Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung des Folgebescheids nach fehlerhafter ESt-4-Mitteilung
Leitsatz (NV)
1. Zur Pflicht, die im Grundlagenbescheid festgesetzten Besteuerungsgrundlagen im Folgebescheid zu berücksichtigen.
2. Zur Bindungswirkung von ESt-4-Mitteilungen für den Folgebescheid.
3. Zur Vorrangigkeit des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gegenüber § 129 AO 1977.
Normenkette
AO 1977 §§ 129, 171 Abs. 2, § 175 Abs. 1 Nr. 1; AO § 146a
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger war an mehreren Gesellschaften beteiligt, unter anderem an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) und einer Arbeitsgemeinschaft (Arge).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte im Einkommensteuerbescheid für 1970 vom 23. April 1974 die Gewinnanteile des Klägers an den Gesellschaften erklärungsgemäß und in Übereinstimmung mit den ihm vorliegenden Mitteilungen über die einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung mit 120 541 DM an der GbR und 28 252 DM an der Arge fest. Die Einkommensteuer belief sich insgesamt auf 36 726 DM. Nachdem geänderte Gewinnfeststellungsbescheide ergangen waren, änderte das FA diesen Einkommensteuerbescheid mit einem ersten Änderungsbescheid nach § 218 Abs. 4 der Reichsabgabenordnung (AO) und erhöhte den Gewinnanteil des Klägers an der GbR auf 193 737 DM. Die Einkommensteuer betrug nunmehr 87 108 DM.
Im Anschluß an eine vom FA X im Jahre 1977 begonnene Außenprüfung bei der Arge erhöhte sich der Gewinnanteil des Klägers. Ein entsprechender Feststellungsbescheid vom 25. September 1979 ist bestandskräftig. Das FA X übersandte dem FA eine sog. ESt-4-Mitteilung über die geänderte gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte. Irrtümlich war darin der Gewinnanteil des Klägers trotz der richtigen Steuernummer der falschen Gesellschaft (der GbR und nicht der Arge) zugeordnet. Das FA wertete diese unzutreffende Mitteilung aus und erließ einen nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1970 vom 9. Januar 1980. Dieser zweite Änderungsbescheid führte zur Herabsetzung der Einkommensteuer 1970 auf 59 216 DM und ist bestandskräftig geworden. In einer Anlage zu diesem Bescheid sind die Einkünfte aus Gewerbebetrieb und die Gewinnanteile einzeln aufgeführt.
Nachdem sich im Jahre 1981 herausgestellt hatte, daß in der Mitteilung des FA X vom 25. September 1979 der Gewinnanteil an der Arge falsch bezeichnet worden war, erließ das FA am 6. Februar 1981 einen dritten Einkommensteuer-Änderungsbescheid 1970. In diesem nach § 129 AO 1977 geänderten Bescheid 1970 wurden die Gewinnanteile an der GbR in Höhe von 193 737 DM und an der Arge in Höhe von 139 034 DM angesetzt. Daraus ergab sich eine Erhöhung der Einkommensteuer auf 145 660 DM.
Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte insoweit Erfolg, als das FA den Gewinnanteil an der GbR - wie im Einkommensteuerbescheid 1970 vom 9. Januar 1980 - wegen Verjährung des höheren Betrags erneut mit 139 034 DM festsetzte. Das FA hielt weiterhin die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1970 hinsichtlich des Gewinnanteils an der Arge nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 und nicht mehr nach § 129 AO 1977 für gerechtfertigt.
Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Finanzgericht (FG) aus, eine Berichtigung des Einkommensteuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sei zulässig gewesen, da das FA verpflichtet gewesen sei, die Einkommensteuer 1970 an den Feststellungsbescheid anzupassen.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung der §§ 146 a Abs. 3 AO, 118 AO 1977, 129 AO 1977 i. V. m. § 171 Abs. 2 AO 1977 sowie § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Sie meinen, daß durch den Einkommensteuerbescheid vom 9. Januar 1980 eine Auswertung des Grundlagenbescheids erfolgt und damit eine neuerliche Berichtigung wegen Verjährung ausgeschlossen sei. Die Auswertung des Feststellungsbescheides und damit der Erlaß des Folgebescheides beginne schon mit der Fertigung der ESt-4-Mitteilung, weil das Wohnsitz-FA an die mitgeteilten Daten gebunden sei. Aber selbst wenn der Erlaß des Folgebescheides erst mit der Auswertung der ESt-4-Mitteilung durch den Finanzbeamten des Wohnsitz-FA beginne, so müsse sich dieser die Fehler seiner Informanten zurechnen lassen. Die Kläger berufen sich hierzu auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Februar 1967 VI R 5/66 (BFHE 88, 155, BStBl III 1967, 348), vom 7. Juni 1972 I R 115/70 (BFHE 106, 14, BStBl II 1972, 743).
