Leitsatz (amtlich)
Die Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 10 UStG wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß an einem Grundstück, von dem eine Teilfläche vermietet wird, zur Ergänzung und Erweiterung der sich aus dem Mietvertrag ergebenden Rechte des Mieters der Teilfläche eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit bestellt wird (z. B. des Inhalts, daß der Mieter berechtigt sein soll, auf der Teilfläche eine Tankstelle zu errichten, und daß die Errichtung und der Betrieb von Tankstellen sowie der Handel mit Mineralölprodukten auf dem Grundstück durch andere verboten ist).
Normenkette
UStG § 4 Nr. 10; BGB § 535 ff., § 1090
Tatbestand
Streitig ist, ob durch die Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit an einem zur Errichtung und zum Betrieb einer Tankstelle vermieteten Grundstück die Annahme einer nach § 4 Nr. 10 UStG steuerfreien Grundstücksvermietung ausgeschlossen wird.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Stpfl.) besitzt in X zwei Grundstücke. Sie vermietete Teilflächen dieser Grundstücke durch Verträge vom ... und ... an die A-AG. Auf Grund von Bestimmungen dieser Verträge bestellte sie an den Grundstücken beschränkte persönliche Dienstbarkeiten des Inhalts, daß die A-AG berechtigt sein sollte, auf den vermieteten Grundstücksflächen eine Tankstelle zu errichten und zu betreiben bzw. die schon vorhandenen Anlagen einer Tankstelle und Wagenpflegestation zu benutzen, und daß auf den Grundstücken die Errichtung und der Betrieb von Tankstellen oder der Handel mit Mineralölprodukten bzw. die Lagerung, der Umschlag und der Vertrieb solcher Produkte durch andere Firmen verboten sein sollten. Es war ausdrücklich bestimmt, daß die Dienstbarkeiten in ihrem Bestande von den Mietverträgen unabhängig sein sollten.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) vertrat den Standpunkt, daß die inhaltlich als Einheit zu beurteilenden Verträge im wesentlichen die Einräumung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zum Gegenstand hätten und daß demgegenüber die Grundstücksvermietung so stark in den Hintergrund trete, daß "Verträge besonderer Art" vorlägen, auf die die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 10 UStG nicht anwendbar sei. Das FA zog daher die Stpfl. mit den Mieten für die Veranlagungszeiträume 1953 und 1954 zur Umsatzsteuer heran.
Mit der Sprungberufung (jetzt Sprungklage) hatte die Stpfl. Erfolg. Das FG kam zu dem Ergebnis, daß die Vertragspartner keine "Verträge besonderer Art" oder "Gemischte Verträge" gewollt und abgeschlossen hätten, sondern Mietverträge im Sinne der §§ 535 ff. BGB. Es sei bürgerlich-rechtlich unbedenklich, an einem vermieteten Grundstück eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zu bestellen, durch die dem Mieter zur Sicherung des Mietverhältnisses zusätzlich selbständige Rechte eingeräumt würden. Die Mietentgelte seien für die Vermietung der Grundstücksflächen, nicht für die Dienstbarkeit gezahlt worden.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht. Die zwischen der Stpfl. und der A-AG abgeschlossenen Verträge seien im ganzen zu beurteilen. Vermutlich wären sie ohne die Einräumung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit nicht zustande gekommen. Diese sei für beide Vertragspartner von so entscheidender Bedeutung, daß "Verträge besonderer Art" angenommen werden müßten. Unter Bezugnahme auf das (amtlich nicht veröffentlichte) Urteil des Senats V 99/58 vom 31. Mai 1961 macht das FA geltend, daß ein Miet- oder Pachtrecht und ein dem Mieter oder Pächter als beschränkte persönliche Dienstbarkeit eingräumtes Benutzungs- und Fruchtziehungsrecht nicht nebeneinander bestehen könnten.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
I.
