Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Besorgung von im Ausland gehandelten Warenterminkontrakten
Leitsatz (NV)
Die Besorgung einer im Erhebungsgebiet (Inland) nicht steuerbaren Leistung (hier: Besorgung von ausländischen Warenterminkontrakten) ist gleichwohl unter den Voraussetzungen des § 3 a Abs. 1 UStG 1980 im Erhebungsgebiet (Inland) steuerbar, wenn neben der eigentlichen Besorgung weitere Leistungen von wirtschaftlichem Gewicht erbracht werden und die Leistungsfaktoren so ineinandergreifen, daß eine eigenständige, nicht aufteilbare Leistung vorliegt.
Normenkette
UStG 1980 §§ 1, 3 Abs. 9, 11, § 3a Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH in Liquidation, die in den Streitjahren (1986 und 1987) im Warentermingeschäft tätig war. Über Telefonverkäufer warb sie Kunden, die bereit waren, mit Warenterminkontrakten an der New Yorker und Londoner Börse auf Differenzgewinne zu spekulieren. Entsprechend der Schilderung im Vertriebsprospekt der Klägerin erteilte der Kunde der Klägerin den Auftrag, einen von ihr eingeschalteten Broker zu veranlassen, das eingesetzte Kapital in bestimmten Kontrakten zu plazieren und über das spätere Ergebnis des Geschäftsabschlusses auf der Basis gesondert geführter "Konten" zu berichten und abzurechnen. Mittels sog. Stop-loss-orders, die auf einen bestimmten Prozentsatz lauteten, sollte der Broker gehindert werden, den vollständigen Verlust des Kapitaleinsatzes oder sogar noch darüber hinausgehende Verluste eintreten zu lassen. Der Auftrag konnte auf Abschluß einzelner Kontrakte oder -- beim "Handelskonto" -- auf Abschluß mehrerer von der Klägerin auszuwählender Kontrakte in einem bestimmten Kapitalumfang gerichtet sein. Nach Abschluß eines Vertrags hatte der Anleger eine Einzahlung (Bruttomargin) zu zahlen. Diese enthielt: das einzuschießende Kapital (Börsenmargin), das an die Börse abzuführen war und dort als Sicherheit für einen ungünstigen Verlauf beim Terminkontrakt diente, ferner die Provision der Klägerin (Managementvergütung) sowie die Brokerkommission. Die Managementvergütung betrug beim Handelskonto ... v. H. und bei einem Einzelkontrakt mehr als ... der Börsenmargin. Außerdem erhielt die Klägerin von den Brokern Vermittlungsprovisionen (sog. kick-backs).
Nach einer Umsatzsteuerprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Auffassung, die Umsätze der Klägerin seien in vollem Umfang steuerpflichtig; zu den Entgelten zählten neben den Managementgebühren auch die Brokergebühren und veranlagte die Klägerin entsprechend zur Umsatzsteuer.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, die durch die Klägerin besorgten Brokerleistungen seien im Außengebiet erbracht worden, so daß auch die Besorgungsleistungen der Klägerin im Erhebungsgebiet nicht steuerbar seien (§ 3 Abs. 11 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG -- 1980).
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts und der Verpflichtung zur Erforschung des Sachverhalts gemäß § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Im einzelnen führt das FA aus: Die Leistungen von Kapitalanlagefirmen im Bereich von Warentermingeschäften seien als Leistungen besonderer Art zu beurteilen. Die Klägerin habe demzufolge keine Besorgungsleistungen erbracht; vielmehr habe sie von den Anlegern Geld zur Verfügung gestellt bekommen, um mit diesem nach eigenem Ermessen spekulieren zu können. Da die Klägerin sonstige Leistungen für die Kapitalanleger im Inland erbracht habe, seien ihre Leistungen steuerbar und mangels einer Befreiungsvorschrift auch steuerpflichtig.
Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie meint, es sei im wesentlichen eine Tatfrage, ob sie Besorgungsleistungen oder weitergehende Beratungsleistungen erbracht habe. Da sie nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt keine Beratungsleistungen ausgeführt habe, die nicht in engem Zusammenhang mit den abgeschlossenen Warenterminkontrakten gestanden haben, habe sie Besorgungsleistungen bewirkt, die nicht -- jedenfalls nicht im Erhebungsgebiet -- steuerbar seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
Entgegen der Auffassung des FG liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 11 UStG 1980 nicht vor, so daß die Leistungen der Klägerin gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 3 Abs. 9, § 3 a Abs. 1 UStG 1980 steuerbar und steuerpflichtig sind.
