Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
Bei Flächenänderungen des Grundbesitzes ist eine Wertfortschreibung nach § 22 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 BewG i. d. F. des Art. 8 Nr. 1 StändG 1957 (BGBl 1957 I S. 848) nur zulässig, wenn der Wert infolge der Flächenänderung allein um mindestens eintausend Deutsche Mark von dem Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts abweicht.
Normenkette
BewG § 22 Abs. 1 Ziff. 1
Tatbestand
Die Bgin. ist Eigentümerin eines Fabrikgrundstücks. Für dieses Grundstück war zuletzt auf den 1. Januar 1959 ein Einheitswert von 2.993.600 DM festgestellt worden. Im Jahre 1959 erwarb die Bgin. Flächen in Größe von 515 qm hinzu. Bei einem gemeinen Wert des Grund und Bodens von 2 DM pro qm unter Berücksichtigung der Wertzahl 80 v. H. ergab sich dadurch eine Wertsteigerung von 824 DM. Die Bgin. errichtete im Jahre 1959 außerdem ein Betriebsgebäude, erweiterte das Bürogebäude und brach andererseits zwei Gebäude ab. Durch diese Gebäudeveränderungen ergab sich zum 1. Januar 1960 ein Gebäuderealwert von 3.197.064 DM gegenüber einem Gebäuderealwert von 3.103.555 DM zum 1. Januar 1959. Bei Berücksichtigung sowohl der Flächen- als auch der Gebäudeveränderungen ergab sich zum 1. Januar 1960 ein Einheitswert von 3.069.200 DM, der von dem zuletzt festgestellten Einheitswert zum 1. Januar 1959 um 75.600 DM, also um weniger als den zehnten Teil und auch nicht mehr als um 100.000 DM abwich. Trotzdem führte das Finanzamt auf den 1. Januar 1960 eine Wertfortschreibung durch und stellte den Einheitswert auf 3.069.200 DM fest. Es berief sich dabei auf Abschn. 1 Abs. 3 VStR 1960. Danach soll bei einer Flächenveränderung eine Wertfortschreibung zulässig sein, wenn sich bei Berücksichtigung der Wertänderungen durch die Flächenänderung und der Wertänderungen aus anderen Gründen ein neuer Wert ergibt, der um mindestens 1.000 DM von dem zuletzt festgestellten Einheitswert abweicht.
Mit der Sprungberufung, zu der der Vorsteher des Finanzamts die nach § 261 AO erforderliche Einwilligung gab, vertrat die Bgin. die Auffassung, eine Wertfortschreibung wegen Flächenänderung nach § 22 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 BewG i. d. F. des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 - StändG 1957 - (BGBl 1957 I S. 848, BStBl 1957 I S. 352) sei nur zulässig, wenn die Wertabweichung infolge der Flächenänderung allein die Mindestgrenze von 1.000 DM erreicht.
Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht ist der Ansicht, § 22 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 BewG i. d. F. des StändG 1957 könne nach seinem Wortsinn, nach der Systematik der in § 22 Abs. 1 Ziff. 1 BewG geregelten Wertfortschreibungsmöglichkeiten, nach seinem Zweck und nach seiner Entstehungsmöglichkeiten, nach seinem Zweck und nach seiner Entstehungsgeschichte nur in der von der Bgin. vorgetragenen Weise ausgelegt werden.
Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des § 22 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 BewG 1957. Er vertritt weiterhin die Auffassung, die in Abschn. 1 Abs. 3 VStR 1960 gegebene Anweisung stelle die zutreffende Auslegung dieser Vorschrift dar.
