Leitsatz (amtlich)
Einkünfte im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG sind die Einkünfte nach § 2 Abs. 4 EStG. Es ist ohne Bedeutung, ob sie verfügbar sind oder ob im Zusammenhang mit der Erzielung der Einkünfte Zahlungen z. B. für Personensteuern geleistet werden müssen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz
Tatbestand
Der Sohn der Kläger und Revisionskläger, geboren am 14. November 1948, studierte im Streitjahr 1969 auf deren Kosten. Er hat im Jahre 1968 im Erbwege einen Kommanditanteil an der Firma X. erworben. Für 1969 betrug sein Gewinnanteil 8 393 DM, der im November 1970 im Rahmen des Bilanzgewinns festgestellt worden ist. Das FA lehnte bei der Zusammenveranlagung der Ehegatten die Gewährung eines Kinderfreibetrages für ihren Sohn mit der Begründung ab, daß dieser aus seiner Beteiligung mehr als 7 200 DM Einkünfte erzielt habe (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1969).
Die Sprungklage der Eheleute blieb ohne Erfolg. Das FG trat der von Herrmann-Heuer (Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 32 EStG Anm. 23/24) vertretenen Auffassung entgegen, nach der nur verfügbare Einkünfte des Kindes zur Bestreitung seines Unterhalts und seiner Berufsausbildung im Sinne des Gesetzes geeignet seien, und daß deshalb der Zufluß der Einkünfte vorausgesetzt werden müsse. Dabei werde übersehen, daß Einkünfte und Bezüge, die im Moment noch nicht greifbar sind, auch z. B. die "geeignete" Grundlage für Überbrückungskredite sein könnten oder im Wege der Forderungsabtretung zur Bestreitung von Unterhalt oder Berufsausbildung benutzt werden könnten. Die Frage könne jedoch insofern dahingestellt bleiben, als sich aus dem Begriff "verfügbar" im Hinblick auf das Wort "geeignet" ergebe, daß schon die Möglichkeit, sich die Verfügung über entsprechende Mittel zu verschaffen, steuerschädlich sei. Diese Möglichkeit habe sich dem Sohn aufgrund des Gesellschaftsvertrages geboten, der vorsehe, daß jeder Gesellschafter monatlich bis zu 1/12 des Betrags seines voraussichtlichen Jahresgewinns entnehme und daß als voraussichtlicher Jahresgewinn der Durchschnittsgewinn unter Berücksichtigung der letzten drei Jahre gelte. Dabei hätte es sich aber dann um eine Summe von 7 589 DM gehandelt. Der Sohn sei zwar erst 1968 durch Erbfolge in die Firma eingetreten. Auf die Errechnung des "Durchschnittsgewinns der letzten drei Jahre" im Sinne des Gesellschaftsvertrags könne ein solcher Personenwechsel jedoch keinen Einfluß haben.
Mit der Revision rügen die Eheleute Verletzung des § 32 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1969 sowie einen Verfahrensmangel.
Den Verfahrensmangel sehen die Eheleute in einer unvollständigen Wiedergabe des Gesellschaftsvertrages. Dieser sehe ausdrücklich vor, daß als voraussichtlicher Jahresgewinn nur der Durchschnittsgewinn unter Berücksichtigung der letzten drei Jahre, abzüglich der im laufenden Jahre zu zahlenden Personensteuern, gelte. Der vollständige Text des Gesellschaftsvertrages sei dem FA bekannt und dem FG vorgetragen gewesen. Bei Berücksichtigung der Personensteuern wäre nur ein Betrag von 5 866,20 DM als verfügbar übriggeblieben. Außerdem seien Einkommensteuern der Erblasserin, anteilige Erbschaftsteuer und Unkosten zu bezahlen gewesen. Eine Entnahmemöglichkeit in 1969 von 7 589 DM habe daher nicht bestanden. Die Eheleute wenden sich mit verschiedenen Gründen auch grundsätzlich dagegen, daß das FG von dem Durchschnittsgewinn der letzten drei Jahre ausgegangen ist. Sie meinen, nach Handelsrecht habe vor Feststellung des Jahresabschlusses höchstens ein Vorschuß in Höhe des ungünstigst möglichen Abschlußergebnisses, nämlich des allein vorliegenden Ergebnisses von 1968 mit 6 084 DM abzüglich der Personensteuern, entnommen werden dürfen.