1. Die Vorschrift des § 3 Abs. 11 UStG 1980 findet keine Anwendung.
Gemäß § 3 Abs. 11 UStG 1980 sind die für die besorgte Leistung geltenden Vorschriften auf die Besorgungsleistung entsprechend anzuwenden, wenn ein Unternehmer für Rechnung eines anderen im eigenen Namen eine sonstige Leistung besorgt. Eine Besorgungsleistung liegt vor, wenn ein Unternehmer für Rechnung eines anderen im eigenen Namen Leistungen, die er selbst nicht schuldet, durch einen Dritten erbringen läßt ("verdeckte Vermittlung"; vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 18. Mai 1994 XI R 62/93, BFHE 175, 142, BStBl II 1994, 719).
Wer für private Anleger im Erhebungs gebiet (Inland) Warenterminkontrakte besorgt, die an ausländischen Börsen gehandelt werden und die Geschäfte durch einen im eigenen Namen tätigen, im Außengebiet (Ausland) ansässigen Broker ausführen läßt, kann im Einzelfall eine Besorgungs leistung bewirken. Die Leistung des Besorgers ist aber nur dann einheitlich als Be sorgungsleistung zu beurteilen, wenn nicht neben der eigentlichen Besorgung weitere Leistungen von wirtschaftlichem Gewicht ausgeführt werden (BFH-Urteil in BFHE 175, 142, BStBl II 1994, 719 m. w. N.). Nebenleistungen ohne wirtschaftliches Gewicht, die im Vergleich zur Hauptleistung nebensächlich sind und mit ihr im Sinne einer wirtschaftlich gerechtfertigten Abrundung und Ergänzung zusammenhängen sowie üblicherweise in ihrem Gefolge vorkommen, teilen das Schicksal der Haupt leistung (BFH-Urteil vom 3. März 1988 V R 183/83, BFHE 153, 90, BStBl II 1989, 205). Werden neben der eigentlichen Besorgung weitere Leistungen von wirtschaftlichem Gewicht erbracht, so ist insgesamt eine eigenständige, nicht aufteilbare Leistung anzunehmen, wenn deren einzelne Faktoren so ineinandergreifen, daß sie bei natürlicher Betrachtung hinter dem Ganzen zurücktreten (vgl. BFH-Urteil vom 8. September 1994 V R 88/92, BFHE 175, 471, BStBl II 1994, 959 m. w. N.).
Die durch Kapitalanlagegesellschaften wie der Klägerin erbrachten Dienstleistungen, die über die Besorgung der Brokerdienste, das Inkasso des Kapitals und die damit verbundenen Aufklärungspflichten über die Risiken von Warentermingeschäften hinausgehen, hat der XI. Senat des BFH nicht als Besorgungsleistungen i. S. des § 3 Abs. 11 UStG 1980, sondern als eigenständige Leistungen beurteilt (Urteile in BFHE 175, 142, BStBl II 1994, 719, und vom 18. Mai 1994 XI R 107/92, BFH/NV 1994, 913). Im Urteil in BFH/NV 1994, 913 hat er die Entscheidung des FG Düsseldorf vom 15. Juli 1992, 13 K 361/85 U (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1993, 261), auf dessen Grundsätze sich das FG im Streitfall stützt, aufgehoben; im Urteil in BFHE 175, 142, BStBl II 1994, 719 (unter II. 1. am Ende) hat er sich ausdrücklich von dem hier angefochtenen Urteil des FG distanziert. Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des XI. Senats des BFH an.
Die Leistungen der Klägerin waren nicht auf die Besorgung der Dienste der Broker zugunsten ihrer Kunden beschränkt. Die Klägerin "kaufte" nicht nur die Leistungen der Broker "ein", sondern erbrachte eine darüber hinausgehende eigenständige Leistung.
