Entscheidungsstichwort (Thema)
Ansatz des Nutzungswerts einer im Rahmen der doppelten Haushaltsführung genutzten Wohnung im eigenen Haus
Leitsatz (amtlich)
Der Nutzungswert einer selbstgenutzten Wohnung im eigenen Haus ist auch dann gemäß § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu erfassen, wenn diese Wohnung im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt wird (Anschluß an das BFH-Urteil vom 3. Dezember 1982 VI R 228/80, BFHE 137, 564, BStBl II 1983, 467).
Orientierungssatz
Diese Auslegung führt nicht zu einer Benachteiligung des Eigentümers einer Wohnung gegenüber einem Mieter.
Normenkette
EStG 1983 § 9 Abs. 1 Nr. 5, § 21 Abs. 2 Alt. 1; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind im Streitjahr (1983) zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Sie haben ihren gemeinsamen Hausstand in X. Der Kläger ist seit dem Jahre 1982 in Y nichtselbständig tätig. Er erwarb im selben Jahr in der Nähe des neuen Beschäftigungsortes ein Zweifamilienhaus und bewohnte in diesem im Streitjahr eine Wohnung. Die hierauf entfallenden Betriebskosten (Strom, Heizung) machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr als Werbungskosten (Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung) bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Die Mieteinnahmen aus der fremdvermieteten Wohnung und die das Zweifamilienhaus betreffenden Werbungskosten (Schuldzinsen, Erhaltungsaufwendungen, Abschreibungen etc.) berücksichtigten sie bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) führte die Einkommensteuerveranlagung des Streitjahres erklärungsgemäß durch, erfaßte jedoch als zusätzliche Einnahme den Mietwert der selbstgenutzten Wohnung des Klägers in dem Zweifamilienhaus.
Der hiergegen --nach erfolglosem Einspruch-- gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) habe der Kläger zwar durch das Nutzen der Wohnung im eigenen Zweifamilienhaus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt. Die Vorschrift sei jedoch verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, daß bei einer im Rahmen der doppelten Haushaltsführung genutzten eigenen Wohnung am Beschäftigungsort § 21 Abs. 2 EStG keine Anwendung finde. Anderenfalls werde der Eigennutzer schlechter gestellt als ein Mieter, der die ihm entstandenen Mietaufwendungen gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend machen könne. Dies widerspreche der Systematik des § 21 Abs. 2 EStG.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 21 Abs. 2 EStG). Das FG sei vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. Dezember 1982 VI R 228/80 (BFHE 137, 564, BStBl II 1983, 467) abgewichen.
Das FA beantragt, zum Teil sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Mit dem während des Revisionsverfahrens erlassenen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1983 vom 13. September 1994 erklärte das FA die Steuerfestsetzung teilweise für vorläufig und berücksichtigte den gemäß § 32 Abs. 8 Satz 1 EStG 1983 bis 1985 i.d.F. des § 54 EStG (Art. 1 Nr. 18 des Steueränderungsgesetzes 1991) rückwirkend erhöhten Kinderfreibetrag.
Die Kläger beantragen, diesen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage gegen den Änderungsbescheid vom 13. September 1994 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
I. Der während des Revisionsverfahrens ergangene Änderungsbescheid wurde auf Antrag der Kläger Gegenstand des Verfahrens (§§ 68, 121, 123 Satz 2 FGO). Aufgrund des Antrags der Kläger, die Revision zurückzuweisen, steht fest, daß sie nach wie vor eine Bestimmung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung entsprechend der Vorentscheidung und eine entsprechende Herabsetzung der Steuer erstreben. Dieses Begehren ist zulässig (z.B. Senatsurteile vom 27. Oktober 1992 IX R 152/89, BFHE 170, 57, BStBl II 1993, 589; vom 16. Februar 1993 IX R 63/88, BFHE 170, 543, BStBl II 1993, 659).
II. 1. Die Vorentscheidung verletzt § 21 Abs. 2 EStG. Das FG hat zu Unrecht wegen der doppelten Haushaltsführung i.S. von § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG für die selbstgenutzte Wohnung des Klägers im eigenen Zweifamilienhaus bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung keinen Rohmietwert berücksichtigt.
