Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 11 EStDV 1955 ist rechtsgültig, soweit sie eine aus allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen abzuleitende und den Vorschriften der §§ 7 b und 7 c EStG 1951 nicht widersprechende Rechtsauslegung der Bundesregierung enthält.
Hat der Gesetzgeber eine Frage im Gesetz nicht geregelt, so muß unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, seiner steuer- und wirtschaftspolitischen Zwecksetzung, des systematischen Zusammenhangs und der bisherigen Rechtsentwicklung geprüft werden, welche Bedeutung dem Schweigen des Gesetzgebers zukommt.
GG Art. 20 Abs. 3, 80 Abs. 1; StAnpG § 1 Abs. 2; EStG 1951 § 7 c; EStDV 1951 § 11 Abs. 2; EStDV
Normenkette
EStG § 7c; EStDV § 11; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 80 Abs. 1; StAnpG § 1 Abs. 2
Tatbestand
Der Bf. erhielt zum Bau eines im Jahre 1951 bezugsfertig gewordenen Einfamilienhauses von seinem Bruder von Oktober 1950 bis März 1951 nach und nach Zuschüsse von 110.000 DM. Davon wurden 83.149 DM zur Herstellung des Gebäudes und 26.851 DM zum Erwerb von Grund und Boden verwandt. Die Zuschüsse wurden aus Betriebsmitteln einer OHG, deren einzige Gesellschafter der Bf. und sein Bruder waren, zu Lasten des Gewinnanteils des Bruders gegeben. Der Bruder setzte sie gemäß § 7 c EStG von seinem Einkommen ab.
Das Finanzamt kürzte bei der Einkommensteuerveranlagung 1956 für die Bemessung der Sonderabschreibung gemäß § 7 b EStG unter Berufung auf § 11 EStDV 1956/1957 die Herstellungskosten des Gebäudes um den Betrag von 83.149 DM. Der Bf. hält § 11 EStDV für rechtsungültig, weil er mit dem EStG nicht in Einklang stehe. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte im wesentlichen aus: § 11 EStDV sei rechtsgültig (Urteile des Bundesfinanzhofs IV 278/53 U vom 22. Oktober 1953, BStBl 1953 III S. 359, Slg. Bd. 58 S. 176; III 75/54 S vom 28. August 1954, BStBl 1954 III S. 306, Slg. Bd. 59 S. 248; IV 196/54 U vom 27. April 1955, BStBl 1955 III S. 201, Slg. Bd. 61 S. 9); die Vorschrift enthalte nichts vom Gesetz Abweichendes, sondern verdeutliche nur, was sich aus § 7 c EStG ergebe, wenn man diese Vorschrift nach ihrem Zweck auslege. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen seien verlorene Baukostenzuschüsse einkommensteuerlich Kapitalzuwendungen, die das Einkommen des Zuschußempfängers nicht erhöhten, aber auch bei der Berechnung der den Absetzungen für Abnutzungen (AfA) zugrunde liegenden Herstellungskosten außer Ansatz zu lassen seien (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 712/30 vom 4. Februar 1931, RStBl 1931 S. 275; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 6. Aufl., Textziffer 50 zu § 7 b EStG und Textziffer 40 zu § 21 EStG).
