Leitsatz (amtlich)
1. Der gemeine Wert von Geschäftsanteilen an einer GmbH läßt sich jedenfalls dann nicht aus nur einem Verkaufsfall ableiten, wenn es sich lediglich um die Veräußerung eines Zwerganteils an die Gesellschaft selbst handelt.
2. Es ist nicht zulässig, einzelne Regelungen des für Stichtage ab 31. Dezember 1973 wesentlich geänderten sog. Stuttgarter Verfahrens (Abschn. 76 ff. VStR 1974) auf Stichtage vor dem 31. Dezember 1973 anzuwenden.
Normenkette
VStR 1969 Abschn. 76 ff.; VStR 1974 Abschn. 76 ff.; BewG 1965 § 11 Abs. 2, § 112
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt eine Gießerei in der Rechtsform der GmbH. Das Stammkapital der Gesellschaft betrug am 31. Dezember 1968, dem hier maßgeblichen Stichtag, 820 360 DM. Die Gesellschafter der Klägerin (die Beigeladenen) - zum Teil Gründungsmitglieder - sind miteinander verwandt. Nach dem Gesellschaftsvertrag sind Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit zu fassen. Jeder Gesellschafter ist berechtigt, seinen Geschäftsanteil oder einen Teil hiervon an andere Gesellschafter zu veräußern. Im Falle der Veräußerung an Nichtgesellschafter ist die Genehmigung der Klägerin erforderlich (§ 4 des Gesellschaftsvertrags). In letzterem Falle steht den anderen Gesellschaftern ein Vorkaufsrecht zu.
Der Betrieb der Klägerin liegt in einem dicht besiedelten Ortsteil von W. Durch das Betriebsgelände führt eine Feldstraße. Der auf einer Seite von dieser stehende Schmelzofen bedient die Stahl- und die Walzgießerei. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hat bei der Hauptfeststellung des Grundbesitzes zum 1. Januar 1964 einen Abschlag auf den Gebäudesachwert von 5 v. H. wegen unorganischen Aufbaus gewährt. Bei der (bestandskräftigen) Fortschreibung des Einheitswerts zum 1. Januar 1967 (nach den Wertverhältnissen 1. Januar 1935) war ein Abschlag unterblieben.
Ende Dezember 1968 verkaufte die Beigeladene M. K. an die Klägerin einen Teil ihres Geschäftsanteils im Nennwert von ... DM zum Preis von ... DM je 100 DM Nennwert. Die Beigeladene E. S. veräußerte im Dezember 1970 einen Teil ihres Geschäftsanteils im Nennwert von ... DM zum Preis von ... DM je 100 DM Nennwert, ebenfalls unmittelbar an die Klägerin.
Das FA schätzte den gemeinen Wert der Geschäftsanteile zum 31. Dezember 1968 nach dem sog. Stuttgarter Verfahren (Abschn. 76 ff. der Vermögensteuer-Richtlinien - VStR -) und stellte durch Bescheid vom 21. Mai 1970 den Wert je 100 DM Nennwert auf ... DM für den Geschäftsanteil des mit rund 29 v. H. beteiligten K. S., auf ... DM für die Geschäftsanteile der übrigen Beigeladenen fest.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. In der Einspruchsentscheidung vom 16. März 1971 erhöhte das FA den gemeinen Wert der Geschäftsanteile der mit rund 29 v. H. beteiligten Beigeladenen E. W. auf ... DM je 100 DM Nennwert.
Auf die Klage setzte das Finanzgericht (FG) den gemeinen Wert der Geschäftsanteile der Beigeladenen K. S. und E. W. auf ... DM, für die übrigen Geschäftsanteile auf ... DM je 100 DM Nennwert herab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus: Im Streitfall lasse sich der gemeine Wert der Geschäftsanteile nicht aus Verkäufen ableiten. Es sei daher nicht zu beanstanden, daß das FA den gemeinen Wert nach dem Stuttgarter Verfahren ermittelt habe. Der von der Klägerin begehrte Abschlag wegen Verfügungsbeschränkungen beim Verkauf von Geschäftsanteilen (Abschn. 79 Abs. 3 VStR) sei nicht gerechtfertigt. Wegen des gemeinen Werts der Betriebsgrundstücke - insbesondere wegen einer etwaigen Gewährung eines Abschlags wegen unorganischen Aufbaues - hätte zwar an sich ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Dezember 1968 III R 122/67, BFHE 95, 280, BStBl II 1969, 373). Es sei jedoch ausgeschlossen, daß ein Gutachten heute noch brauchbare Aussagen liefern könne. Zu dem von der Klägerin erstrebten Ergebnis führe im Streitfall eine teilweise Anwendung der Vermögensteuer-Richtlinien 1974, nämlich die Gewährung eines Abschlags von 15 (25) v.H. statt 10 (20) v. H. des Vermögens (Abschn. 77 Abs. 5, 80 Abs. 1 VStR) und die Berücksichtigung der Erträge von fünf statt drei Jahren (Abschn. 79 Abs. 2 VStR). Bei dieser Berechnungsweise ergebe sich ein Ergebnis, das dem gemeinen Wert entspreche. Hierauf deuteten insbesondere die bei den Anteilsveräußerungen 1968 und 1970 tatsächlich erzielten Verkaufspreise hin.
