Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Das Finanzamt kann im Lohnsteuer-Jahresausgleich zu Unrecht erstattete Lohnsteuer nur zurückfordern, wenn eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 3 AO vorliegt oder der Steuerpflichtige die Erstattung durch unlautere Mittel im Sinne des § 96 Abs. 2 AO erreicht hat.
Normenkette
JAV § 4 Abs. 5; AO § 92 Abs. 3, § 92/2, § 96 Abs. 1-2, § 150 Abs. 2, § 223
Tatbestand
Das Finanzamt erstattete der Bgin. im Lohnsteuerjahresausgleich 1955 am 6. Februar 1957 einen Betrag von 1.546,35 DM an Lohnsteuer; einen schriftlichen Erstattungsbescheid erteilte es nicht. Bei einer Nachprüfung stellte der Rechnungshof fest, daß ein um 59 DM zu hoher Betrag erstattet worden war, weil bei der Berücksichtigung von Krankheitskosten gemäß § 33 EStG - § 25 LStDV - die zumutbare Eigenbelastung statt mit 1.218 DM mit 1.085 DM angesetzt worden war. Das Finanzamt forderte die zuviel erstattete Lohnsteuer von 59 DM mit Bescheid vom 22. Oktober 1958 von der Bgin. zurück.
Das Finanzgericht hob den Rückforderungsbescheid auf; seine Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1960 S. 113 veröffentlicht. Es führte aus, das Finanzamt könne die Rückforderung nicht auf § 92 Abs. 3 AO stützen; denn eine offenbare Unrichtigkeit liege nicht vor. Das Finanzamt berufe sich auf § 223 AO. Diese Vorschrift betreffe aber nur die Anforderung von Lohnsteuer, z. B. durch Haftungsbescheid gegenüber dem Arbeitgeber; die Rückforderung einer erstatteten Besitz- und Verkehrsteuer könne nicht auf diese Vorschrift gestützt werden. Erlasse das Finanzamt einen Erstattungsbescheid, so liege darin eine Bewilligung im Sinne des § 96 AO (Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 6 zu § 96), die nur unter den Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 AO widerrufen werden könne, also nur, wenn der Steuerpflichtige sie durch unlautere Mittel erschlichen habe. Im Streitfall habe das Finanzamt allerdings keinen Erstattungsbescheid erlassen; das entspreche dem § 4 Abs. 5 der Verordnung über den Lohnsteuer-Jahresausgleich und den Notopfer-Jahresausgleich (JAV) 1955. In solchen Fällen müsse aber die Auszahlung selbst als eine Bewilligung im Sinne des § 96 AO gewürdigt werden. Bei einer ohne schriftlichen Bescheid ausgezahlten Wohnungsbauprämie habe das der Bundesfinanzhof im Urteil VI 124/58 U vom 7. November 1958 (BStBl 1959 III S. 25, Slg. Bd. 68 S. 70) bereits ausgesprochen. Auch im Schrifttum (z. B. Hartz-Over, Lohnsteuer - Stichwort "Lohnsteuer-Jahresausgleich" unter 6) werde die Rückforderung erstatteter Lohnsteuer nur unter den Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 AO für zulässig gehalten.
Mit der Rb. begehrt der Vorsteher des Finanzamts die Wiederherstellung des Rückforderungsbescheids. Er führt aus, § 96 AO behandele nur rechtsbegründende, nicht auch rechtsbestätigende Verfügungen. Ob die Erstattung von Lohnsteuer im Lohnsteuer-Jahresausgleich eine rechtsbegründende Verfügung sei, könne dahingestellt bleiben; denn § 96 AO sei nur anwendbar, wenn ein förmlicher Erstattungsbescheid erteilt worden sei. Entsprechend dem § 150 Abs. 2 AO brauche im Lohnsteuer-Jahresausgleich ein schriftlicher Bescheid nur erteilt zu werden, wenn die Erstattung ganz oder zum Teil abgelehnt werde. Daß ein Bescheid nicht erteilt werde, sei nicht nur eine Vereinfachungsmaßnahme, wie das Finanzgericht annehme. Die Rückforderung der zuviel erstatteten Lohnsteuer sei gemäß § 223 AO möglich. Diese Vorschrift betreffe nicht nur, wie das Finanzgericht annehme, die Nachforderung von Lohnsteuer außerhalb des Lohnsteuer-Jahresausgleichs, sondern auch die Rückforderung von zu Unrecht erstatteter Lohnsteuer. Den abweichenden Ausführungen von Nake (Der Betriebs-Berater 1960 S. 400) sei nicht beizutreten.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.