1. Bei der Entscheidung der Streitfrage ist davon auszugehen, daß die im Zweiten Buch des BGB ("Recht der Schuldverhältnisse") behandelten schuldrechtlichen Vertragstypen von den im Dritten Buch des BGB ("Sachenrecht") geregelten dinglichen Rechten zu unterscheiden sind. Zwar haben die dinglichen Rechte des 5. Abschnitts des Sachenrechts ("Dienstbarkeiten") oft manches mit den schuldrechtlichen Institutionen der Miete und Pacht gemeinsam, z. B. die Gebrauchsgewährung (§ 535 BGB) bzw. Benutzungsgewährung (§ 1090 BGB). Die beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten haben aber ebenso wie die Grunddienstbarkeiten und der Nießbrauch einen in wesentlichen Punkten (z. B. Vertragsdauer, Rechtsschutz in Gestalt der sog. Eigentumsfreiheitsklagen, Vollstrekkungsmöglichkeiten) anderen Inhalt als Miete und Pacht. Während der Mietvertrag nach §§ 535 ff. BGB nur persönliche Verpflichtungen zwischen den Vertragsteilen begründet, belastet die beschränkte persönliche Dienstbarkeit das ihr unterworfene Grundstück unmittelbar. Infolgedessen kann ein Mietrecht durch die Vereinbarung, es im Grundbuch eintragen zu lassen, nicht zu einem eintragungsfähigen dinglichen Recht werden (Urteil des Reichsgerichts Rep. V 496/02 vom 8. April 1903, RGZ 54, 233 ff., 235). Umgekehrt kann eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit, auch wenn sie mietvertragsähnliche Befugnisse gewährt, nicht in ein Mietverhältnis umgedeutet werden (vgl. Urteile des RFH V A 691/33 vom 27. April 1934, RStBl 1934, 844; V A 371/33 vom 18. Mai 1934, RStBl 1934, 930; V A 589/36 vom 27. August 1937, RStBl 1937, 1059). Auch Verpflichtungsverträge, durch die die Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit vereinbart wird, begründen kein Mietverhältnis im Sinne der §§ 535 ff. BGB.
2. Aus dem unterschiedlichen Wesen der Rechtsverhältnisse ist geschlossen worden, daß ein Mietrecht und ein als beschränkte persönliche Dienstbarkeit begründetes Benutzungsrecht einer Person nicht nebeneinander zustehen können (Urteil des Kammergerichts vom 6. Dezember 1934, Deutsche Notarzeitschrift 1935 S. 322; vgl. weiter Warneyers Rechtsprechung des Reichsgerichts 1927 Nr. 54; Seufferts Archiv 83 Nr. 88). Hierdurch werden Bedenken gegen das gleichzeitige Betehen eines Mietvertrages und einer Dienstbarkeit gleichen Inhalts zum Ausdruck gebracht. Nach herrschender Auffassung steht jedoch nichts im Wege, durch Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit die Rechte des Mieters zu ergänzen und zu erweitern. Insbesondere kann neben dem Mietrecht vom Vermieter eine dingliche Verpflichtung des Inhalts bestellt werden, daß der Mieter das Grundstück durch Errichtung von Anlagen jeder Art nutzen kann, die mittelbar oder unmittelbar seinen Absatz fördern (Staudinger-Kiefersauer, Kommentar zum BGB, 11. Aufl. 1955, § 535 Randziff. 82 Abs. 2; vgl. auch Soergel-Siebert- Baur, Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 1960, Anm. 15 zu § 1090 BGB). Es ist daher auch die Bestellung einer Grunddienstbarkeit zur Benutzung eines Grundstücks als Tankstelle neben einem Mietvertrag über dasselbe Grundstück möglich (Palandt-Hoche, BGB, 23. Aufl. 1964, Anm. 5b und § 1018 BGB). In einem solchen Falle bestehen der schuldrechtliche Mietvertrag und die sachenrechtliche Dienstbarkeit selbständig nebeneinander und sind auch rechtlich je für sich zu würdigen.
