Entscheidungsstichwort (Thema)
Sprachaufenthalte im Ausland als Berufsausbildung; Berufsausbildung im Familienleistungsausgleich
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Auslegung des steuerrechtlichen Begriffs der Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) kann auf die Rechtsprechung der Sozialgerichte zum BKGG a.F. nur eingeschränkt zurückgegriffen werden, da das Kindergeld ―ebenso wie der Kinderfreibetrag― seit der Systemumstellung zum 1. Januar 1996 in erster Linie der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den Eltern dient.
2. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel und damit der Berufsausbildung dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind, und zwar unabhängig davon, ob die Ausbildungsmaßnahmen in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sind.
3. Sprachaufenthalte im Ausland können dann als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Erwerb der Fremdsprachenkenntnisse nicht dem ausbildungswilligen Kind allein überlassen bleibt, sondern Ausbildungsinhalt und Ausbildungsziel von einer fachlich autorisierten Stelle vorgegeben werden. Auslandsaufenthalte im Rahmen von Au-pair-Verhältnissen können daher regelmäßig als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn sie von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet werden. Der erforderliche Umfang der Ausbildung richtet sich dabei nach den Gesamtumständen des Einzelfalles.
Normenkette
EStG § 31 Sätze 1-3; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b, S. 2, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1-2; RsprEinhG § 2 Abs. 1; FGO § 126 Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die 1977 geborene Tochter des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) erwarb im Juni 1996 das Abitur und hielt sich vom 5. Januar bis 15. Juli 1997 im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses in London auf. Sie besuchte vom 14. Januar bis 10. Juni 1997 einen Englisch-Sprachkurs der Eurolingua-Sprachschule in London, den sie mit einem Zertifikat der University of Cambridge erfolgreich abschloß. Der Sprachkurs umfaßte von montags bis freitags täglich zwei Zeitstunden. Für Vor- und Nacharbeit wandte die Tochter mindestens zwei Stunden pro Tag auf; für den Hin-und Rückweg zur Schule benötigte sie täglich eine Stunde. Die Tochter erhielt freie Kost und Logis und ein Taschengeld. Am 1. August 1997 begann die Tochter eine Ausbildung an einer staatlichen Berufsakademie, an der sie Betriebswirtschaft (Fachrichtung Bank) studiert.
Für den Zeitraum des Au-pair-Verhältnisses versagte das Arbeitsamt -Familienkasse- (der Beklagte und Revisionskläger ―Beklagter―), die Gewährung von Kindergeld mit der Begründung, die Tochter befinde sich nicht in Berufsausbildung.
Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit folgenden Gründen statt:
Gemäß § 63 Abs. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) werde ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet habe, beim Kindergeld berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet werde. Berufsausbildung sei begrifflich die Ausbildung für einen künftigen Beruf. Zur Berufsausbildung gehöre auch der Besuch von Allgemeinwissen vermittelnden Schulen. Ebenfalls könne ein Sprachaufenthalt im Ausland zur Berufsausbildung gezählt werden, wenn er zur Vervollkommnung der Sprachkenntnisse bestimmt sei und diese für die Berufsausbildung erforderlich seien. Dies gelte auch dann, wenn das Kind als Haushaltshilfe (Au-pair) tätig werde.
Die Voraussetzungen für eine Anerkennung des Auslandsaufenthaltes als Berufsausbildung lägen im Streitfall vor. Bei einem Zeitaufwand für den Sprachkurs von insgesamt 25 Stunden wöchentlich seien die Zeit und Arbeitskraft der Tochter des Klägers überwiegend in Anspruch genommen worden. Der Schulunterricht an der Sprachschule sei planmäßig ausgestaltet gewesen und habe sich an einem bestimmten Ausbildungsziel, dem Bestehen der Abschlußprüfung, orientiert. Diese Sprachausbildung habe die Tochter übernommen, um ihre in der Schule erworbenen Kenntnisse ―Englisch sei ihre zweite Fremdsprache gewesen― zu vervollkommnen und damit eine Voraussetzung für das im August 1997 begonnene Betriebswirtschaftsstudium zu schaffen. Entgegen der Auffassung des Beklagten komme es nicht darauf an, ob der Auslandssprachaufenthalt formell die Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums in der Fachrichtung Betriebswirtschaftslehre bilde. Zwar gehörten nach dem Ausbildungsplan eine erste und zweite Fremdsprache nur in den Fachrichtungen Internationales Marketing, Fremdenverkehr und Spedition zum Ausbildungsinhalt, doch sei es für den Senat offenkundig, daß ein Betriebswirtschaftsstudium auch in der Fachrichtung Bank ohne das Hinzuziehen englischsprachiger Literatur nicht sinnvoll durchzuführen sei. Angesichts der Globalisierung der Finanzmärkte und der dadurch erforderlichen Auseinandersetzung mit englischsprachiger Fachliteratur seien für das Studium der Betriebswirtschaft hinreichende Englischkenntnisse unabdingbar. Der Erwerb der im Ausland vertieften Sprachkenntnisse stehe im Streitfall auch in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem sich daran anschließenden Studium.