Mit der Rb. macht der Bf. weiterhin geltend, § 11 EStDV sei mit Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 1958 (BStBl 1958 I S. 83) müsse eine gesetzliche Ermächtigung so genau bestimmt sein, daß schon aus ihr und nicht erst aus der auf sie gestützten Verordnung erkennbar und vorhersehbar sei, was von dem Bürger gefordert werden könne. Die vom Finanzgericht angezogenen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs seien vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergangen. § 51 Abs. 1 EStG 1955 bilde keine ausreichende Rechtsgrundlage für § 11 EStDV; diese Vorschrift erweitere und ändere vielmehr § 7 b EStG.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Der Bundesfinanzhof hat, wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, die Vorschrift des § 11 EStDV bisher grundsätzlich als rechtswirksam angesehen. Dabei wurden weniger der Wortlaut als der Zweck und der innere Sinn der Vorschrift in den Vordergrund gestellt. Das ist z. B. in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 31/56 U vom 31. Juli 1956 (BStBl 1956 III S. 283, Slg. Bd. 63 S. 223) dargelegt, in der die steuerlichen Auswirkungen eines § 7c-Zuschusses beim Geber und Nehmer zur Beurteilung standen. Die Entscheidung geht davon aus, daß, weil man den Geber und den Nehmer zusammen betrachten müsse, § 7c-Zuschüsse nur zu einer Steuerstundung führen sollten; der Ausgleich dafür, daß der Geber - gewöhnlich entgegen den allgemeinen Grundsätzen des Einkommensteuerrechts - sein Einkommen um die hingegebenen Beträge mindern dürfe, solle dadurch geschaffen werden, daß der Nehmer für die Bemessung der allgemeinen AfA nach § 7 EStG und der Sonder-AfA nach § 7 b EStG den Zuschuß gewissermaßen wie einen durchlaufenden Posten bei der Berechnung der Herstellungskosten des Gebäudes außer Ansatz lassen müsse. ähnliche Vorstellungen waren, wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, schon in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs hervorgetreten, wenn sie den Grundstückseigentümern gestattete, von den Mietern gezahlte verlorene Wohnungsbauzuschüsse nicht alsbald als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung zu versteuern, sondern die tatsächlichen Herstellungskosten des Gebäudes um die Zuschüsse vermindert anzusetzen und damit eine entsprechend kleinere Bemessungsgrundlage für die künftige AfA zu schaffen. An diesen Rechtsgedanken hat auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, z. B. in der Entscheidung I 55/53 U vom 6. Oktober 1953 (BStBl 1953 III S. 315, Slg. Bd. 58 S. 61) betreffend die Baukostenzuschüsse der Benutzer zur Errichtung von Stromanlagen, angeknüpft.
Es kann, wie mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs anzunehmen ist, jedenfalls nicht im Sinne des § 7 c EStG liegen, dem Geber zu gestatten, sein Einkommen um den Zuschuß zu vermindern und daneben noch dem Nehmer den Vorteil zu geben, die AfA von den tatsächlichen Herstellungskosten des Gebäudes zu bemessen und dabei außer Betracht zu lassen, daß ihm ein Teil der Herstellungskosten, ohne sein Einkommen zu erhöhen, als Zuschuß im Sinne des § 7 c EStG zugeflossen ist.
Es ist dem Bf. zuzugeben, daß diese zusammenfassende steuerliche Beurteilung von Geber und Nehmer im Wortlaut der §§ 7 b und 7 c EStG keinen eindeutigen Ausdruck gefunden hat. Ebensowenig gebietet aber auch umgekehrt der Wortlaut dieser Vorschriften etwa, bei der steuerlichen Behandlung des Nehmers die steuerliche Behandlung beim Geber außer Betracht zu lassen. Die zusammenfassende steuerliche Beurteilung beim Geber und Nehmer ist vielmehr im Gesetz weder ausdrücklich geboten noch verboten. Es widerspräche aber den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, die für das Gebiet des Steuerrechts in § 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) ihren Niederschlag gefunden haben, aus dem Schweigen des Gesetzgebers mit dem Bf. etwa ohne weiteres zu folgern, daß die einheitliche und gleichmäßige Behandlung von Geber und Nehmer dem Willen des Gesetzgebers nicht entspreche. In Fällen dieser Art muß unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, ihrer steuer- und wirtschaftspolitischen Zwecksetzung, ihrer Stellung im System des Einkommensteuerrechts und der Rechtsentwicklung bis zu ihrem Erlaß geprüft werden, welche Bedeutung dem Schweigen des Gesetzgebers wahrscheinlich zukommt.