Zutreffend stellen die Beteiligten die Frage in den Vordergrund, ob die Erstattung von Lohnsteuer im Lohnsteuer-Jahresausgleich durch das Finanzamt eine Bewilligung im Sinne des § 96 AO ist, die nur unter den Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 AO, die im Streitfall unstreitig nicht vorliegen, widerrufen werden kann. Bejaht man diese Frage, so braucht auf die Bedeutung des § 223 AO nicht eingegangen zu werden; denn wenn eine Bewilligung nach § 96 AO vorliegt, so gibt es - außer dem Widerruf nach § 96 Abs. 2 AO und der Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit im Sinne des § 96 Abs. 3 AO - keine andere Möglichkeit, eine erteilte Bewilligung zu ändern (Hübschmann-Hepp-Spitaler, Anm. 1 zu § 94 AO, Anm. 4/5 zu § 96 AO). Eine Bewilligung im Sinne des § 96 AO gewährt also einen besonders wirksamen Schutz dagegen, daß das Finanzamt später seine Rechtsauffassung oder die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ändert.
Mit Recht betrachtet das Finanzgericht die Erstattung von Lohnsteuer im Lohnsteuer-Jahresausgleich durch das Finanzamt als eine Bewilligung im Sinne des § 96 AO. Schon in der Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 65/27 vom 16. Februar 1927 (Slg. Bd. 20 S. 278, Steuer und Wirtschaft 1927 Nr. 133) ist in der Erstattung einer Steuer bzw. in der Anordnung der Erstattung eine Bewilligung im Sinne des § 96 AO erblickt worden.
Die Auffassung des Finanzamts, § 96 AO sei schon deshalb nicht anwendbar, weil das Finanzamt der Bgin. keinen schriftlichen Erstattungsbescheid erteilt habe, ist unzutreffend. Wie in § 150 Abs. 2 AO ist auch in § 4 Abs. 5 JAV die Erteilung eines Erstattungsbescheids nur vorgesehen, wenn der Erstattungsantrag ganz oder teilweise abgelehnt wird. In diesen Fällen ist ein Bescheid erforderlich, weil der Steuerpflichtige erfahren muß, warum und in welchem Umfang das Finanzamt seinem Antrag nicht entsprochen hat, damit er überlegen kann, ob er ein Rechtsmittel einlegen soll. Wenn das Finanzamt aber dem Antrag des Steuerpflichtigen voll stattgibt, so kann zur Vereinfachung auf die Erteilung eines Erstattungsbescheids verzichtet werden. Geht man davon aus, so kann die Frage, ob die Erstattung eine Maßnahme im Sinne des § 96 AO ist, nicht von der Erteilung eines schriftlichen Erstattungsbescheids abhängig gemacht werden. Wird kein schriftlicher Bescheid erteilt, so enthält die antragsgemäße Erstattung selbst die Bewilligung im Sinne des § 96 AO.