Das FA rügt mit der Revision Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das FG habe verkannt, daß bei der Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen zum 31. Dezember 1968 grundsätzlich die Abschn. 76 ff. VStR 1969 maßgebend seien. Die Anwendung der Vermögensteuer-Richtlinien 1974 bereits auf Stichtage vor dem 31. Dezember 1973 lasse sich nicht mit der Erwägung rechtfertigen, daß die - geänderten - Verwaltungsanweisungen in Abschn. 76 ff. VStR 1974 den Einfluß von Vermögen und Ertrag auf den gemeinen Wert zutreffender Berücksichtigten. Die weitere Erwägung des FG, im Streitfall dürfe nicht außer Betracht bleiben, daß in zeitlichem Zusammenhang mit dem Bewertungsstichtag 31. Dezember 1968 Geschäftsanteile verkauft worden seien, widerspreche der auch von der Vorinstanz vertretenen Auffassung, daß diese Verkäufe für die Ableitung des gemeinen Werts nicht geeignet gewesen seien. Eine teilweise Anwendung der Abschn. 76 ff. VStR 1974 verstoße gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die Vorinstanz ist zu Recht davon ausgegangen, daß der gemeine Wert der Geschäftsanteile im Streitfall nicht aus den Verkäufen im Dezember 1968 und 1970 abgeleitet werden kann. Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) hat die Bewertung nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften aufgrund von Verkäufen den Vorrang vor der Schätzung des gemeinen Werts unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten nach dem Stuttgarter Verfahren (zuletzt BFH-Urteil vom 23. Februar 1979 III R 44/77, BFHE 128, 254, BStBl II 1979, 618). Voraussetzung für die Ableitung des gemeinen Werts aus Verkäufen ist, daß es sich um stichtagsnahe Veräußerungen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr handelt. Denn die bewertungsrechtliche Anteilsbewertung ist von der Beurteilung nach dem Stichtagsprinzip geprägt. Dieses verbietet es grundsätzlich, den gemeinen Wert nichtnotierter Anteile aus Verkäufen abzuleiten, die längere Zeit nach dem Bewertungsstichtag liegen (BFH-Urteil vom 30. Januar 1976 III R 74/74, BFHE 118, 234, BStBl II 1976, 280).
a) Danach scheidet im Streitfall der von der Beigeladenen E. S. im Dezember 1970 erzielte Verkaufpreis schon deshalb als Bewertungsmaßstab aus, weil dieser Verkauf annähernd zwei Jahre nach dem hier maßgeblichen Bewertungsstichtag liegt.
b) Die Veräußerung der Geschäftsanteile durch M. K. im Dezember 1968 liegt zwar kurz vor dem im Streitfall maßgebenden Bewertungsstichtag. Der bei diesem Verkauf erzielte Preis allein ist indes - wie das FG ebenfalls zutreffend erkannt hat - keine ausreichende Grundlage für die Ableitung des gemeinen Werts der Geschäftsanteile. Nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ist nämlich der gemeine Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften grundsätzlich aus "Verkäufen", mithin aus einer Mehrzahl von Veräußerungsgeschäften, abzuleiten (BFH-Urteil vom 14. Oktober 1966 III 281/63, BFHE 87, 218, BStBl III 1967, 82). An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall. Es kommt hinzu, daß es sich bei dem Verkauf im Dezember 1968 um die Veräußerung eines nur unbedeutenden Teils eines Geschäftsanteils an die Klägerin - die GmbH selbst - handelte. Es kann hier dahinstehen, ob die Annahme einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr stets schon dann ausscheidet, wenn ein Gesellschafter einen Teil seiner Geschäftsanteile unmittelbar an die Kapitalgesellschaft selbst veräußert. Denn im Streitfall kommt hinzu, daß die Gesellschaft - wie das FG in den Senat bindender Weise (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) festgestellt hat - ein eigenes Interesse an dem Erwerb nur eines Zwerganteils nicht besaß. Jedenfalls kann unter diesen Umständen nicht davon ausgegangen werden, daß sich der Verkauf der Geschäftsanteile nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage, bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln in der Lage war, vollzogen hat (vgl. BFH-Urteil vom 14. Februar 1969 III 88/65, BFHE 95, 334, BStBl II 1969, 395, und BFHE 128, 254, BStBl II 1979, 618).