Die Kläger beantragen, den Einkommensteuerbescheid 1970 vom 6. Februar 1981 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 1. April 1982 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der von den Klägern angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtmäßig.
1. Das FA hat den materiell richtigen Einkommensteuerbescheid 1970 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 1. April 1982 zu Recht auf § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützt. Die Änderungsvorschriften der AO 1977 sind nach Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) im Streitfall einschlägig, da die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1970 nach dem 31. Dezember 1976 erfolgt ist.
Nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 war das FA verpflichtet, die im Grundlagenbescheid festgesetzten Besteuerungsgrundlagen im Einkommensteuerbescheid 1970 zu berücksichtigen. Es ist das Ziel des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, die Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids verfahrensrechtlich zur Geltung zu bringen, so daß das gesetzliche Gebot zur entsprechenden Änderung des Folgebescheids solange besteht, als ein Grundlagenbescheid in dem Folgebescheid noch nicht berücksichtigt worden ist (vgl. BFH-Urteile vom 9. August 1983 VIII R 55/82, BFHE 139, 341, BStBl II 1984, 86; vom 6. November 1985 II R 255/83, BFHE 145, 117, BStBl II 1986, 168).
Im Streitfall war der Inhalt des Grundlagenbescheids in dem Folgebescheid (Einkommensteuerbescheid 1970 vom 9. Januar 1980) nicht berücksichtigt, da darin nur die inhaltlich unzutreffende ESt-4- Mitteilung ausgewertet worden war. Diese behördeninterne Mitteilung (vgl. FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 30. April 1986 II K 146/84, rechtskräftig, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 427, 428) ist aber für den Folgebescheid nicht bindend; bindend ist allein der Inhalt des Grundlagenbescheids (vgl. FG Hamburg, Beschluß vom 29. Juli 1980 V 120/80, rechtskräftig, EFG 1981, 61, 62). Aus diesem Grunde mußte das FA den Einkommensteuerbescheid 1970 vom 9. Januar 1980 ändern, um darin die zutreffenden Feststellungen des Grundlagenbescheids zu berücksichtigen.
Dem steht entgegen der Ansicht der Revision nicht entgegen, daß das FA den Einkommensteuerbescheid 1970 durch den Bescheid vom 9. Januar 1980 bereits geändert hatte. Denn die Änderungsmöglichkeit aufgrund des § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 wird durch eine vorgenommene Änderung eines Folgebescheids nicht verbraucht, sondern bleibt solange bestehen, als ein Grundlagenbescheid in dem Folgebescheid noch nicht berücksichtigt worden ist (vgl. BFHE 145, 117, BStBl II 1986, 168).
2. Die Vorinstanz hat auch zutreffend entschieden, daß bei Erlaß des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1970 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 1. April 1982 noch keine Verjährung eingetreten war, weil der Eintritt der Verjährung durch die Ablaufhemmung des § 146 a AO verhindert worden war.
3. Das FA konnte die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1970 als Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 unabhängig von dem Vorliegen etwaiger anderer Änderungsmöglichkeiten vornehmen (vgl. BFHE 139, 341, BStBl II 1984, 86; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 175 AO 1977 Anm. 2).
4. Bei diesem Ergebnis bedarf es keiner Erörterung, ob eine Änderung des Steuerbescheids nach § 129 AO 1977 wegen Vorliegens einer offenbaren Unrichtigkeit in Betracht kam bzw. wegen Festsetzungsverjährung nach § 171 Abs. 2 AO 1977 ausgeschlossen war.
Fundstellen
Haufe-Index 415993 |
BFH/NV 1989, 138 |