In der Entscheidung VI 252/57 U vom 6. Mai 1959 (BStBl 1959 III S. 292, Slg. Bd. 69 S. 83) hat der Senat ausgesprochen, daß der Arbeitgeber, der bei Vornahme des Lohnsteuer-Jahresausgleichs dem Arbeitnehmer zuviel an Lohnsteuer erstattet, in Anspruch genommen werden kann, weil er - auf das Jahr gesehen - die Lohnsteuer nicht richtig einbehalten hat. In der Entscheidung ist die Frage offengeblieben, wie es sei, wenn nicht der Arbeitgeber, sondern das Finanzamt auf Antrag des Steuerpflichtigen und nach Prüfung der Unterlagen im Lohnsteuer-Jahresausgleich einen Betrag erstattet hat. Mit Recht weist das Finanzgericht darauf hin, daß der Senat in dem ähnlich gelagerten Fall der Gewährung einer Wohnungsbauprämie durch das Finanzamt ohne schriftlichen Bescheid eine Maßnahme im Sinne des § 96 AO gesehen habe (Urteil VI 124/58 U vom 7. November 1958, BStBl 1959 III S. 25, Slg. Bd. 68 S. 70).
Der Senat nimmt zu der umfassenderen Streitfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen allgemein eine Verfügung des Finanzamts zur Erstattung von Besitz- und Verkehrsteuern eine Maßnahme im Sinne des § 96 AO ist, nicht Stellung (vgl. dazu Kühn, 5. Aufl., Anm. 2 zu § 96 AO; Barske, Reichsabgabenordnung, 5. Aufl., S. 103; Riewald, Anm. 2 zu § 96 AO); er beschränkt seine Entscheidung vielmehr auf den Fall der Erstattung von Lohnsteuer durch das Finanzamt im Lohnsteuer-Jahresausgleich. Unter § 96 AO fallen, wie das Finanzamt zutreffend ausführt, nur rechtsbegründende, nicht auch rechtsbestätigende Verwaltungsakte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VII 24/58 U vom 15. Oktober 1958, BStBl 1959 III S. 18, Slg. Bd. 68 S. 49; Barske, a. a. O. S. 103). Die Erstattung von Lohnsteuer durch das Finanzamt ist aber - im Gegensatz zur Auffassung des Finanzamts - ein rechtsbegründender Akt. Das ergibt sich daraus, daß die meisten Lohnsteuerfälle mit Ablauf des Kalenderjahrs grundsätzlich abgeschlossen sind; die Lohnsteuerberechnung kann vom Finanzamt nicht wieder aufgerollt werden, sofern die Lohnsteuer richtig berechnet war (ß 46 Abs. 3 EStG). Das Gesetz gibt nur dem Arbeitnehmer das Recht, innerhalb einer kurz bemessenen Ausschlußfrist zu beantragen, daß das Finanzamt die Steuer auf Grund neuen sachlichen Vorbringens anders berechnet. Diese vom Steuerpflichtigen veranlaßte Prüfung kann nur zur Erstattung zuviel gezahlter, nicht aber zur Nachforderung zuwenig gezahlter Lohnsteuer führen. Führt die beantragte Prüfung zur Erstattung von Lohnsteuer, so besteht kein Bedenken, die Erstattung als rechtsbegründenden Verwaltungsakt anzusehen.
Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses spricht auch die folgende überlegung: In der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 69/55 U vom 12. Mai 1955 (BStBl 1955 III S. 213, Slg. Bd. 61 S. 39) ist die Eintragung eines steuerfreien Betrags auf der Lohnsteuerkarte als eine Bewilligung im Sinne des § 96 AO bezeichnet worden, die nur - und das gilt besonders nach Ablauf des Kalenderjahrs, für das die Lohnsteuerkarte gilt - unter den Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 AO widerrufen werden kann. Diese grundsätzliche Beurteilung muß sich aus Gründen der gleichmäßigen Besteuerung auch im Lohnsteuer-Jahresausgleich auswirken. Denn hätte sich die Bgin. was ihr freistand, im Laufe des Jahres auf der Lohnsteuerkarte 1955 einen steuerfreien Betrag eintragen lassen und hätte das Finanzamt dabei den Betrag ebenso unrichtig berechnet wie später im Lohnsteuer-Jahresausgleich, so wäre ein Widerruf der Eintragung mit der Folge, daß zuwenig bezahlte Lohnsteuer nachgefordert wurde, nicht möglich gewesen. Es gibt aber keinen vernünftigen Grund, den Fall anders zu beurteilen, wenn das Finanzamt statt im Steuerkarten-Eintragungsverfahren im Lohnsteuer-Jahresausgleich das Vorbringen des Steuerpflichtigen prüft und ihm die Lohnsteuer erstattet. Die Erstattung muß dann dieselbe bindende Kraft haben wie die Eintragung eines steuerfreien Betrags auf der Lohnsteuerkarte.
