Leitsatz (amtlich)
Dem Erben eines mit einem testamentarischen Nießbrauch belasteten Unternehmens steht der Abzug eines während des Nießbrauchs eingetretenen Verlustes nach § 10d EStG nur zu, wenn er selbst den Verlust als Unternehmer (Mitunternehmer) erlitten hat.
Normenkette
EStG § 10d; BGB §§ 591, 1055, 1085, 1922, 2100, 2139
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) im Streitjahr 1964 einen im Jahre 1961 entstandenen gewerblichen Verlust anteilig gemäß § 10d EStG abziehen kann.
Der Vater des Klägers, Maschinenfabrikant, hatte testamentarisch die Ehefrau (Mutter) als alleinige befreite Vorerbin, die beiden Söhne - darunter den Kläger - als Nacherben eingesetzt. Die Nacherbfolge sollte mit dem Tag der Vollendung des 25. Lebensjahres des Klägers eintreten. Für diesen Fall war bestimmt, daß die Mutter neben ihrem gesetzlichen Erbteil weitere fünf Jahre den Nießbrauch an dem auf die Nacherben übergehenden Nachlaß haben sollte. Nach dem Tode des Vaters am 8. Juli 1950 führte die Mutter den Betrieb weiter. Der Nacherbfall trat am 21. November 1957 ein. Im Februar 1958 verstarb der Bruder des Klägers; seine gesetzlichen Erben wurden die Mutter und der Kläger zu gleichen Teilen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) veranlagte die Mutter erklärungsgemäß bis 1962 bestandskräftig als Alleinunternehmerin.
Seit dem 1. Januar 1963 führten die Mutter und der Kläger den Betrieb in Erbengemeinschaft weiter, wobei der Gewinn im Verhältnis 9/16 (Kläger) zu 7/16 (Mutter) aufgeteilt wurde. Der Kläger machte in der Einkommensteuererklärung 1964 einen Verlustabzug in Höhe von 40 116 DM, das sind 9/16 des 1961 entstandenen und noch nicht verbrauchten Verlustes von 74 317 DM, geltend. Das FA versagte den Verlustabzug, da der Kläger nicht Rechtsnachfolger der Vorerbin, sondern des Vaters sei, der keinen Verlust erlitten habe. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG trat mit seiner in EFG 1971, 23 veröffentlichten Entscheidung der Ansicht des FA bei und begründete dies außerdem damit, daß den Verlust die Mutter als Alleinunternehmerin erlitten habe, wie im einzelnen ausgeführt wird. Fehl gehe auch der Einwand des Klägers, daß er den Verlust mitgetragen habe, weil der Wert des seiner Mutter überlassenen Betriebsvermögens durch den von ihr ermittelten Verlust gemindert worden sei. Denn das Betriebsvermögen sei durch den Verlust nicht nachhaltig gemindert worden; im übrigen habe echte Betriebsverluste grundsätzlich der Nießbraucher zu tragen; zu Lasten des Eigentümers gingen nur Minderungen des Anlagevermögens im Bereich höherer Gewalt oder des Zufälligen, z. B. Kriegseinwirkung, entschädigungslose Enteignung, unverschuldete Brandschäden.
Mit der Revision bringt der Kläger vor, er sei entgegen der Ansicht der Vorinstanz im Jahre 1961 Mitunternehmer gewesen. Nach Beendigung des Nießbrauchs sei zudem das durch den noch nicht ausgeglichenen Verlust des Jahres 1961 geminderte gemeinsame Kapitalkonto im Verhältnis der Erbteile aufgeteilt worden.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den anteiligen Verlust aus 1961 in Höhe von 40 116 DM als Sonderausgaben zum Abzug zuzulassen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Der erkennende Senat pflichtet der Vorinstanz im Ausgangspunkt bei, daß dem Kläger der anteilige Verlustabzug nur zusteht, wenn er im Jahre 1961 am Betrieb als Mitunternehmer beteiligt war. Denn es muß sich nach § 10d EStG um einen Verlust des Steuerpflichtigen aus Gewerbebetrieb handeln. Der Verlustabzug ist grundsätzlich an die Person des Steuerpflichtigen geknüpft, die den Verlust erlitten hat (Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 15. Aufl., § 10d EStG Anm. 4, 5 a). Einen gewerblichen Verlust kann der Kläger nur als Mitunternehmer erlitten haben. Darauf, ob der Kläger den Verlust als Nacherbe wirtschaftlich teilweise zu tragen hat, kommt es nicht an.