Nach den Feststellungen des FG (S. 4 f. und 9 des Urteils) umfaßte die Tätigkeit der Klägerin,
a) die Einführung und Erläuterung über die Art der angebotenen Geschäfte,
b) Informationen über gewinnträchtige Marktsituationen durch Einsatz von Know- how, Markt- und Insiderinformationen, Marktüberwachung und Auswertung von Marktanalysen,
c) Empfehlungen für günstige Einstiegsmöglichkeiten und Setzen einer sog. Stop- loss-order,
d) Einrichtung eines Kundenkontos unter einer festen Kundennummer bei den ausländischen Brokern,
e) Weiterleitung des Spielkapitals an den jeweiligen Broker,
f) Bekanntgabe des Einstiegskurses, Weiterleitung der Broker-Einstiegsbestätigung und Erstellung von Abrechnungen,
g) ständige Information und Beratung während der Laufzeit der Kontrakte,
h) Erstellung einer Endabrechnung am Ausübungstag und
i) Übernahme von Nachschußpflichten für die Kapitalanleger.
Entgegen der Auffassung des FG können diese Leistungen in ihrer Gesamtheit nicht als bloß unselbständige Nebenleistung beurteilt werden. Mögen auch einzelne der genannten Leistungen keine wirtschaftliche Bedeutung gehabt haben, so kommt doch den Anlageberatungs- und -betreuungsaktivitäten ein eigenständiger wirtschaftlicher Gehalt zu. Diese dienten nicht lediglich dazu, Anleger zu akquirieren und den Kontakt zu den Brokerhäusern herzustellen, sondern waren darauf ausgerichtet, die Anleger darüber hinausgehend zu unterstützen und ihren Anlageerfolg sicherzustellen (vgl. BFH in BFHE 175, 142, BStBl II 1994, 719).
Nach den Feststellungen des FG wurden die Anleger von der Klägerin fortlaufend und nicht nur einmalig bei Vertragsabschluß beraten und betreut (vgl. oben g und i). Beim "Handelskonto" wählte die Klägerin die Kontrakte aus. Das FG (S. 9 des Urteils) spricht von begleitenden, bei der Überantwortung von Geldmitteln üblichen Maßnahmen zur Wahrung des Kundeninteresses. Ein solches Tätigwerden der Klägerin ergibt sich ebenfalls aus deren Verkaufsprospekt, auf den das Urteil des FG verweist. Dort werden die Anleger auf die Notwendigkeit verwiesen, mit einem erfahrenen Partner zusammenzuarbeiten, der den Kontrakt des Anlegers gewissenhaft betreut. Für diese Betreuung hat sich die Klägerin die -- nicht unbeträchtlichen -- "Managementgebühren" zahlen lassen. Die Klägerin trat somit als Berater und Betreuer der Anleger auf und vermittelte nicht nur die Leistungen des Brokers. Daß die Brokerleistungen dennoch das eigentliche Ziel der Anleger waren und daß sich die Anleger -- möglicherweise -- außerstande sahen, auf andere Weise als durch Vermittlung von Unternehmen wie der Klägerin zu den Brokern in Kontakt zu treten, ändert hieran nichts. Ausschlaggebend ist, daß es der besonderen Leistungen der Klägerin nicht bedurfte, um den Einsatz der Anleger an der ausländischen Warenterminbörse zu plazieren. Die erörterten Leistungen lassen sich deshalb nicht als (unselbständige) Nebenleistungen zu den Besorgungsleistungen als Hauptleistungen ansehen.
Die Dinge liegen weitgehend gleich wie im Fall des BFH-Urteils in BFHE 175, 142, BStBl II 1994, 719. Der vom FG in beiden Fällen festgestellte Sachverhalt unterscheidet sich nur geringfügig.
Nach § 118 Abs. 2 FGO ist das Revisionsgericht nur an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Eine Überprüfung der rechtlichen Würdigung obliegt dem Revisionsgericht.
Im Streitfall hat das FG den von ihm festgestellten Sachverhalt nicht nur in tatsächlicher Hinsicht anders gewürdigt als das FG im Fall des BFH-Urteils in BFHE 175, 142, BStBl II 1994, 719. Vielmehr ist es bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts von Rechtsgrundsätzen ausgegangen, die -- wie bereits oben dargelegt wurde -- mit der Rechtsprechung des BFH nicht im Einklang stehen.
2. Da die Klage bereits aufgrund des vom FG festgestellten Sachverhalts unbegründet ist, weswegen die Revision des FA Erfolg hat, kommt es auf die vom FA ebenfalls erhobene Rüge mangelhafter Sachaufklärung nicht mehr an.
Fundstellen