3. Eine Einschränkung ist allerdings für das Umsatzsteuerrecht zu machen, die sich aus dem Sinn und Zweck der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 10 UStG ergibt: Wenn ein Vertragsverhältnis Merkmale eines Mietvertrages und Merkmale anderer Vertragsarten aufweist, kommt es darauf an, ob nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse der wesentliche Vertragsinhalt einen Mietvertrag in Erscheinung treten läßt oder ob die Überlassung des Grundstücks zum Gebrauch gegenüber anderen wesentlichen Vertragsleistungen zurücktritt (vgl. Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz, 9. Aufl. Tz. 2757). Mit anderen Worten: Die Vereinbarungen einschließlich derjenigen, die den Inhalt der zu bestellenden Dienstbarkeit angeben, dürfen keinen Vertrag eigener Art darstellen.
II.
1. Eine Prüfung des Streitfalles in den aufgezeigten Richtungen ergibt, daß durch die beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten eine Erweiterung der sich aus den Mietverträgen für die A-AG ergebenden Rechte beabsichtigt war. Der A-AG wurde dadurch das Recht eingeräumt, auf den vermieteten Grundstücksflächen Tankstellen zu errichten und zu betreiben bzw. vorhandene Tankstellenanlagen zu benutzen und mit Mineralölprodukten zu handeln, und zwar unter Ausschluß jeglicher Konkurrenz seitens der Stpfl. oder Dritter. In beiden Verträgen war bestimmt, daß die Dienstbarkeiten in ihrem Bestande von den Mietverträgen unabhängig sein sollten. Durch die zusätzlichen selbständigen Berechtigungen, die die Dienstbarkeiten gewährten, wurde das Mietverhältnis zwischen den Beteiligten nicht berührt. Es ist nichts Außergewöhnliches, daß sich ein Mieter, der auf dem gemieteten Grundstück kostspielige Anlagen zu errichten oder veraltete Anlagen zu modernisieren beabsichtigt, durch Eintragung seines Benutzungsrechts und eines Wettbewerbsverbots im Grundbuch gegen Eingriffe Dritter schützt. Andererseits sind solche zusätzlichen Berechtigungen, die auf eine Stärkung und Erweiterung der Rechte des Mieters hinauslaufen, nicht geeignet, die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen den Geschäftspartnern in ihrem Wesen so zu verändern, daß kein Mietvertrag, sondern ein Vertrag eigener Art angenommen werden müßte. Es widerspricht auch der Sach- und Rechtslage, die Mieten, die in den Verträgen als solche bezeichnet werden, als Entgelte für die Dienstbarkeiten zu beurteilen. Die gewählte vertragliche Regelung war bürgerlich-rechtlich und umsatzsteuerrechtlich zulässig und wirtschaftlich sinnvoll.
2. Zu Unrecht beruft sich das FA zur Stützung seiner abweichenden Rechtsauffassung auf das Urteil des Senats V 99/58 vom 31. Mai 1961. In dieser Entscheidung hatte der Senat ein im Grundbuch eingetragenes Schürf- und Ausbeuterecht für Kali und Erdöl nicht als Grundstücksverpachtung im Sinne des § 4 Nr. 10 UStG anerkannt. Dort hatten die Vertragspartner in den Vorverträgen die Pflichten der Grundstückseigentümer ausdrücklich und ausschließlich als beschränkte persönliche Dienstbarkeitten gewollt und ausgestaltet. Von Pachtverhältnissen war nirgends die Rede. Die Vorverträge enthielten zahlreiche Rechte und Pflichten der Beteiligten, die weit über den üblichen Rahmen von Pachtverträgen hinausgingen und auf die Eigenart des Abbaus von Bodenschätzen abgestellte Verträge eigener Art darstellten. Es lagen - im Gegensatz zum Streitfalle - Sachverhalte der oben in den Abschnitten I 1 und 3 beschriebenen Art vor, bei denen eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 10 UStG nicht in Betracht kommt.
III.
Die Vorinstanz hat daher zutreffend neben den beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten bestehende Grundstücksmietverträge angenommen und diesen die Mietentgelte zugerechnet. Da die Vermietung von Grundstücken nach § 4 Nr. 10 UStG umsatzsteuerfrei ist, war die Revision des FA mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen. Die Bestimmung des Streitwerts beruht auf § 140 Abs. 3 FGO.
Fundstellen
BStBl II 1968, 130 |
BFHE 1968, 561 |