Der Bundesminister der Finanzen ist nach § 287 Ziff. 2 AO der Rb. beigetreten. Er vertritt die Auffassung, daß § 22 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 BewG 1957 von der früheren Fassung nicht nur durch die Einführung einer Mindestwertgrenze, sondern auch dadurch abweiche, daß die Worte "soweit sich durch die Flächenänderung ... ergibt" inhaltlich durch die Worte "ohne Rücksicht auf die Grenzen des Satzes 1" ersetzt worden seien. Der klare Wortlaut der Neufassung lasse nur die Schlußfolgerung zu, daß in den Fällen, in denen eine Wertabweichung auf Grund einer Flächenänderung und eine Wertabweichung aus anderen Gründen zusammentreffen, die Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung nur nach Satz 2, also nicht mehr nach Satz 1 des § 22 Abs. 1 Ziff. 1 BewG zu beurteilen seien. Die Flächenänderung diene für die Entscheidung der Frage, ob der Einheitswert fortzuschreiben sei als Anlaß, sämtliche zu einer Wertabweichung führenden Umstände zu berücksichtigen, gleichzeitig, ob sie auf Flächenänderungen oder auf sonstigen Wertänderungen beruhten und ob sie sich werterhöhend oder wertmindernd auswirkten. Diese Regelung könne sich zugunsten wie zuungunsten des Grundstückseigentümers auswirken. Sie entspreche einem sachlichen Bedürfnis und führe zu befriedigenden Ergebnissen. Aus der Systematik der in § 22 Abs. 1 Ziff. 1 BewG geregelten Wertfortschreibungsmöglichkeiten oder aus dem gesetzgeberischen Zweck oder der Entstehungsgeschichte des § 22 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 BewG 1957 lasse sich entgegen der Auffassung des Finanzgerichts keine andere Auslegung herleiten.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
I. - Streitig ist die Auslegung des § 22 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 BewG i. d. F. des StändG 1957. Diese Vorschrift lautet wie folgt:
"Wird bei einer wirtschaftlichen Einheit die Grundstücksfläche verkleinert oder vergrößert, so wird der Einheitswert ohne Rücksicht auf die Grenzen des Satzes 1 neu festgestellt, wenn der neue Wert um mindestens 1.000 Deutsche Mark von dem Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts abweicht."
Der Streit geht um die Frage, ob bei einer Wertfortschreibung nach dieser Vorschrift nur die Wertabweichung infolge der Flächenänderung zu berücksichtigen ist oder ob auch Wertabweichungen aus anderen Gründen berücksichtigt werden können. Die Entscheidung dieser Frage hängt davon ab, was unter dem Begriff "der neue Wert" zu verstehen ist. Der Bundesminister der Finanzen vertritt in seiner Stellungnahme die Auffassung, darunter könne nur der Wert verstanden werden, der sich unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse vom Stichtag und der Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935 (§ 3 a Abs. 1 BewDV) auf den Stichtag als Einheitswert ergibt. Diese Auslegung des Begriffs "der neue Wert" ist aber nach dem Wortsinn der Vorschrift nicht so eindeutig, wie der Bundesminister der Finanzen in seiner Stellungnahme meint. Der Wortsinn der Vorschrift läßt auch die Auslegung zu, daß unter dem Begriff der Wert zu verstehen ist, der sich unter Berücksichtigung nur der Wertabweichung infolge der Flächenänderung auf den Stichtag ergibt. Daraus, daß bei der Neufassung das Wort "soweit" durch das Wort "wenn" ersetzt worden ist, lassen sich keine eindeutigen Schlüsse ziehen. Denn das Wort "wenn" kann auch deswegen eingesetzt worden sein, weil es der jetzigen Fassung sprachlich besser entspricht, als das Wort "soweit". Weil der Wortsinn der Vorschrift nicht eindeutig ist, hat das Finanzgericht bei der Auslegung mit Recht auch die Systematik dieser Vorschrift, ihren Zweck und ihre Entstehungsgeschichte herangezogen.
II. - Es ist dem Finanzgericht darin zuzustimmen, daß schon die Systematik der Vorschrift des § 22 Abs. 1 Ziff. 1 BewG dafür spricht, daß bei einer Flächenänderung auch nur die durch diese Flächenänderung hervorgerufene Wertabweichung zu berücksichtigen ist. Das folgt schon daraus, daß die Wertfortschreibung bei Flächenänderungen als ein besonderer Fall der Wertfortschreibung gesondert geregelt ist. Sie soll "ohne Rücksicht auf die Grenzen des Satzes 1" vorgenommen werden, wenn die im Satz 2 vorgeschriebene Mindestgrenze erreicht ist. Es liegt nahe, davon auszugehen, daß diese Mindestgrenze dann auch nur durch die Wertabweichung infolge der Flächenänderung erreicht werden muß. Entgegen der Auffassung des Bundesministers der Finanzen ist es dabei unerheblich, ob die Vorschrift die Wertfortschreibung wegen oder im Falle einer Flächenänderung behandelt. Der Bundesminister der Finanzen räumt selbst ein, daß die Fälle des Satzes 2 durch das besondere Tatbestandsmerkmal der Flächenänderung aus der Gesamtheit der Fälle herausgehoben werden. Es widerspricht nicht der Systematik des Gesetzes, wenn man bei der Auslegung des Satzes 2 auf die Besonderheit des dort geregelten Tatbestands abhebt.
