Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 AO umfasst nicht gesamten Steueranspruch
Leitsatz (NV)
1. Anders als im Fall des § 171 Abs. 4 AO tritt die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO nur in dem Umfang ein, in dem sich die Ergebnisse der Ermittlungen auf die Höhe der festzusetzenden Steuer auswirken.
2. Die Ablaufhemmung i.S. von § 171 Abs. 5 AO betrifft nur Steuern, die sich aus Sachverhalten ergeben, die Gegenstand der Ermittlungen waren.
Normenkette
AO § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 171 Abs. 4-5
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Spielhallenunternehmen in der Rechtsform einer GmbH. In den Spielhallen sind Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeiten sowie sog. Unterhaltungsautomaten aufgestellt. Der weit überwiegende Teil der Einnahmen entfällt auf die Geldspielautomaten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stimmte im Januar 1997 der im November 1996 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung für 1995 und im Juli 1997 der im Juni 1997 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung für 1996 zu (§ 168 der Abgabenordnung --AO--). Infolge einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung erließ das FA am 31. Juli 1998 nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide, in denen es die Umsatzsteuer für 1995 auf 202.618 DM und für 1996 auf 372.909 DM festsetzte.
Mit Prüfungsauftrag vom 8. Februar 2000 des zuständigen Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung wurde gegen den Geschäftsführer der Klägerin ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Juni 2000 ordnete das zuständige Amtsgericht die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen des Geschäftsführers wegen des Verdachts der "Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuerhinterziehung 1995 bis 1997 als Verantwortlicher der A und B GmbH" an. In den Gründen des Beschlusses heißt es, der Beschuldigte sei verdächtig, Steuern verkürzt zu haben (§ 370 AO). Er sei nach dem Tod von A und B im Februar 1995 am 1. März 1995 zum Notgeschäftsführer bestellt worden. In dieser Funktion soll er Aufzeichnungen über Einnahmen aus dem Betrieb von Geldspiel- und Unterhaltungsautomaten manipuliert und dadurch unvollständige Erlösbuchungen veranlasst haben.
Der Durchsuchungsbeschluss wurde am 24. Juli 2000 vollzogen.
Am 4. April 2003 einigten sich die Beteiligten im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung über die Höhe der hinzuzuschätzenden Umsätze. Das FA erließ daraufhin gegenüber der Klägerin am 2. Januar 2004 entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 1995 und 1996.
Die Klägerin legte gegen die Bescheide Einspruch ein. Der Bundesfinanzhof (BFH) entschied während des Einspruchsverfahrens unter Bezugnahme auf hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), dass sich ein Aufsteller von Geldspielautomaten im Hinblick auf die Steuerfreiheit seiner Umsätze unmittelbar auf Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern berufen könne (BFH-Urteil vom 12. Mai 2005 V R 7/02, BFHE 210, 164, BStBl II 2005, 617).
Das FA ermäßigte daraufhin mit seiner Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2006 die Umsatzsteuer 1995 auf 103.596,94 € und die Umsatzsteuer 1996 auf 190.665,34 €, was der Höhe nach jeweils der mit den Bescheiden vom 31. Juli 1998 festgesetzten Umsatzsteuer entsprach. Im Übrigen wies es den Einspruch zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, die Umsatzsteuerfreiheit könne nicht auf die Geldspielautomatenumsätze ausgedehnt werden, die bereits in den vor Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ergangenen Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre angesetzt worden seien. Diese Festsetzungen könnten nicht geändert werden. Der Ablauf der Festsetzungsfrist hinsichtlich der vor Prüfungsbeginn in die Umsatzsteuerfestsetzungen einbezogenen Geldspielumsätze sei nicht nach § 171 Abs. 5 AO gehemmt. Der Fristablauf werde entgegen der Auffassung der Klägerin nur insoweit gehemmt, als sich die Ergebnisse der Ermittlungen auf die Besteuerungsgrundlagen auswirken könnten; anders als im Fall des § 171 Abs. 4 AO umfasse die Ablaufhemmung nicht den gesamten Steueranspruch, wenn sich die Ermittlungen --wie im Streitfall-- lediglich auf bestimmte Sachverhaltsmerkmale beschränkten. Die Ablaufhemmung erstrecke sich somit nur auf die festgestellten "Mehr"-Umsätze.
Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin vor, ihres Erachtens sei die Ablaufhemmung i.S. von § 171 Abs. 5 Satz 1 AO insofern sachverhaltsbezogen, als sie den Eintritt der Festsetzungsverjährung für diejenigen Steuern hindere, deren tatsächliche Grundlagen ermittelt worden seien. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt. Ziel der Ermittlungen sei die Aufdeckung sämtlicher nicht erklärter Einnahmen der Spielgeräte gewesen, die einer voll inhaltlichen Überprüfung unterzogen worden seien.
Für die vom FG vertretene Auffassung, dass sich die Ablaufhemmung nur auf das infolge der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen erzielte "Mehrergebnis" erstrecken solle, finde sich weder im Gesetz noch in Rechtsprechung oder Literatur ein Anknüpfungspunkt. Die mit Einleitung steuerstrafrechtlicher Ermittlungen eingetretene Ablaufhemmung könne nicht von deren --oft erst Jahre später feststehendem-- Ergebnis abhängen. Wenn die Ablaufhemmung mit Einleitung der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen bzw. ihrer Ausweitung auf weitere Sachverhalte eintrete (BFH-Urteil vom 9. März 1999 VIII R 19/97, BFH/NV 1999, 1186), müsse zu diesem Zeitpunkt auch deren Reichweite bestimmt werden. Zukünftige zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht absehbare Umstände könnten in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen. Das FG setze sich mit seinem Urteil auch in Widerspruch zum BFH-Urteil vom 24. April 2002 I R 25/01 (BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586). Nach dieser Entscheidung ende die durch eine Steuerfahndungsprüfung ausgelöste Ablaufhemmung erst dann, wenn auf Grund der Prüfung Steuerbescheide ergangen und diese unanfechtbar geworden seien.
Im Übrigen sei die Finanzverwaltung auf Grund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts verpflichtet, die Vorgaben des EuGH zur Umsatzsteuerfreiheit der Geldspielgeräte, soweit ihr dies möglich sei, umzusetzen. Nichts anderes könne gelten, wenn auf den rechtzeitig eingelegten Einspruch die Rechtsanwendung einer Überprüfung unterzogen werde.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Umsatzsteuerbescheide vom 2. Januar 2004 für 1995 und 1996 sowie die Einspruchsentscheidung vom 25. Januar 2006 insoweit aufzuheben, als für die Einnahmen aus Geldspielgeräten Umsatzsteuer festgesetzt worden ist, mit der Maßgabe, dass die Einnahmen aus Geldspielgeräten entsprechend den Aufstellungen wie Bl. 25 und 27 der FG-Akte angesetzt werden und die in diesen Aufstellungen aufgeführten Vorsteuerbeträge im Zusammenhang mit den Geldspielgeräten nicht angesetzt werden sowie noch zu beziffernde Vorsteuerkorrekturen nach § 15a des Umsatzsteuergesetzes 1993 zusätzlich berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die von der Klägerin begehrte Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für 1995 und 1996 wegen des Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht in Betracht kommt. Entgegen der Auffassung der Klägerin war der Ablauf der Festsetzungsfristen nicht in vollem Umfang nach § 171 Abs. 5 AO gehemmt.
1. Beginnt die mit der Steuerfahndung betraute Dienststelle vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, so läuft nach § 171 Abs. 5 AO "die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind; …"
a) Im Streitfall begann die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO für die Umsatzsteuer 1995 mit Ablauf des 31. Dezember 1996 (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) und endete --vorbehaltlich einer Hemmung-- am 31. Dezember 2000. Für die Umsatzsteuer 1996 lief die Festsetzungsfrist --vorbehaltlich einer Hemmung-- am 31. Dezember 2001 ab.
b) Der Ablauf dieser Festsetzungsfristen wurde mit der am 24. Juli 2000 durchgeführten Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume der Klägerin durch die Steuerfahndungsbehörde nach § 171 Abs. 5 AO zwar grundsätzlich gehemmt. Dem FG ist aber darin zu folgen, dass der Umfang dieser Hemmung sich nicht auf die bereits vor Beginn der Fahndungsprüfung von den Umsatzsteuerfestsetzungen für 1995 und 1996 mit Bescheiden vom 31. Juli 1998 erfassten Geldspielautomatenumsätze bezog.
