Entscheidungsstichwort (Thema)
GrESt bei rückwirkendem Widerruf des Anerkennungsbescheids - Änderung des Freistellungsbescheids; Verjährung der GrESt bei Anzeigepflichtverletzung
Leitsatz (NV)
1. Wird im Falle von GrESt-Freiheit gemäß Art. 1 Nr. 1 Buchst. a GrESWG Bay der Anerkennungsbescheid (II. WoBauG) rückwirkend ab Bezugsfertigkeit widerrufen, so entsteht die GrESt mit der bezugsfertigen Erstellung von Wohngebäuden.
2. Zur Verjährung der GrESt bei nicht oder nicht rechtzeitig erfüllter Anzeigepflicht.
3. Ein endgültiger Freistellungsbescheid konnte bei rückwirkendem Widerruf des Anerkennungsbescheides gemäß § 4 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 2 StAnpG geändert werden.
Normenkette
AO § 144 Abs. 1 S. 2, § 165e Abs. 1; GrEStG Bay § 16a S. 2; GrEStDV § 3 Abs. 4; GrESWG Bay Art. 1 Nr. 1 Buchst. a; GrESWG Bay Art. 4 Abs. 1; StAnpG § 4 Abs. 2, 3 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom Dezember 1968 erwarb die Klin. um . . . DM Grundstücke. Sie beantragte GrESt-Befreiung nach dem damals maßgebenden GrESWG Bay und verpflichtete sich, auf diesen Grundflächen grundsteuerbegünstigte Eigenheime zu errichten und diese an Personen zu veräußern, die das Eigenheim jeweils selbst beziehen würden. Mit ,,vorläufiger Freistellungsmitteilung" vom 24. April 1969 stellte das beklagte FA den Grundstückserwerb von der Steuer frei. Am 31. Oktober 1974 erklärte das FA die vorläufige Freistellungsmitteilung für endgültig. Die auf dem Erwerbsgrundstück von der Klin. u. a. errichteten Wohngebäude A und B waren von der Stadt X zunächst mit Bescheiden vom 10. September 1970 als steuerbegünstigt nach dem II. WoBauG anerkannt. Mit Bescheiden vom 8. und 9. April 1976 widerrief die Stadt X die Anerkennungsbescheide vom 10. September 1970 rückwirkend ab Bezugsfertigkeit.
Am 23. Juli erließ das FA gegen die Klin. einen Steuerbescheid über . . . DM GrESt mit dem Hinweis, die Steuer sei nachzuerheben, weil die auf den Grundstücken errichteten Gebäude A, B und C ab Bezugsfertigkeit nicht steuerbegünstigt seien.
Mit Einspruchsentscheidung vom 30. Dezember 1980 setzte das FA die GrESt auf . . . DM herab, weil der Widerrufsbescheid betr. das Wohngrundstück C wieder aufgehoben worden sei. Im übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück.Der auf Aufhebung des Steuerbescheids vom 23. Juli 1976 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Dezember 1980 gerichteten Klage hat das FG stattgegeben. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Steuer sei im Zeitpunkt ihrer Festsetzung schon verjährt gewesen. Wegen des rückwirkend erfolgten Widerrufs sei die Steuer bereits im Zeitpunkt des Erwerbsvorgangs entstanden, sei doch der begünstigte Zweck nicht erreichbar gewesen. Aber auch wenn in den Widerrufsbescheiden der Eintritt eines Nachversteuerungstatbestandes gesehen werden könnte, wäre der Vergünstigungszeitraum von fünf Jahren bereits abgelaufen gewesen. Mit der Revision beantragt das FA, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil es zu Unrecht das Vorliegen eines Nacherhebungstatbestandes verneint und damit den Eintritt der Verjährung bejaht hat.