Wollte man der Auffassung des Finanzamts folgen, so würde man auch zu Ergebnissen kommen, die mit dem Aufbau des Lohnsteuerverfahrens unvereinbar sind. Das Lohnsteuerverfahren ist ein Massenverfahren, das manche Besonderheiten aufweist und in mancher Hinsicht zu einer summarischen Besteuerung führt. Das Gesetz verzichtet um der Durchführbarkeit des Verfahrens willen zuungunsten des Steuerfiskus oft auf die absolute Richtigkeit der Besteuerung. Der Gesetzgeber verfolgt auch, wie oben ausgeführt, offensichtlich die Tendenz, möglichst bald nach Ablauf des Kalenderjahrs die große Masse der Lohnsteuerfälle, wenn die Lohnsteuerberechnung nach Maßgabe der Lohnsteuerkarte richtig vorgenommen war, unanfechtbar zu machen. Man kann dabei großzügig verfahren, weil nur die kleineren Steuerfälle im Lohnsteuerverfahren endgültig abgewickelt werden; denn Lohnsteuerpflichtige, deren Einkommen bestimmte Grenzen überschreitet, werden nach § 46 EStG veranlagt und dabei nach den allgemeinen Vorschriften wie alle anderen Steuerpflichtigen behandelt. Wollte man dem Finanzamt folgen, so würde für viele Lohnsteuerfälle und auf Jahre hinaus Rechtsunsicherheit eintreten; denn dann könnten alle Lohnsteuerausgleiche des Finanzamts innerhalb der Verjährungsfrist (zu deren Berechnung bei Rückforderung von erstatteten Steuern, vgl. die Entscheidung des Bundesfinanzhof III 133/57 U vom 5. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 179, Slg. Bd. 68 S. 472) wiederaufgerollt werden. Die Aufrollung wäre nach § 223 AO unbeschränkt möglich, also auch, wenn der Steuerpflichtige im Antrag auf Vornahme des Lohnsteuer-Jahresausgleichs alle Tatsachen dem Finanzamt richtig vorgetragen hat. Das wiederum würde eine Ungleichmäßigkeit der Besteuerung bedeuten; denn dabei würden die Lohnsteuerpflichtigen schlechter gestellt als die veranlagten Steuerpflichtigen, zu deren Ungunsten das Finanzamt nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO eine Einkommensteuerveranlagung nur wiederaufrollen kann, wenn neue Tatsachen bekanntwerden.
Nach allem nimmt der Senat an, daß eine Lohnsteuererstattung im Lohnsteuer-Jahresausgleich, die das Finanzamt auf Grund der vom Steuerpflichtigen vorgetragenen Tatsachen vornimmt, eine Maßnahme im Sinne des § 96 AO ist. Das Finanzamt kann die erstattete Lohnsteuer nur zurückfordern, wenn eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 92 Abs. 3 AO vorliegt (siehe dazu Urteile des Bundesfinanzhofs II 113/53 U vom 10. Juni 1953, BStBl 1953 III S. 214, Slg. Bd. 57 S. 558; II 137/55 U vom 14. März 1956, BStBl 1956 III S. 137, Slg. Bd. 62 S. 372) oder wenn der Steuerpflichtige zur Erlangung der Erstattung im Sinne des § 96 Abs. 2 AO unlautere Mittel angewendet, insbesondere dem Finanzamt gegenüber bewußt falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat.
Fundstellen
Haufe-Index 409698 |
BStBl III 1960, 296 |
BFHE 1961, 126 |
BFHE 71, 126 |