Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung des Pauschbetrags für ein körperbehindertes Kind - Abzug von Aufwendungen für ein im Ausland lebendes körperbehindertes Kind - Erwerbsunfähigkeit i.S. von § 32 Abs. 7 Nr. 2 EStG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Übertragung des Pauschbetrages für ein körperbehindertes Kind nach § 33b Abs. 5 Satz 1 EStG setzt voraus, daß das Kind unbeschränkt steuerpflichtig ist.
2. Eine Berücksichtigung der betreffenden Aufwendungen (für das im Ausland lebende Kind) nach § 33 EStG ist nur möglich, wenn die Aufwendungen nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden. Fehlt es an diesem Nachweis oder der Glaubhaftmachung, kommt ein Abzug auch nur in Höhe der Pauschbeträge des § 33b Abs. 3 EStG nicht in Betracht.
Orientierungssatz
1. Die Übertragung des Pauschbetrags für ein körperbehindertes Kind nach § 33b Abs. 5 Satz 1 EStG setzt voraus, daß es sich um ein Kind i.S. des § 32 Abs. 4 bis 7 EStG handelt.
2. Eine Erwerbsunfähigkeit i.S. von § 32 Abs. 7 Nr. 2 EStG 1979 ist erst anzunehmen, wenn die Erwerbsfähigkeit zu mehr als 90 v.H. gemindert ist.
Normenkette
EStG § 1 Abs. 1, §§ 33, 33b Abs. 3, 5, § 50 Abs. 1 S. 5; EStG 1979 § 32 Abs. 7 Nr. 2; EStG § 32 Abs. 4-6; EWGVtr Art. 7; EStG § 50 Abs. 4 S. 1
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein italienischer Staatsangehöriger, war im Streitjahr (1980) in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) als Arbeitnehmer beschäftigt. Seine am 24. Februar 1950 geborene, behinderte Tochter lebte --nach Aktenlage zusammen mit seiner Ehefrau und seinem Vater-- in seinem Haushalt in Italien.
In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr machte der Kläger u.a. den Abzug von 1 760 DM als außergewöhnliche Belastung geltend. Er berief sich dazu auf eine Erwerbsminderung seiner Tochter von 100 v.H. Außerdem begehrte er die steuerliche Anerkennung von 8 800 DM Unterhaltsleistungen an seine Ehefrau, die Tochter sowie seinen Vater, die er durch Postüberweisungen erbracht hatte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte im Jahresausgleichsbescheid die für die Tochter geltend gemachten Aufwendungen nicht. Es wurden allerdings 2 933 DM --1/3 von 8 800 DM-- Unterhaltsleistungen an den Vater des Klägers nach § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abgezogen.
Im Einspruchsverfahren legte der Kläger eine in italienischer Sprache verfaßte Bescheinigung der Gesundheitsbehörde in F/Italien vom 21. Mai 1976 vor, wonach bei der Tochter des Klägers --der Übersetzung des italienischen Generalkonsulats in Frankfurt am Main vom 22. Januar 1982 zufolge-- eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 v.H. bestehe.
Das FA erkannte in der Folgezeit (mit Bescheid vom 25. April 1985) Unterhaltsaufwendungen des Klägers für die Tochter in Höhe von 3 516 DM als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33a Abs. 1 EStG an. Aufwendungen wegen der Körperbehinderung der Tochter berücksichtigte es hingegen --auch in der Einspruchsentscheidung-- nicht.
Die Klage, mit der der Kläger weiterhin den Abzug von 1 760 DM nach § 33 EStG begehrte, hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat seine Entscheidung im wesentlichen darauf gestützt, daß der Kläger entsprechende Aufwendungen für seine Tochter weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht habe. Die Glaubhaftmachung sei hier auch nicht im Hinblick auf § 33b Abs. 3 EStG entbehrlich. Diese Vorschrift sei im Streitfall nicht anwendbar, da die Tochter des Klägers im Streitjahr nicht unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sei.
Im übrigen ließ das FG offen, ob es eine weitere, vom Kläger verspätet (nach Ablauf einer nach dem Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit --VGFGEntlG-- gesetzten Ausschlußfrist) eingereichte Bescheinigung der Gesundheitsbehörde von F über die Behinderung der Tochter nebst Übersetzung durch das italienische Generalkonsulat in Frankfurt am Main vom 19. Februar 1987 berücksichtigen könne. Nach dieser Bescheinigung ist die Tochter des Klägers wegen einer geistigen Behinderung zu 70 v.H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert.