1. Eine (materiell-vorläufige) Steuerbefreiung, wie sie Art. 1 Nr. 1 Buchst. a GrESWG Bay vorsah, schob die Entstehung der Steuer vorerst hinaus. Wurde der begünstigte Zweck herbeigeführt, entstand die Steuer überhaupt nicht, andernfalls nach Art. 4 Abs. 1 GrESWG Bay in der für den Erwerbsvorgang maßgebenden Fassung mit Aufgabe des begünstigten Zwecks bzw. mit fruchtlosem Ablauf der für seine Herbeiführung geltenden Frist von fünf Jahren (vgl. Entscheidungen des BFH vom 5. März 1968 II 165/64, BFHE 92, 43, BStBl II 1968, 416, und vom 10. März 1970 II B 7/70, BFHE 98, 374, BStBl II 1970, 389). Für die vorläufige Steuerbefreiung genügte dabei jede Aussicht auf Erfüllung des begünstigten Zwecks; die Fehleinschätzung dieser Aussicht durch den Erwerber ging zu seinen Lasten (vgl. BFH-Urteil vom 2. Februar 1977 II R 4/72, BFHE 121, 531, BStBl II 1977, 484). Die Steuer war dann nachzuerheben, wobei die nachträgliche Erhebung verfahrensmäßig einen gesonderten Steuerfall bildet. Diese verfahrensmäßige Trennung ist darin begründet, daß die Entscheidung des FA über einen beim Grundstückserwerb gestellten Befreiungsantrag regelmäßig aufgrund vorläufiger Erkenntnisse zu treffen war; sie war daher nach Sinn und Zweck des Gesetzes (materiell) vorläufig und konnte als vorläufige Befreiung durch spätere Ereignisse und Erkenntnisse nicht unrichtig werden. Die endgültige Prüfung hatte nach dem Willen des Gesetzes im sog. Nacherhebungsverfahren zu erfolgen (vgl. dazu die BFH-Urteile vom 14. März 1979 II R 97/78, BFHE 127, 554, BStBl II 1979, 526, und vom 4. Mai 1983 II R 6/82, BFHE 138, 480, BStBl II 1983, 609). Das bedeutet im vorliegenden Fall, daß entgegen der Ansicht des FG die Steuer nicht bereits mit dem Erwerb der Grundstücke entstanden ist.
2. Die Steuer ist aber mit der Aufgabe des begünstigten Zwecks entstanden, nämlich mit der bezugsfertigen Erstellung von Wohngebäuden, die von diesem Zeitpunkt an (rückwirkend) als nicht steuerbegünstigt anzusehen sind. Dabei kommt es nicht - wie das FG meint - auf den Zeitpunkt des Widerrufs der Anerkennungsbescheide an, sondern auf den Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit. Diesen hat das FG nicht festgestellt. Seine Feststellung, die grundsätzlich für die Entstehung und damit auch für den Beginn der Verjährung entscheidend ist, kann aber im vorliegenden Fall dahinstehen, weil die nachzuerhebende Steuer unter keinen Umständen verjährt war. Nach § 16 a Satz 2 GrEStG Bay beginnt in Fällen, in denen die Beteiligten eine für Zwecke der GrESt vorgeschriebene Anzeige nicht oder nicht rechtzeitig erstattet haben, die Verjährung nicht vor Ablauf des Jahres, in dem das FA Kenntnis von dem steuerpflichtigen Vorgang erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Steueranspruch entstanden ist.
Eine entsprechende Anzeigepflicht enthielten § 165 e Abs. 4 AO und § 3 Abs. 4 GrEStDV. Da mit Rücksicht auf das Kaufdatum (Dezember 1968) die Gebäude in keinem Falle vor Beginn des Jahres 1969 bezugsfertig geworden sein konnten, und die Klin. der ihr obliegenden Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist, begann die (fünfjährige, vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 AO) Verjährungsfrist nicht vor Ablauf des Jahres 1974 zu laufen, so daß der Steueranspruch im Zeitpunkt des Ergehens des angefochtenen GrESt-Bescheids noch nicht verjährt war. Dabei kommt es für das Hinausschieben des Beginns des Laufes der Verjährungsfrist nicht darauf an, ob die Klin. sich des Bestehens einer Anzeigepflicht bewußt war, weil § 16 a Satz 2 GrEStG Bay nur auf das objektive Bestehen einer solchen Pflicht abhebt.
3. Der Umstand, daß das FA mit der ,,endgültigen Freistellungsmitteilung" vom 31. Oktober 1974 das Nacherhebungsverfahren abgeschlossen hat, steht der Änderung dieses Bescheids nicht entgegen. Der Bescheid konnte nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 StAnpG geändert werden. Durch den Widerruf der Anerkennungsbescheide ist nämlich i. S. des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG das Merkmal ,,grundsteuerbegünstigtes Wohngebäude" als Voraussetzung für die Steuervergünstigung mit Wirkung für die Vergangenheit weggefallen.
Fundstellen
Haufe-Index 413792 |
BFH/NV 1985, 100 |