Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsatz der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer
Leitsatz (NV)
1. Die Verwechslung des Vornamens des Haftungsschuldners bei im übrigen ordnungsgemäßer Adressierung eines Haftungsbescheids beeinträchtigt nicht die Wirksamkeit des Bescheids.
2. Ergibt sich aus dem Vorbringen des GmbH-Geschäftsführers, daß die GmbH im Haftungseigentum, die zur Tilgung der Dauerschulden erforderlichen Mittel nicht zur Verfügung gestanden haben, so ist bei der Umsatzsteuer die Haftungschuld nach dem Grundsatz der sog. anteiligen Tilgung festzusetzen; bei der Lohnsteuer kann eine Kürzung der Haftungschuld nach Maßgabe des BFH-Urteils vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859 in Betracht kommen.
Normenkette
AO 1977 § 69
Tatbestand
Streitig ist, ob das FA den Kläger und Revisionskläger in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer einer GmbH zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat (§§ 69, 34 AO 1977).
Der Kläger war seit 1. Januar 1977 Geschäftsführer einer Bau-Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Der weitere Geschäftsführer H wurde durch Gesellschafterbeschluß vom 17. Januar 1977 abberufen. Der Kläger war in der Folgezeit alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Die GmbH hat Ende August 1977 ihre Bautätigkeit eingestellt. Im Herbst 1977 hat der Kläger die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH beantragt, das mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Konkursmasse nicht durchgeführt worden ist.
Am 9. November 1977 erließ das FA an ,,Herrn Walter X." unter der Wohnungsanschrift des Klägers wegen rückständiger Körperschaftsteuer IV /1976, Umsatzsteuer 1 bis 5/1977, Lohnsteuer 12/1976 und 1 bis 5/1977 einschließlich Nebenforderungen der GmbH einen Haftungsbescheid über insgesamt 52 823,41 DM.
Auf die nach Zurückweisung des Einspruchs mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage hat das FG die Haftungssumme um den Betrag von 151 DM (Körperschaftsteuer IV/1976 nebst Säumniszuschlägen) gekürzt; im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Es hat im wesentlichen ausgeführt: In seiner Eigenschaft als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer habe dem Kläger ab 17. Januar 1977, dem Zeitpunkt der Abberufung des Mitgeschäftsführers H, die Pflicht zur Abführung der einbehaltenen Abzugssteuern und zur Zahlung der vorangemeldeten Umsatzsteuer der GmbH oblegen. Der Kläger hätte sich als alleiniger Geschäftsführer der GmbH sofort und eingehend auch um die steuerlichen Belange kümmern müssen. Dies unterlassen zu haben, müsse ihm als grobe Fahrlässigkeit zugerechnet werden. Das Verschulden des Klägers beziehe sich gleichermaßen auf die nicht an das FA abgeführte Lohnsteuer und Kirchensteuer (12/1976 bis 5/1977), wie die rückständig gebliebene Umsatzsteuer (1 bis 5 /1977). Die Lohnsteuerschulden hätten schon wegen ihres Fremdgeldcharakters ohne Rücksicht auf die Zahlungsfähigkeit der GmbH erfüllt werden müssen. Hinsichtlich der Umsatzsteuerrückstände habe der Kläger jedenfalls nicht hinreichend dargetan, daß die Mittel der GmbH zu deren Tilgung nicht ausgereicht hätten. Der Hinweis des Klägers, von der GmbH seien nur vereinzelt und in geringem Umfang Lieferantenschulden bezahlt worden, sei zu allgemein und pauschal gehalten, als daß hieraus das Fehlen von ausreichenden Mitteln zur Tilgung der Umsatzsteuerschulden gefolgert werden könne. Auch aus der Tatsache, daß das FA nach Stellung des Konkursantrages den Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen nicht rückgängig gemacht und bei der Umsatzsteuerveranlagung 1977 die Vorsteuern aus den Voranmeldungen 1 bis 5/1977 (15 244,41 DM) unverändert übernommen habe, folge, daß Lieferantenrechnungen von ca. 160 000 DM bezahlt, die Verpflichtungen an Lieferanten daher nicht nur vereinzelt und in geringem Umfang getilgt worden seien.
Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Hilfsweise beantragt er, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Der Kläger rügt - sinngemäß - unrichtige Anwendung von §§ 122, 124 AO 1977 und von §§ 69, 34 AO 1977. Er macht ferner einen Verfahrensmangel wegen unzureichender Sachaufklärung (§ 76 AO 1977) geltend.
Die unrichtige Anwendung von §§ 122, 124 AO 1977 erblickt der Kläger zunächst darin, daß der Haftungsbescheid wie die Einspruchsentscheidung an Walter X., statt - wie richtig - Wolfgang X., gerichtet gewesen seien. Es fehle somit an der ,,Identität" des vom FA einerseits in Aussicht genommenen und andererseits tatsächlich in Anspruch genommenen Haftungsschuldners. Haftungsbescheid und Einspruchsentscheidung, beide jeweils mit dem falschen Vornamen, seien inhaltlich nicht nachvollziehbar und daher rechtsfehlerhaft.
Die fehlerhafte Rechtsanwendung bestehe weiter darin, daß das FG das Verschulden des Klägers in Form der groben Fahrlässigkeit angenommen habe, obwohl mehrfach vorgetragen worden sei, daß der Kläger als Bautechniker in Steuer- und Bürosachen gänzlich unerfahren gewesen sei. Seine Berufung als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer (ab 17. Januar 1977) habe hieran nichts geändert. Als Verfahrensfehler des FG wegen unzureichender Sachaufklärung beanstandet der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 8. Juli 1982 V R 7 /76 (BFHE 137, 1, BStBl II 1983, 249), daß es das FG verabsäumt habe, Ermittlungen darüber anzustellen, ob und inwieweit die GmbH im Haftungszeitraum in der Lage gewesen wäre, die Steuerrückstände unter Berücksichtigung ihrer anderen Zahlungsverpflichtungen und der darauf erbrachten Zahlungen zu begleichen. Dies gelte insbesondere hinsichtlich der Umsatzsteuer. Der Hinweis des FG auf das Unterbleiben von Vorsteuerberichtigungen bei den Lieferantenverbindlichkeiten der GmbH sei nicht geeignet, die Zahlungsfähigkeit der GmbH zu unterstellen oder gar zu beweisen. Dies um so weniger, als er - der Kläger - ausdrücklich darauf hingewiesen habe, daß die Lieferanten der GmbH nur vereinzelt und auch nur insoweit befriedigt worden seien, als noch Zahlungsmittel zur Verfügung gestanden hätten.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Fehl geht der auf die Verwechslung des Vornamens - Walter statt Wolfgang - offenbar gegen die ordnungsmäßige Bekanntgabe (§ 122 Abs. 1 AO 1977) und die Wirksamkeit des Haftungsbescheids (§ 124 Abs. 1 AO 1977) gerichtete Einwand des Klägers.
Da der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung an die richtige örtliche Anschrift des Klägers gerichtet waren und ein Walter X. unter dieser Anschrift - wie vom FG festgestellt - nicht existiert, ist die Verwechslung des Vornamens allein nicht rechtserheblich (vgl. auch Urteil des BFH vom 26. September 1974 IV R 24/71, BFHE 114, 156, BStBl II 1975, 311). Die diesbezüglichen Ausführungen des FG, mit dem dieses zum gleichen Ergebnis gelangt ist, erweisen sich als zutreffend.
2. Auch der weitere, letztlich die Verschuldensfrage berührende Einwand, der Kläger sei als Baufachmann in Verwaltungs- und Steuersachen unerfahren, für diese innerhalb der Geschäftsführung auch nicht zuständig gewesen, dringt nicht durch. Denn abgesehen davon, daß bei Vorhandensein mehrerer Geschäftsführer grundsätzlich jeder von ihnen für die steuerlichen Verpflichtungen der Gesellschaft einzustehen hat (Urteile des BFH vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 143, BStBl II 1984, 776, und vom 13. Januar 1987 VII R 86/85, BFH /NV 1987, 550), war der Kläger - wie unstreitig - ab 17. Januar 1977, also nach Fälligwerden (Lohnsteuer 12/1976) und bei Fälligkeit (Lohnsteuer einschließlich Kirchensteuer 1 bis 5/1977 sowie Umsatzsteuer 1 bis 5/1977), der alleinige Geschäftsführer der GmbH.