Bei der Auslegung des § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG übersehe das FG den Relativsatz, der u. a. verlange, daß die Einkünfte auch geeignet für die Tragung der Unterhalts- und Berufsausbildungskosten seien. Außerdem stelle das Gesetz auf Einkünfte "im Veranlagungszeitraum" ab. Dies setze den Zufluß und die tatsächliche Verwendungsmöglichkeit voraus. Der Gewinnanteil für 1969 sei aber erst im Jahre 1970 festgestellt und damit zugeflossen. Zugeflossen sei lediglich der Gewinnanteil für 1968, der aber mit 6 084 DM unter der Grenze von 7 200 DM liege. Der Hinweis des FG, nicht sofort greifbare Einkünfte könnten z. B. die Grundlage für Überbrückungskredite sein, müsse als konstruiert erscheinen. Bei dem weiteren Argument, daß auch eine Forderungsabtretung möglich sei, werde übersehen, daß ganz allgemein, vor allem Gesellschaftsverträge mit aufgenommenen Kindern, jegliche Abtretung praktisch ausschlössen, so auch hier § 14 des Gesellschaftsvertrages. Nach alledem sei § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG 1969 als mißglückt anzusehen. Es müsse deshalb der allgemeine Grundsatz zum Tragen kommen, daß Unklarheiten und Zweifel zu Lasten des Gesetzgebers gingen. Die Einschränkung des Kinderfreibetrages sei ja überhaupt nur als Reaktion gegen das "kinderfreundliche" Urteil des BFH VI 72/63 U vom 10. Januar 1964 (BFH 79, 10, BStBl III 1964, 237) ergangen. Sie sollte daher nicht weitergehen, als unumgänglich sei, auch aus familien- und sozialpolitischen Gründen. Das sollte um so mehr in einem Fall mit solch kleinem aufgespaltenen Kommanditanteil und entsprechend kleinem Gewinnanteil gelten.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision der Kläger ist nicht begründet.
Nach § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG 1965 f. ist Voraussetzung für die Gewährung des Kinderfreibetrags, daß die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung seines Unterhalts oder seiner Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, im Veranlagungszeitraum nicht mehr als 7 200 DM betragen haben. Diese Voraussetzung gilt nur bei auf Antrag zu gewährenden Kinderfreibeträgen für über 18 Jahre alte Kinder.
Die Vorschrift hat Ähnlichkeit mit § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG. Danach vermindert sich bei zwangsläufig zu leistenden Unterhaltsleistungen der abzugsfähige Betrag, wenn "die unterhaltene Person andere Einkünfte oder Bezüge" hat, "die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind". Zu dieser Vorschrift hat der Senat in seinen Entscheidungen VI 207/57 U vom 31. Januar 1958 (BFH 66, 277, BStBl III 1958, 108) und VI 206/56 U vom 22. März 1957 (BFH 64, 609, BStBl III 1957, 228) die Auffassung vertreten, daß sie den Willen des Gesetzgebers nicht klar zum Ausdruck bringe und daß eine wörtliche Auslegung der Vorschrift zu sinnwidrigen und ungleichmäßigen Ergebnissen führe. Daraus, daß in der Vorschrift "Einkünfte" und "Bezüge" nebeneinander erwähnt und gleichgestellt werden und daß der Relativsatz "die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind" sich auf beide Begriffe beziehe, hat der Senat damals gefolgert, daß der Ausdruck "Einkünfte" nicht im Sinne des § 2 EStG als technischer Begriff zu verstehen sei. Diese Auffassung ist auf Kritik gestoßen (z. B. Brockhoff in DStZ A, 1958, 29 und 271; Wiegel in Steuerwarte 1967 S. 108). Es ist die Auffassung vertreten worden, daß sich der Relativsatz nur auf "Bezüge", nicht aber auf "Einkünfte" beziehen könne und daß das Wort "Einkünfte" als technischer Ausdruck des EStG, der zu den elementaren Grundlagen des Einkommensteuerrechts gehöre, nicht in demselben Gesetz unterschiedlich ausgelegt werden könne.
