Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens
Leitsatz (NV)
Der Gegenstand des Klagebegehrens i. S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ist hinreichend bezeichnet, wenn sich aus dem Klagevorbringen ergibt, daß das Finanzamt verpflichtet werden soll, eine Einkommensteuerveranlagung für ein bestimmtes Kalenderjahr gemäß der eingereichten Steuererklärung durchzuführen und dabei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO 1977 wegen Versäumung der Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG zu gewähren.
Normenkette
FGO § 65 Abs. 1 S. 1; AO 1977 § 110; EStG § 46 Abs. 2 Nr. 8
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) gab am 3. Januar 1994 die Einkommensteuererklärung 1991 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) ab. Das FA lehnte eine Antragsveranlagung mit Bescheid vom 27. Januar 1994 mit der Begründung ab, daß die Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht eingehalten worden sei und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht vorlägen. Den Einspruch wies das FA mit Entscheidung vom 30. März 1994 als unbegründet zurück; es führte aus, die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor.
Mit der Klage beantragte der Kläger, den Ablehnungsbescheid betreffend die Antragsveranlagung 1991 vom 27. Januar 1994 sowie die Einspruchsentscheidung vom 30. März 1994 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Antragsveranlagung unter Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durchzuführen.
Der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) forderte den Kläger mit Schreiben vom 18. Mai 1994 gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf, bis zum 25. Juni 1994 den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Er teilte mit, daß es sich bei dieser Frist um eine Ausschlußfrist gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO handele.
Mit Schriftsatz vom 20. Juni 1994 teilte der Kläger mit, er erweitere die Klage vom 21. April 1994 dergestalt, daß sie ergänzend gegen den Bescheid des FA vom 18. Mai 1994 gerichtet werde. In diesem Bescheid hatte das FA unter Bezugnahme auf ein Schreiben des Klägers vom 21. April 1994 eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erneut abgelehnt. Der Bescheid enthielt die Rechtsmittelbelehrung, daß gegen ihn Einspruch eingelegt werden könne.
Mit Schriftsatz vom 2. August 1994 begründete der Kläger seine Klage im einzelnen.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Es führte aus: Der Kläger habe innerhalb der ihm gesetzten Ausschlußfrist keine schlüssigen Tatsachen i. S. des § 65 Abs. 1 FGO vorgetragen. Einen derartigen Vortrag enthalte erst der Schriftsatz vom 2. August 1994, der aber wegen Überschreitens der Ausschlußfrist nicht berücksichtigt werden könne. Soweit die Klage gegen den Bescheid vom 18. Mai 1994 gerichtet sei, sei sie ebenfalls unzulässig. Der Kläger beantrage zwar sinngemäß, diesen Bescheid aufzuheben. Die Einbeziehung dieses Bescheides wäre jedoch eine Klageänderung in Form der Klageerweiterung i. S. des § 67 FGO. Eine Klageänderung sei aber nicht statthaft, wenn die Klage -- wie im Streitfall -- mit dem ursprünglichen Begehren unzulässig sei. Bezüglich des Bescheides vom 18. Mai 1994 sei außerdem kein außergerichtliches Vorverfahren (§ 44 Abs. 1 FGO) durchgeführt worden.
Der Kläger macht zur Begründung seiner Revision geltend, das FG habe rechtsirrig zu hohe Anforderungen an die Bestimmung des Klagebegehrens gestellt und deshalb zu Unrecht ohne Berücksichtigung des Sachvortrags in dem Schriftsatz vom 2. August 1994 durch Prozeßurteil entschieden. Entgegen der Auffassung des FG habe das Begehren, den Ablehnungsbescheid vom 18. Mai 1994 in das Klageverfahren einzubeziehen, auch nicht zu einer unzulässigen Klageerweiterung geführt. Vielmehr habe sich das Klagebegehren von vornherein auf die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erstreckt. Im übrigen hätten auch die Voraussetzungen einer Sprungklage nach § 45 FGO vorgelegen.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzu weisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG hätte die Klage nicht als unzulässig abweisen dürfen, da der Kläger den Gegenstand des Klagebegehrens (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO) hinreichend bezeichnet hatte.
Der Kläger hatte bereits in der Klageschrift den Gegenstand des Klagebegehrens i. S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO hinreichend bezeichnet. Denn aus dem Klageantrag ergab sich eindeutig, daß er begehrte, das FA zu verpflichten, eine Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 1991 durchzuführen und dabei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Danach konnte an dem Klageziel kein Zweifel mehr bestehen.
Da das FG zu Unrecht durch Prozeßurteil entschieden hat, ist seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist entgegen der Ansicht des FA nicht spruchreif. Denn das FG hat die für eine Sachentscheidung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen. Es wird -- da es eine nach § 79b Abs. 1 FGO mögliche Ausschlußfrist zur Angabe von Tatsachen nicht gesetzt hatte -- im zweiten Rechtsgang unter Berücksichtigung des Inhalts des Schriftsatzes vom 2. August 1994 eine Sachentscheidung zu treffen haben. Es wird dabei zu berücksichtigen haben, daß die Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO 1977 ein unselbständiger Bestandteil der Entscheidung zur Haupt sache ist (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 26. Oktober 1989 IV R 82/88, BFHE 159, 103, BStBl II 1990, 277) und der Vorsitzende gemäß § 76 Abs. 2 FGO darauf hinzuwirken hat, daß unklare Anträge erläutert und sachdienliche Anträge gestellt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 421900 |
BFH/NV 1997, 363 |