Der Kläger rügt mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision die Verletzung materiellen Rechts und führt dazu insbesondere aus: Der Gesetzgeber sei bei der Aufnahme des § 33b in das Einkommensteuergesetz davon ausgegangen, daß Körperbehinderte aufgrund ihrer Behinderung typischerweise besondere Aufwendungen zu tragen hätten. Die dort entsprechend dem Grad der Behinderung genannten Abzugsbeträge seien Mindestbeträge, die ohne Nachweis oder Glaubhaftmachung der Höhe der Aufwendungen beansprucht werden könnten. Für eine Berücksichtigung solcher Aufwendungen nach § 33 EStG müsse von gleichen Grundsätzen ausgegangen werden. Dies gelte jedenfalls dann, wenn es sich bei dem Behinderten --wie im Streitfall-- um ein Kind des Steuerpflichtigen handele. Denn für dieses trügen in aller Regel die Eltern die behinderungsbedingten Aufwendungen und nicht irgendwelche Dritte.
Folgte man der Auffassung des FG, würde der Kläger nur deswegen benachteiligt, weil seine Tochter in Italien lebte. Dies wäre aber auch nach Rechtsgrundsätzen der Europäischen Gemeinschaft nicht zulässig.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidungen aufzuheben und bei der Ermittlung des Einkommens 1 740 DM im Rahmen des § 33 EStG zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Das FG hat zwar zu Recht den Abzug von Aufwendungen des Klägers wegen der Behinderung seiner Tochter versagt. Doch hat es zuungunsten des Klägers nicht geprüft, ob ein Abzug von Unterhaltsaufwendungen für seine Ehefrau in Betracht kommt.
1. a) Nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG 1979 erhalten Körperbehinderte auf Antrag einen nach dem Grad der Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit gestaffelten Pauschbetrag, wenn nicht Aufwendungen nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden, die bei Anwendung des § 33 EStG (1979) zu einem höheren Abzugsbetrag führen. § 33b Abs. 5 EStG 1979 gestattet die Übertragung dieses Pauschbetrages auf die Eltern, wenn ihn ein Kind i.S. des § 32 Abs. 4 bis 7 EStG 1979 nicht in Anspruch nimmt.
Eine solche Übertragung des Pauschbetrages setzt danach in erster Linie voraus, daß es sich bei der behinderten Person um ein Kind im Sinne der oben genannten Vorschriften handelt. Die Tochter des Klägers war im Streitjahr 30 Jahre alt, so daß eine Berücksichtigung als Kind nur nach § 32 Abs. 7 EStG 1979 in Betracht käme. Für eine Anwendung der Nr. 1 dieser Vorschrift (Verzögerung der Berufsausbildung) gibt der Streitfall nichts her. Aber auch die Voraussetzungen der Nr. 2 (dauernde Erwerbsunfähigkeit wegen Behinderung) sind nicht erfüllt. Die Tochter des Klägers war nach den von diesem selbst im Einspruchsverfahren und im Klageverfahren vorgelegten Bescheinigungen nur zu 70 v.H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert. Eine Erwerbsunfähigkeit i.S. von § 32 Abs. 7 Nr. 2 EStG 1979 ist aber erst anzunehmen, wenn die Erwerbsfähigkeit zu mehr als 90 v.H. gemindert ist (s. hierzu insbesondere das Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Oktober 1988 VI R 60/85, BFHE 154, 542, zur insoweit identischen Vorschrift des § 32 Abs. 6 Nr. 6 EStG 1975/1977; auch Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20. Aufl., § 32 EStG Anm. 141 i.V.m. Anm. 128, mit weiteren Hinweisen).
Ungeachtet dessen scheidet eine Übertragung des Pauschbetrages im Streitfall auch deswegen aus, weil die Tochter des Klägers im Streitjahr nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i.S. des § 1 Abs. 1 EStG war; sie lebte im Haushalt des Klägers in Italien (s. insoweit die BFH-Urteile vom 18. Dezember 1981 VI R 97/81, BFHE 135, 73, BStBl II 1982, 256, und vom 20. März 1987 VI R 161/82, BFH/NV 1987, 511).
b) Ein Abzug der wegen der Behinderung der Tochter geltend gemachten Aufwendungen nach § 33 EStG (1979) scheidet ebenfalls aus.