Es steht nun fest, daß bei der Vorbereitung des § 7 c EStG die beteiligten Stellen offenbar davon ausgingen, daß der Nehmer einen § 7c-Zuschuß, den er ja nicht aus seinen Mitteln aufbrachte, bei der Besteuerung der Abschreibungsgrundlage nicht ansetzen dürfe. Bei den Beratungen des Zweiten Gesetzes zur vorläufigen Neuordnung von Steuern bestanden bei der Mehrheit des Steuerausschusses nur unter der Voraussetzung keine Bedenken gegen die Gleichstellung der 7c-Zuschüsse mit 7c-Darlehen, daß in der EStDV klargestellt werde, daß Zuschüsse nicht als Herstellungskosten vom Empfänger abgeschrieben werden dürften (siehe die Ausführungen des Abgeordneten Seuffert als Berichterstatter in der 34. Vollversammlung des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 4. März 1949, Drucksache des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1949 S. 1493). Demgemäß wurde dann auch von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats schon in § 11 Abs. 2 EStDV 1949 eine entsprechende Regelung getroffen und seither unverändert beibehalten. Wegen der Entstehungsgeschichte sowie der steuer- und wirtschaftspolitischen Zwecksetzung des § 7 c EStG und der rechtssystematischen Bedeutung der Vorschrift wird im übrigen vor allem auf die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs III 75/54 S vom 28. August 1954 (BStBl 1954 III S. 306, Slg. Bd. 59 S. 248) und III 100/55 S vom 24. Februar 1956 (BStBl 1956 III S. 138, Slg. Bd. 62 S. 375) hingewiesen.
§ 11 EStDV 1956/1957 gibt also nur das wieder, was bei verständiger Auslegung aus dem Gesetz selbst abzuleiten ist. Nach Art. 20 Abs. 3 GG sind die Verwaltung und die Rechtsprechung berufen, die Gesetze durchzuführen; beide müssen, um als Organe der Staatsgewalt ihren verfassungsmäßigen Auftrag zu erfüllen, das Gesetz selbständig auslegen. Zum Verhältnis von Verwaltung und Rechtsprechung bei der Auslegung der Steuergesetze hat der Bundesfinanzhof vor allem in der Entscheidung I 39/57 U vom 14. August 1958 (BStBl 1958 III S. 409, Slg. Bd. 67 S. 354) Stellung genommen. In § 11 EStDV 1956/1957 hat die Bundesregierung das Gesetz in einer Weise ausgelegt, die die Billigung der Rechtsprechung findet. Zu einer solchen Rechtsauslegung bedarf die Bundesregierung keiner besonderen gesetzlichen Ermächtigung im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG. Sie setzt in diesen Fällen keine Normen neben dem Gesetz oder darüber hinaus, sondern sie führt damit das Gesetz nur durch, indem sie es dem Willen des Gesetzgebers gemäß auslegt. Würde die Bundesregierung in solchen Fällen keine Regelung treffen, so änderte sich der Bestand des objektiven Rechts nicht; denn dann würde die Rechtsprechung von sich aus durch Auslegung des Gesetzes zu demselben Ergebnis kommen müssen. Es steht auch verfassungsrechtlich nichts entgegen, daß die Bundesregierung eine von ihr dem Gesetz gegebene Auslegung in eine Rechtsverordnung wie der EStDV einbaut; sie hätte zwar ebensogut eine Verwaltungsanweisung erlassen oder auf eine authentische Auslegung des Gesetzes überhaupt verzichten können. Wenn sie es aber für zweckmäßig hielt, ihre Rechtsauslegung im Rahmen einer Rechtsverordnung kundzugeben, so bestehen dagegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Wenn man allerdings § 11 EStDV nicht als eine dem Gesetz entsprechende Rechtsauslegung auffaßt, sondern sie mit dem Bf. als eine Vorschrift betrachtet, die über § 7 b oder § 7 c EStG hinaus neues Recht schafft, so wäre es in der Tat bedenklich, mit dem Finanzgericht die Rechtsgrundlage in § 51 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1955 zu sehen. Der Bf. zieht mit gutem Grund in Zweifel, ob diese Ermächtigung wirklich dem Spezialitätsgrundsatz des Art. 80 Abs. 1 GG entsprechen würde, wenn man ihr eine so große Tragweite geben wollte, wie das Finanzgericht es tut. Einer abschließenden Beurteilung dieser Frage bedarf es indessen nicht, da, wie dargelegt, § 11 EStDV grundsätzlich als vertretbare Rechtsauslegung des EStG rechtsgültig ist.
