewinnabgabe nur bis zur Höhe der Belastungsgrenze erhoben wird, während im Falle der Rückerstattung von Grundstücksanteilen an einen Rückerstattungsberechtigten der Rückerstattungsverpflichtete zur Zahlung der Hypothekengewinnabgabe in voller Höhe herangezogen wird. Denn es handelt sich um zwei verschiedene Sachverhalte, wenn ein Grundstück in vollem Umfang rückerstattet wird oder nur bestimmte Miteigentumsanteile an einem Grundstück.
Die im Rückerstattungsverfahren getroffene Entscheidung, daß die auf dem gesamten Grundstück ruhenden Reichsmarkverbindlichkeiten insoweit nicht zu einer dinglichen Haftung der Rückerstattungsberechtigten führt, als die Belastungsgrenze überschritten wird, ist eine von den Steuerbehörden und Steuergerichten zu beachtende Entscheidung, die jedoch die rechtlichen Wirkungen der schuldrechtlichen Verpflichtung aus diesen Hypotheken nicht berührt. Die Erhebung der von dem rückerstattungsverpflichteten Miteigentümer zu tragende Hypothekengewinnabgabe könnte daher nur dann zu einem Erlaß aus sachlichen Gründen führen, wenn der Gesetzgeber eine Heranziehung des rückerstattenden Miteigentümers nicht gewollt hätte. Das Gegenteil ergibt sich jedoch aus den in der Fünfzehnten und Neunzehnten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz getroffenen Regelungen über die Entstehung der Hypothekengewinnabgabe in Rückerstattungsfällen.
Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 14 GG im Streitfall vor. Entgegen dem Vortrag des Revisionsklägers führte die Erhebung der Hypothekengewinnabgabe, soweit sie auf den rückerstattungsverpflichteten Miteigentümer entfiel, nicht zu einer Konfiskation seines Miteigentumsanteils. Wie unbestritten feststeht, sind der Eigentümerin, Frau X, nach Durchführung des Zwangsversteigerungsverfahrens noch rd. … DM an Barmitteln verblieben. Bei dieser Sachlage kann nicht von einem enteignungsähnlichen Eingriff in das Vermögen der Frau X gesprochen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 510312 |
BFHE 1976, 151 |