Bei der Auslegung des § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG 1965 ist der Senat der Auffassung, daß der Begriff der Einkünfte mit dem in § 2 Abs. 4 EStG verwendeten Begriff gleichbedeutend ist. Ein derartiger Grundbegriff des Einkommensteuerrechts, der noch dazu in den §§ 4 bis 9 sowie 13 bis 24 EStG umfassend ausdrücklich im Gesetz selbst umschrieben wird, darf in demselben Gesetz nicht in anderer Weise ausgelegt werden, wenn nicht zwingende Gründe eine andere Auslegung unausweichlich machen. Derartige Gründe sind aber nicht ersichtlich.
Der Relativsatz in dem Satzteil "die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung seines Unterhalts und seiner Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind", ist allein auf den Begriff "Bezüge" zu beziehen und zwingt deshalb nicht zu einer anderen Auslegung des Einkunftsbegriffs. Dies ergibt sich allerdings noch nicht eindeutig bei einer lediglich am Wortlaut ausgerichteten Auslegung. Denn sprachlich spricht zwar die Trennung der Begriffe "Einkünfte" und "Bezüge" durch das Wort "und" (statt durch "oder") eher für eine Anknüpfung nur an "Bezüge"; jedoch würde auch eine Anknüpfung an beide Begriffe sprachlich nicht als schlechthin unzulässig erscheinen. Entscheidend ist aber, daß die Beschränkung des Relativsatzes nur auf "Bezüge" eine systemgerechte Auslegung des Einkunftsbegriffs gestattet und darüber hinaus zu durchaus sinnvollen und überzeugenden Ergebnissen führt.
Eigene Einkünfte sind die dem Kinde steuerlich zuzurechnenden Einkünfte (bei Einkünften aus verschiedenen Einkunftsarten der Gesamtbetrag der Einkünfte, § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG) im Sinne des EStG. Mit der Umschreibung des Einkunftsbegriffs hat der Gesetzgeber bereits eine Wertentscheidung dahin getroffen, daß die dabei ermittelten Beträge grundsätzlich der Einkommensteuer zu unterwerfen sind. An diese Wertentscheidung knüpft § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG an und erklärt Einkünfte, wenn sie die Grenze von 7 200 DM überschreiten, bei der Gewährung des Kinderfreibetrages für schlechthin schädlich. Die Entstehungsgeschichte zeigt, daß diese Auslegung dem Zweck der Regelung entspricht. In seinem Urteil VI 72/63 U vom 10. Januar 1964 (a. a. O.) hatte der Senat zu der ebenfalls für die Gewährung eines Kinderfreibetrages bedeutsamen Frage, ob der unterhaltende die Kosten im wesentlichen getragen hat (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a, bb EStG 1958), entschieden, daß es nur auf die tatsächliche Kostentragung ankomme. Nach dieser Entscheidung stand den Eltern, selbst wenn das Kind erhebliche eigene Einkünfte oder ein erhebliches eigenes Vermögen hatte, aus denen es die Kosten selbst hätte bestreiten können, trotzdem der Kinderfreibetrag zu, wenn sie tatsächlich die Kosten im wesentlichen aus ihren eigenen Mitteln bestritten hatten. Die Möglichkeit, auch bei erheblichen eigenen Einkünften des Kindes einen Kinderfreibetrag zu gewähren, sollte durch die mit dem StÄndG 1964 eingeführte streitige Vorschrift in § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG 1965 f. durch Einfügung einer absoluten Höchstgrenze für eigene Einkünfte und Bezüge begrenzt werden (vgl. Oeftering-Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 18a Anm. 7 - 7. Ergänzungslieferung -). Diesem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel würde es widersprechen, wenn beim Vorliegen steuerpflichtiger Einkünfte irgendwelchen Bestimmungen über Einschränkungen in der Verfügungsmöglichkeit eine Bedeutung beigemessen würde. Sowenig derartige Beschränkungen der Steuerpflicht der Einkünfte entgegenstehen, sowenig können sie die Berücksichtigung der Einkünfte im Rahmen des § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG hindern. Auch Einkünfte, die dem Kinde nicht oder nicht sogleich zur Verfügung stehen, tragen regelmäßig jedenfalls zur Vermehrung des Vermögens des Kindes bei.
