Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung von Rechtsfehlern
Leitsatz (amtlich)
1. Liegen sowohl Gründe für eine Änderung eines Steuerbescheids zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen vor (§ 177 Abs.1 und Abs.2 AO 1977), so ergibt sich aus der Zweiteilung der Vorschrift, daß frühere Rechtsfehler getrennt im Rahmen des jeweiligen Änderungsbereichs zu berichtigen sind.
2. Liegen frühere Rechtsfehler sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen vor, so sind ihre Auswirkungen vor einer Berichtigung im Bereich der jeweiligen Änderungen zu saldieren.
Orientierungssatz
Der Bereich der Änderung i.S. des § 177 Abs. 1 und 2 AO 1977 wird üblicherweise als Steuermehrbetrag bzw. Minderbetrag aufgrund der vorzunehmenden Änderungen verstanden. Gegen einen Vergleich der Besteuerungsgrundlagen bestehen allerdings keine Bedenken, wenn den Vergleichsberechnungen vergleichbare Größen zugrunde gelegt werden und diese Größen Auswirkungen auf das Einkommen und damit auf die Höhe der Einkommensteuer haben.
Normenkette
AO 1977 § 177 Abs. 1-2
Tatbestand
I. Streitig ist der Umfang einer möglichen Änderung eines Einkommensteuerbescheides (§ 177 der Abgabenordnung --AO 1977--).
1. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) hatte am 5.Februar 1988 gegen die Kläger und Revisionskläger (Kläger) einen Einkommensteuerbescheid erlassen, in dem zu Unrecht bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte überhöhte Abschreibungen in Höhe von 16 880 DM berücksichtigt wurden. Der Gesamtbetrag der Einkünfte wurde mit 72 091 DM, das zu versteuernde Einkommen mit 44 358 DM und die Steuer mit 8 116 DM angesetzt. Der Fehler hatte sich neben dem Gesamtbetrag der Einkünfte auch auf die davon abhängige zumutbare Eigenbelastung ausgewirkt.
In der Folgezeit wurden Grundlagenbescheide geändert bzw. ein Grundlagenbescheid erstmals erlassen. Es handelte sich dabei
a) um den Bescheid vom 19.Mai 1988 über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Kapitalerträgen über 288 DM, die zuvor nicht im Einkommensteuerbescheid berücksichtigt waren,
b) um die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung vom 23.Januar 1989 mit einem Überschuß von 4 552 DM, während im Einkommensteuerbescheid ein Verlust von 326 DM berücksichtigt worden war,
c) die geänderte einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit vom 24.Januar 1989; der Gewinnanteil des Klägers wurde von den im Einkommensteuerbescheid vom 5.Februar 1988 berücksichtigten 161 049 DM um 2 139 DM auf 158 910 DM herabgesetzt.
Die fehlerhafte Abschreibung über die 16 880 DM war in keinem dieser Grundlagenbescheide Besteuerungsmerkmal. Im geänderten Einkommensteuerbescheid 1983 vom 6.April 1989 erhöhte das FA den Gesamtbetrag der Einkünfte auf 77 257 DM. Es berücksichtigte dabei nur die beiden für den Kläger ungünstigen Grundlagenbescheide. Der Berücksichtigung des für den Kläger günstigen Grundlagenbescheids hielt es den Fehler im Bescheid vom 5.Februar 1988 entgegen.
Bei der Höhe des zu versteuernden Einkommens berücksichtigte das FA auch eine Erhöhung der zumutbaren Eigenbelastung, die sich aus der Erhöhung des Gesamtbetrages der Einkünfte ergab.
2. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid vom 6.April 1989 eingelegte Klage blieb erfolglos.
3. Die Kläger stützen ihre Revision auf Verletzung des § 177 AO 1977.
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil und den Einkommensteuerbescheid 1983 vom 6.April 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.April 1990 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie war zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Die Abweisung der Klage durch das Finanzgericht (FG) entspricht der Rechtslage.
1. Rechtsgrundlage der Änderung des bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheids 1983 vom 5.Februar 1988 ist § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977. Nach dieser Bestimmung ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit Grundlagenbescheide (§ 171 Abs.10 AO 1977) erlassen, aufgehoben oder geändert werden, denen Bindungswirkung für diesen Bescheid zukommt. Den geänderten bzw. erstmals erlassenen Feststellungsbescheiden vom 19.Mai 1988, vom 23.Januar 1989 und vom 24.Januar 1989 kommt Bindungswirkung in diesem Sinne zu, da sie Feststellungen zur Höhe der von den Klägern im Jahre 1983 erzielten Einkünfte enthielten. Die Feststellungen sind für die Höhe der festzusetzenden Einkommensteuer 1983 von Bedeutung (§ 182 Abs.1 AO 1977).
2. Gemäß § 177 Abs.1 AO 1977 sind bei Änderungen zuungunsten des Steuerpflichtigen Rechtsfehler zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, soweit die Änderung reicht. Gleiches gilt gemäß § 177 Abs.2 AO 1977 bei Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen.