Es kommt nicht darauf an, ob und inwieweit sich hiervon unabhängig noch der frühere Mitgeschäftsführer H im Verwaltungsbereich der Gesellschaft betätigt hat.
3. Der als Verfahrensrüge erhobene Einwand des Klägers, das FG hätte die Zahlungsfähigkeit der GmbH im Haftungszeitraum ermitteln und dann - bei gänzlichem oder teilweisem Fehlen derselben - die Haftungsschuld entsprechend herabsetzen müssen, greift hingegen durch. Denn im Hinblick darauf, daß die GmbH nach den finanzgerichtlichen Feststellungen ihre Tätigkeit schon im August 1977 eingestellt hat und das im Herbst 1977 beantragte Konkursverfahren mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Konkursmasse nicht einmal eröffnet wurde, ist der Einwand der nicht ausreichenden Zahlungsfähigkeit der GmbH unter dem Gesichtswinkel des Verschuldens des Geschäftsführers rechtserheblich.
a) Bei der Lohnsteuer ist den finanzgerichtlichen Feststellungen nicht eindeutig zu entnehmen, ob der GmbH außer den ausgezahlten Nettolöhnen noch Mittel zur Abführung der einbehaltenen Lohnsteuerbeträge zur Verfügung standen. Bejahendenfalls wäre nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Haftung im vollen Umfang der nicht an das FA abgeführten Lohnsteuerbeträge gegeben (vgl. BFH-Urteil vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521). War es hingegen so, daß außer den ausgezahlten Nettolöhnen der GmbH keine weiteren Zahlungsmittel mehr zur Verfügung standen, so besteht die Pflichtverletzung des Geschäftsführers darin, daß er die Löhne nicht zum Zweck der gleichmäßigen Befriedigung der Arbeitnehmer und des FA gekürzt hatte. Standen der Gesellschaft im Haftungszeitraum nur noch Zahlungsmittel im Umfang der von ihr ausgezahlten Nettolöhne zur Verfügung, so könnte eine Reduzierung der nach den Bruttolöhnen berechneten Lohnsteuer und dementsprechend angesetzten Haftungsbeträge insoweit in Betracht kommen, als die Lohnsteuer nur auf der Grundlage der gezahlten Nettolöhne für den (oder die) letzten Monat(e) des Haftungszeitraums zu berechnen wäre (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859).
Da der erkennende Senat seinerseits keine Ermittlungen in der dargestellten Richtung treffen kann, wird das FG diese noch nachholen und dann erneut entscheiden. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob hinsichtlich der Lohnsteuer für Dezember 1976 das Auswahlermessen vom FA richtig gehandhabt wurde, weil bei Fälligkeit dieser Lohnsteuerschuld - am 10. Januar 1977 - der frühere Mitgeschäftsführer H immerhin noch im Amt gewesen ist.
b) Bei der Umsatzsteuer hätte geprüft werden müssen, ob und inwieweit die GmbH bei in etwa gleichmäßiger Befriedigung ihrer sämtlichen Gläubiger - also sowohl der Banken und Lieferanten wie des FA - das FA hätte befriedigen müssen (Grundsatz der anteiligen Umsatzsteuer, zuletzt Urteil des BFH vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172).
Das ist nicht geschehen, obwohl in einem Schriftsatz des Klägers darauf hingewiesen ist, die GmbH habe ihre Lieferanten im Haftungszeitraum nur noch vereinzelt und im Rahmen der verfügbaren Geldmittel befriedigen können. Es hätte daher geprüft werden müssen, ob und inwieweit dies tatsächlich der Fall gewesen ist, ggf. die sog. anteilige Umsatzsteuer (vgl. das vorgenannte Urteil in BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172) überschlägig berechnet werden und die Haftungssumme dementsprechend festgesetzt werden müssen (vgl. Urteil des BFH vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657).
Da der erkennende Senat selbst auch insoweit keine Ermittlungen der vorgenannten Art vornehmen kann, geht die nicht spruchreife Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 416192 |
BFH/NV 1989, 422 |