Der Beklagte rügt mit seiner Revision einen Verstoß gegen § 63 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Zur Begründung stützt er sich im wesentlichen auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Begriff der Berufsausbildung in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) a.F., die auch nach der Systemumstellung anwendbar sei. Nach der Rechtsprechung des BSG sei der Begriff dahin zu verstehen, daß es sich dem Wesen nach um eine geregelte Ausbildungsmaßnahme handeln und diese dazu dienen müsse, Kenntnisse und Fertigkeiten zu erlangen, welche die Ausübung eines gegen Entgelt auszuübenden und damit lebensunterhaltsdeckenden Berufs ermögliche (zusammenfassend BSG-Urteil vom 23. August 1989 10 RKg 8/86, SozR 5870, § 2 BKGG Nr. 65). Eine Beschäftigung als sog. Au-pair-Mädchen im Ausland stelle grundsätzlich keine Berufsausbildung dar. Erst wenn die Au-pair-Tätigkeit mit einer regelmäßigen Ausbildung an einer Sprachenschule im wesentlichen Umfang einhergehe, könne der Auslandsaufenthalt in Ausnahmefällen als Berufsausbildung anerkannt werden. Das sei nur dann der Fall, wenn die Sprachausbildung für bestimmte Berufsbilder ohne fest vorgeschriebenen Ausbildungsgang zwingend notwendig sei, d.h. wenn ohne möglichst vollständige Beherrschung der Fremdsprachen in Wort und Schrift die Ausübung derartiger Berufe erst gar nicht oder nur in sehr eingeschränktem Maße möglich sei (vgl. BSG-Urteile vom 25. April 1984 10 RKg 2/83, SozR 5870, § 2 BKGG Nr. 32, m.w.N.; vom 22. Juni 1994 10 RKg 30/93, SozR 3-5870, § 2 BKGG Nr. 26, und vom 22. November 1994 10 RKg 17/92, SozR 3-5870, § 2 BKGG Nr. 29).
Im Streitfall seien die vom BSG aufgestellten Kriterien nicht erfüllt. Bei dem Auslandssprachaufenthalt im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses handele es sich dem Wesen nach nicht um eine "Ausbildung für einen Beruf" i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG. Ein solcher Sprachaufenthalt sei nicht zwingender Ausbildungsinhalt für den von der Tochter des Klägers angestrebten Beruf als Diplom-Bankwirtin. Es würden Fremdsprachen weder als Vorbildung vorausgesetzt, noch seien diese als fachbezogene bzw. fachübergreifende Pflichtfächer und damit als Ausbildungsinhalt vorgesehen. Zusätzliche ausbildungsfördernde Betätigungen, wie hier die Erlernung von Fremdsprachen, erfolgten auf freiwilliger Basis und seien der normalerweise vorgelagerten (schulischen) Allgemeinbildung, nicht jedoch der Berufsausbildung zuzurechnen.
Der Auslandssprachaufenthalt im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses könne auch nicht deswegen als Bestandteil der Berufsausbildung angesehen werden, weil er die nach Erreichen der Berufsqualifikation bestehenden Einsatzchancen am Arbeitsmarkt verbessere oder den Zugang zu bestimmten Karriereposten eröffne. Vielmehr sei erforderlich, daß Kenntnisse und Fertigkeiten erlangt würden, welche die Ausübung eines gegen Entgelt auszuübenden und damit lebensunterhaltsdeckenden Berufs ermöglichten. Das sei jedoch nur der Fall, wenn der Sprachaufenthalt im Ausland für den in Aussicht genommenen Beruf bzw. die sich anschließende weitere Ausbildung zwingend notwendig und damit Bestandteil der Ausbildung sei.
Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er verweist im wesentlichen auf die Vorentscheidung und führt ergänzend aus, daß der Tochter bei der Bewerbung zur Berufsakademie nahegelegt worden sei, fundierte Kenntnisse der englischen Sprache zu erwerben bzw. zu verfestigen. Da die Zahl der Bewerber die Zahl der Studienplätze bei weitem übersteige, habe letztlich die absolvierte Sprachausbildung der Tochter dazu geführt, daß diese den begehrten Studienplatz erhalten habe. Während des Studiums würden den Studierenden im Hinblick auf die beruflichen Erfordernisse EG-Austauschprogramme angeboten. Da die Tochter vor Absolvierung der Sprachausbildung nicht über die erforderlichen Kenntnisse der englischen Sprache verfügt habe, sei die Sprachausbildung auch zwingend notwendig gewesen, um den Ausbildungsgang an der Berufsakademie erfolgreich absolvieren zu können.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß dem Kläger für den Zeitraum des England-Aufenthalts seiner Tochter ein Anspruch auf Kindergeld zusteht, weil die Tochter von Januar bis Juni 1997 für einen Beruf ausgebildet wurde (§ 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) und sich im Juli 1997 in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befand (§ 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG).
1. Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wird gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.d.F. vom 11. Oktober 1995 (Jahressteuergesetz 1996, BGBl I 1995, 1250) beim Kindergeld berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.
a) Das Tatbestandsmerkmal "für einen Beruf ausgebildet" wird vom Gesetz nicht näher umschrieben. Durch die Verweisung in § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG auf § 32 Abs. 4 EStG hat der Gesetzgeber aber klargestellt, daß der steuerrechtliche Begriff der Berufsausbildung seit der Systemumstellung zum 1. Januar 1996 auch im Kindergeldrecht anzuwenden und somit eine einheitliche steuerrechtliche Auslegung geboten ist. Auf die Rechtsprechung der Sozialgerichte zum BKGG a.F. kann dabei nur eingeschränkt zurückgegriffen werden, da das Kindergeld ―ebenso wie der Kinderfreibetrag― in erster Linie der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums des Kindes bei den Eltern dient (§ 31 Satz 1 EStG). Nur soweit das Kindergeld dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG). Dieser nachrangige Förderzweck vermag jedoch an der einheitlichen steuerrechtlichen Beurteilung des Kindergeldes nichts zu ändern (vgl. § 31 Satz 3 EStG).
Aus den vorgenannten Gründen besteht keine Veranlassung, wegen einer möglichen abweichenden Auffassung zur bisherigen Rechtsprechung des BSG den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen (vgl. § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968, BGBl I 1968, 661; s. auch Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 12. März 1987 GmS-OGB 6/86, BGHZ 100, 277, 281; ferner Beschlüsse des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 30. September 1976 4 StR 683/75 (KG), Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1976, 2354; vom 4. November 1970 2 StR 494/70, BGHSt 23, 377).
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu § 32 EStG a.F. ist unter Berufsausbildung die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen (BFH-Urteil vom 11. Oktober 1984 VI R 69/83, BFHE 142, 140, BStBl II 1985, 91). In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (BFH-Urteil vom 23. April 1997 VI R 135/95, BFH/NV 1997, 655, m.w.N.). Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind.
c) Entgegen der Auffassung des Beklagten kann aus der gesetzlichen Formulierung "für einen Beruf ausgebildet wird" (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) nicht gefolgert werden, daß die Ausbildungsmaßnahme in einer Ausbildungs- oder Studienordnung vorgeschrieben sein oder ―mangels solcher Regelungen― jedenfalls dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten dienen muß, die für den angestrebten Beruf zwingend notwendig sind (vgl. zur Auffassung der Verwaltung R 180 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien ab 1996 ―EStR―, sowie Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes ―DA-FamEStG― 63.3.2 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Anhang 6, DA 2.215 Abs. 5, BStBl I 1996, 723, 836, sowie DA-FamEStG 63.3.2.3 Abs. 6, BStBl I 1998, 413). Die Auslegung hat vielmehr den Sinn und Zweck des seit 1. Januar 1996 geltenden steuerrechtlichen Kindergelds zu berücksichtigen, das Existenzminimum eines Kindes von der Besteuerung auszunehmen, weil durch den kindbedingten Aufwand die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern gemindert wird (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, 658). Die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern ist aber auch dann gemindert, wenn sich Kinder unabhängig von vorgeschriebenen Studiengängen in Ausbildung befinden und von ihren Eltern unterhalten werden (FG Nürnberg, Urteil vom 10. Juli 1998 VII (V) 747/97, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1999, 295; FG Düsseldorf, Urteil vom 18. September 1997 10 K 1201/97 Kg ―rkr.―, EFG 1998, 103).