Denn anders als im Fall des § 171 Abs. 4 AO umfasst die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 AO nicht den gesamten Steueranspruch; vielmehr tritt die Hemmung nur in dem Umfang ein, in dem sich die Ergebnisse der Ermittlungen auf die Höhe der festzusetzenden Steuer auswirken. Der eingeschränkte Umfang der Ablaufhemmung ergibt sich aus der besonderen Zielsetzung und dem speziellen Aufgabenbereich der Fahndungsermittlungen. Die allgemeine Außenprüfung, die den Erlass einer Prüfungsanordnung voraussetzt, dient einer umfassenden Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse eines Steuerpflichtigen (vgl. § 194 Abs. 1 Satz 1, § 199 Abs. 1 AO); der Ablauf der Festsetzungsfrist ist deshalb nach § 171 Abs. 4 AO "für die Steuern" gehemmt, die in der Prüfungsanordnung angegeben sind und "auf die sich die Außenprüfung erstreckt" hat. Demgegenüber hat die Steuerfahndung die Aufgabe, bestimmte straf- oder bußgeldrechtlich relevante Vorgänge sowie unbekannte Steuerfälle aufzudecken und zu ermitteln (vgl. § 208 Abs. 1 Satz 1 AO). § 171 Abs. 5 AO lässt "insoweit" die Festsetzungsfrist nicht ablaufen, "bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind". Der Fristablauf soll danach erkennbar nur gehemmt werden, soweit und damit die Ergebnisse der Ermittlungen der Festsetzung der betreffenden Steuern zugrunde gelegt werden können (vgl. BFH-Urteile vom 14. April 1999 XI R 30/96, BFHE 188, 286, BStBl II 1999, 478, unter II.2.b; vom 14. April 2005 XI R 83/03, BFH/NV 2005, 1961, unter II.3.a, und in BFHE 198, 303, BStBl II 2002, 586, unter II.3.a). Eine Ablaufhemmung tritt somit nur hinsichtlich der Steuern ein, die sich aus Sachverhalten, die Gegenstand der Ermittlungen waren, ergeben (vgl. BFH-Urteil vom 13. Februar 2003 X R 62/00, BFH/NV 2003, 740, m.w.N.).
Im Streitfall wurde lt. dem Durchsuchungsbeschluss vom Juni 2000 gegen den Geschäftsführer der Klägerin wegen des Verdachts unvollständiger Erlösbuchungen und einer entsprechenden Steuerverkürzung i.S. von § 370 AO ermittelt. Die Steuerfahndungsprüfung erstreckte sich somit tatsächlich nicht auf bereits von den Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre vom 31. Juli 1998 erfasste Umsätze, sondern nur auf etwaige noch nicht erklärte weitere Umsätze und die insoweit in den Umsatzsteuerfestsetzungen noch nicht berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen. Abweichend von der Rechtsauffassung der Klägerin bezog sich die Steuerfahndungsprüfung somit von vornherein nicht auf sämtliche mit den Geldspielgeräten im Prüfungszeitraum ausgeführten Umsätze.
2. Soweit der BFH in dem von der Klägerin genannten Urteil in BFH/NV 1999, 1186 die Auffassung vertritt, der Umfang der Ablaufhemmung in § 171 Abs. 5 AO hänge davon ab, auf welche Steueransprüche sich die Steuerfahndungsprüfung insgesamt erstreckt, führt dies im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis. Denn der genannten Entscheidung lässt sich gleichfalls entnehmen, dass der BFH dort die Frage, ob § 171 Abs. 5 AO darüber hinaus im Hinblick auf den Gegenstand der Ermittlungen einschränkend auszulegen ist, mangels Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offengelassen hat (vgl. unter II.1.a und b der Gründe).
3. Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das FA verpflichtet sei, wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts der Rechtsprechung des EuGH zur Steuerfreiheit der Umsätze mit Geldspielgeräten (EuGH-Urteil vom 17. Februar 2005 Rs. C-453/02 und C-462/02 --Linneweber--, Slg. 2005, I-1131) unabhängig vom Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist uneingeschränkt Geltung zu verschaffen. Denn der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass das genannte EuGH-Urteil keinen Einfluss auf die Bestandskraft bereits ergangener Steuerbescheide und den Ablauf von Festsetzungsfristen hat (vgl. im Einzelnen BFH-Urteile vom 23. November 2006 V R 51/05, BFHE 216, 350, BStBl II 2007, 433; V R 67/05, BFHE 216, 357, BStBl II 2007, 436, und V R 28/05, BFH/NV 2007, 872).
Fundstellen
Haufe-Index 2251941 |
BFH/NV 2010, 1 |
HFR 2010, 104 |