Aus der neueren Rechtsprechung, die dem Erben den Abzug oder den Ausgleich mit Verlusten des Erblassers gestattet (Urteile des BFH vom 22. Juni 1962 VI 49/61 S, BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386, und vom 17. Mai 1972 I R 126/70, BFHE 105, 483, BStBl II 1972, 621) ergibt sich nichts anderes. Denn diese Rechtsprechung geht vom Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge aus, bei welcher der Erbe auch steuerlich gleichsam die Person des Erblassers fortsetzt. Aus diesem Grunde wird von maßgebenden Kommentaren zum Einkommensteuergesetz auch einhellig die Auffassung vertreten, daß Miterben Verluste des Erblassers anteilig abziehen können auch dann, wenn nur einer der Erben den Betrieb fortführt (Herrmann-Heuer, a. a. O., Anm. 5 b). Der Kläger ist indessen nicht Gesamtrechtsnachfolger seiner Mutter, sondern des Vaters, der keinen Verlust erlitten hat.
Ferner sprechen Sinn und Zweck der testamentarischen Nießbrauchbestellung im Streitfall dafür, daß die Mutter - nicht der Kläger - den Verlust auch nach Beendigung des Nießbrauchs ausgleichen darf. Sollte die Mutter für einen bestimmten Zeitraum allein den Nutzen vom Unternehmen haben, können Nutzungen aber wegen des Eintritts von Verlusten nicht gezogen werden, so entspricht es dem mutmaßlichen Erblasserwillen, dieses Ergebnis zugunsten der Witwe dadurch zu mildern, daß ihr die steuerliche Geltendmachung des Verlustes im Wege des § 10d EStG zugebilligt wird. Insoweit gehört der Verlustabzug zum Nießbrauch auch nach dessen Beendigung. Im Verhältnis zum Nacherben ist der Wille des Erblassers regelmäßig dahin zu interpretieren, daß der Nacherbe den Nachlaß nur in dem Zustand erhalten soll, wie er - ordnungsgemäße Verwaltung vorausgesetzt - bei Eintritt des Nacherbfalls tatsächlich ist (Enno Becker, StuW 1938 I Spalte 293/4 [308]). Der Unternehmensnießbraucher hat bei Beendigung des Nießbrauchs das Unternehmen entsprechend §§ 591, 1055 Abs. 2 BGB in dem Zustand zurückzugeben, der sich bei einer während des Nießbrauchs bis zur Rückgewähr fortgesetzten ordnungsmäßigen Fortführung des Unternehmens ergibt (Staudinger-Spreng, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl., § 1085 Anm. 3 c). Hat der Nießbraucher dem Verlust schuldhaft herbeigeführt, stehen dem Nacherben gegen ihn zivilrechtliche Ersatzansprüche zu.
2. Die Vorentscheidung leidet indessen an einem Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens insoweit, als zu der, wie ausgeführt, entscheidungserheblichen Frage der vom Kläger geltend gemachten Mitunternehmerschaft im Jahre 1961 Stellung genommen wurde. Denn hierüber konnte nicht im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung, sondern allein im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung nach § 215 Abs. 2 AO entschieden werden. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat das Erfordernis einer einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung grundsätzlich bejaht, wenn Streit darüber besteht, ob der Erbe und der Nießbraucher nebeneinander am Gewinn oder Verlust beteiligt sind (BFH-Urteile vom 21. Juli 1961 VI 5/61 und vom 29. Oktober 1963 VI 158/62, StRK, Reichsabgabenordnung, § 215, Rechtssprüche 36 und 51). Lediglich über die Höhe des Verlustabzugs ist im Einkommensteuerveranlagungsverfahren zu befinden (Urteil vom 31. Juli 1964 VI 138/63, StRK, Reichsabgabenordnung, § 215, Rechtsspruch 61). Eine Ausnahme hiervon kommt nur für Fälle von geringer Bedeutung in Betracht (§ 215 Abs. 4 Satz 2 AO). Für die Annahme dieses Tatbestands reicht aber nicht aus, daß die Gewinnfeststellung bloß zwei Beteiligte betrifft, wie zur Ehegatten-Gesellschaft bereits in dem Urteil vom 25. Juni 1970 IV 190/65 (BFHE 99, 513, BStBl II 1970, 730) ausgesprochen wurde.
Die Vorentscheidung kann wegen Verstoßes gegen diese Grundsätze keinen Bestand haben. Das FG wird mit einer erneuten Entscheidung in der Einkommensteuersache abzuwarten haben, bis im einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahren über die vom Kläger geltend gemachte Mitunternehmerschaft befunden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 70516 |
BStBl II 1973, 679 |
BFHE 1973, 342 |