Deshalb steht es der Anrechnung von steuerpflichtigen Einkünften nicht entgegen, wenn sie für das Kind nicht oder noch nicht verfügbar sind (z. B. weil dem vertragliche Vereinbarungen oder andere Hinderungsgründe entgegenstehen) oder wenn sie vom Kinde zwangsläufig für bestimmte Aufwendungen (z. B. Einkommensteuerzahlungen) verwendet werden müssen. Ebensowenig können Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden; denn derartige Aufwendungen sind nach der Systematik des EStG bei der Ermittlung der Einkünfte noch nicht berücksichtigungsfähig. Andererseits dürfen, was im Streitfall als nicht entscheidungserheblich indessen noch nicht entschieden zu werden braucht, die steuerlichen Einkünfte grundsätzlich aber auch nicht zuungunsten des Kindes um bei der Einkunftsermittlung zu berücksichtigende Freibeträge, Pauschbeträge oder sonstige Steuervergünstigungen (z. B. Sonderabschreibungen) erhöht werden.
Demgegenüber sind unter "Bezügen" solche Einnahmen usw. zu verstehen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerlichen Einkunftsermittlung erfaßt werden, also nichtsteuerbare oder im einzelnen (z. B. durch §§ 3 bis 3b EStG) für steuerfrei erklärte Einnahmen usw. Da derartige Bezüge oft zweckgebunden zufließen (z. B. steuerfreier Reisekostenersatz oder Erstattungen einer Krankenkasse), war es vom Standpunkt des Gesetzgebers folgerichtig, sie nur dann bei der Prüfung der 7 200-DM-Grenze berücksichtigen zu lassen, wenn sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung auch tatsächlich geeignet sind.
In den vom Senat zu § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG entschiedenen Fällen waren nicht Einkünfte im einkommensteuerlichen Sinne streitig, sondern lediglich Bezüge (im Falle VI 207/57 U, a. a. O., der nichtsteuerbare Kapitalanteil einer Angestelltenrente, im Falle VI 206/56 U, a. a. O., die nach § 3 Nr. 7 EStG steuerfreie Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz sowie die davon vorzunehmenden Abzüge). Soweit der Senat in diesen Entscheidungen auch zur Auslegung des Einkunftsbegriffs Stellung genommen hat, hält er hieran für die Auslegung dieses Begriffs in § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG nicht fest.
Im Streitfall haben die Einkünfte des Sohnes im Veranlagungszeitraum 1969 8 393 DM betragen und somit die Grenze von 7 200 DM überschritten. Nach § 32 Abs. 2 Nr. 2 letzter Satz EStG kommt es auf die Einkünfte im Veranlagungszeitraum an. Auch hierfür sind allein die einkommensteuerlichen Vorschriften maßgebend. Eine Kürzung des Gewinnanteils um Personensteuern oder andere Beträge kommt nicht in Betracht. Das FG brauchte deshalb auch keine Feststellungen darüber zu treffen, ob nach dem Gesellschaftsvertrage etwa die zulässigen Entnahmen noch um die Personensteuern zu kürzen waren. Die insoweit erhobene Verfahrensrüge greift daher nicht durch.
Bei Gewerbebetrieben ist nach § 2 Abs. 5 Nr. 2 EStG der Gewinn nach dem Wirtschaftsjahr zu ermitteln. Die Einkünfte des Veranlagungszeitraums 1969 bildet also der Gewinn des Wirtschaftsjahrs 1969, der im Streitfall unstreitig die Grenze von 7 200 DM überschreitet. Unbeachtlich ist, wann die KG die Bilanz aufgestellt oder wann der Gewinn im einzelnen festgestellt worden ist. Unbeachtlich ist des weiteren, ob der Sohn schon im Jahre 1969 über seinen Gewinnanteil verfügen konnte oder ob dies etwa aufgrund von Entnahmebeschränkungen nicht möglich war.
Der Entscheidung der Vorinstanz, die die Klage der Eheleute abgewiesen hatte, ist hiernach, wenn auch mit teilweise abweichender Begründung, beizutreten.
Fundstellen
Haufe-Index 70275 |
BStBl II 1973, 143 |
BFHE 1973, 436 |