Faßt man § 11 EStDV so auf, so kann allerdings die Vorschrift nicht immer und ohne weiteres ihrem Wortlaut gemäß angewendet werden. Soweit ihre Fassung über das hinausgeht, was als allgemeiner Rechtsgedanke aus dem EStG ableitbar ist, kann sie die Rechtsprechung nicht binden. Davon ist die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs auch bisher schon ausgegangen und hat aus dieser überlegung Folgerungen gezogen. Gibt z. B. eine Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter einen § 7c-Zuschuß, so handelt es sich begrifflich in der Regel um eine verdeckte Gewinnausschüttung, die nur auf Grund der Sonderregelung des § 7 c EStG bei der Kapitalgesellschaft wie eine Betriebsausgabe verrechnet werden darf, ohne es in Wirklichkeit zu sein; beim Gesellschafter ist in der Regel der Zuschuß als Einkunft aus Kapitalvermögen anzusetzen, weil durch § 7 c EStG insoweit die allgemeinen Grundsätze des Einkommensteuerrechts nicht ausgeschlossen werden. Verwendet nun der Gesellschafter einen bei ihm als Einkunft aus Kapitalvermögen versteuerten § 7c-Zuschuß zum Wohnungsbau, so wäre es - wie man es aus dem Wortlaut des § 11 EStDV ableiten könnte - nicht gerechtfertigt, für die Bemessung der künftigen AfA die Herstellungskosten des Gebäudes um den § 7c-Zuschuß zu vermindern. Das ist z. B. in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 73/53 S vom 6. Dezember 1955 (BStBl 1956 III S. 73, Slg. Bd. 62 S. 195) zusammenfassend dargelegt. Die Verwaltungsbehörden gehen von derselben überlegung aus; denn sie haben seit je angeordnet, daß § 11 EStDV (früher § 11 Abs. 2 EStDV) nicht anzuwenden sei, wenn die Zuschüsse beim Empfänger als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt worden sind (z. B. Abschnitt 74 Abs. 4 EStR 1951). Die Behandlung der Zuschüsse, die beim Gesellschafter als verdeckte Gewinnausschüttung versteuert wurden, ist indessen nur ein Anwendungsfall eines allgemeinen Rechtsgedankens; denn wenn sich irgendwie ergeben sollte, daß der Wortlaut des § 11 EStDV Fälle deckt, die bei sinngerechter Auslegung des § 7 c EStG nicht darunter gebracht werden dürfen, so ist die Vorschrift auf diese Fälle nicht anzuwenden.
Der Streitfall zeigt solche Besonderheiten nicht. Der Bruder hat sein Einkommen um den Zuschuß gemindert; der Zufluß beim Bf. war einkommensteuerlich neutral. Dann muß bei sinngerechter Auslegung der §§ 7 b und 7 c EStG der Rechtsgedanke zur Auswirkung kommen, der in § 11 EStDV niedergelegt ist, nämlich daß der Empfänger zur Berechnung der AfA die tatsächlichen Herstellungskosten des Gebäudes um den § 7c-Zuschuß zu mindern hat.
Fundstellen
Haufe-Index 424162 |
BStBl III 1961, 433 |
BFHE 1962, 456 |
BFHE 73, 456 |