III. - Auch aus dem Zweck der Vorschrift und aus seiner Entstehungsgeschichte lassen sich, wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, Anhaltspunkte dafür gewinnen, daß die vom Finanzgericht gefundene Auslegung richtig ist. Der Bundesminister der Finanzen hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, daß die Vorschrift ihren Vorläufer in den Sätzen 2 und 3 des § 22 Abs. 1 des Reichsbewertungsgesetzes (RBewG) i. d. F. vom 16. Oktober 1934 (RGBl 1934 I S. 1035) hat. Dort war erstmals für den Grundbesitz eine Fortschreibung des Einheitswerts wegen Flächenänderungen (und wegen sonstiger Bestandsveränderung) als ein Sonderfall der Wertfortschreibung vorgesehen. Sie wurde gegenüber der allgemeinen Regelung durch eine Herabsetzung der sonst für die Fortschreibung geltenden Wertgrenzen erleichtert. Der Einheitswert wurde bei einer Bestandsveränderung schon dann neu festgestellt, wenn der Wert infolge der Bestandsveränderung allein um mehr als den zwanzigsten Teil, mindestens aber um 500 RM abwich. Während des Krieges wurden die Sätze 2 und 3 des § 22 Abs. 1 RBewG 1934 aus Verwaltungsvereinfachungsgründen aufgehoben (vgl. Verordnung vom 22. Januar 1939, RGBl 1939 I S. 2271; vom 4. April 1943, RGBl 1943 I S. 177, und vom 14. September 1944, RGBl 1944 I S. 202). Für die Fortschreibung der Einheitswerte des Grundbesitzes auf den 21. Juni 1948 wurden sie in § 4 Abs. 3 des Gesetzes betreffend Fortschreibungen und Nachfeststellungen von Einheitswerten des Grundbesitzes auf den 21. Juni 1948 vom 10. März 1949 (Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1949 S. 25) mit veränderten Wertgrenzen wieder aufgenommen.
Durch § 1 Nr. 8 des Vermögensbewertungsgesetzes vom 16. Januar 1952 (BGBl 1952 I S. 22) erhielt § 22 Abs. 1 Ziff. 1 BewG eine neue Fassung. Satz 2 dieser Vorschrift lautete wie folgt:
"Hat sich bei einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb, einem Grundstück oder einem Betriebsgrundstück die Grundstücksfläche verkleinert oder vergrößert, so wird der Einheitswert neu festgestellt, soweit sich durch die Flächenänderung unter Berücksichtigung der Abrundung (§ 25) eine änderung des Einheitswerts ergibt."
In der amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift (Bundestagsdrucksache Nr. 2278, I. Wahlperiode 1949) wird dazu ausgeführt:
"Die so gestalteten Grenzen müssen dann auch für den Grundbesitz gelten. Bei diesem soll ähnlich wie früher eine Ausnahme bei Bestandsveränderungen gelten. Es sollen aber nur änderung der Flächen als Bestandsveränderungen berücksichtigt werden. Die Fälle der Flächenänderungen haben bisher zu Schwierigkeiten und Unbilligkeiten geführt.
Beispiel: Eine Siedlerstelle im Einheitswert von 5.000 DM wird aus einem großen landwirtschaftlichen Betrieb mit einem Einheitswert von 200.000 DM abgezweigt. Für die Siedlerstelle ist eine Nachfeststellung vorzunehmen. Der Einheitswert des Großbetriebs bleibt nach den bisherigen Vorschriften unverändert, da für den Großbetrieb die Wertgrenzen nicht überschritten sind. Die Beteiligten empfinden die dabei eintretende zweimalige Besteuerung der abgezweigten Fläche mit Recht als unbillig. Lebhafte Auseinandersetzungen mit den Steuerbehörden (Finanzämtern und Gemeindebehörden) sind die Folge."