Gemäß § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG in der im Streitjahr gültigen Fassung gehört zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus. § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG ist immer dann anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige eine Wohnung --ggf. auch mehrere Wohnungen-- zu Wohnzwecken nutzt oder dafür bereit hält (z.B. Urteile des Senats vom 8. August 1990 IX R 122/86, BFHE 162, 244, BStBl II 1991, 171, und vom 17. März 1992 IX R 69/88, BFH/NV 1992, 726). Es kommt nicht darauf an, ob für das Wohnen private oder berufliche Gründe ausschlaggebend sind. Die Anwendung des § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG entfällt nur, soweit eine Wohnung --oder ein einzelner Raum-- wegen einer darin ausgeübten Betätigung nicht zu Wohnzwecken, sondern zum Erzielen anderer Einkünfte als solcher aus Vermietung und Verpachtung genutzt wird (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30. November 1993 IX R 99/91, BFH/NV 1994, 776 - Arbeitszimmer).
Entgegen der Ansicht des FG und der Kläger ist § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG nicht in der Weise einschränkend auslegbar, daß ein Nutzungswert für die eigengenutzte Wohnung dann nicht anzusetzen ist, wenn diese Wohnung im Rahmen einer beruflich begründeten doppelten Haushaltsführung genutzt wird. Der Wortlaut der Vorschrift sieht eine derartige Einschränkung nicht vor. Sie ergibt sich darüber hinaus weder aus dem Gesetzeszusammenhang, in dem die Regelung steht, noch ist sie verfassungsrechtlich geboten.
Den Begriff "Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus" hat der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere Urteil vom 22. Oktober 1993 IX R 35/92, BFHE 174, 51) dahin ausgelegt, daß der zu schätzenden Rohmiete die nachgewiesenen Werbungskosten gegenüberzustellen sind. Zwar können durch eine beruflich veranlaßte doppelte Haushaltsführung Aufwendungen entstehen, die als Werbungskosten zu beurteilen sind. Insoweit ist aber lediglich darüber zu befinden, ob und ggf. in welchem Umfang diese Aufwendungen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) und/oder im Rahmen der Ermittlung des Nutzungswerts der eigengenutzten Wohnung bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen sind. Der Ansatz eines Rohmietwerts wird dadurch aber nicht berührt; dieser betrifft die Einnahmeseite. Dabei macht es keinen Unterschied, aus welchen Gründen die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG vorliegen, d.h. aus welchen Gründen der Eigentümer die Wohnung zu Wohnzwecken nutzt. Es würde zu einer ungleichmäßigen steuerlichen Behandlung führen, wenn der Nutzungswert der eigengenutzten Wohnung nur deshalb nicht angesetzt würde, weil dies im Rahmen einer beruflich veranlaßten doppelten Haushaltsführung geschieht.
Die Auslegung des Senats führt nicht zu einer Benachteiligung des Eigentümers der Wohnung gegenüber einem Mieter. Die notwendigen Kosten des Mieters stehen in unmittelbarem Zusammenhang lediglich mit dem Überlassen der Nutzung der Wohnung. Demgegenüber hat der Eigentümer der von ihm selbst genutzten Wohnung aufgrund seines Eigentums eine mit der des Mieters nicht vergleichbare, umfassendere Rechtsstellung, aus der sich teilweise andere steuerrechtliche Folgerungen ergeben. Dies zeigt sich insbesondere in dem vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Ansatz eines Nutzungswerts der eigengenutzten Wohnung als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Unterschiede ergeben sich auch in bezug auf Art und Umfang der als Werbungskosten abziehbaren Aufwendungen, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Eigennutzung der Wohnung stehen, wie beispielsweise hinsichtlich der Möglichkeit von Abschreibungen und erhöhten Absetzungen (vgl. dazu insbesondere BFH-Urteil in BFHE 137, 564, BStBl II 1983, 467; ferner von Bornhaupt, in: Kirchhof/ Söhn, Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr. G 135; Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 9 EStG Rn.325; Claßen in Lademann/ Söffing/Brockhoff, Einkommensteuergesetz, § 9 Anm. 110 b; anderer Auffassung z.B. Clausen in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 21a EStG Anm. 37; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 13. Aufl., § 9 Anm. 9 f.; Paus, Finanz-Rundschau 1983, 531).
2. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 420427 |
BFH/NV 1995, 42 |
BStBl II 1995, 322 |
BFHE 176, 389 |
BFHE 1995, 389 |
BB 1995, 764 (L) |
DB 1995, 1054 (LT) |
DStR 1995, 563-564 (KT) |
DStZ 1995, 504 (KT) |
HFR 1995, 392-393 (LT) |
StE 1995, 250-251 (K) |