Entscheidungsstichwort (Thema)
Nießbrauch; Ablösung gegen wiederkehrende Leistungen
Leitsatz (NV)
Wird ein Vorbehaltsnießbrauch gegen wiederkehrende Leistungen abgelöst, so hängt die einkommensteuerrechtliche Beurteilung der Zahlungen davon ab, ob es sich um Versorgungsleistungen zur Vorwegnahme der Erbfolge oder um ein Entgelt handelt (Anschluß an die BFH-Urteile vom 25. November 1992 X R 34/89, BFHE 170, 76, und X R 148/90, BFH/NV 1993, 586).
Normenkette
EStG §§ 7, 9-10, 22
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Alleineigentümer eines Mietwohngrundstücks in ... Er hatte das Grundstück 1965 zur Hälfte im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich von seiner 1912 geborenen Mutter erworben; die andere Hälfte erwarb er entgeltlich von seinem Bruder, der seinerseits seinen Miteigentumsanteil unentgeltlich von der Mutter erhalten hatte. Diese hatte sich bei der Übertragung des Grundstücks auf ihre Söhne im Jahre 1965 ein lebenslängliches, im Grundbuch eingetragenes Nießbrauchsrecht vorbehalten. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom ... 1983 verzichtete sie mit Wirkung vom 1. Januar 1984 auf ihr Nießbrauchsrecht. Als Gegenleistung verpflichtete sich der Kläger u. a., an seine Mutter monatlich bis zu ihrem Tode 5 000 DM zu zahlen.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1984 machten die Kläger (Eheleute) die Zahlungen an die Mutter von 60 000 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) zog bei der Steuerfestsetzung nur den Ertragsanteil (10 800 DM, 18 v. H. von 60 000 DM) als Werbungskosten ab.
Die nach dem erfolglosen Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der die Kläger beantragten, die Zahlungen in voller Höhe als Werbungskosten abzuziehen, hatte Erfolg (Entscheidungsgründe abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1991, 464).
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Nach dieser Vorschrift seien Leibrenten nur mit dem Ertragsanteil als Werbungskosten abziehbar.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA einen Änderungsbescheid erlassen, den die Kläger zum Gegenstand des Verfahrens (§ 68 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) erklärt haben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die Vorentscheidung verletzt § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG. Das FG hat rechtsfehlerhaft entschieden, daß die Zahlungen des Klägers an seine Mutter zur Ablösung des Nießbrauchs in voller Höhe als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar sind.
1. Nach den zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. November 1992 X R 34/89 (BFHE 170, 76) und X R 148/90 (BFH/NV 1993, 586) ist bei der Ablösung von Nießbrauchsrechten gegen wiederkehrende Leistungen zu unterscheiden, ob der Verzicht als Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen zur Vorwegnahme der Erbfolge oder als entgeltliches Veräußerungsgeschäft zu beurteilen ist. Stellen die wiederkehrenden Zahlungen Versorgungsleistungen dar, sind sie regelmäßig dauernde Lasten, die beim Verpflichteten nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG in vollem Umfang als Sonderausgaben abziehbar sind. Ist der Verzicht auf den Nießbrauch dagegen als entgeltliches Veräußerungsgeschäft zu werten, so stellt der Barwert der wiederkehrenden Leistungen (vgl. § 14 des Bewertungsgesetzes -- BewG -- i. V. m. Anl. 9) Anschaffungskosten des Grundstücks dar, die -- soweit sie auf das Gebäude entfallen -- im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG in Form der Absetzungen für Abnutzung (AfA) zu Werbungskosten führen. Sind als Entgelt gleichmäßige wiederkehrende Leistungen auf Lebenszeit vereinbart, so handelt es sich um eine Leibrente, deren Zinsanteil nach der Ertragswerttabelle in § 22 EStG zu ermitteln und nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 2 EStG als Werbungskosten abzuziehen ist. Für die Abgrenzung zwischen Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen und entgeltlicher Vermögensübertragung sind die im Urteil vom 29. Januar 1992 X R 193/87 (BFHE 167, 95, BStBl II 1992, 465) wiedergegebenen Beurteilungsmerkmale maßgebend.
Der erkennende Senat, der bereits in seinem Urteil vom 21. Juli 1992 IX R 72/90 (BFHE 169, 317, BStBl II 1993, 486) entschieden hat, daß die Ablösung eines Nießbrauchs gegen Einmalbetrag zu nachträglichen Anschaffungskosten des Grundstücks führt, schließt sich den vorstehend aufgeführten Entscheidungen des X. Senats des BFH an.
2. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die Rechtsauffassung der Vorinstanz trifft -- im Ergebnis -- nur dann zu, wenn der Verzicht auf den Nießbrauch als Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen zu beurteilen ist. In diesem Fall wären die Versorgungsleistungen zwar nicht, wie das FG annimmt, Werbungskosten, aber in gleicher Höhe dauernde Last. Der Beurteilung als dauernde Last i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG stünde nicht entgegen, daß nach dem Ablösungsvertrag die Abänderbarkeit der wiederkehrenden Leistung nicht ausdrücklich vereinbart ist. Handelt es sich um einen Versorgungsvertrag, so ist die Gegenleistung schon nach bürgerlichem Recht abänderbar, ohne daß es einer Bezugnahme auf § 323 der Zivilprozeßordnung bedarf (BFH-Urteile vom 11. März 1992 X R 141/88, BFHE 166, 564, BStBl II 1992, 499, und in BFH/NV 1993, 586).
Liegt dagegen ein Veräußerungsgeschäft vor, so stellen die vereinbarten gleichmäßigen Leistungen eine Leibrente dar. Es sind dann nur der Zinsanteil nach § 22 EStG und die AfA als Werbungskosten abziehbar. Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen für eine Abgrenzung zwischen Vermögensübergabe und entgeltlicher Veräußerung nicht aus. Die nicht spruchreife Sache geht deshalb an das FG zurück; es erhält Gelegenheit, die für die Abgrenzung bedeutsamen Tatsachenfeststellungen nachzuholen.
Fundstellen
Haufe-Index 419744 |
BFH/NV 1995, 189 |