Das Berufsziel wird nach ständiger Rechtsprechung von den Vorstellungen der Eltern und des Kindes bestimmt (BFH-Urteil in BFHE 142, 140, BStBl II 1985, 91). Denn den Eltern und dem Kind kommt bei der Gestaltung der Ausbildung von Verfassungs wegen ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. BVerfG-Beschluß vom 10. November 1998 2 BvR 1057/98, 2 BvR 1226/96, 2 BvR 980/91, BStBl II 1999, 182, 187). Das Berufsziel ist nicht ohne weiteres dann als erreicht anzusehen, wenn das Kind die Mindestvoraussetzungen für die Ausübung des von ihm gewählten Berufs erfüllt (BFH-Urteil vom 8. November 1972 VI R 54/70, BFHE 107, 447, BStBl II 1973, 138). Die technische und wirtschaftliche Entwicklung in praktisch allen Berufszweigen läßt es vielmehr als geboten erscheinen, Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben, die über das vorgeschriebene Maß hinausgehen (BFH-Urteil vom 8. November 1972 VI R 309/70, BFHE 107, 450, BStBl II 1973, 139). Kindern muß daher zugebilligt werden, zur Vervollkommnung und Abrundung von Wissen und Fähigkeiten auch Maßnahmen außerhalb eines fest umschriebenen Bildungsgangs zu ergreifen (FG Nürnberg in EFG 1999, 295; FG Düsseldorf in EFG 1998, 103). Demgegenüber kann aus der Definition der Berufsausbildung im Berufsbildungsgesetz (BBiG) vom 14. August 1969 (BGBl I 1969, 1112) für die Auslegung des steuerrechtlichen Begriffs der Berufsausbildung in § 32 EStG nichts gewonnen werden (BFH-Urteil in BFHE 142, 140, BStBl II 1985, 91).
d) Entgegen der Auffassung der Verwaltung kann auch nicht gefordert werden, daß die Ausbildungsmaßnahme Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend in Anspruch nehmen muß (vgl. zur Auffassung der Verwaltung R 180 Abs. 1 Satz 3 EStR, sowie DA-FamEStG Anhang 6 DA 2.215 Abs. 1 Sätze 1 und 2, BStBl I 1996, 835, ebenso DA-FamEStG 63.3.2.5, BStBl I 1998, 414, und für Au-pair-Verhältnisse DA-FamEStG Anhang 6 DA 2.215 Abs. 5 Satz 2, BStBl I 1996, 836, ebenso DA-FamEStG 63.3.2.3 Abs. 6 Satz 2, BStBl I 1998, 413). Ein solches einschränkendes Erfordernis läßt sich aus dem Gesetz nicht ableiten. Für eine einschränkende Auslegung besteht auch deshalb kein Anlaß, weil der Gesetzgeber den Umfang schädlicher berufsbegleitender Tätigkeiten typisierend über die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) geregelt hat (Seewald/ Felix in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 63 Rdnr. D 21).
2. Zur Berufsausbildung gehört auch der Erwerb von Sprachfertigkeiten (vgl. BVerfG-Beschluß in BStBl II 1999, 182, 191).
a) Der erforderliche Bezug zu einem Beruf ist bei einer planmäßigen Sprachausbildung in aller Regel zu bejahen. Fremdsprachenkurse im Ausland sowie der Besuch von allgemeinbildenden Schulen im Ausland sind im Rahmen von Austauschprogrammen als Schulausbildung und damit auch als Berufsausbildung i.S. des § 32 EStG anerkannt (Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 32 EStG Anm. 96, sowie DA-FamEStG, Anhang 6 DA 2.211 Abs. 1, BStBl I 1996, 723, 830). Nichts anderes gilt für die Vervollkommnung bzw. Erweiterung fremdsprachlicher Kenntnisse im nachschulischen Bereich. Nach der Lebenserfahrung ist auch davon auszugehen, daß gute Fremdsprachenkenntnisse eine bessere Ausgangsposition sowohl für den Erwerb eines Ausbildungsplatzes, als auch für das spätere berufliche Fortkommen schaffen (vgl. BFH-Urteil vom 15. Januar 1960 VI 310/58 U, BFHE 70, 316, BStBl III 1960, 118).