Aus diesen Ausführungen geht klar hervor, daß es der Zweck dieser Vorschrift sein sollte, die Schwierigkeiten und Unbilligkeiten, die sich ohne eine solche Sonderregelung ergeben hätten, auszuschließen. An dieser Zweckbestimmung, die auch der Bundesminister der Finanzen in seiner Stellungnahme erwähnt, hat sich bei der Neufassung der Vorschrift nichts geändert. Gegen sie würde man aber verstoßen, wenn man die neugefaßte Vorschrift so auslegen würde, wie es in Abschn. 1 Abs. 3 VStR 1960 geschieht. Denn bei dieser Auslegung sind Fälle denkbar, bei denen die Grundsteuer für die in Betracht kommenden Grundstücksflächen doppelt oder überhaupt nicht erhoben werden würde. Es sind dies die Fälle, in denen jemand Flächen im Werte unter 1.000 DM an einen anderen veräußert und diese Flächenänderung im Zusammenhang mit Wertänderungen aus anderen Gründen beim Veräußerer nach dieser Auslegung zu einer Wertfortschreibung führt, beim Erwerber dagegen nicht oder umgekehrt.
Die Unbilligkeiten werden in der Regel vermieden, wenn man die umstrittene Vorschrift so auslegt, daß nur die Wertänderungen infolge der Flächenänderung berücksichtigt werden dürfen. Es kann allerdings vorkommen, daß die Grundsteuer weiterhin vom Veräußerer bezahlt werden muß. Wenn dieses Ergebnis auch nicht den tatsächlichen Eigentumsverhältnissen entspricht, so muß es hingenommen werden, weil es auf die Einführung der Mindestgrenze von 1.000 DM durch das StändG 1957 zurückzuführen ist. Diese Mindestgrenze ist in das Gesetz aufgenommen worden, um die sonst kaum zu bewältigende Verwaltungsarbeit zu reduzieren. Die Unzuträglichkeit, daß der Veräußerer weiterhin die Grundsteuer für die veräußerten Flächen zahlen muß, ergibt sich im übrigen unabhängig von der Auslegung der umstrittenen Vorschrift in allen Fällen, in denen sowohl beim Veräußerer als auch beim Erwerber nur Flächenänderungen mit einem Wert unter 1.000 DM vorliegen.
Die in Abschn. 1 Abs. 3 VStR 1960 vertretene Auffassung würde im übrigen auch dazu führen, daß bei geringfügigen Flächenänderungen Wertfortschreibungen mit erheblicher steuerlicher Auswirkung durchgeführt werden könnten, die ohne diese Flächenänderung allein nach § 22 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 1 BewG nicht vorgenommen werden könnten. Es ist zwar richtig, daß es sich dabei um Wertfortschreibungen sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen handeln kann. Der Senat hat jedoch Bedenken, ob dieses Ergebnis mit dem Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 1 BewG im Einklang steht, der Wertfortschreibungen von der überschreitung bestimmter Wertgrenzen abhängig machen will, um eine gewisse Beständigkeit der Einheitsbewertung zu erreichen. Wenn dieser Zweck aus den oben dargelegten Gründen für Wertfortschreibungen bei Flächenänderungen auch in den Hintergrund tritt, so geht es doch nicht an, ihn durch eine weite Auslegung ganz beiseite zu schieben.
Aus allen diesen Gründen ist § 22 Abs. 1 Ziff. 1 Satz 2 BewG i. d. F. des StändG 1957 (und auch in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 1961 vom 13. Juli 1961, BGBl 1961 I S. 981) nach Auffassung des Senats so auszulegen, daß eine Wertfortschreibung bei Flächenänderungen des Grundbesitzes nur zulässig ist, wenn der Wert infolge der Flächenänderung allein um mindestens 1.000 DM (bzw. ab 1. Januar 1962 um mindestens 500 DM) von dem Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts abweicht.
Da die Wertabweichung infolge der Flächenänderung allein im Streitfall nur 824 DM beträgt, erweist sich die Rb. als unbegründet.
Fundstellen
Haufe-Index 411382 |
BStBl III 1964, 640 |
BFHE 1965, 458 |
BFHE 80, 458 |