2. Läßt sich der gemeine Wert von GmbH-Anteilen nicht aus Verkäufen ableiten, so ist er unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen (§ 11 Abs. 2 BewG). Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung gebilligt, daß diese Schätzung im Interesse der Gleichmäßigkeit und Stetigkeit der Bewertung grundsätzlich nach dem Stuttgarter Verfahren (Abschn. 76 ff. VStR) durchzuführen ist (zuletzt BFH-Urteil vom 20. Oktober 1978 III R 31/76, BFHE 126, 227, BStBl II 1979, 34). Dabei sind die Verwaltungsanweisungen der Abschn. 76 ff. VStR - soweit sie sich im Rahmen des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG halten - grundsätzlich in der für den jeweiligen Stichtag geltenden Fassung maßgebend. Der Senat folgt nicht der gegenteiligen Auffassung des FG, das im Streitfall die Anwendung einzelner Regelungen der Abschn. 76 ff. VStR 1974 bereits zum 31. Dezember 1968 für geboten hält.
a) Die Auffassung der Vorinstanz läßt außer acht, daß es sich bei den Richtlinien zur Bewertung nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften in der jeweils geltenden Fassung um ein System von Bestimmungen handelt, die, im einzelnen aufeinander bezogen und voneinander abhängig, in ihrer Gesamtheit ein einheitliches Berechnungsverfahren bilden. Der Zusammenhang zwischen den einzelnen für den jeweiligen Stichtag geltenden Anweisungen läßt es grundsätzlich nicht zu, einzelne Bestimmungen einer zu einem späteren Stichtag wesentlich geänderten Regelung des Stuttgarter Verfahrens bei der Anteilsbewertung für frühere Stichtage anzuwenden. Dies gilt besonders dann, wenn es sich - wie im Streitfall z. B. bei der Erhöhung des Vergleichszinssatzes von 7 v. H. auf 10 v. H. in Abschn. 79 Abs. 1 VStR 1974 - im wesentlichen um eine Anpassung des Stuttgarter Verfahrens an das geänderte allgemeine Zinsniveau handelt. Insbesondere erscheint es nicht vertretbar, lediglich einzelne, sich zugunsten der Klägerin auswirkende Änderungen der Vermögensteuer-Richtlinien 1974 (z. B. die Erhöhung des Abschlags gemäß Abschn. 77 Abs. 5 Satz 2 VStR 1974 von vorher 10 v. H. auf 15 v. H., des Abschlags gemäß Abschn. 80 Abs. 1 Satz 7 VStR 1974 von früher 20 v. H. auf 25 v. H.) zu berücksichtigen, jedoch die gleichzeitig eingetretenen Änderungen zuungunsten der Klägerin (z. B. Ansatz der Betriebsgrundstücke gemäß Abschn. 77 Abs. 3 VStR 1974 mit 250 v. H. statt bisher 200 v. H. des Einheitswerts) außer Bertracht zu lassen.
b) Im übrigen widerspräche es auch dem Stichtagsprinzip, einzelne Regelungen der erst für Stichtage ab 31. Dezember 1973 wesentlich geänderten Fassung der Richtlinien zur Bewertung der Anteile an Kapitalgesellschaften bereits bei der Anteilsbewertung zum 31. Dezember 1968 anzuwenden; dies vor allem deshalb, weil die Änderungen in Abschn. 76 ff. VStR 1974 im wesentlichen den zwischenzeitlich eingetretenen Wandel tatsächlicher Verhältnisse berücksichtigen. Insbesondere die erstmalige Anwendung der nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 festgestellten Einheitswerte des Grundbesitzes zum 1. Januar 1974 sowie das erhöhte allgemeine Zinsniveau hatten eine Änderung der Berechnungsgrundlagen des Stuttgarter Verfahrens in den Abschn. 76 ff. VStR 1974 notwendig gemacht. Eine rückwirkende Anwendung der Abschn. 76 ff. VStR 1974 in einem Einzelfall bereits auf den Bewertungsstichtag 31. Dezember 1968 stände mit dem Grundsatz der steuerlichen Gleichbehandlung, wie sie durch die Regelung der Abschn. 76 ff. VStR erstrebt wird, nicht im Einklang.
Das FG kann sich zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung nicht mit Erfolg auf die im Dezember 1968 und 1970 erzielten Verkaufspreise für Teile von Geschäftsanteilen berufen. Ebensowenig wie diese Preise - wegen der im Streitfall vorliegenden besonderen Verhältnisse - für die Ableitung des gemeinen Werts für die Anteile einen brauchbaren Anhaltspunkt bieten, sind sie geeignet, die Annahme der Vorinstanz zu stützen, daß die Anwendung des Stuttgarter Verfahrens in der für den Stichtag geltenden Fassung nicht zu tragbaren Ergebnissen führen würde. Nur unter letzterer Voraussetzung (vgl. BFH-Urteil vom 17. Mai 1974 III R 156/72, BFHE 112, 510, BStBl II 1974, 626) käme indes im Streitfall eine Schätzung des gemeinen Werts der Geschäftsanteile in Abweichung von der zum Stichtag geltenden Fassung der Abschn. 76 ff. VStR 1969 in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 73440 |
BStBl II 1980, 234 |
BFHE 1980, 394 |