b) Dem Tatbestandsmerkmal "für einen Beruf ausgebildet wird" ist allerdings zu entnehmen, daß das Gesetz nicht jeden Auslandsaufenthalt als Berufsausbildung anerkennt, auch wenn sich dadurch die Kenntnisse der jeweiligen Landessprache verbessern. Sprachaufenthalte im Ausland können vielmehr nur dann als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn der Erwerb der Fremdsprachenkenntnisse nicht dem ausbildungswilligen Kind allein überlassen bleibt, sondern Ausbildungsinhalt und Ausbildungsziel von einer fachlich autorisierten Stelle vorgegeben werden. Eine Ausbildung in diesem Sinne ist ohne weiteres dann anzunehmen, wenn der Sprachaufenthalt mit anerkannten Formen der Berufsausbildung verbunden wird, z.B. mit dem Besuch einer allgemeinbildenden Schule, eines Colleges oder einer ausländischen Universität. Darüber hinaus können Auslandssprachaufenthalte z.B. im Rahmen eines Au-pair-Verhältnisses regelmäßig nur dann als Berufsausbildung anerkannt werden, wenn sie von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht begleitet werden.
Der erforderliche Umfang der Ausbildung richtet sich dabei nach den Gesamtumständen des Einzelfalles. Ist beispielsweise der Sprachaufenthalt im Ausland in einer Ausbildungs-/Studienordnung vorgeschrieben oder empfohlen, so ist er in der Regel anzuerkennen. Ist der Auslandsaufenthalt dagegen nicht vorgeschrieben oder empfohlen, kann ein begleitender Sprachunterricht von wöchentlich 10 Unterrichtsstunden grundsätzlich als ausreichend angesehen werden, da die Zeit der Vor- und Nachbereitung sowie die praktische Anwendung der Fremdsprache außerhalb des Unterrichts in die Gesamtbetrachtung miteinbezogen werden müssen. 10 Unterrichtsstunden je Woche können jedoch nur einen Anhaltspunkt für die Intensität der Sprachausbildung geben. So kann Einzelunterricht wegen der umfänglicheren Vor- und Nacharbeit möglicherweise auch dann als ausreichende Ausbildung angesehen werden, wenn er eine geringere Unterrichtsstundenzahl umfaßt. Desgleichen kann die Teilnahme an einem Sprachkurs mit einer geringeren Unterrichtsstundenzahl anerkannt werden, wenn er der üblichen Vorbereitung auf einen anerkannten Prüfungsabschluß dient und das Kind den Prüfungsabschluß anstrebt, oder wenn neben dem Sprachunterricht zusätzliche fremdsprachenfördernde Aktivitäten unternommen werden, z.B. die Teilnahme an Vorlesungen oder das Halten von Vorträgen in der Fremdsprache. Feste Vorgaben lassen sich für die Auslegung der Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG nicht aufstellen. Vielmehr sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls abzuwägen und in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen.
3. Das FG hat im Streitfall in Gesamtwürdigung der Umstände im Ergebnis zutreffend das Vorliegen einer Berufsausbildung für den Zeitraum Januar bis Juni 1997 bejaht. Die Tochter des Klägers hat an einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht von 10 Zeitstunden je Woche mit dem Ziel eines anerkannten Prüfungsabschlusses teilgenommen. Sie hat den Sprachlehrgang zudem mit einem Zertifikat abgeschlossen und im Anschluß an den Englandaufenthalt ihre Ausbildung im Fach Betriebswirtschaft (Fachrichtung Bank) an der staatlichen Berufsakademie aufgenommen. Eine erste/zweite Fremdsprache ist darüber hinaus in der Ausbildungsordnung als Zusatzfach empfohlen.
Das FG hat zwar rechtsfehlerhaft den Anspruch auf Kindergeld auch für den Monat Juli 1997 auf § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gestützt, da die Berufsausbildung im Juni 1997 mit dem Erwerb des Zertifikats abgeschlossen war. Im Monat Juli beruhte der Kindergeldanspruch aber auf § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, weil sich die Tochter zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befand. Nach § 126 Abs. 4 FGO ist die Revision auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidungsgründe eine Rechtsverletzung ergeben, die Entscheidung sich aber aus einem anderen Grund als richtig erweist.
Fundstellen
Haufe-Index 56337 |
BFH/NV 1999, 1680 |
BStBl II 1999, 701 |
BFHE 189, 88 |
BFHE 2000, 88 |
BB 1999, 1913 |
DB 1999, 1884 |
DStR 1999, 1482 |
DStRE 1999, 744 |
DStZ 1999, 838 |
HFR 1999, 900 |
StE 1999, 560 |
WPg 1999, 882 |
FR 1999, 1127 |
LEXinform-Nr. 0552114 |
NJW 1999, 3214 |
NWB 1999, 280 |
FamRZ 2000, 537 |
NJWE-FER 1999, 333 |
SteuerStud 2000, 127 |
SGb 2000, 264 |
NWB-DokSt 2000, 257 |