Das FG hat den Rahmen der zu berücksichtigenden Rechtsfehler zu Recht getrennt für Änderungen zugunsten und zuungunsten der Kläger ermittelt. Diese Auslegung des Gesetzes ergibt sich aus der Zweiteilung des § 177 AO 1977. Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind frühere Rechtsfehler bei Änderungen zuungunsten und zugunsten des Steuerpflichtigen saldierend zu berücksichtigen, soweit die jeweilige Änderung reicht (ebenso: Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 177 AO 1977 Rz.9; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 177 AO 1977 Anm.3b; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 177 AO 1977 Tz.4; Förster in Koch, Abgabenordnung, 3.Aufl., § 177 Rz.13; Woerner/Grube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 8.Aufl., S.156).
3. Es bestehen keine Bedenken dagegen, daß das FG die Änderungsbereiche, in deren Grenzen Rechtsfehler gemäß § 177 AO 1977 zu berücksichtigen sind, anhand der geänderten Einkünftebeträge errechnet hat. Zwar wird der Bereich der Änderung i.S. des § 177 Abs.1 und Abs.2 AO 1977 üblicherweise als Steuermehrbetrag bzw. Steuerminderbetrag aufgrund der vorzunehmenden Änderungen verstanden (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 177 AO 1977 Tz.4; Woerner/Grube, a.a.O., S.156; Förster in Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 3.Aufl. Tz.13; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4.Aufl., § 177 Anm.3). Gegen einen Vergleich der Bemessungsgrundlagen, wie ihn das FG vorgenommen hat, bestehen jedoch dann keine Bedenken, wenn den Vergleichsberechnungen vergleichbare Größen zugrunde gelegt werden und diese Größen Auswirkungen auf das Einkommen und damit auf die Höhe der Einkommensteuer haben. Das ist der Fall, wenn --wie im Streitfall-- die geänderten Einkünftebeträge mit den früher rechtsfehlerhaft ermittelten Einkünftebeträgen und mit einem zu niedrigen Kinderfreibetrag verglichen werden. Alle Beträge wirken sich entsprechend ihrem Zahlenwert auf die Höhe des Einkommens und damit auf die Einkommensteuer aus.
4. Das FG hat zutreffend zunächst die Rechtsfehler saldiert. Nach dem Wortlaut der Absätze 1 und 2 des § 177 AO 1977 sind Rechtsfehler zugunsten und zuungunsten gleichgestellt und jeweils zusammengefaßt gegen die vorzunehmenden Änderungen zu verrechnen. Saldiert man den um 3 400 DM zu niedrig angesetzten Kinderfreibetrag (Rechtsfehler zu Lasten der Kläger) mit den um 16 880 DM überhöhten Abschreibungen und der um 168 DM zu niedrig angesetzten zumutbaren Eigenbelastung (Rechtsfehler zugunsten der Kläger), so ergibt sich eine saldierte Auswirkung auf das Einkommen der Kläger um 17 048 DM minus 3 400 DM = 13 648 DM. Um diesen Betrag ist das Einkommen der Kläger als Folge der Rechtsfehler zu niedrig angesetzt worden.
Diese rechtsfehlerhafte Besserstellung der Kläger i.H. von 13 648 DM war gegen die Änderung zu ihren Gunsten i.H. von 2 139 DM (Feststellungsbescheid vom 24.Januar 1989) zu verrechnen. Da die früheren Fehler zugunsten der Kläger die nach dem Feststellungsbescheid vorzunehmende Minderung ihrer Einkünfte um 2 139 DM deutlich überwogen, bleibt kein Spielraum für eine Änderung zugunsten der Kläger.
5. Die einkommenserhöhenden Änderungen aufgrund der Feststellungsbescheide vom 19.Mai 1988 und vom 23.Januar 1989 können nicht durch Saldierung gemindert werden. Die saldierten Rechtsfehler zugunsten der Kläger betragen 13 648 DM. Zieht man hiervon den nach § 177 Abs.2 AO 1977 durch Verrechnung berücksichtigten Betrag von 2 139 DM ab, so ergibt sich noch immer ein das Einkommen der Kläger zu Unrecht mindernder Rechtsfehler. Eine Saldierung ist nicht möglich, da die Grundlagenbescheide vom 19.Mai 1988 und 23.Januar 1989 zu einer Einkommenserhöhung führten und der verbliebene Rechtsfehler ebenfalls nur einkommenserhöhend berücksichtigt werden könnte.
6. Das FG hat schließlich auch die Erhöhung der zumutbaren Eigenbelastung i.H. von 1 v.H. aus 5 166 DM = 52 DM zu Recht berücksichtigt. Die Erhöhung folgt aus der Erhöhung des Einkommens und kann ebenfalls nicht verrechnet werden, da kein weiterer Rechtsfehler zu Lasten der Kläger feststellbar ist.
Fundstellen
Haufe-Index 64504 |
BFH/NV 1993, 75 |
BStBl II 1993, 822 |
BFHE 172, 298 |
BFHE 1994, 298 |
BB 1994, 418 |
DStZ 1994, 126 (KT) |
HFR 1994, 67 (LT) |
StE 1993, 597 (K) |