Der Kläger hat die Aufwendungen --zwischen den Beteiligten unstreitig-- nicht in der sonst üblichen Weise nachgewiesen oder glaubhaft gemacht.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann auf dieses Erfordernis im Streitfall auch nicht ausnahmsweise --in Anlehnung an § 33b Abs. 1 bis 3 EStG 1979-- verzichtet werden. Dies folgt bereits daraus, daß die Tochter des Klägers wie oben ausgeführt kein Kind im Sinne des Einkommensteuerrechts (mehr) ist. Der Kläger müßte daher auch im Fall, daß die Tochter bei ihm in der Bundesrepublik gelebt hätte, die geltend gemachten Aufwendungen nachweisen oder glaubhaft machen; eine Übertragung der Pauschbeträge des § 33b Abs. 3 EStG 1979 nach Abs. 5 derselben Vorschrift käme nicht in Betracht.
Zum anderen ist der Senat der Auffassung, daß sich aus § 33b EStG (1979) weder eine Fiktion noch eine widerlegbare Vermutung des Inhalts herleiten läßt, Eltern von behinderten Kindern entstünden stets --auch wenn die Kinder im Ausland leben-- zwangsläufige Aufwendungen in Höhe von mindestens den in § 33b Abs. 3 EStG (1979) genannten Pauschbeträgen. Gegen eine derartige Annahme spricht schon der Umstand, daß Art und Höhe der zwangsläufig erwachsenden Aufwendungen je nach dem Land, in dem das Kind lebt, unterschiedlich sein können. Dies ist z.B. für allgemeine Unterhaltsaufwendungen durch § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG (1979) berücksichtigt.
Darüber hinaus würde die Rechtsansicht des Klägers dazu führen, daß die Regelung des § 33b EStG (1979) --wenn wegen der Berücksichtigung der zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) auch nur partiell-- auf Sachverhalte Anwendung fände, auf die sie nach § 50 Abs. 1 Satz 5 und Abs. 4 Satz 1 EStG 1979 gerade nicht angewendet werden darf. Diese Begrenzung der Anwendbarkeit des § 33b EStG 1979, insbesondere auch seines Abs. 5, auf unbeschränkt steuerpflichtige Eltern und Kinder, verstößt auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 7 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 --EWGV-- (BGBl II 1957, 766). Das folgt schon daraus, daß die Regelungen nicht an die Staatsangehörigkeit der Eltern und des Kindes anknüpfen; ein deutscher Staatsangehöriger würde bei sonst gleichen Verhältnissen ebenso behandelt (vgl. hierzu z.B. auch das BFH-Urteil vom 17. Oktober 1990 I R 182/87, BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136, Abschn. IV der Entscheidungsgründe).
2. Aus heutiger Sicht zu Unrecht hat das FG jedoch nicht geprüft, ob die vom Kläger --nach Aktenlage-- auch an seine, im Heimatland verbliebene, Ehefrau geleisteten Unterhaltszahlungen steuermindernd zu berücksichtigen sind. Denn abweichend von der früheren Rechtsprechung hat der Große Senat des BFH mit Beschluß vom 28. November 1988 GrS 1/87 (BFHE 154, 556, BStBl II 1989, 164) entschieden, daß Unterhaltsleistungen eines Ehegatten an den von ihm nicht dauernd getrennt lebenden, nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen anderen Ehegatten als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33a Abs. 1 EStG abziehbar sein können. Insoweit genügt --wegen der dargestellten Rechtsprechungsänderung-- zum Nachweis der Bedürftigkeit allerdings die Vorlage einer u.U. auch nachträglich erstellten amtlichen Bedürftigkeitsbescheinigung (s. hierzu das Urteil des erkennenden Senats vom 15. November 1991 III R 21/88, BFH/NV 1992, 375).
Das FG wird die für einen Abzug nach § 33a Abs. 1 EStG (1979) erforderlichen Feststellungen noch zu treffen haben; dabei ist möglicherweise die Unterhaltsbescheinigung auf Bl.3 der FA-Akte von Bedeutung. Weiter wird das FG zu beachten haben, daß im Streitfall nach den vom erkennenden Senat im Urteil vom 4. August 1994 III R 22/93 (BFHE 175, 532, BStBl II 1995, 114) aufgestellten Grundsätzen von Gesamtunterhaltsleistungen in Höhe von 8 800 DM auszugehen ist. Für eine Berücksichtigung vom Kläger anläßlich von Besuchen in Italien eventuell mitgenommener, weiterer, Geldbeträge ist kein Raum mehr.
Fundstellen
Haufe-Index 65226 |
BFH/NV 1995, 43 |
BStBl II 1995, 408 |
BFHE 176, 398 |
BFHE 1995, 398 |
BB 1995, 1065 |
BB 1995, 1065-1066 (LT) |
DB 1995, 1154-1155 (LT) |
DStR 1995, 565 (KT) |
DStZ 1995, 475 (L) |
HFR 1995, 322-323 (LT) |
StE 1995, 251 (K) |